Verschleierungsverbot

Gesetze gegen das religiös motivierte Tragen von Ganzkörperschleiern
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Als Verschleierungsverbot (in der Presse und umgangssprachlich fälschlich Burkaverbot genannt) werden von einigen Staaten erlassene Gesetze bezeichnet. Sie verbieten an bestimmten Orten des öffentlichen Raums das Tragen von Ganzkörper- beziehungsweise Gesichtsschleiern wie des Niqab oder der Burka.

Mit Burka (links) und Niqab (rechts) verschleierte Frauen

Zur rechtlichen Situation

Das erste Land in der Europäischen Union, das ein derartiges Gesetz verabschiedete, war im April 2010 Belgien.[1] In Spanien befürwortete im Juni 2010 der Senat ein Verschleierungsverbot,[2] aber das spanische Parlament hat sich mehrheitlich gegen ein Verschleierungsverbot ausgesprochen. Gleichwohl gibt es auf kommunaler Ebene, beispielsweise in katalanischen Städten, ein Verschleierungsverbot.[3] Ab April 2011 trat auch in Frankreich und ab Januar 2012 in den Niederlanden ein entsprechendes Gesetz in Kraft.[4][5]

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages veröffentlichte 2012 ein Gutachten, laut dem in Deutschland ein generelles Verbot verfassungswidrig wäre.[6] Am 25. April 2014 untersagte das Bayerische Verwaltungsgericht München das Tragen des Niqab-Gesichtschleiers in der Schule.[7] Am 1. Juli 2014 bestätigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das in Frankreich bestehende gesetzliche Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit.[8][9][10]

Zur politischen Debatte

Deutschland

Auf dem Parteitag der CSU im November 2015 verabschiedeten die Delegierten die Forderung nach einem gesetzlichen Verschleierungsverbot.[11][12] Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner und andere FDP-Politiker wie Alexander Graf Lambsdorff oder Wolfgang Kubicki fordern ein Verschleierungsverbot in der Öffentlichkeit. In der CDU fordern Politiker wie Julia Klöckner[13] und MdB Jens Spahn[14] oder auch die CDU-Innenminister der Bundesländer, unter anderem Frank Henkel, in ihrer Berliner Erklärung vom 11. August 2016[15] ein Verschleierungsverbot.[16] Die Partei AfD fordert in ihrem Grundsatzprogramm ein gesetzliches Verbot der Vollverschleierung.[17]

Bundespräsident Gauck[18], Justizminister Maas[19] und Parteipolitiker auf Landesebene sprachen sich hingegen gegen ein Verbot der Vollverschleierung aus. Der Berliner Landesvorsitzende der Linken, Lederer, bezeichnete ein derartiges Verbot als „Integrationsbremse“,[20] der Sonderberichterstatter der UNO, Bielefeldt, bezeichnete die entsprechende Gesetzgebung in Frankreich als eine, die die vollverschleierte Frau zugleich als Opfer und als Störerin ansehe, und daher als „ungereimt und nicht sinnvoll“. Der stellvertretende Ministerpräsident von Hessen, Tarek Al-Wazir, führte aus, man müsse überzeugen, statt mit dem Strafrecht zu drohen.[21] Innenminister de Maizière äußerte rechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung.[22] Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Mazyek, sprach von einer „Burkaisierung der Innenpolitik“. Es seien in Deutschland kaum vollverschleierte Frauen unterwegs.[23]

Österreich

Nach dem Urteil des EGMR vom 1. Juli 2014 brach auch in Österreich eine politische Debatte pro[24] und kontra[25] aus. Der Vorstoß der FPÖ, nach dem Vorbild Frankreichs auch in Österreich ein Verbot der Verschleierung des Gesichts im öffentlichen Raum einzuführen, wurde im Plenum des Nationalrats abgelehnt.[26]

Schweiz

In der Schweiz forderte die SVP 2010 ein gesetzliches Vollverschleierungsverbot.[27]

Im Schweizer Kanton Tessin stimmte die Wahlbevölkerung bei einer Volksabstimmung am 22. September 2013 mit 63.494 Ja gegen 32.377 Nein für ein Verhüllungsverbot.[28] In der Folge wurde ein Artikel 9a neu in die Tessiner Kantonsverfassung aufgenommen:

