Blanka Pudler (geb. 1929 in Solotwyno, Ukraine) ist eine ungarische Überlebende von Auschwitz und aktive Zeitzeugin des Holocaust.
Leben
Blanka Pudler wurde als viertes von sechs Kindern einer praktizierenden jüdischen Familie geboren. Der Vater war Herrenschneider. Aufgrund der unzureichenden Verdienstmöglichkeiten in Solotwyno, einem kleinen Ort in den Karpatenukraine, zog die Familie 1930 nach Kežmarok in der Slowakei. Dort wuchs Blanka Pudler mit den Sprachen Deutsch, Slowakisch und Jiddisch auf und besuchte eine slowakische Schule. Kežmarok, deutsch Käsmark, hatte bis 1940 eine lebendige jüdische Gemeinde, die etwa 14 % der Bevölkerung ausmachte. Der Vater, der eine schöne Stimme hatte, strebte dort das Amt des Kantors an, welches er aber nicht erreichen konnte. Die Familie zog nach Levice, das durch den Ersten Wiener Schiedsspruch zu Ungarn gehörte. Pudler lernte nun in der Schule als weitere Sprache Ungarisch, die Familie nahm die ungarische Staatsangehörigkeit an. Blanka war eine gute Schülerin und aufgrund der weiterhin bestehenden Armut der Familie trug sie durch Tätigkeiten in den Ferien zur Erbringung des Schulgelds bei. Durch den Einmarsch Nazideutschlands 1944 endete ihre Schulzeit vorzeitig. Das Schulgebäude wurde zur Kaserne umfunktioniert, die jüdische Bevölkerung zunächst ghettoisiert, dann an verschiedene Orte deportiert.[1][2]
Im April 1944 wurde Blanka Pudler mit einem Teil ihrer Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Die älteren Geschwister wurden an anderen Orten zur Zwangsarbeit verpflichtet. In Auschwitz-Birkenau erlebte sie die Selektion an der Rampe und sah dort ihre Mutter zum letzten Mal. Sie selbst kam in die Baracke 3 in Birkenau, wo sie die zuvor vermisste Schwester wiedertraf und sieben Wochen die Schrecken und Demütigungen des Lagers und der immer wieder stattfindenden Selektionen und Vergasungen miterlebte. Ende Juni 1944 wurde sie einer Gruppe von etwas tausend ungarischen Jüdinnen zwischen 16 und 50 Jahren zugeteilt, die in einer fünftägigen Fahrt nach Hessisch Lichtenau verbracht wurde.
Die Frauen wurden dort zur Zwangsarbeit in der Sprengstofffabrik Hessisch Lichtenau eingesetzt. In der in einem Wald versteckt liegenden Fabrik arbeiteten auch deutsche Arbeitskräfte. Im Unterschied zu diesen hatten die jüdischen Arbeiterinnen keinerlei Schutzkleidung und waren den gefährlichen Giftstoffen, mit denen sie für die Herstellung der Sprengstoffe Trinitrotoluol (TNT) und Pikrinsäure (TNP) hantieren mussten, ungeschützt ausgesetzt. Die äußeren Zeichen der Vergiftungen waren gelbe Haut und Haare, auch das Weiß der Augen und die Nägel verfärbten sich gelblich. Immer wieder waren sie der Gefahr von unkontrollierten Explosionen ausgesetzt. Zusätzlich litten sie unter der völlig unzureichenden Ernährung, im Winter dann unter der Kälte, unter der mangelhaften Kleidung und dem Verletzungen verursachenden Schuhwerk, der Bewachung, den zahlreichen Demütigungen und dem Geschlagen-Werden.[2] Untergebracht waren die jüdischen Arbeiterinnen in verschiedenen Lagern rund um Hessisch Lichtenau (siehe Siedlungen und Lager in Hessisch Lichtenau). Gearbeitet wurde zunächst in drei, später in zwei Schichten. Wer den erschöpfenden Arbeitsbedingungen nicht standhielt, wurde nach Auschwitz zurückgebracht und dort ermordet. Verwaltet wurde die Zwangsarbeit vom Konzentrationslager Buchenwald. Die Fabrik selbst wurde von Dynamit Nobel betrieben.[3]
Blanka und ihre inzwischen an Tuberkulose erkrankte Schwester erlebten das Näherrücken der Kriegsfront, den am Schluss dauerhaften Fliegeralarm und die Bombardierung des Lagers, in dem sie untergebracht waren. Am 29. März 1945 wurden die Lager evakuiert, Bewacher und Gefangene begaben sich auf einen für viele tödlichen Marsch Richtung Leipzig. Die verbliebene Gruppe der mitgefangenen Jüdinnen wurde in Wurzen durch amerikanische Soldaten befreit, dann kamen sie zu den Russen, bei denen es nach langer Zeit zum ersten Mal genug zu essen und eine erste Versorgung mit Kleidung gab. Sie wurden mit Bussen nach Bratislava gebracht und erhielten erstmals wieder Ausweise. Da für die Weiterfahrt in den Heimatort keine Transportmöglichkeiten bestanden, kam es noch einmal zu weiten Fußmärschen, bei denen Blanka Pudlers Füße so geschädigt wurden, dass sie für zwei Wochen in einem Krankenhaus behandelt werden musste. Zusammen mit der Schwester wartete sie in Obhut der jüdischen Gemeinde in Solotwyno auf die Rückkehr des Vaters, erfuhr aber dann, dass dieser aufgrund der harten Zwangsarbeit in einem Zementwerk bereits 1944 im Alter von 47 Jahren verstorben war. Von den Geschwistern hatten zwei Schwestern und ein Bruder überlebt. Die Geschwister trafen sich in Budapest, wo sie ein neues Leben begannen.[1][2][4]
