Der Raufußkauz ist eine kleine Eule aus der artenarmen Gattung Aegolius, der außer ihm noch drei in Nord- Mittel- und Südamerika beheimatete Arten angehören. Die Art ist in weiten Teilen der Holarktis verbreitet. Sechs der sieben Unterarten brüten in Eurasien in einem breiten Gürtel von Skandinavien, dem Baltikum, weiten Teilen Russlands, Sibiriens, der Mongolei und Nordostchinas bis zum Pazifik (Kamtschatka und Sachalin). Isoliert kommen einige Gebirgspopulationen im Kaukasus sowie im Westhimalaja vor. Die Brutgebiete der nordamerikanischen Unterart erstrecken sich vom Atlantik bis zum Pazifik und liegen in einem unterschiedlich breiten Gürtel im mittleren bis südlichen Kanada; an einigen Stellen reichen sie bis tief in die Vereinigten Staaten. Im Nordwesten erreicht die Unterart Alaska. Die Subspezies sind im Aussehen wenig differenziert; zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach Osten hin die Weißzeichnungen der Individuen deutlicher und deren Gefieder dadurch heller wirken, auch die Größe der Unterarten nimmt nach Nordosten etwas zu.
Steinkauz und Raufußkauz | ||||||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Steinkauz und Raufußkauz (Aegolius funereus) | ||||||||||||||||
Systematik | ||||||||||||||||
|
Aussehen
Die etwa steinkauzgroße Eule ist gut bestimmbar. Auffallend ist der große Kopf mit dem hellen, schwarz umrandeten Gesichtsschleier. Federohren fehlen. Die Iris der Augen ist leuchtend gelb, unter den Augen befindet sich beidseits des Schnabels eine dunkle, strichartige Federzeichnung. Das graubraune Gefieder ist mit deutlichen, perlartigen weißen Punkten übersät. Die kurzen Füße sind bis zu den Krallen weiß befiedert. Die Geschlechter unterscheiden sich zwar im Gewicht deutlich (♂ um die 100g, ♀ bis 160g), nicht aber im Aussehen. Jungvögel sind einheitlicher dunkelbraun gefärbt, die weißen Pünktchen kontrastieren noch weniger mit dem dunklen Gefieder.
Stimme
Der Gesang des Rauhfußkauzes ist unverkennbar: Er besteht aus 4 –10 sehr schnell gereihten Flötenelementen auf ‚’u(ü), die in der Höhe ansteigen, zaghaft beginnen und deutlich lauter werden und am Ende rein und tönend ‚uuü’ klingen. Der Gesang ist etwa 500 m weit hörbar und erinnert stark an den Klang einer Okarina. Die Gesangsaktivität ist insgesamt nicht sehr hoch und kann bei Anwesenheit von Fressfeinden, insbesondere des Waldkauzes, fast völlig eingestellt werden. Daneben noch verschiedene Rufe, vor allem ein waldkauzähnliches ‚Kjuwitt’. Seltener Instrumentallaute wie Schnabelknappen und Flügelklatschen.
Verbreitung in Europa
In Europa ist ausschließlich die Nominatform Ae. f. funereus verbreitet. Das Brutgebiet ist in Mitteleuropa inselartig aufgegliedert und im Wesentlichen auf Mittelgebirgs– und alpine Lagen bis zur Baumgrenze beschränkt. Die Art ist auch in den Karpaten sowie in einigen Waldinseln des Dinarischen Gebirges, in Nordgriechenland sowie als westlichstes Vorkommen in den Pyrenäen nachgewiesen. In Nordostfrankreich, Ostbelgien, den Niederlanden sowie manchen Teilen Norddeutschlands und Polens werden in zunehmendem Maße Tieflandgebiete besiedelt. Geschlossene Brutgebiete beginnen in Südschweden und erstrecken sich in einem breiten Gürtel bis zum Ural. In Finnland erreicht die Verbreitung 70° N und zieht sich in weiterer Folge in einem breiten Streifen zwischen ~ 50°N und dem Polarkreis nach Osten, südlich davon liegen noch einige Verbreitungsinseln in den Mittelrussischen Höhenzügen, dem Krimgebirge sowie an der Schwarzmeerküste der Türkei (Pontisches Gebirge).
