Nachtwächterstaat

Staatsbegriff nach Ferdinand Lasalle
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Der Nachtwächterstaat ist die von Ferdinand Lassalle (1825 - 1864) geprägte polemische Bezeichnung für denjenigen Staat, der nach Meinung des Manchesterliberalismus nur noch für innere und äußere Sicherheit - für den Nachtwächter - zuständig sei. In dieser kapitalistischen Marktform wird der freie Markt nicht durch Sozialpolitik oder Wirtschaftspolitik beeinflusst, der Staat nimmt die Rolle eines reinen Rechtshüters ein. Diese reine Form des wirtschaftlichen Liberalismus wird auch das Laissez-faire genannt.

Vorwürfe

Nachwächterstaaten wird vorgeworfen, dass sie zur Ausbeutung und Verelendung der Arbeiter und zu Wirtschaftskrisen führen. Ohne ein marktwirtschaftliches Kräftegleichgewicht von kleinen, mittleren und großen Unternehmen, durch entsprechende staatliche Rahmenbedingungen komme es zu Marktverzerrungen durch Unternehmenskonzentrationen. Ein freier Wettbewerb sei nicht mehr möglich. Kleine und mittlere Unternehmen würden insolvent. Da sich für kleine und mittlere Unternehmen keine größeren Rationalisierungen lohnen, erhielten sie die meisten Arbeitsplätze. Ohne sie steige die Arbeitslosigkeit, die Kluft zwischen Arm und Reich verbreitere sich und die Binnennachfrage breche ein.

Entgegnung

Dem wird entgegnet, dass der von der neoliberalen Heritage Foundation erstellte Index of Economic Freedom ([1]) das Gegenteil beweise: Im Jahr 2005 kam diese Untersuchung zu dem Schluss, dass die Staaten, die sich weitgehend aus dem Wirtschaftsgeschehen zurückziehen, die am besten versorgten Einwohner der Welt aufweisen können. Ausbeutung finde gerade in Staaten statt, die wenig wirtschaftliche Freiheit bieten, wie viele Länder Afrikas und Nordkorea. Die wirtschaftlich höchst erfolgreiche Sonderverwaltungszone Hongkong und der Stadtstaat Singapur, deren Einwohner zu den weltweit bestverdienenden gehören, werden häufig mit dem Wort Nachtwächterstaat in Verbindung gebracht.

Kritik von Keynes

Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise stellte John Maynard Keynes (*1883, †1946) das wirtschaftliche Laissez-faire infrage. Er war der Meinung, dass der Staat bei konjunkturellen Einbrüchen aktiv eingreifen müsse, um fehlende private Nachfrage durch staatliche Nachfrage zu ersetzen. Allerdings besteht hierüber das Risiko einer marktschädigenden Marktverzerrung zugunsten der Unternehmen, die von der staatlichen Nachfrage profitieren und führt auch ohne Kreditfinanzierung zu zukünftigen finanziellen Steuerbelastungen kleiner Unternehmen.

Keynes' Kritik basierte indes auf der wirtschaftlichen Erschütterung, die im Schwarzen Freitag kulminierte. Den Anfang dieser Entwicklung machte 1913 die Einrichtung einer staatlichen Zentralbank, die die Investitionsentscheidungen der Banken stark regulierte, zu Fehlinvestitionen und damit zur Blase auf dem Aktienmarkt führte. Im Nachtwächterstaat gäbe es allerdings keine derartige staatliche zentrale wirtschaftliche Planstelle.

Die neoliberalen Ökonomen sind kritisch eingestellt gegenüber Eingriffen, die über Gegenmaßnahmen in Fällen von Marktversagen hinausgehen. Vertreter der Bremer neokeynesianischen Schule hingegen empfehlen ein aktiveres Eingreifen des Staates.

Kritik von Seiten von Anarchisten

Anarchisten hingegen, z.B. Libertären geht ein Nachtwächterstaat hingegen nicht weit genug: Sie fordern die vollständige Abschaffung des Staates mit der Begründung, dass sich jeder Staat durch seine Struktur bestimmt letztendlich zu einem gigantischen Leviathan entwickeln muss. Auch durch eine Verfassung könne der Staat nicht eingeschränkt werden, diese stelle nur einen ideologischen Überbau über der inhärenten Ausbeutungsfunktion der Staates da.