Ihren Wunsch, die abgebrochene Schulbildung fortzusetzen, konnte Blanka Pudler nicht umsetzen, sondern absolvierte stattdessen eine Ausbildung zur Zahntechnikerin. Aufgrund einer Armverletzung konnte sie diesen Beruf aber nicht lange ausüben, sondern arbeitete stattdessen in einer Apotheke. 1950 heiratete sie, 1952 wurde die gemeinsame Tochter Agnes geboren.[2]
Von 1962 bis 1965 folgt sie ihrem Mann, der beruflich nach Accra in Ghana versetzt wurde, und arbeitet dort in der ungarischen Botschaft. Nach ihrer Rückkehr fand sie eine Anstellung in einem Außenhandelsunternehmen. 1984 ging sie teilweise in Ruhestand und arbeitet nur noch halbtags. Wie viele Holocaust-Überlebende konnte sie erst nach einem längeren zeitlichen Abstand über ihre Erfahrungen sprechen. Auf Einladung der Geschichtswerkstatt Hessisch-Lichtenau/Hirschhagen fuhr sie 1986 zu einem Treffen der ehemaligen Zwangsarbeiter von Hessisch Lichtenau und begann danach, Einladungen von Schulklassen und Vereinen zu folgen, um als Zeitzeugin über ihre persönlichen Erfahrungen zu berichten und die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Seit 2002 ist Blanka Pudler in der ungarischen Gruppe „Dialog für Toleranz“ (Ariadne-Gruppe) aktiv und besuchte auch zahlreiche Schulen in Deutschland.[1]
2012 überreichte Bundespräsident Joachim Gauck ihr und drei weiteren Holocaust-Überlebenden das Bundesverdienstkreuz am Bande für ihr Engagement bei der Erinnerungsarbeit zur Shoah.[5][6]
Auszeichnung
2012 Bundesverdienstkreuz am Bande
Einzelnachweise
- ↑ a b c Blanka Pudler in Zeitzeugenprojekte, abgerufen am 27. Mai 2016
- ↑ a b c d Karl Fischer: Persönlicher Bericht über den Abend mit der Auschwitz-Zeitzeugin Blanka Pudler in der Gedenkstätte Breitenau am 26. Januar 2009. Rundbrief der Gedenkstätte Breitenau No 28, S. 41–46, abgerufen am 26. Mai 2016
- ↑ Dieter Vaupel: Spuren die nicht vergehen. Eine Studie über Zwangsarbeit und Entschädigung. Schriften zur regionalen Zeitgeschichte. Kassel, hg. vom Fachbereich Erziehungswissenschaft und Humanwissenschaften der Universität Gesamthochschule Kassel, Band 12, Verlag Gesamthochschul-Bibliothek, 2. Auflage Kassel 2001
- ↑ Die vergessenen Kanarienvögel. Die Welt vom 4. August 2014, abgerufen am 27. Mai 2016
- ↑ Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Blanka Pudler, die Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik in Hessisch-Lichtenau überlebte., abgerufen am 27. Mai 2016
- ↑ Bericht über die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes bei der Deutschen Botschaft in Budapest, abgerufen am 27. Mai 2016
Literatur
- Elke Mark: Kanarienvogel. Buch und Film über das Leben und den Verfolgungsweg von Blanka Pudler. Prima Print GmbH, Köln 2008
- Dieter Vaupel: Das Außenkommando Hessisch Lichtenau des Konzentrationslagers Buchenwald 1944/1945. 2. Auflage, Kassel 1984 ISBN 978-3-8812-2211-2
- Dieter Vaupel: Spuren die nicht vergehen. Eine Studie über Zwangsarbeit und Entschädigung. Schriften zur regionalen Zeitgeschichte. Kassel, hg. vom Fachbereich Erziehungswissenschaft und Humanwissenschaften der Universität Gesamthochschule Kassel, Band 12, Verlag Gesamthochschul-Bibliothek, 2. Auflage Kassel 2001 ISBN 978-3-8812-2592-2 online
- Jürgen Jessen (Hg.): Wie es war. Zeitzeugen des Holocaust in Schule und Öffentlichkeit. Geschichtswerkstatt Hessisch Lichtenau. Veröffentlichungen der Universität Kassel zur Geschichte des Nationalsozialismus in Nordhessen, Kassel 1994
Personendaten | |
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NAME | Pudler, Blanka |
KURZBESCHREIBUNG | Überlebende von Auschwitz und aktive Zeitzeugin |
GEBURTSDATUM | 1929 |
GEBURTSORT | Solotwyno |