Lebensraum
Bevorzugt werden große, alte und zusammenhängende Waldgesellschaften vor allem mit Tanne, Fichte und Buche, zuweilen auch Kiefer. Seltener brütet er in reinen Buchenwäldern. Die oft behauptete Bindung der Art an die Fichte besteht nicht. Das Bruthabitat muss neben einem ausreichenden Nahrungsangebot auch genügend Bruthöhlen, insbesondere Schwarzspechthöhlen, aufweisen; deckungsreiche Tagesunterstände müssen leicht erreichbar sein und freie Jagdflächen, wie z. B. Waldlichtungen oder Aufforstungen zur Verfügung stehen. Eine starke Präsenz von Fressfeinden (Baummarder, Waldkauz, Uhu ) verhindert Neuansiedelungen und kann zur Aufgabe von Brutplätzen führen. Als boreale Art liegen in Mitteleuropa die Schwerpunkte der vertikalen Verbreitung zwischen 800 und 1900 m, doch werden auch in Mitteleuropa Tieflagenbruten häufiger, zum Beispiel im Wienerwald (330 m), oder Nistkastenbruten in der Nähe Münchens (520 m).
Nahrung und Nahrungserwerb
Die Nahrung des Raufußkauzes ist rein animalisch. Überwiegend werden Säugetiere und Vögel erbeutet. Erd – und Rötelmäuse sowie Wald- und Gelbhalsmäuse bilden den Hauptanteil seines sehr artenreichen Nahrungsrepertoires. Daneben werden auch Spitzmausarten sowie Bilche erbeutet. Vogelknochen finden sich immer in den Gewöllen, doch ist ihr Anteil mit meist unter 6% eher gering. Der Raufußkauz ist ein Wartenjäger, der von seinem oft sehr niedrig gelegenen Ansitz aus die Beute fast ausschließlich akustisch ortet und am Boden schlägt. Die Beutetiere werden meist zerteilt, nur selten im Ganzen verschlugen, Vögel werden gerupft, doch ist seine Methode der Vogeljagd nicht bekannt. Während der Brutzeit aber auch im Winter werden Nahrungsdepots angelegt. Die bei vielen Eulen typische asymmetrische Anordnung der äußeren Gehörgänge ist beim Raufußkauz besonders ausgeprägt. Deshalb ist er imstande, auch in dunkelster Nacht seine Beute rein akustisch zu orten.
Verhalten
Der Raufußkauz ist ein rein nachtaktiver Wartenjäger. Die Aktivitätsphase beginnt mit Einbruch der Dunkelheit und endet noch vor der Dämmerung. In Mitteleuropa unterbricht eine Pause um die Mitternacht diese Aktivität, in den kurzen nordeuropäischen Sommernächten fehlt diese Pause. Den Tag verbringt der Kauz auch während der Brutzeit meist ruhig in seinem Unterstand; gelegentlich wird dieser jedoch zur Gefiederpflege und zum Sonnenbaden verlassen. Sehr häufig wird auch im Wasser oder im Schnee gebadet. Der fast lautlose Flug ist im Gegensatz zum Sperlingskauz oder Steinkauz geradlinig. Die Männchen in Mitteleuropa sind oft über die Brutzeit hinaus territorial (besonders bei gutem Nahrungsangebot), sonst sind sie umherschweifende Einzelgänger; die Weibchen neigen stärker zum Umherwandern. Soziale Interaktionen, wie gegenseitiges Beknabbern, oder gegenseitige Gefiederpflege wurden bisher nicht beobachtet. Auch Truppbildungen, selbst in den strengsten Wintern, scheinen nicht stattzufinden.
