Dieser Artikel befasst sich mit der Geschichte der Gehörlosen bzw. der Deaf History.
Dieser Artikel ist noch nicht abgeschlossen. Es erfolgt fortlaufend eine Erweiterung.
Wegen des großen Umfangs ist der Artikel in drei Teile aufgeteilt.
Geschichte der Gehörlosen Teil I
enthält einführende Anmerkungen und die ersten bekannten Ereignisse und Daten aus dem 16. und 17. Jahrhundert von Melchior de Yebra in Spanien bis Jonathan Lambert auf Martha's Vineyard in Neuengland.
Geschichte der Gehörlosen Teil II
behandelt das 18. Jahrhundert, die Zeit des Samuel Heinicke und des Abbé de l'Epée,
sowie das 19. Jahrhundert, die Zeit von Abbé Sicard, Eduard Fürstenberg, Thomas Hopkins Gallaudet und Alexander Graham Bell
Geschichte der Gehörlosen Teil III
behandelt die Zeit ab dem Mailänder Kongress 1880 bis ins 20. Jahrhundert.
Daten und Ereignisse von 1700 bis 1880
18. Jahrhundert, Samuel Heinicke und der Abbé de l'Epée
Ab etwa 1700 vollzogen sich die wesentlichen bekannten Ereignisse und Entwicklungen vor allem in den deutschsprachigen Ländern, Frankreich und Neuengland bzw. den USA. Sie beeinflussten sich teils gegenseitig, teils liefen die Entwicklungen im gleichen Zeitraum in unterschiedliche Richtungen. Dies sichtbar und vergleichbar zu machen, wird mit der parallelen Darstellung von Daten und Ereignissen in drei Spalten versucht.
Samuel Heinicke und der Abbé de l'Epée engagieren sich in der pädagogischen Betreuung tauber Kinder, mit unterschiedlichen Methoden liefern sie die Grundlage für den späteren Methodenstreit der "Taubstummen"- bzw. Gehörlosenpädagogik im 19. und 20. Jahrhundert.
Deutschsprachige Länder |
Frankreich |
England und Neuengland |
1700 | ||
Johann Conrad Ammann, (1669-1724 ?) Sohn eines Großkaufmannes in Schaffhausen Schweiz, Lebensdaten unklar, promoviert 1696 oder 1749 (?) in Leiden, Holland zum Doktor der Medizin und wird „Taubstummenarzt und Taubstummenlehrer“. Er erfindet eine „mündliche“ Methode zur Unterrichtung tauber Kinder, die später von Samuel Heinicke und John Wallis (1616-1703) in England übernommen worden sein soll. |
1710 | |
1740 | ||
1744 Er lernt Etienne de Fays Schüler Azy d’Etavigny kennen, lehrt ihn sprechen und führt ihn dann 1749 dem König und der Akademie in Paris vor. |
1740 | |
1750 | ||
1755 |
1760 |
1760 |
1770 | ||
1769 |
1771 Abbé de l'Epée folgt der Anschauung von Descartes, dass Sprache ein Zeichensystem ist, das außerhalb des Menschen existiert. Es sei daher möglich, Sache und Zeichen in jeder Weise willkürlich miteinander zu verbinden, also auch Sache und Gebärde. Aus diesem Gedanken entwickelte er aus den von ihm beobachteten „natürlicher Gestenzeichen“ mit zusätzliche Erweiterungen durch grammatische Zeichen ein System „methodischer Gebärden“. Während die Gebärde von der Natur des Tauben ausgeht, sollte nach l'Epées Vorstellungen die Schrift zur Kultursprache (Lautsprache) der Hörenden hinführen. Für das Erlernen