Abhängigkeit von psychoaktiven Substanzen

Gruppe von Störungen der Psyche und des Verhaltens aufgrund wiederholter Einnahme psychotroper Substanzen
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Der Begriff Abhängigkeit steht in der Medizin für das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden nach Verständnis der Weltgesundheitsorganisation die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums. Den sogenannten stoffgebundenen Abhängigkeiten (z. B. der körperlichen Alkohol-, Nikotin-, Heroinabhängigkeit sowie der psychischen Cannabis- und Kokainsucht) kommt dabei eine repräsentative Bedeutung zu. Sie veranschaulichen in drastischer, aber zugleich auch einschränkender Weise eine Erscheinung, der man auf fast allen Gebieten des menschlichen Erlebens und Verhaltens begegnen kann. Ob Arbeiten, Sammeln, Machtstreben, Kaufen, Spielen, Glauben oder Sexualität - fast jede Form menschlichen Interesses kann zu einer Abhängigkeitserkrankung führen.

Im offiziellen Sprachgebrauch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) existierte der Begriff „Sucht“ von 1957-1964. Danach wurde er durch „Missbrauch“ und „Abhängigkeit“ ersetzt. In wissenschaftlichen Arbeiten wird der Begriff „Sucht“ daher nicht mehr verwendet, umgangssprachlich ist er immer noch üblich.

Wesensmerkmale abhängigen Verhaltens

Nicht alle Abhängigen zeigen alle Symptome und das unten beschriebene Verhalten ist oft Ergebnis eines langen Prozesses, der meist in vielen kleinen Schritten erfolgen kann. So ist für die Betroffenen schwer nachzuvollziehen, dass sie eine fortschreitende Verhaltensanpassung an ihre Abhängigkeit vornehmen und damit eine Veränderung der Persönlichkeit geschieht. Die schrittweise Veränderung erschwert es, den Prozess wahrzunehmen.

Die Abhängigkeitshandlung zielt in der Regel auf Verbesserung des gegenwärtigen Erlebniszustands ab. Die Einnahme eines Stoffs ist hierfür nur eine Möglichkeit von vielen.

Der Abhängige nimmt gezielt Einfluss auf sein seelisches Erleben. Er tut dies aber nicht durch adäquates und realitätsgerechtes Handeln vom Standpunkt der Gesellschaft betrachtet, das häufig aus vielen Einzelschritten besteht, sondern durch den Vollzug der süchtigen Handlung. Das daraus resultierende Positiverleben soll das unmittelbare Ergebnis dieser Manipulation sein.

Freiheitsverlust und Freiheitsverzicht, vom naiven Freiheitsbegriff ausgehend, können weitere Merkmale und Entwicklungen der Abhängigkeitserkrankung sein. Der Verlust an Freiheit beginnt zunächst als ein Verlust der Freiheit des Denkens. Ist die Durchführung der süchtigen Handlung durch materielle, geistige oder andere Umstände unmöglich gemacht, wird das Denken des Süchtigen eingeengt auf die Befriedigung der Abhängigkeit.

Für viele Abhängige muss die Befriedigung der Abhängigkeit (Suchtdruck) möglichst sofort erfolgen. Vergangenheit und Zukunft verlieren häufig ihren bedeutungsgebenden Einfluss auf die Gegenwart. Zukunftsplanung reduziert sich oft zunehmend auf die Organisation der Abhängigkeit. Die Lebenseinstellung des Süchtigen wird in vielen Fällen in übermächtiger Weise augenblickszentriert. Eine unangemessene Dominanz der Gegenwart ist daher ein weiteres Wesensmerkmal süchtigen Verhaltens.

Leugnung der Abhängigkeit und Abhängigkeitsverlagerung

Ein Merkmal von Abhängigkeit ist häufig die Leugnung der Abhängigkeit vor sich selbst. Es werden manchmal simple, oft auch skurrile bis absurde Ausreden (Mein Arzt hat mir mehrere Liter Bier am Tag verordnet für die Nieren) benutzt, um das eigene, durch die Abhängigkeit dominierte Verhalten zu rechtfertigen.

