Freie Arbeiter*innen-Union

anarchosyndikalistische Gewerkschaft
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Die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) ist eine 1977 gegründete anarchosyndikalistische Gewerkschaftsföderation, bestehend aus lokalen Einzel- und Branchengewerkschaften. Die FAU ist die deutsche Sektion der Internationalen ArbeiterInnen-Assoziation (IAA).

Freie Arbeiter*innen-Union
(FAU)
Logo
Gründung 1977
Sitz Berlin
Website www.fau.org

Geschichte

Die Föderation wurde 1977 zunächst als Initiative FAU (I-FAU) gegründet. Vorangegangen war die Wiedergründung der spanischen Basisgewerkschaft CNT nach dem Tod Francos. An der Gründung der FAU waren maßgeblich auch Exilmitglieder der CNT beteiligt. Die FAU will die Tradition der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) fortsetzen, die 1933 aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten aufgelöst wurde.

Ausrichtung

 
Aufkleber der FAU, gesehen in Dortmund

Die Gewerkschaftsföderation lehnt den Parlamentarismus und die Volksvertretung als Tätigkeitsfelder ab. Laut eigenen Darstellungen sollen realpolitische Ziele nicht über das Parlament, sondern direkt durch das Engagement der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder erreicht werden. Gegenüber Betriebsratswahlen hat sie ein taktisches Verhältnis.[1] Das Prinzip der Sozialpartnerschaft und freigestellte oder bezahlte Funktionäre werden abgelehnt.

Mit dem Anarchosyndikalismus gehen, je nach Ortsvereinigung, auch Theorien und Praxis der Autonomen sowie des Operaismus einher. Mit ihrer Aktivität will die FAU neben einer konkreten Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen die soziale Revolution vorbereiten, mit der die klassen- und herrschaftslose Gesellschaft mittels Generalstreik erreicht werden soll.

Die FAU wurde durch den Verfassungsschutz Niedersachsen im Verfassungsschutzbericht 2013 im Abschnitt Linksextremismus geführt.[2] Sie wurde im Bundesverfassungsschutzbericht 2010 als Traditionelle Anarchisten geführt und seit 2012 nicht mehr erwähnt.

Struktur

Die Organisation ist entsprechend der Theorie des Anarchosyndikalismus eine basisdemokratische, die föderalistisch aufgebaut ist. Sie organisiert sich bundesweit mittels eines Delegiertensystems. Ein wesentliches Merkmal ist das imperative Mandat, das heißt, die Delegierten der FAU sind der Organisation nicht nur rechenschaftspflichtig, sondern können auch jederzeit abgewählt werden.

Die Grundlage der Gewerkschaftsföderation bilden die sogenannten Syndikate, unabhängige Basisgewerkschaften einer wirtschaftlichen Branche. Sie sind in ihren Entscheidungen autonom von der restlichen Struktur. Die Syndikate der einzelnen Branchen eines Ortes schließen sich vor Ort zu sogenannten Lokalföderationen zusammen. Die Syndikate einer Branche verschiedener Orte wiederum bilden bundesweite Branchenföderationen. Lokale Entscheidungen werden in der Regel durch Vollversammlungen herbeigeführt.

Die Lokalföderationen ihrerseits, also der Zusammenschluss der einzelnen branchenspezifischen Basisgewerkschaften (Syndikate) eines Ortes, bilden die bundesweite FAU. Diese tritt einmal jährlich zu einem Kongress zusammen. Auf diesem werden bundesweite Beschlüsse gefasst sowie die bundesweiten Mandatsträger wie zum Beispiel eine ehrenamtliche Geschäftskommission gewählt – in der Regel für die Dauer von maximal zwei Jahren (Rotationsprinzip).

Die Kassen der Gewerkschaftsföderation, also deren finanzielle Töpfe wie Rechtsmittel- oder Streikfonds, sind so aufgebaut, dass sie sich möglichst weit an der Basis befinden. Das heißt, sie sind genauso wie die organisatorischen Strukturen der FAU von unten nach oben aufgebaut (lokalistisches Prinzip), zuerst nach Syndikaten, dann Lokalföderationen, Regionen, Bundes-FAU und zuletzt im internationalen Zusammenschluss der IAA mit den Schwestergewerkschaften.

Mitglieder der FAU beteiligen sich am Aufbau von Betriebsgruppen. Diese stehen auch Nichtmitgliedern offen und dienen in erster Linie als Plattform für die betriebliche Arbeit.

Organisation

 
Demonstration der FAU vor dem Kino Babylon Mitte 2009

Die Mitglieder der FAU sind in rund 40 Lokalföderationen und Syndikaten organisiert.[3]

Branchenorganisationen der FAU gibt es im Bereich der Kulturarbeit (Berlin), im IT-Sektor (Berlin, Frankfurt am Main, Hannover, Hamburg) und in den Gesundheitsberufen (Hannover, Berlin, München). Die Organisation im Bildungsbereich – vor allem im universitären Sektor – als Bildungssyndikate konnte nur teilweise (Berlin) aufrechterhalten werden.