der Buchstaben, später auch zum Diktieren von Eigennamen, tritt das Fingeralphabet (l'alphabet manuell) als Hilfsmittel hinzu. Die Schüler sollten in dieser Sprache denken und ausdrücken. Dadurch erreichen sie einen hohen Wissensstand, sind aber im Verkehr mit Hörenden weiterhin auf Vermittler angewiesen. Das gebärdensprachlich orientierte Unterrichtssystem von Abbé de l'Epée wurde in späteren Auseinandersetzungen um die beste pädagogischen Methoden für taube Kinder als „französische Methode“ bezeichnet in Abgrenzung zur "deutschen Methode" von Samuel Heinicke. Abbé de l'Epée missachtete bei seinen Bemühungen wissentlich oder unwissentlich, dass die eigentliche Gebärdensprache, wie sie auf den Straßen von Paris von den „Taubstummen“ gebraucht wurde, ganz andere Strukturen hatte, was ihm später von seinem früheren Schüler Pierre Desloges in seiner Schrift von 1779 vorgeworfen wurde. Es ist zu vermuten, dass Abbé de l'Epée’s „methodische Gebärden“ durch die Hinzufügung von grammatischen Zeichen und die Anlehnung an die französische Grammatik etwa dem entspricht, was heute im Gegensatz zur echten Gebärdensprache als Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG) verstanden wird. | |
1778 |
1776 | |
1779 |
1779 |
1783 |
1780 | ||
1788 |
1789
1793 | |
1799 |
1797 |
19. Jahrhundert - der Methodenstreit
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gab es 21 Schulen für Gehörlose, an denen zum Teil auch versucht wurde, tauben Kindern primär die Lautsprache beizubringen
Zunehmend werden Menschen nach ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit beurteilt.
"Der Taubstumme und dessen Brauchbarmachung zum bürgerlichen Handwerker und anderen Gewerben" ist ein für diesen Gedanken exemplarischer Titel einer Darlegung, die von einem J. M. Weinberger 1805 in Wien gegeben wird. Damit wurde der "Industrieschulgedanke" in das Taubstummenbildungswesen eingeführt.
Dabei wird stets diskutiert, welche Sprache die Tauben lernen sollen - die der Hörenden, die Lautsprache, die sie selbst nicht oder nur unvollkommen verstehen oder ihre eigene Gebärdensprache, die umgekehrt die Hörenden nicht verstehen?
Der Abbé de l'Epée schuf das gebärdensprachlich orientierte und später "französische Methode" genannte Unterrichtsmodell, das mit dem mehrheitlich oral ausgerichteten und als "deutsche Methode" bezeichneten Modell von Samuel Heinicke konkurriert. Daraus entsteht der "Methodenstreit", der sich dann über zweihundert Jahre hin fortsetzt und bis heute kein Ende gefunden hat.
Paradoxerwesie findet die Auseinandersetzung nicht zwischen den beiden Ländern sondern jeweils landesintern statt: In Frankreich und gerade auch am "Nationalinstitut für Taubstumme" wird die orale Methode eingeführt und in Deutschland breitet sich teilweise die Gebärdensprache im Unterricht aus.
In diesem Jahrhundert beginnt auch in den USA der Gedanke der "Taubstummenbildung" Fuß zu fassen.
