Vergewaltigung
Von Vergewaltigung (veraltet: Notzucht) spricht man, wenn eine Person eine andere gegen ihren Willen unter Anwendung oder Androhung von Gewalt oder durch das Ausnutzen einer hilflosen Lage zum Geschlechtsverkehr oder anderen Handlungen mit sexuellem oder sexuell motiviertem Charakter zwingt. Das Ausmaß an ausgeübter Selbstverteidigung des Opfers ist heute nicht mehr ausschlaggebend für die juristische Bemessung der Vergewaltigung.


Nahezu alle Gesellschaften kennen einen Straftatbestand der Vergewaltigung und ächten ihn als eines der schwersten Vergehen. Ein erzwungener Geschlechtsverkehr in der Ehe, mit Außenseitern (etwa im Krieg, gegenüber Minderheiten oder Sklaven) wurde oder wird jedoch nicht überall als strafwürdiges Verbrechen angesehen. Viele Gesellschaften kannten oder kennen eine Schuldzuweisung an das Opfer, die sich etwa in Ausgrenzung oder zwangsweiser Scheidung äußert.
Vergewaltigungen finden in der Regel nicht in der Öffentlichkeit statt, Opfer und Täter kennen sich nicht selten. Eine Vergewaltigung liegt auch dann vor, wenn das Opfer sich nicht über die gesamte Zeitspanne der Vergewaltigung gewehrt hat. Ein Zusammenhang zwischen Kleidung und generellem Auftreten von Personen und relativen Häufigkeit, vergewaltigt zu werden ist nicht feststellbar.
Folgen für die Opfer
Zu den physischen Folgen der Vergewaltigung und der Gefahr durch Geschlechtskrankheiten angesteckt und darüber hinaus bei weiblichen Opfern schwanger zu werden, kommt häufig eine langfristige psychische Schädigung des Opfers (psychisches Trauma). Die Reaktion kann bis zu schweren Depressionen, Psychosen, Schuldgefühlen, Angstzuständen, Panikattacken und Suizidversuchen oder vollendetem Suizid reichen, jedoch ist die Schwere der Reaktionen sehr individuell und nicht bei allen Betroffenen gleichartig. Während einige Opfer auch ohne spezielle Betreuung zu einem normalen Leben zurückzufinden vermögen, gelingt es anderen langfristig nur durch eine Psychotherapie die Vergewaltigung zu verarbeiten. Besonders bei sehr jungen, aber auch zahlreichen erwachsenen Opfern ist eine vollständige Heilung der psychischen Wunden auch durch Therapien nicht oder nur sehr schwer möglich. Daher ist es beim Umgang mit Betroffenen wichtig, offen für die individuellen Bedürfnisse zu sein, ohne durch Erwartung einer bestimmten Reaktion Druck aufzubauen.
Vergewaltigung im Sinn des Strafrechts
1998 wurden im deutschen Strafrecht die bis dahin getrennten Tatbestände der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung unter einem einzigen Tatbestand zusammengefasst; Vergewaltigung ist nunmehr ein besonders schwerer Fall der sexuellen Nötigung und wird mit einer höheren Mindeststrafe bedroht. Als Vergewaltigung gilt seit der Reform das Erzwingen sexueller Handlungen, die das Opfer "besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind" (§ 177 StGB). Die früher bestehenden Einschränkungen des Vergewaltigungsbegriffs sind mit der Reform entfallen, so dass auch erzwungener Sex mit der Ehepartnerin (Vergewaltigung in der Ehe) und erzwungener Sex mit einem männlichen Opfer als Vergewaltigung verfolgt werden können. Außerdem wirkt sich nun der Einsatz von Waffen deutlich strafverschärfend aus, insbesondere um die oftmals kritisierten Unterschiede zum Schweren Raub zu verringern.
