Politische Theorie und Ideengeschichte ist neben den Teilgebieten Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, Vergleichende Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen eines der vier Lehrfächer der Politikwissenschaft, nach denen auch die meisten Lehrstühle benannt werden.
Das Teilgebiet selbst besteht wiederum aus politischer Philosophie, der moderneren politischen Theorie und der mehr geschichtswissenschaftlich orientierten politischen Ideengeschichte, welche sich allerdings kaum voneinender abgrenzen lassen bzw. stark überschneiden.
Die politische Theorie und Ideengeschichte befasst sich mit fundamentalen Fragen von Staat, Regierung, Politik, Eigentum, Gesetz und Macht, mit Theorien zur Begründung von Herrschaft, den fundamentalen Prinzipien einer gerechten Gesellschaft sowie der Reflexion über die Reichweite der eigenen Theorien, also der Wissenschaftstheorie.
Wenn sich die politischen Philosophie mit dem Staat als politischer Organisationsform befasst, wird sie auch als Staatsphilosophie oder Staatstheorie bezeichnet. Speziell mit Fragen der Demokratie beschäftigt sich die Demokratietheorie.
Antike
Politische Philosophie beschäftigte sich mit der Natur und den Formen von Macht. Es wird vor allem über die richtige Regierung des Staates nachgedacht. Die politische Philosophie stellt eine der ersten Richtungen der Philosophie an sich dar.
Als akademische Disziplin hat die politische Philosophie ihre Ursprünge in der antiken griechischen Gesellschaft, in der die verschiedenen Stadtstaaten mit unterschiedlichsten Regierungsformen experimentierten. Dazu gehörten Monarchie, Tyrannei, Aristokratie, Oligarchie, Demokratie und Ochlokratie.
Wichtige schriftliche Werke in dieser Zeit stammen von Platon und Aristoteles. Die Römische politische Philosophie war von den Stoikern beeinflusst.
Auch in Rom gab es Staatsphilosophie: Cicero verfaßte mit seiner de re publica das staatstheoretische Werk der Römer schlechthin. Darauf aufbauend, ließ er de legibus folgen.
Mittelalter
In der Spätantike bzw. dem frühen Mittelalter war die politische Philosophie von der Vorstellung eines gottesfürchtigen Staates geprägt. Speziell Augustinus spricht vom Gottesstaat in seinem Werk De civitate Dei. Im Konflikt zwischen Papsttum (Sacerdotium) und Kaisertum (Imperium) wurden ganz unterschiedliche Theorien entwickelt. Dante etwa trat in seinem Werk Monarchia für die Universalmonarchie ein, während beispielsweise Aegidius Romanus für die Vorherrschaft des Papstes argumentierte.
Neuzeit
In der Renaissance erfolgt die Verweltlichung der politischen Philosophie. Der Mensch rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt der Betrachtungen, wodurch auch die Bildung von Nationalstaaten gedanklich vorbereitet wird. Der bedeutendste politische Philosoph dieser Zeit ist der Italiener Niccolò Machiavelli, der in äußerst nüchterner Weise die Gesetzmäßigkeiten von Macht und Politik analysiert. Machiavelli gilt als einer der Vorbereiter der Einigung Italiens.
Der Staat als Denkinhalt
In der anschließenden geistesgeschichtlichen Phase wird der Staat - häufig als Selbstzweck - gedacht. Es erfolgt die Diskussion zwischen den verschiedenen Konzepten eines Staates. Besondere Höhepunkte dieser Diskussion bilden die Überlegungen von Thomas Hobbes mit dem Staat als Leviathan und die politikphilosophischen Werke von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der den Staat als Sittlichkeit darstellt.
Der Staat als Instrument
In neuerer Zeit wird der Staat meist als Instrument angesehen, gelegentlich auch für völlig überflüssig erachtet. Karl Marx lehrte, dass der Staat verfalle, wenn erst die klassenlose Gesellschaft erreicht sei. Noch deutlicher wird dies im Anarchismus. Auf der anderen Seite wird der Staat als Mittel zum Zweck angesehen. Hitler z. B. postulierte, dass der Staat dem Volk zu dienen habe. Anders sah dies Benito Mussolini, der aber den Staat ebenfalls als Instrument, nämlich zur Wiedererrichtung einer antiken Ordnung verstand. Auch der konservative deutsche Jurist und politische Philosoph Carl Schmitt sah den Staat vor allem als Ordnungsfaktor, der Recht schafft.
Pluralismus
In den neueren pluralistischen Konzepten, wie sie vor allem von dem britischen Theoretiker Harold Laski (Labour Party) entwickelt wurden, gilt der Staat als eine von vielen wirkenden Kräften, aber nicht mehr als der Vertreter der Gesamtheit. Diese Betrachtungen haben sich zwischenzeitlich auch auf andere politische Philosophien übertragen. Der Liberalismus, der dem Staat schon immer skeptisch gegenüberstand, konzipierte ein staatsarmes System, das polemisch als Nachtwächterstaat bezeichnet wurde. Diese Gedanken liefen in der neuesten Zeit zusammen mit den Pluralismus-Ideen Laskis und sind heute praktisch zu einer Einheit verschmolzen.