(1) Niemand darf sein Gesicht im öffentlichen
Raum und an Orten verhüllen oder verbergen,
die allgemein zugänglich sind (ausgenommen
Sakralstätten) oder der Erbringung
von Publikumsdienstleistungen dienen.
(2) Niemand darf eine Person zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen.
(3) Das Gesetz regelt die Ausnahmen von
Absatz 1 und bestimmt die Sanktionen.[29]

Das in Absatz 3 geforderte Ausführungsgesetz wurde am 18. November 2015 vom Kantonsparlament verabschiedet[30] und trat am 1. Juli 2016 in Kraft.[31][32] Nach einem Bericht im Tagesanzeiger von Anfang August 2016 legten die meisten Frauen den Schleier ab, wenn sie auf das Verbot hingewiesen würden.[33]

Frankreich

Die Stadt Cannes hat das Tragen des Burkinis am Strand verboten und verwies dabei auf kurz zuvor stattgefundene islamistische Terroranschläge (Anschlag in Nizza am 14. Juli 2016, Anschlag in Saint-Étienne-du-Rouvray am 26. Juli 2016). Es gehe „nicht darum, das Tragen religiöser Symbole am Strand zu verbieten, sondern um ostentative Kleidung, die auf eine Zugehörigkeit zu terroristischen Bewegungen hinweist, die gegen uns Krieg führen“.[34] Laurence Rossignol, Ministerin für Familie, Kindheit und Frauenrechte im Kabinett Valls II[35] bezeichnete Mitte August 2016 den Burkini als "archaisch" und empfahl dessen "Bekämpfung ohne Hintergedanken".[36]

Senegal

Zur Vorbeugung gegen mögliche Selbstmordattentate will (Stand November 2015) die Regierung des Senegal die Ganzkörperverschleierung von Frauen verbieten. Der senegalesische Innenminister Abdoulaye Diallo, selbst Muslim, äußerte, die Ganzkörperverschleierung sei keine religiöse Angelegenheit und entspreche nicht „unserer Kultur“.

Es gab zuvor mehrere Selbstmordattentate von Burkaträgerinnen oder von mit Burka verkleideten Männern, zum Beispiel rissen im Norden Kameruns zwei Männer in Burkas 14 Menschen mit in den Tod.[11]

Siehe auch

Literatur

  • Aisha Chauki: Das „Kopftuch“ - Unterdrückung oder Freiheit? :über den Ḥiǧāb und die Bekleidung der muslimischen Frau, IB, Düsseldorf 2011, ISBN 978-3-941111-19-6-