Im schweizerischen Strafgesetzbuch lautet der Tatbestand für Vergewaltigung folgendermaßen: „Wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.“ (Schweizerisches Strafgesetzbuch 2000, Art. 190.1) Andere sexuelle Übergriffe als der Beischlaf, insbesondere auch Oralverkehr, Analverkehr und gleichgeschlechtliche sexuelle Übergriffe, werden als sexuelle Nötigung behandelt und grundsätzlich gleich bestraft, allerdings mit einer geringeren Mindeststrafdrohung (vgl. op. cit., Art. 189.1). Seit dem 1. April 2004 ist das Bundesgesetz betreffend Strafverfolgung in der Ehe und der Partnerschaft in Kraft. Auch wenn das Opfer und der Täter in ehelicher Gemeinschaft leben, so stellt die Vergewaltigung ein Offizialdelikt dar (Art. 190.2 und 189.2 wurden aufgehoben). Vergewaltigung in der Ehe ist in der Schweiz erst seit 1992 strafbar.
Ebenfalls gilt für Kinder bis sechzehn Jahre ein spezieller Strafrechtssatz, der unter dem Tatbestand „sexuelle Handlungen mit Kindern“ aufgeführt ist (vgl. op. cit., Art. 187; Sexueller Missbrauch von Kindern).
Vergewaltigung im Sinn der Sozialwissenschaft
In den Sozialwissenschaften wird grundsätzlich nicht zwischen einer Vergewaltigung und einer sexuellen Nötigung unterschieden. Statt dessen wird jede traumatisierende sexuelle Handlung als Vergewaltigung betrachtet, unabhängig davon, von wem, an wem, unter welchen Umständen und in welcher Situation sie ausgeübt wird. Charakteristisch ist die Traumatisierung. „Letztendlich ist die Definition einer Vergewaltigung Ergebnis der jeweiligen Perspektive.“ (Heynen 1998, S. 20)
Vergewaltigungen im Krieg
In Konfliktfällen wie Kriegen oder Bürgerkriegen kommt es häufig zu massenweisen und systematischen Vergewaltigungen.
Im Februar 2001 fällte der Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ein historisches Urteil, als erstmals Vergewaltigung im Zusammenhang mit kriegerischen Aktionen als schwerer Verstoß gegen die Genfer Konventionen verurteilt und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft wurde (siehe Foca-Fall).
Untersuchungsergebnisse zu Häufigkeit und Ablauf von Vergewaltigungen
Laut deutscher Polizeistatistik kam es im Bundesgebiet im Jahr 2004 zu 8.831 gemeldeten Fällen von Vergewaltigung und sexueller Nötigung, ein Anstieg um 0,7% im Vergleich zum Vorjahr.[1] Darunter fallen laut Bericht "relativ beachtliche Versuchsanteile" von 15%. Damit kommen pro Jahr 11 gemeldete Fälle von Vergewaltigung auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die wahrscheinlich beträchtliche Dunkelziffer wird nicht erwähnt.
Von der Zahl der gemeldeten Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung entfallen 7.334 auf so genannte Mehrfachtäter. Unter Alkoholeinfluss standen laut Bericht 2.026 der Täter. Die Aufklärungsquote erhöhte sich zwischen 2003 und 2004 von 81,7% auf 83,0%. Dabei finden sich deutlich Unterschiede zwischen den Bundesländern: In Bremen und Hamburg liegt dieser Wert bei 67,1% bzw. 68,7%, während in Sachsen 90,9% und in Mecklenburg-Vorpommern 91,4% der Fälle gelöst werden.
Von 7.475 Tatverdächtigen der Vergewaltigung waren 98,8% männlich und 1,2% weiblich. Bei den männlichen Tatverdächtigen waren 10,5% zwischen 14 und 18 Jahre alt, 9,6% waren zwischen 18 und 21, weitere 12,2% zwischen 21 und 25 und schließlich 65,3% über 25 Jahre alt. Der Anteil deutscher Tatverdächtiger beträgt 69,4%, dies ergibt einen relativ hohen Anteil an nichtdeutschen Verdächtigen von 30,6%, die im Vergleich zur Gesamtzahl von mutmaßlichen Straftaten durch Nichtdeutsche von 22,9% gesehen werden muss. 67,1% der Tatverdächtigen teilen sich mit ihrem Opfer eine Gemeinde, 11,7% noch den Landkreis und 18,9% das weitere Bundesland. Aus dem überregionalen Bundesgebiet entstammen 4,3% und aus dem Ausland 0,9% der Verdächtigen. Die weit überwiegende Zahl von Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung geht demnach von benachbart wohnenden, männlichen und deutschen Erwachsenen aus.