Das Auftreten eines Kontrollverlustes ist für die Abhängigkeitskranken in aller Regel beschämend, da sie scheinbar nicht (mehr) im Besitz ihrer vollen geistigen Kräfte sind, so dass es zu massiven Verleugnungen und Vertuschungen vor sich selbst und der Umwelt kommt (z. B. jedes Bier sofort bezahlen, damit man nicht wirklich weiß, wieviel man getrunken hat). Deshalb wird Kritik von außen als unangenehm wahrgenommen. Dies alles führt meistens zur gesellschaftlichen Isolation oder in entsprechende gesellschaftliche Randgruppen.

Sind entsprechend feste Strukturen im Leben vorhanden wie eine Arbeit, so kann es vorkommen, dass Abhängige jahrelang nicht auffallen oder ein Doppelleben führen. Versucht werden Reduktion oder Verzicht auf die Suchtmittel zu bestimmten Begebenheiten, um Kontrolle über das von der Abhängigkeit gesteuerte Verhalten zu erlangen und nach außen als gesund zu erscheinen.

Oft wird das von der Abhängigkeit gesteuerte Verhalten von Freunden oder Familienangehörigen unterstützt, die dem Abhängigen viele Aufgaben abnehmen und nach außen Probleme leugnen, nahestehende Verwandte und Freunde verfallen in Co-Abhängige Verhaltensweisen und tragen so dazu bei, dass das Leben des Abhängigen nach außen lange Zeit „normal“ funktionieren kann.

Auch ein "Funktionieren in der Gesellschaft" kann Teil des Leugnungsprozesses sein, so dass mit Disziplin, oft unter extremen Kraftanstrengungen, der Konsum eingeschränkt wird bzw. das von der Abhängigkeit gesteuerte Verhalten den Erfordernissen des Alltags zeitweise angepasst werden kann. Es kann auch Arbeitssucht mit anderen Süchten kombiniert werden, so dass die gesellschaftlich anerkannte Arbeit als Deckmantel und süchtig/abhängig betriebene Tätigkeit dient (Workaholic/Arbeitssucht), um einen "Kick" zu bekommen, es findet so oft eine Suchtverlagerung statt, oft nur für die Zeit der Arbeit, während in der Freizeit der eigentlichen Abhängigkeit nachgegangen wird.

Kriterien

Abhängigkeit oder Abhängigkeit von Substanzen ist in der Internationalen Klassifikation von Krankheiten im Kapitel 5 (ICD 10, V) definiert (Im amerikanischen Raum ist der DMS IV verbreitet, die Definition ist allerdings ähnlich). ICD 10 Kapitel V Nummer F1x.2 definiert das Abhängigkeitssyndrom wie folgt:

  • Es liegt ein starkes Verlangen oder eine Art Zwang vor, die Substanz zu konsumieren.
  • Kontrollverlust: Es liegt eine verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch vor, also Kontrollverlust über Beginn, Beendigung oder Menge oder Konsum über einen längeren Zeitraum als geplant, oder erfolglose Versuche, den Konsum zu verringern oder zu kontrollieren.
  • körperliches Entzugssyndrom: Körperliche Symptome treten auf, wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird (beispielsweise Zittern, Halluzinationen, Kreislaufkollaps bei Alkohol, oder grippeähnliche Symptome, Erbrechen, Krampfanfälle bei Opiaten. Körperliche Abhängigkeit gibt es praktisch nur bei Alkohol, Opiaten und Benzodiazepinen.
  • Toleranzentwicklung: Für Intoxikationen (Vergiftungen) oder um den gewünschten Effekt zu erreichen, müssen deutlich größere Mengen konsumiert werden, oder bei dem Konsum derselben Menge treten deutlich geringere Effekte auf: Wer mit 1,6‰ noch PKW fahren kann, hat mit Sicherheit eine Toleranzentwicklung. Diese Toleranzentwicklung bezieht sich auf die meisten Rauschmittel (einschließlich Alkohol), nicht nur auf Substanzen, die körperlich abhängig machen.
  • Einengung auf den Substanzgebrauch: Es werden andere wichtige Interessen, Vergnügen, Arbeit, Beziehungen vernachlässigt, oder es wird viel Zeit darauf verwandt, sich die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Auswirkungen des Konsumes zu erholen.
  • Anhaltender Konsum trotz eindeutig schädlicher Folgen (körperlich, psychisch, sozial): Fortgesetzter Konsum, obwohl sich der/die Betreffende über die Art und das Ausmaß der Schädigung bewusst war oder hätte bewusst sein können. (siehe auch: Selbstschädigendes Verhalten)