Einzelnachweise

  1. Burka-Verbot: Belgien verbietet als erstes europäisches Land die Burka. In: FOCUS Online. 30. April 2010, abgerufen am 8. August 2012.
  2. Vollverschleierung: Spanischer Senat votiert für Burka-Bann. In: Spiegel Online. 23. Juni 2010, abgerufen am 8. August 2012.
  3. Parlament stimmt gegen Verschleierungsverbot. In: derStandard.at. 21. Juli 2010, abgerufen am 12. August 2016.
  4. Ab Montag landesweites Burkaverbot: Frankreich lüftet mittels Gesetz den Schleier. In: RP ONLINE. 8. April 2011, abgerufen am 8. August 2012.
  5. Französisches Gesetz "2010-1192": LOI n° 2010-1192 du 11 octobre 2010 interdisant la dissimulation du visage dans l'espace public (1). Abgerufen am 30. November 2013.
  6. Burkaverbot in Deutschland? In: Wolfgang Bosbach, Mitglied des Deutschen Bundestages. Abgerufen am 8. August 2012.
  7. Urteil in Bayern: Schülerin darf mit Gesichtsschleier nicht zum Unterricht. In: Spiegel Online. 25. April 2014, abgerufen am 14. August 2016.
  8. https://dejure.org/
  9. Bettina Kaps: Menschenrechte - EuGMR bestätigt Pariser Burka-Verbot. In: Deutschlandfunk. 1. Juli 2014, abgerufen am 14. August 2016.
  10. EuGH-Urteil: Europäische Staaten dürfen Burka verbieten. In: Frankfurter Rundschau. 1. Juli 2014, abgerufen am 14. August 2016.
  11. a b Parteitag: CSU fordert Burka-Verbot. In: Bayernkurier. 21. November 2015, abgerufen am 14. August 2016.
  12. Mit Verweis auf Frankreich: CSU fordert Verbot von Burka und Niqab. In: ntv.de. 20. November 2015, abgerufen am 14. August 2016 ('Verweis auf Frankreich' meint die Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris).
  13. Julia Klöckner (Gastbeitrag): Klöckner für Burka-Verbot - „In einer demokratischen Gesellschaft zeigt jeder jedem sein Gesicht“. In: Cicero. 24. September 2015, abgerufen am 14. August 2016.
  14. Jens Spahn findet "Burka geht gar nicht". In: welt.de. 12. November 2014, abgerufen am 14. August 2016.
  15. Medien: Innenminister der Union fordern Burka-Verbot. In: Deutsche Welle. 9. August 2016, abgerufen am 14. August 2016.
  16. Vollverschleierung: Union diskutiert über Burkaverbot. In: Zeit Online. 11. August 2016, abgerufen am 14. August 2016.
  17. Parteitag beschließt Leitlinie: AfD schreibt Anti-Islam-Kurs fest. In: tagesschau.de. 1. Mai 2016, abgerufen am 14. August 2016.
  18. Sommerinterview: Gauck ist gegen Burka-Verbot. In: huffingtonpost.de. 16. August 2016, abgerufen am 16. August 2016.
  19. Burkhard Ewert: Islam: Justizminister Maas will Anerkennung und Staatsverträge. In: noz.de. 5. Dezember 2015, abgerufen am 16. August 2016.
  20. Burka-Verbot: Mazyek kritisiert "Burkaisierung der Innenpolitik". In: berliner-zeitung.de. 16. August 2016, abgerufen am 16. August 2016.
  21. Al-Wazir gegen Burka-Verbot. In: fnp.de. Frankfurter Neue Presse, 15. August 2016, abgerufen am 16. August 2016.
  22. Stefan Aust, Manuel Bewarder und Claus Christian Malzahn: De Maizière hat Bedenken gegen Burka-Verbot. In: welt.de. 12. Dezember 2015, abgerufen am 16. August 2016.
  23. Zentralrat der Muslime sieht "Burkaisierung" der Innenpolitik. In: rbb-online.de. 10. Oktober 2015, abgerufen am 16. August 2016.
  24. Hitzige Debatte um Burka-Verbot in Österreich. In: Profil. 3. Juli 2014, abgerufen am 14. August 2016.
  25. Gastkommentar: Im Zweifel gegen ein Burka-Verbot. In: Wiener Zeitung. 8. Juli 2014, abgerufen am 14. August 2016.
  26. Nationalrat: Gesetzesnovelle verpflichtet ORF zu Filmförderung. In: parlament.gv.at. 10. Juli 2014, abgerufen am 16. August 2016: „Vorbild Frankreich: FPÖ fordert Burka-Verbot auch in Österreich“
  27. Postulat der SVP zur Ablehnung empfohlen: Schwyzer Regierung gegen Verschleierungsverbot. In: NZZ. 26. August 2010, abgerufen am 12. August 2016.
  28. Tessin sagt Ja zum Verhüllungsverbot. In: Tagesanzeiger. 22. September 2013, abgerufen am 12. August 2016.
  29. Botschaft zur Gewährleistung der geänderten Verfassungen... (PDF) In: Parlamentsdrucksache 14.084, Schweizerischer Bundesrat / Bundesversammlung, 12. November 2014, S. 9109-9112. Abgerufen am 16. August 2016 (german). 
  30. Revisione totale della Legge sull’ordine pubblico del 29 maggio 1941 In: Messagio 7055, Gran Consiglio, Repubblica e Cantone Ticino, 18. November 2015. Abgerufen am 16. August 2016 (italian). 
  31. 1. luglio 2016: entrano in vigore le nuove disposizioni sulla dissimulazione del viso nei luoghi pubblici (PDF) In: Comunicato stampa, Repubblica e Cantone Ticino, 30. Juni 2016. Abgerufen am 16. August 2016 (italian). 
  32. Matthias Daum: Burka-Verbot: Ein Gesetz, das ins Leere geht. In: Zeit Online. 8. Juli 2016, abgerufen am 12. August 2016.
  33. Die meisten Frauen legen den Schleier problemlos ab. In: Tagesanzeiger. 3. August 2016, abgerufen am 12. August 2016.
  34. spiegel.de
  35. Das Ministerium wurde am am 11. Februar 2016 geschaffen.
  36. spiegel.de, www.leparisien.fr: Interdiction du burkini: pour Rossignol, «procéder par amalgame n'est jamais utile»