Im Herbst 2007 produzierte im thüringischen Nordhausen die auch von FAU-Anhängern inspirierte Belegschaft einer Fahrradfabrik das StrikeBike in Selbstverwaltung, nachdem die Firma Biria nach einer Übernahme geschlossen worden war.[4][5]

Seit 2008 existiert die unabhängige Anarcho-Syndikalistische Jugend als Jugendvernetzung.

Nach einem Prozess der Betreiber des Kino Babylon Mitte gegen die FAU Berlin in Zusammenhang mit dem Arbeitskampf der Beschäftigten des Kinos wurde vom 10. Senat des Berliner Landesgerichtes im Urteil vom 6. Januar 2010 eine einstweilige Verfügung vom 11. Dezember 2009[6] bestätigt, in der es der FAU Berlin wegen fehlender Wirkmächtigkeit[7] bis auf Weiteres verboten wurde, sich Gewerkschaft oder Basisgewerkschaft zu nennen. Die einstweilige Verfügung wurde am 10. Juni 2010 vom Kammergericht Berlin wieder aufgehoben.[8][9] Mit diesem Konflikt beschäftigt sich der Film Babylon System – Prekäre Organisierung mit Vorführ-Effekt.[10]

2015 starteten Mitglieder der „Foreigner Section“ der FAU Berlin einen Arbeitskampf gegen Unternehmer und Subunternehmer, die das Bauprojekt Mall of Berlin betreuten. Konkret geht es dabei um eine größere Gruppe rumänischer Bauarbeiter, die ihren Lohn für mehrere Monate nicht bekommen haben sollen.[11]

Die Gewerkschaftsföderation ist Herausgeber der anarchosyndikalistischen Zeitung Direkte Aktion, die alle zwei Monate erscheint und nach Angaben des Verfassungsschutzes im Jahr 2011 eine Auflage von 3000 Exemplaren hatte.[12]

Publikationen

  • FAU. Die ersten 30 Jahre (1977–2007). erschienen bei Syndikat-A, ISBN 978-3-86841-004-4. (Inhalt: Kapitel I - Der Anarchosyndikalismus in der BRD im Vorfeld der Gründung der FAU | Kapitel II - Konsolidierung der FAU in den 1980er Jahren. | Kapitel III - Gewerkschaft oder Propagandaorganisation? Die FAU in den 1990er Jahren. | Kapitel IV - Die Entwicklung seit 2000 und die FAU heute | Kapitel V - Die IAA und ihre deutsche Sektion FAU. | Kapitel VI - 100 Jahre Syndikalismus in Deutschland von 1878 bis 1978 | Anhang. 256 Seiten, mehr als 300 Fotos und Dokumente).
  • A.G Amsterdam/FAU Bremen (Hrsg.): Notes From The Class Struggle. Small group workplace organising in present-day Germany and the Netherlands. Amsterdam/Bremen 2007.
  • FAU-Bremen (Hrsg.): Kurze Einführung in die Geschichte des Anarcho-Syndikalismus und der FAU-IAA, Bremen 1998.

Literatur

  • Hansi Oostinga: Für eine Handvoll Dollar? Der Arbeitskampf im Berliner Kino Babylon. In: emanzipation – Zeitschrift für sozialistische Praxis und Theorie, Jahrgang 2, Nummer 2 (Dezember 2012), ISSN 2192-2837, S. 32–43; online
Commons: Freie Arbeiter*innen-Union – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Die FAU und Betriebsratswahlen: Pro-Contra-Diskussion in der Direkten Aktion in den Ausgaben Januar/Februar und März/April 2008 (abgerufen am 26. Januar 2011).
  2. Verfassungsschutzbericht 2013. (PDF; 3,2 MB) Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport; S. 141
  3. FAU Gewerkschaften – Lokalföderationen und Syndikate. Website der FAU, abgerufen 28. Juli 2011.
  4. Hans-Gerd Öfinger: Das Strike Bike lebt. In: Christoph Links, Kristina Volke: Zukunft erfinden: kreative Projekte in Ostdeutschland. Links, Berlin 2009, ISBN 978-3-86153-542-3, S. 104–114; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  5. Oliver Haustein-Tessmer, Dirk Nolde: Fabrikbesetzung: Der knallrote Aufstand der Fahrradwerker, Die Welt, 2.Oktober 2007
  6. Einstweilige Verfügung vom 11. Dezember 2009. (PDF; 3,28 MB) Pressemitteilung der FAU Berlin, 14. Juli 2008, abgerufen 11. Juli 2010.
  7. Jörn Boewe: Noch nicht tarifmächtig In: Junge Welt, 17. Februar 2010
  8. FAU Berlin gewinnt Prozess um Gewerkschaftsfreiheit. Pressemitteilung der FAU Berlin, 10. Juni 2010 (abgerufen am 14. Juli 2010).
  9. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen Guth.
  10. Babylon System – Prekäre Organisierung mit Vorführ-Effekt. Film zum Arbeitskampf im Kino Babylon Mitte, abgerufen 8. März 2014.
  11. Sarah Emminghaus: Ein Fall, der zum Himmel stinkt. In: taz.de, 14. April 2015, abgerufen am 26. April 2015.
  12. Traditionelle Anarchisten – FAU-IAA. (PDF; 2,53 MB) In: Verfassungsschutzbericht 2011. Bundesministerium des Innern, 23. Juli 2013, S. 165–167, abgerufen am 17. November 2013.