Die oben genannten Kriterien müssen mindestens einen Monat lang bestehen oder in zwölf Monaten wiederholt bestanden haben. Wenn drei der oben genannten Kriterien erfüllt sind, kann die Diagnose Abhängigkeit gestellt werden.

Der ICD 10 kennt auch die Diagnose schädlicher Gebrauch, diese ist wie folgt definiert:

  • Deutlicher Nachweis, dass der Substanzkonsum für psychische oder physische Probleme verantwortlich ist. Dazu gehört auch eingeschränkte Urteilsfähigkeit, gestörtes Verhalten, dass evtl. zu negativen Konsequenzen und Behinderung von zwischenmenschlichen Beziehungen führt.
  • Die Art der Schädigung kann klar beschrieben werden. (Beispiele: Gewalt unter Alkoholeinfluss, Interessenverlust an Partnerschaft, PKW-Fahren unter Drogeneinfluss).
  • Der Konsum muss mindestens einen Monat lang oder wiederholt innerhalb von zwölf Monaten aufgetreten sein.
  • Es dürfen zur gleichen Zeit keine anderen psychischen oder Verhaltensstörungen vorliegen (außer akuter Intoxikation mit Substanzen).

Die Definitionen sagen allerdings nichts aus über die Gefährlichkeit einer Substanz, schon ein einmaliger Konsum kann tödlich enden, obwohl keine Abhängigkeit oder schädlicher Gebrauch vorliegt.

== Drogenabhängigkeit ==Im Speziellen wird unter Abhängigkeit die Abhängigkeit von Drogen und damit der Zwang zur ständigen Zufuhr eines chemischen Stoffes verstanden, der kein Nahrungsmittel sowie nicht lebensnotwendig ist. Die dabei auftretenden Symptome werden als Abhängigkeitssyndrom bzw. das Phänomen als pharmakologische Abhängigkeit bezeichnet.

Dieser chemische Stoff kann auch ein körpereigener Stoff sein, der beispielsweise bei sportlicher oder sexueller Betätigung ausgeschüttet wird, die Übergänge zu nichtstofflichen Abhängigkeiten sind dabei möglicherweise fließend. Bei einer physisch bedingten Abhängigkeit treten in jedem Fall beim Absetzen des süchtig machenden Vorganges (meist der Stoffaufnahme) echte Entzugserscheinungen auf, weil die Droge offensichtlich Teil des Stoffwechsels geworden ist.

Ursachen/Auslöser der Abhängigkeit

Seit den 80er Jahren betrachtet man Abhängigkeit/Sucht als multifaktoriellen Prozess, bei dem biologische, psychische, soziale und gesellschaftliche Faktoren zusammenwirken. Suchterkrankung entwickelt sich in einem multikausalen und interaktiven Prozess. (Laging M. „Riskanter Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen“; 2005; S.32 )

Alan Leshner hat 1997 als Direktor des amerikanischen National Institute of Drug Abuse (Nida) eine Bilanz der jahrzehntelang betriebenen neurowissenschaftlichen Forschungstätigkeit gezogen: Abhängigkeit ist eine Hirnkrankheit.