Fortpflanzung
Nach Eulenart wird die Nisthöhle weder gesäubert, noch wird Nistmaterial eingetragen. Meist werden Schwarzspechthöhlen genutzt, doch nimmt der Raufußkauz auch geeignete Nistkästen an. Brutbeginn ist in Mitteleuropa meist Mitte März. Die 2-7 Eier werden vom Weibchen etwa 27 Tage bebrütet. Nach etwa 33 Tagen verlassen die Jungen die Bruthöhle und werden als so genannte Ästlinge noch mindestens drei Wochen, meist aber bedeutend länger geführt. Spätestens mit der Herbstbalz löst sich der Familienverband auf und die Jungvögel dismigrieren. Meist brüten Raufußkäuze nur ein Mal im Jahr, doch bei Gelegeverlust oder bei sehr günstigem Nahrungsangebot kommt es zu Zweitbruten die auch verschachtelt sein können. Nicht selten verlässt das Weibchen die Jungen, wenn sie nicht mehr gehudert werden müssen, und brütet mit einem anderen Partner ein zweites Mal, manchmal recht weit vom ersten Brutstandort entfernt. In so einem Fall übernimmt dann das Männchen die weitere Aufzucht und Führung der Jungen. Die Paarbindung der Raufußkäuze geht über die Brutsaison, oft sogar über Teile der Brutdauer nicht hinaus. Zuweilen wurde aber auch die Wiederverpaarung zweier Brutpartner über Jahre hinweg beobachtet.
Zugverhalten
Die mitteleuropäischen Vögel sind überwiegend Standvögel, wobei die Brutortstreue der Männchen wesentlich größer ist als die der Weibchen. Jungvögel dismigrieren in die nähere Umgebung. Nordeuropäische Populationen zeigen deutlich ausgeprägtere Wanderbereitschaft, die Mäusegradationen folgend auch Invasionscharakter annehmen kann.
Bestand und Bestandtrends
Die Art hat in den letzten Jahrzehnten ihr Brutareal in Mitteleuropa bedeutend ausweiten können und lange geräumte Brutareale wieder besiedelt (z. B. Belgien, Niederlande, Schleswig-Holstein). Insbesondere hat sie von umfangreichen Schutzmaßnahmen (vor allem Anbringung von Nisthilfen) sowie der Ausweitung der Nadelholzanpflanzungen profitiert. Auch die milder werdenden Winter könnten zu einer Bestandvermehrung beigetragen haben. Heute schätzt man den mitteleuropäischen Gesamtbestand auf etwa 7000 Brutpaare. In Polen und Tschechien wird der Raufußkauz auf den Roten Listen geführt, europaweit werden die Bestände jedoch mit ‚S’ (secure) eingestuft. Auf Grund der zuweilen recht niedrigen Gesangsaktivität sowie der oft sehr unzugänglichen Brutreviere wird der Raufußkauz eher zu den unterkartierten Arten zählen sein, das heißt, die tatsächlichen Bestandszahlen könnten über den hier angegebenen liegen.
Sonstiges
Der Wortteil ‚Rau’ im Artnamen ist etwas unverständlich geworden, er hat nichts mit der heutigen Bedeutung des Adjektivs ’rau’ zu tun, das ursprünglich 'haarig', 'befiedert' bedeutete. Nur im Ausdruck ‚Rauchwerk’ für Pelzwaren und in der jagdlichen Wendung ‚rauhen’ für ‚mausern’ haben sich Reste erhalten. In der Vogelkunde wird diese Bezeichnung noch immer für Arten verwendet, deren Läufe bis zu den Zehen befiedert sind: Raufußhühner, Raufußbussard.
Literatur
- Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Bd. 9. S. 533-577
- Hölzinger/ Mahler: Die Vögel Baden-Württembergs. Nicht Singvögel. Bd. 3. Ulmer – Stuttgart 2001. S 251 – 261. ISBN 3-8001-3908-1
- Bauer/Berthold: Die Brutvögel Mitteleuropas. Bestand und Gefährdung. AULA – Wiesbaden 1997. S. 266f. ISBN 3-89104-613-8
- Mebs: Eulen und Käuze. Alle europäischen Eulen und Käuze. Franckh-Stuttgart 1987. S. 60-67. ISBN 3-440-05708-9