Deutschsprachige Länder |
Frankreich |
USA | |
1800 | |||
1803 Der taube Schüler Ludwig Habermaß (1783 Berlin - 1826 Berlin) wurde von Eschke gefördert. Habermaß arbeitete ab 1803 als Hilfslehrer und dann ab 1811 als Lehrer bis zu seinem Tod. Er leitete zeitweise auch Seminare für angehende Lehrer. |
1808 |
1812 | |
1817
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1815 Sicard, Clerc und Massieu begegnen während des Aufenthalts in London dem US-amerikanischen Reverend Thomas Hopkins Gallaudet, der nach Methoden zur Unterrichtung tauber Kinder forscht. |
1815 1817 | |
1820 | |||
1820 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt sich in Deutschland die „Verallgemeinerungsbestrebung“, die etwa dem heutigen Gedanken des „Mainstreaming“ entspricht. |
1822 1824 |
1825 | |
1826 Die Wiener Schule übt erheblichen Einfluss aud die Schulen im süddeutschen Raum aus. Ihre Unterrichtsmethode: Jedes neue Wort wird durch Handalphabet und Schrift vermittelt und durch natürliche und künstliche Gebärden erklärt. Die norddeutschen Staaten halten in der Nachfolge Samuel Heinickes theoretisch am Prinzip der Lautsprachmethode fest, stehen bezüglich der Praxis dennoch unter dem Einfluß der Gebärdenmethode. An die Stelle des "Denkens in der Tonsprache" (Heinicke) treten die Gebärde, die Schrift und das Fingeralphabet. |
1828
1831 |
Die hörenden Bewohner beherrschen die Gebärdensprache und gebrauchen sie sogar dann, wenn keine andere taube Preson anwesend ist. Die Vineyarder leben in dem Glauben, daß die Präsenz tauber Mitbürger weltweit in gleichem Maße wie bei ihnen verbreitet sei. Sie sind später - um 1895 - sehr erstaunt, als sie deswegen zum Gegenstand von Zeitungsberichten und von Forschungen werden. Es wird berichtet, dass im 19. Jahrhundert alle tauben Vineyarder mit einer Ausnahme Englisch lesen und schreiben können. | |
1830 | |||
1848
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1834 1834 | ||
1850 | |||
1856 1857 | |||
1860 |
1860 | ||
1869
Obwohl die Verallgemeinerungsbewegung (1821 - ca. 1860) gescheitert ist, hat sie mit vielen Schulen in Europa, in denen die hörenden und taubstummen Schüler zusammen Unterricht erhielten, für die Verbreitung der oralen Methode gesorgt.
Der "Oralismus" wird ideologisch und politisch zum Durchsetzungskampf motiviert. 1872 |
1863 1864 Gardiner Greene Hubbard, späterer Geschäftspartner von Alexander Graham Bell schickt seine taube Tochter Mabel, spätere Ehefrau von Bell, nach Deutschland zum Schulbesuch. Die Ergebnisse davon beeindrucken Hubbard so, dass er der Regierung von Massachusetts vorschlägt, eine oral orientierte Schule für Taube einzurichten. Durch Vermittlung eines Freundes wird Hubbard bekannt mit Harriet B. Rogers, die einige taube Kinder unterrichtet. Finanuziert von Hubbard kann Harriet B. Rogers 1866 in Chelmsford eine Schule mit fünf Kindern einrichten. 1865 1866 1867 Der spätertaubte Kaufmann John Clarke in Northampton, Massachusetts, setzt einen Fonds von 50.000 Dollar aus für die Gründung einer Schule für Taube in seinem Heimatort. Der Gouverneur von Massachusetts stellt die Verbindung her zwischen Clarke, Hubbard und Harriet B. Rogers. Mit dem Geld von Clarke richten sie in Northampton die erste dauerhafte oral oriemntierte Schule für Taube in den USA ein, die heutige "Clarke School for the Deaf / Center for Oral Education" am gleichen Ort. Damit beginnt auch eine Kampagne für die "Orale Methode". 1868 - 1873 George Veditz, Präsident der „National Association of the Deaf“ nennt Bell später (1907) „den Feind, den die amerikanischen Gehörlosen am meisten zu fürchten haben“. | ||
1873 | |||
1874 |
1875 |
1876 | |
1876 |
1878
1879 Gesprochenes Französisch ist an allen staatlichen Schulen Unterrichtssprache. Der Direktor Etcheverry des Pariser Instituts wird durch den Hals-Nasen-Ohrenarzt Luis Peyron ersetzt. Dies geschieht vor dem Hintergrund, daß das Pariser Nationalinstitut nach wie vor der Gebärdenmethode eine Priorität einräumt. Es stehen sich in Frankreich damit zwei unterschiedliche Methoden gegenüber. |
1877 Zwei Tage später heiratet Bell die taube Tochter Mabel seines Geschäftspartners Hubbard. Bereits vorher lehrte er sie zu sprechen und von den Lippen zu lesen. | |
1880 | |||
1880 |
1880 Am 27. Juni 1880 wird die später durch eine Krankheit taubblinde Helen Keller in Tuscumbia, Alabama, geboren. Als Schriftstellerin und durch erfolgreiche Bewältigung ihres Schicksals erreicht sie später Weltruhm. |