In Tierversuchen wurde festgestellt, dass unser Verhalten durch ein hochkomplexes Belohnungssystem gesteuert wird. Dieses beruht auf dem Botenstoff Dopamin, der auch bei Stimulationen wie Sex, Nahrungsaufnahme, romantischer Liebe oder bei Erfolgserlebnissen aller Art eine wichtige Rolle spielt. Es entwickelt sich ein Wiederholungseffekt, das Individuum verspürt die Lust auf mehr (unwiderstehliches Verlangen, engl. craving).

Das cAMP-System (cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat) ist verantwortlich für die Toleranzbildung von psychoaktiven Stoffen (Kokain, Alkohol, Nikotin usw.) Doch spielt es ebenfalls für die Entzugssymptomatik eine wichtige Rolle. Außerdem kann ein Protein (DFosB) die Verbindungswege neuronaler Impulse verändern.

Auf den Oberflächen und im Innern der Nervenzellen hinterlassen psychoaktive Substanzen Veränderungen, die sich einerseits auf die Wahrnehmung des nächsten Konsums, wie aber auch auf das Empfinden des Nichtkonsums auswirken. Zudem werden mit der Zeit auch neue Zellverbindungen (Verknüpfungen der Axonen) gebildet, während andere verkümmern. Das heißt, unser Gehirn passt sich dem Konsumverhalten biologisch an. Veranschaulichen lässt sich dieser Vorgang mit dem Lauf eines wilden Flusses. Es bilden sich je nach Wasserstärke und chemischer Zusammensetzung verschiedene Formen in der Landschaft und im Gestein.

In der Modellvorstellung von Nora Volkow werden vier zerebrale Schaltkreise betrachtet: das mesolimbische Belohnungssystem, die in der orbitofrontalen Hirnrinde vorhandenen Strukturen von Antrieb und Motivation, die für das Lernen und das Gedächtnis relevanten Strukturen wie Amygdala, Caudatum, Putamen und Hippocampus sowie die präfrontalen Strukturen, die an Entscheidungsfindung und Verhaltenskontrolle beteiligt sind. Nach den Erkenntnissen des Nida, dem Nora Volkow heute vorsteht, ist Abhängigkeit eine Folge von wiederholt gestörten Regulationsvorgängen im Belohnungssystem mit Auswirkungen auf Motivation, Gedächtnis und Impulskontrolle.

Suchtbildung ist neurobiologisch eine Art Negativvariante des Lernvorgangs. Das zeitliche Geschehen findet in umgekehrter Reihenfolge statt. Pathologisch sind dabei die exzessive Ingangsetzung von zerebralen (an sich nicht krankhaften) Prozessen durch abhängigkeitserzeugende Stoffe (aber auch durch krankhaftes Spielen).

Auf die Frage, wer gefährdet ist, Abhängig zu werden lässt sich jedoch auch aus detaillierten Kenntnissen über die relevanten Vorgänge im Gehirn keine Antwort schließen. Die Praxis zeigt, dass beim Menschen individuelle Unterschiede in der Reaktion auf bestimmte Stoffe vorhanden sind. Mit Versuchen am Medikament Ritalin wurden diese Unterschiede damit erklärt, dass in den einzelnen Gehirnen eine unterschiedliche Anzahl an Dopamin-D2-Rezeptoren vorhanden sind. Ist diese Anzahl bei einer Testperson gering, empfindet sie die Wirkung der Substanz als angenehm. Die erwähnten Unterschiede in den neurobiologischen Voraussetzungen könnten genetisch bedingt sein.

Wichtig sind aber nicht nur die biologischen Umstände, sondern ebenso die psychosozialen Lebensbedingungen. ("Einer der trinkt und mindestens einer der es zulässt"). Nicht selten unterstützen Angehörige (Eltern oder Lebenspartner) potentiell abhängigkeitskranke Menschen in der Bewältigung ihrer Lebensaufgaben. Allerdings ohne dem an Abhängigkeit erkrankten zu helfen, denn dadurch wird die Krankheit letztlich verstärkt. (Bei der Alkoholkrankheit nennt man diese Angehörigen z. T. Co-Alkoholiker - siehe auch Weblink für Angehörigengruppen am Ende der Seite und zur Differenzierung den Artikel Co-Abhängigkeit).