Moderne politische Theorie
Die moderne politische Theorie will zum einen Politik, etwa wichtige politische Entscheidungen oder Veränderungen der politischen Organisationsform erklären. Dazu betrachtet sie in der Regel nicht allein politische Einflußfaktoren, sondern auch soziale, ökonomische und kulturelle Entwicklungen. Darüber hinaus versucht sie grundlegende politische Phänomene, wie etwa Macht, Herrschaft oder Freiheit zutreffend zu beschreiben. Häufig weist sie einen deutlichen normativen Bezug auf. Eine einheitliche moderne politische Theorie gibt es nicht. Es gibt unter anderem liberale und vom Marxismus beeinflusste, strukturalistische und poststrukturalistische Strömungen.
Die moderne politische Theorie und die zeitgenössische politische Philosophie liegen so eng beieinander, dass eine Differenzierung schwerfällt. Eine strenge Trennung ist sicher nicht sinnvoll. Folgende Unterscheidung kann aber getroffen werden: Im Unterschied zur politischen Philosophie, die generell einen starken Wertbezug aufweist, liegen in der modernen politischen Theorie stärkere und schwächere normative Ansätze vor. Damit verbunden ist es der modernen politischen Theorie oft ein wichtigeres Anliegen, grundlegende Kategorien der Politik zu analysieren, als das bei der politischen Philosophie der Fall ist. Dennoch sind die beiden Teilgebiete sehr eng verbunden und es geschieht durchaus, dass man mit der Bezeichnung (moderne) politische Theorie die moderne politische Theorie und die zeitgenössische politische Philosophie gleichermaßen umfaßt. So nennt der bedeutende Philosoph John Rawls sein wichtigstes Werk "Eine Theorie der Gerechtigkeit". In diesem Zusammenhang wird mitunter zwischen normativen und empirischen Theorien unterschieden.
Bekannte VertreterInnen der modernen politischen Theorie sind unter anderem (erneut) Hannah Arendt und Nancy Fraser. Auch Soziologen und Philosophen, etwa Niklas Luhmann, Michel Foucault und der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth, haben zur Entwicklung der modernen politischen Theorie beigetragen oder eigene Theorien vorgelegt.
Theorieforschung und Wissenschaftstheorie
Die Theorieforschung arbeitet auf der Metaebene über Grundsätze politikwissenschaftlicher Theorien: Untersuchungen zur prinzipiellen Reichweite, Kritik älterer, Aufbereiten aktueller und Aufstellen neuer Theorien kennzeichnen dieses Gebiet. Somit ist sie eng verbunden mit der Wissenschaftstheorie.
Perspektiven
Die Bedeutung der politischen Theorie hat in den letzten Jahrzehnten entscheidend abgenommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie insbesondere in der deutschen Politikwissenschaft einflußreich (z.B. Freiburger Schule um Arnold Bergstraesser). Zwischenzeitlich ist die Politische Theorie jedoch nur noch Randgebiet des Fachs. Jedoch hat die Politische Theorie unlängst, vor allem durch die Arbeit von John Rawls auch neue Impulse erhalten, es bleibt abzuwarten, ob sie wieder ihre frühere Bedeutung einnehmen wird.
Bekannte Denker der politische Theorie und Ideengeschichte
Platon, Aristoteles, Cicero, Niccolò Machiavelli, Hugo Grotius, Samuel Pufendorf, Jean Bodin, Thomas Paine, Thomas Hobbes, Montesquieu, John Locke, Jean-Jacques Rousseau, John Stuart Mill, Jeremy Bentham, Immanuel Kant, Georg W. F. Hegel, Johann Gottlieb Fichte, Karl Marx, Antonio Gramsci, Pierre Joseph Proudhon, Michail Bakunin, Peter Kropotkin, Ernst Bloch, John Rawls, Isaiah Berlin, Alain Badiou, Étienne Balibar, Jacques Ranciere, Carl Schmitt, Hannah Arendt, Friedrich August von Hayek, Robert Nozick, Michel Foucault, Michael Walzer, Armin Mohler, Edmund Burke, Louis Althusser, Heinrich Meier.
Siehe auch
Staatstheorie, Demokratietheorie, Rechtsphilosophie, Politische Soziologie, Rechtssoziologie
Literatur
- Iring Fetscher und Herfried Münkler (Hgg.): Pipers Handbuch der politischen Ideen, 5 Bände, München 1985 ff.
Umfassendes Sammelwerk, welches die Geschichte der politischen Ideen von der Antike bis in die Moderne darstellt. - H. Fenske, D. Mertens, W. Reinhard, K. Rosen:Geschichte der politischen Ideen. Von Homer bis zur Gegenwart, aktual. Neuausgabe, Frankfurt a. M. 2003.
Knapper als Fetscher und Mükler, dennoch ein guter Überblick mit umfassender Bibliographie. - Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens, Bd. 1 ff., Stuttgart 2001 ff.
Noch nicht abgeschlossenes, fundiert geschriebenes Werk. - André Brodocz; Schaal, Gary S. (Hg., 2002) Politische Theorien der Gegenwart (2 Bände), Opladen.
- Ernst Vollrath: Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen. Würzburg 1987.
- Gerhard Göhler; Iser, Matthias; Kerner, Ina (Hg.) Umkämpfte Begriffe, Wiesbaden 2004.
- Hans-Joachim Lieber (Hg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Bonn 1993. ISBN 3-89331-167-X