Die Inspirierten waren christliche Freikirchler, die an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert aus dem radikalen Pietismus hervorgingen und die neben der Bibel das nach ihrem Glauben vom Heiligen Geist inspirierte Zungenreden als Quelle göttlicher Offenbarung betrachteten. Nach Form und Inhalt ihrer Religiosität hatten sie viele Berührungspunkte mit den Erweckungsbewegungen ihrer Zeit und mit der Pfingstbewegung von heute.
Geschichte der Inspirationsgemeinden
Ursprünge in Frankreich
Die Ursprünge der Inspirationsgemeinden gingen auf die Verfolgung der französischen Hugenotten nach dem Widerruf des Edikts von Nantes durch König Ludwig XIV. zurück. Viele protestantische Glaubensflüchtlinge zogen sich nach 1685 in die abgelegenen Regionen der Cevennen zurück, wo es aufgrund der anhaltenden Verfolgung zu Beginn des 18. Jahrhunderts zum sogenannten Kamisardenaufstand kam. In dessen Verlauf verwüsteten die königlichen Truppen weite Landstriche und zerstörten die dort bestehenden, protestantischen Gemeindestrukturen. Da immer mehr Pfarrer verhaftet wurden oder fliehen mussten, entstand eine Bewegung von theologisch nicht ausgebildeten Laienpredigern, die eine ekstatisch-visionäre Religiosität vertraten.
Nach der Niederschlagung es Aufstands 1704 wanderten viele Hugenotten aus den Cevennen in protestantische Nachbarländer Frankreichs aus. Als Exulanten fanden sie u.a. Zuflucht in England, wo sie als "French Prophets" bezeichnet wurden und in London eine eigene Gemeinde gründeten.
Die Inspirierten in Deutschland
Auf Deutschland griffen die Ideen der Inspirierten spätestens 1711 über, als die beiden geflohenen Erweckungsprediger Allut und Marion in pietistischen Gemeinden der Wetterau Aufnahme fanden. Dort bildeten sich in den Folgejahren die ersten 10 deutschen Inspirationsgemeinden, von denen aus sich die neue Glaubensrichtung vor allem im Südwesten und Westen Deutschlands verbreitete. Bald übernahmen deutsche Prediger die Leitung der neu entstandenen Gemeinden. Da diese auf Distanz zu den offiziellen Landeskirchen bedacht waren, wurden die Inspirierten auch als Separatisten bezeichnet.
Auf besonders fruchtbaren Boden fielen die Ideen der französischen Prediger bei den Pietisten in Württemberg. Aus dem Herzogtum gingen zwei der bedeutendeten Führungspersönlichkeiten der deutschen Inspirierten hervor, der Pfarrersohn und isenburg-büdingische Hofsattler Johann Friedrich Rock und Eberhard Ludwig Gruber, Diakon in Großbottwar. Weitere Zentren der Bewegung in Deutschland waren neben der Grafschaft Isenburg-Büdingen in der Wetterau, die Städte Frankfurt am Main und Hanau sowie die Grafschaften Sayn-Wittgenstein-Berleburg und Sayn-Wittgenstein-Hohenstein. 1739 wurde auch in der religiösen Freistatt Neuwied eine Inspirationsgemeinde gegründet.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewannen die Inspirierten trotz ihrer geringen Zahl prägenden Einfluss auf den radikalen Pietismus. Vielfach wurden sie jedoch selbst von protestantischen Landesherren verfolgt, so dass die meisten Inspirationsgemeinden sich bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Auswanderung entschlossen. Die meisten gingen in die neugegründeten USA (beispielsweise nach New Harmony), einige wenige nach Russland.
Glaubensinhalte und -praktiken
Als Anhänger des radikalen Pietismus waren die Inspirierten in der Regel Christen, die sich von der Orthodoxie des lutherischen oder reformierten Landeskirchentums entäuscht abgewandt hatten. Sie suchten in visionärer, teils mystischer Schwärmerei einen unmittelbaren Zugang zur Erfahrung Gottes.
Sie bildeten nie eine gemeinsames, in sich geschlossenes theologisches System aus, und ihre höchste Organisationsformen waren die einzelnen Gemeinden, die sehr viel Freiraum hatten, sich mal zu dieser mal zu jener Richtung ihres Glaubens zu bekennen. Dies macht auch die Unterscheidung zwischen den einzelnen Gruppierungen der Inspirationsgemeinden sehr kompliziert.
Allen gemeinsam war jedoch die Orientierung an einer sehr engen, teils wörtlichen, teils mystischen Auslegung der Schrift. Ihre eigentliche Besonderheit, der sie ihren Namen verdankten, war die sogenannte Zungenrede. Außer an die Worte der Bibel glaubten die Inspirierten an die direkte Inspiration mancher Gemeindemitglieder durch Gott. Diese Gemeindemitglieder, die auch als "Werkzeuge" bezeichnet wurden äußerten sich - mitunter in Trance - während der Gottesdienste in sogenannten "prophetischen Aussprachen". Die Aussprachen der angesehensten "Werkzeuge" wurden notiert, gedruckt und dank einer regen, eigenen Publizistik rasch unter den Inspirationsgemeinden verbreitet.
Weitere Gemeinsamkeiten der Inspirierten bestanden in der Ablehnung der Sakramente sowie von Kriegsdienst und Eidesleistungen. Dazu kam ein sehr intensives Gemeindeleben, das insbesondere in den Auswanderergemeinden oft christlich-frühkommunistische Formen annahm.
Literatur
- Max Goebel: Geschichte des christlichen Lebens in der rheinisch-westphälischen evangelischen Kirche. Bd 3: Die Die niederrheinische reformierte Kirche und der Separatismus in Wittgenstein und am Niederrhein im 18. Jahrhundert, Koblenz 1860
- ders.: Geschichte der wahren Inspirations-Gemeinden, von 1688 bis 1850, in: ZHTh, 1854 u. 1855
- Karl Scheig: Die Wetterauer Inspirantenbewegung. Ihre Entwicklung und Bedeutung, in: Aus Theologie und Kirche. Festschrift für Hans Freiherr von Soden. München, 1941 (= BEvTh 6)
- Ulf-Michael Schneider: Propheten der Goethezeit. Sprache, Literatur und Wirkung der Inspirierten. (Palaestra 297) Göttingen 1995
- Barbara Hoffmann: Radikalpietismus um 1700. Der Streit um das Recht auf eine neue Gesellschaft, Frankfurt am Main 1996.
- Eckart Birnstiel/Chrystel Bernat (Hg.): La Diaspora des Huguenots. Les réfugiés protestants de France et leur dispersion dans le monde (XVIe - XVIIIe siècles). Paris 2001.
- Eberhard Fritz: Radikaler Pietismus in Württemberg. Religiöse Ideale im Konflikt mit gesellschaftlichen Realitäten (Quellen und Forschungen zur württembergischen Kirchengeschichte 18). Epfendorf 2003. (behandelt ausführlich den Einfluss der Inspirierten in Württemberg]