Sicher ist, dass unter Stress schon kleine Mengen an psychoaktiven Stoffen zu einer Sensibilisierung führen können.

Heute steht ebenfalls fest, dass nicht der Stoffkonsum als solcher zu negativen gesundheitlichen und sozialen Schäden führt, sondern der Kontrollverlust desselben. Wenn man bedenkt, dass bei Vorgängen wie der Nahrungsaufnahme oder dem Geschlechtsverkehr eine Dopaminzunahme um ca 50% im Vorderhirn (genauer: im Nucleus accumbens) festgestellt wurde, während Kokain eine Zunahme von 500% auslöst, ist es jedoch naheliegend, dass nur sehr wenige Menschen derartige Eingriffe in ihr Gefühlsempfinden rational über längere Zeit kontrollieren können.

Die WHO fordert, dass man suchtkranken Menschen weder eine Willens- noch eine Charakterschwäche unterstellt. Abhängigkeit ist eine Krankheit, die jeden treffen kann. Eine oftmals chronische Krankheit, die aus dem Zusammenspiel biologischer und Umweltfaktoren verstanden werden kann. Sie erscheint meistens gleichzeitig und verknüpft mit anderen somatischen oder psychischen Störungen. "Ein Unheil kommt selten allein."

Die Abhängigkeit und der Drogenmissbrauch wird in "The Celestine Prophecy (engl.)" als eine Strategie definiert, um über offensichtliche und auch öffentliche Selbstschädigung an Aufmerksamkeit, sprich Mitleid und Mitgefühl zu gelangen. Die Hilflosigkeit angesichts der schwindenden Nähe zu Freunden, der Gesellschaft und der Realität lässt den Suchtkranken immer verzweifelter agieren. Nicht selten neigt er durch seinen Relativitätsverlust zu immer drastischeren Maßnahmen in Bezug auf seine Mitmenschen. Erstaunlicherweise ist der erste Sinn, der dabei aufhört zu funktionieren, das Hören. Wenn man nicht auf die wehleidigen oder auch aggressiven Verhaltensversuche eingeht, ist der Abhängige oder Zugedröhnte oft nicht in der Lage einem Gespräch zu folgen, welches für mehrere an der Situation beteiligten Personen von Interesse wäre. Das Widersprüchliche daran ist, dass man sich einerseits für den Kontrollverlust schämt, andererseits diese Aufmerksamkeit aufgrund von Defiziten für seine Genesung dringend braucht. Manch einer fügt sich gravierende Schäden durch allerlei Süchte zu, um mal wieder die Gelegenheit zu bekommen, Hilfe annehmen zu dürfen, statt die starke Person spielen zu müssen.

Die Stigmatisierung und Diskriminierung des Abhängigkeitsverhaltens ist durch effiziente Vorbeugung und Behandlung zu ersetzen

Der Begriff der Abhängigkeit hat eine multidimensionale Bedeutung. Wie einzelne Gruppen oder eine Gesellschaft das Phänomen Abhängigkeit definieren, regelt die Vorgehensweise in der Praxis. Zum Beispiel:

  • Wenn Konsum von psychoaktiven Substanzen zu einer Überschreitung von Gesetzen führt, wird Abhängigkeit oder Substanzkonsum strafrechtlich definiert.
  • Wenn man die Überzeugung hat, dass die Ursache von Abhängigkeit persönliche Defizite sind, wird Abhängigkeit psychologisch erklärt.

