Fiktive Bücher sind imaginäre Bücher, das heißt Bücher, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Sie „existieren“ aber insofern, als in echten Büchern auf sie Bezug genommen wird.
Ein bekanntes Beispiel ist die Erzählung Untersuchung des Werks von Herbert Quain des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges, die 1944 in der Anthologie Fiktionen (Ficciones) veröffentlicht wurde. Die Erzählung beschreibt in Form eines kritischen Essays die zwischen 1933 und 1939 entstandenen imaginären Werke des Herbert Quain, eines nicht existierenden Autors. Ähnliches gilt für die Rezensionen Pierre Menard, Autor des Quijote und Der Weg zu Almotasim, die gleichfalls in den Fiktionen erschienen.
In seinem Vorwort zu den Fiktionen erläutert Borges ironisch, warum er sich für so eine Art von Anthologie entschieden hat:
- „Ein mühseliger und strapazierender Unsinn ist es, dicke Bücher zu verfassen; auf fünfhundert Seiten einen Gedanken auszuwalzen, dessen vollkommen ausreichende Darlegung wenige Minuten beansprucht. Besser ist es, so zu verfahren, daß man so tut, als gäbe es diese Bücher bereits, und ein Résumé, einen Kommentar vorlegt. [...] Aus größerer Gewitztheit, größerer Unbegabtheit, größerer Faulheit habe ich das Schreiben von Anmerkungen zu imaginären Büchern vorgezogen.“
Ein weiteres typisches Beispiel ist Die vollkommene Leere (auch Das absolute Vakuum) des polnischen Autors Stanislaw Lem. Diese Anthologie beinhaltet 16 Rezensionen; 15 davon beziehen sich auf nichtexistierende Bücher. Die erste Rezension bezieht sich auf die Anthologie selbst, ist also die einzige, die sich auf ein reales Buch bezieht. Der Autor der Rezension – es ist natürlich Lem selbst – verweist einleitend auf Folgendes:
- „Rezensionen über nicht existierende Bücher zu schreiben, ist nicht Lems Erfindung; nicht nur bei einem zeitgenössischen Schriftsteller – J. L. Borges – findet man derartige Versuche.“
So hat zum Beispiel Jürgen Buchmann im zweiten Teil seines Encheiridion Vandalicum im Jahre 2012 eine imaginäre niedersorbische Gegenwartsliteratur vorgestellt, die in sechs Rezensionen ausführlich zitiert und besprochen wird.[1] Ebenfalls ein fiktives Werk ist das Necronomicon, ein vom US-amerikanischen Autor H. P. Lovecraft in den 1920er-Jahren erfundenes magisches Buch, das ein Teil von Lovecrafts Cthulhu-Mythos ist. Es ist nicht das einzige fiktive Buch, das in Lovecrafts Werk auftaucht, auch "Das Buch von Eibon" oder "Unausprechliche Kulte" des fiktiven Autors Friedrich Wilhelm von Junzt werden immer wieder erwähnt.
Erfundene Bibliotheken oder Pseudobibliografien sind eine weitere Möglichkeit, sich auf fiktive Bücher zu beziehen. Die ersten Beispiele finden sich in Rabelais’ Gargantua und Pantagruel, wo der Autor eine komplette Klosterbibliothek erfindet, sowie bei Johann Fischart, der 1590 den Catalogus Catalogorum perpetuo durabilis oder Immerwährenden Katalog der Kataloge erscheinen ließ, ein Werk, das ausschließlich aus einer 526 Posten umfassenden imaginären Bibliographie besteht. Überboten wird es von Hartwig Rademacher, dessen 2003 erschienene Akute Literatur aus ca. 1000 erfundenen Titelangaben besteht.[2]
Literatur
- Jorge Luis Borges: Fiktionen: Erzählungen 1939–1944. Fischer Taschenbuch 2012, ISBN 3-596-10581-1
- Jürgen Buchmann: Encheiridion Vandalicum: Das Buch von den Wenden. Reinecke & Voß 2012, ISBN 3-942-90102-1
- Johann Fischart: Catalogus Catalogorum. Niemeyer 1993, ISBN 3-484-28046-8
- Stanislaw Lem: Die vollkommene Leere. Suhrkamp 1981, ISBN 3-518-37207-6
- Rabelais: Gargantua und Pantagruel. Insel Verlag 1974, ISBN 3-458-31777-5
- Hartwig Rademacher: Akute Literatur. Merve 2003, ISBN 3-883-96191-4
- Bernd Wahlbrinck: Nicht zu fassen: Rezensionen von Büchern die nie geschrieben wurden. Tumbelwied 2009, ISBN 978-3-00-029514-0
Einzelnachweise
- ↑ fixpoetry.com, abgerufen am 22. November 2012
- ↑ Die Welt, abgerufen am 24. November 2012