Vergewaltigung von Männern
Es existieren Vergewaltigungen von Männern durch andere Männer und Frauen, sowie von meist minderjährigen Jungen durch Frauen. Das verbreitete Bild einer Vergewaltigung zeigt demgegenüber eine Frau oder ein Mädchen als Opfer. Eine männliche Opferschaft ist generell nicht mit dem Bild eines starken Jungen und Mannes vereinbar. In diesem Bild können Jungen und Männer ein derartiges Erlebnis einfacher verarbeiten als Frauen. In der Tat verarbeiten die Geschlechter eine Vergewaltigung unterschiedlich, ohne dass sich hierbei die Schwere erkennbar unterscheidet. In den möglichen Folgen der Traumatisierung durch Fragmentierung einer Persönlichkeit und Zerstörung der Integrität unterscheide sich beide Geschlechter nicht.
In vielen Gesellschaften gilt die Vergewaltigung von Jungen und Männern als weniger schändlich als die von Mädchen und Frauen, obwohl die Folgen für das Opfer keinesfalls geringer sind.
Siehe auch
- Sexueller Missbrauch von Kindern
- K.-o.-Tropfen
- Medica mondiale, Menschenrechtsorganisation für kriegstraumatisierte Frauen
- Rapex, ein Anti-Vergewaltigungs-Kondom
Quellen
- ↑ Bundeskriminalamt (2005): Polizeiliche Kriminalstatistik 2004 - Bundesrepublik Deutschland. (PDF)
Literatur
- Brillstein, Arik: Antiterrorsystem. Verlag Engel 2005 - ISBN 3938547006
- Brison, Susan J.: Vergewaltigt. Beck, Juli 2004 - ISBN 3406521991
- Diefenbach, Jonathan C.: Ich kann nicht anders Juni 2005 - ISBN 3-8329-5847-2
- Gerber, Daniel: Fünfzehn Dollar für ein Leben. Basel, Brunnen 2005, ISBN 3-7655-3843-4
- Greuel, Luise: Polizeiliche Vernehmung vergewaltigter Frauen. Weinheim 1993
- Hanisch, Gregor Maria: Vergewaltigung in der Ehe – Ein Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion einer Änderung des § 177 StGB unter Berücksichtigung der Strafbarkeit de lege lata und empirischer Gesichtspunkte. Bochum, 1988
- Heynen, Susanne: Vergewaltigt – die Bedeutung subjektiver Theorien für Bewältigungsprozesse nach einer Vergewaltigung. Weinheim, 2000
- Leuenberger, Peter M.: Vergewaltigungsmythen in der Literatur von 1980–2000 zum Thema Vergewaltigung. Solothurn 2003 (PDF)
- Palmer, Craig T. und Randy Thornhill: A Natural History of Rape: Biological bases of sexual coercion. Cambridge, Mass. : MIT Pr., 2000 - ISBN 0-262-20125-9
- Schliermann, Brigitte: Vergewaltigung vor Gericht. Hamburg 1993
- Sick, Brigitte: Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff -- ein Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion einer Neufassung des §177 StGB unter Berücksichtigung der Strafbarkeit de lege lata und empirischer Gesichtspunkte. Berlin 1993
Weblinks
- Vorlage:Gesetz-D
- Schweizerisches Strafgesetzbuch: Art. 190. Bundeskanzlei, Bern 2000
- Vergewaltigung, sexuelle Nötigung
- spr.org Seite zur Bekämpfung von Vergewaltigung von Menschen in Gefängnissen
- Polizei.NRW.de - Selbstbehauptungskurs für Frauen
- The History of Rape : A Bibliography
- Informationen zum Umgang mit Gewalt und Verhalten nach einer Vergewaltigung
- Die Evolutionsbiologie der Vergewaltigung