Die Pädagogik ist dann gefordert, wenn es um den Umgang mit drogenabhängigen Jugendlichen oder um Jugendliche geht, welche einen problematischen Umgang mit „Drogen“ aufweisen. Genauso dann, wenn es um das weite Feld der Abhängigkeitsprävention geht. (vgl. Peter Degkwitz „Abhängigkeit oder selbstbestimmtes Individuum? Anmerkung zur Auseinandersetzung um das Verständnis von Drogenkonsum und –abhängigkeit, in „Akzeptierende Drogenarbeit;1999, S. 38)

Zum Begriff der Abhängigkeit bzw der Sucht: „Sucht“ geht auf das Verb „siechen“ zurück, welches krank sein bedeutet. Abhängigkeit wird daher als krankhaftes Verlangen verstanden. (vgl. G. Drosdowski „Duden Etymologie – Herkunftswörterbuch der Deutschen Sprache“; 1989, S.726) Diese Bedeutung findet sich in manchen Krankheitsbezeichnungen wieder, wie die Schwind-sucht, oder die Gelb-sucht. Abhängigkeit wird in der Alltagssprache auf eine allgemeine zwanghafte Verhaltensweise bezogen, wie die Tob-sucht, Eifer-sucht, oder Geltungs-sucht. Der Begriff weist also auf gesellschaftlich nicht anerkannte Charakterzüge hin. In diesem Sinn werden „abhängige“ Menschen auch eher als sozial abweichend oder als Kriminelle angesehen denn als kranke Menschen. (vgl.: Laging M. „Riskanter Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen“; 2005;S.124)

Sucht wird im Duden mit "krankhafter Übersteigerung von Bedürfnissen" definiert.

Komorbidität, Begleitkrankheiten

Psychische Komorbidität und Begleitkrankheiten

Neben dem Abhängigkeitssyndrom (bei Alkohol ICD-10-Code F10.2) gibt es eine Reihe von körperlichen und psychischen Begleitkrankheiten. Alkoholismus bedingt weitere Krankheiten; viele Menschen mit Persönlichkeitsstörungen und psychischen Krankheiten werden süchtig.

Häufige psychische Begleitkrankheiten sind Angststörungen, Depression, Anpassungsstörungen sowie Persönlichkeitsstörungen und Psychosen.

Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung werden oft abhängig.

Oft kann eine Posttraumatische Belastungsstörung Ursache der Abhängigkeit sein. Diese zeigt sich u.U. mit ähnlichen Symptomen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Das Vorhandensein von psychischen Begleitstörungen ist nicht zwingend, sie können aber unter Umständen den Verlauf und die Prognose der Suchterkrankung stark beeinflussen.

Alkohol, Amphetamine und psychoaktive Drogen wie LSD und Cannabis können eine Psychose bzw. eine Drogenpsychose auslösen.

Oft lässt sich nicht mehr sagen was Ursache und was Wirkung ist, weil die Betroffenen meist sehr spät Hilfe suchen oder auffällig werden. Einig ist sich die Fachwelt aber, dass eine Psychotherapie ohne Entzug kein Sinn hat, sodass die (stationäre) Entgiftung am Anfang jeder Therapie steht.

Das fortschreitende Unterdrücken von der selbstständigen Suche im nüchternen Zustand nach Problemlösungen führt oft zu "sozialer Inkompetenz", so das viele an der Abhängigkeit erkrankte oft Symptome von Persönlichkeitsstörungen aufweisen, sie können keine Belastungen mehr ertragen.

Physische Komorbidität und Begleitkrankheiten

Je nach Art, Dauer und Menge des Konsum - in erster Linie - toxischer Substanzen, unterschiedlich. So beispielsweise:

Bei psychischer Abhängigkeit - also nicht von toxischen Substanzen - wie Essstörungen z.B.

Abhängigkeitsbehandlung

  1. körperlicher Entzug des Suchtmittels (Entgiftung)
  2. psychotherapeutische Behandlung (Langzeitentwöhnung)
  3. Mitarbeit/"Mitbehandlung" der Angehörigen/Bezugspersonen
  4. Mitarbeit in Selbsthilfegruppe (zumindest für einige Jahre unabdingbar) z.B. Anonyme Alkoholiker, Synanon

Das oberste Behandlungsziel ist der dauerhafte Verzicht auf das die abhängigkeiterzeugende Mittel. Dazu sollten in der psychotherapeutischen Behandlung die Persönlichkeitsdefizite entweder durch "Nachreifung" verringert oder ein anderer Umgang damit erlernt werden. Nur dann ist der Patient in der Lage, auf das Mittel, nach dem er Abhängig ist, zu verzichten, da er z.B. zu seinen Defiziten stehen kann.

Es kann zu einer Abhängigkeitsverlagerung kommen.

In letzter Zeit ist innerhalb der Psychologie der Emotionalen Intelligenz (Peter Schmidt 1999, 2001, 2005) darauf hingewiesen worden, dass mit einem verbesserten Grundverständnis von Gefühlen ("EQ-Training") und Mentaltechniken wie der so genannten "Problem-Desensibilisierung" und "Körper-Desensibilisierung" Suchtverhalten gezielter und erfolgversprechender als bisher verlernt werden kann.

Kennzeichen einer erfolgreichen Therapie

  • Eine erfolgreiche Therapie bietet einen neuen, überlagernden Lernprozess..
  • Eine erfolgreiche Therapie überwindet die Entzugserscheinungen. (Umstritten bei s.g. Methadon-Therapie.)
  • Eine erfolgreiche Therapie hilft den Rückfall zu vermeiden und bietet dem Süchtigen eine Kontrolle seines Verhaltens an.
  • Eine erfolgreiche Therapie ist lösungsorientiert und nicht vergangenheitsbezogen.

Auflistung diverser Abhängigkeiten/Süchte und süchtig machender Stoffe

Keine Süchte im engeren Sinne, sondern Abhängigkeiten bzw. Abhängigkeitssyndrome als psychische Störungen oder verwandte Themenkomplexe sind:

Literatur

  • Handbuch der Rauschdrogen, J. v. Scheidt, Wolfgang Schmidtbauer, ISBN: 3-596-13980-5
  • Scheerer, Sebastian: Abhängigkeit, Rowohlt, Hamburg, 1995, ISBN 3-499-16367-5
  • Weil, Andrew: Drogen und höheres Bewusstsein, AT-Verlag, Aarau 2000, ISBN 3-85502-684-X
  • van Treeck, Bernhard: Drogen- und Suchtlexikon, Schwarzkopf & Schwarzkopf ISBN 3-89602-221-0 (neue Auflage Oktober 2004 ISBN 3896025422)
  • van Treeck, Bernhard: Drogen, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin, 2003, ISBN 3-89602-420-5
  • Legnaro, A./ Schmieder, A. (Hrsg.) (1999): Suchtwirtschaft. Jahrbuch Suchtforschung, Bd. 1, Münster, Hamburg, London, ISBN 3-8258-3531-6
  • Legnaro, A./Schmieder, A. (Hrsg.) (2001): Deregulierung der Abhängigkeit. Jahrbuch Suchtforschung, Bd. 2, Münster, Hamburg und London, ISBN 3-8258-4892-2
  • Legnaro, A./Schmieder, A. (Hrsg.) (2002): Rauchzeichen. Zum modernen Tabakkonsum. Jahrbuch Suchtforschung, Bd.3, LIT-Verlag, Münster, Hamburg und London, ISBN 3-8258-6077-9
  • Legnaro, A./ Schmieder, A./ (Hrsg.) (2004): Suchtränder. Jahrbuch Suchtforschung, Bd. 4, LIT-Verlag, Münster, Hamburg London, ISBN 3-8258-7428-1
  • J Comp Physiol Psychol. 1954 Dec;47(6):419-27. Positive reinforcement produced by electrical stimulation of septal area and other regions of rat brain. OLDS J, MILNER P.
    • Wichtige historische Veröffentlichung zur Suchtphysiologie
  • Frost, Ursula: Abhängigkeit als Weltverschlossenheit: Ansätze zu einem pädagogisch-anthropologischen Suchtbegriff., In: Pädagogische Rundschau 44 (1990)
  • Schmidt, Peter: Die Kraft der positiven Gefühle - Mit neuen Mentaltechniken innerlich frei werden, dtv München 2001, 2. Auflage 2002, ISBN 3-423-36256-1

Siehe auch