Antiphon von Rhamnus (ca. 480–411 v.Chr.) zählt zu den sog. zehn klassischen Attischen Rednern.
Seine Identität mit dem Sophisten bzw. Philosophen Antiphon (siehe dort) ist umstritten, wird inzwischen von der Forschung aber wieder überwiegend bejaht.
Leben
Antiphon, geboren als Sohn des Sophilos im zu Athen gehörenden Rhamnus, trat nicht selbst als Redner auf, sondern wurde als Logograph berühmt, d.h. als Verfasser von Gerichtsreden für Klienten, die sich im alten Athen selbst verteidigen mussten. Platon bezeichnet ihn zudem als Rhetoriklehrer (Mx. 236a), freilich ist nicht klar, ob Antiphon tatsächlich andere unterrichtete oder ob damit lediglich seine Vorbildfunktion betont werden soll. Unsichere Quellen bezeichnen den Historiker Thukydides als seinen Schüler (Vita Thucydidis 22), was freilich auch als nachträgliche Erklärung von Stilähnlichkeiten erklärt werden kann.
Antiphon beteiligte sich als Anhänger der Oligarchen an jenem Versuch, die athenische Demokratie zu stürzen, der zur Diktatur der sog. Vierhundert führte. Mit elf anderen Gesandten nahm er an einer diplomatischen Mission teil, die in Sparta über einen Friedensschluss im andauernden Peloponnesischen Krieg verhandelte, aber ohne Erfolg blieb (Thukydides VIII 90). Beim Sturz der Vierhundert floh Antiphon im Gegensatz zu deren Anführern nicht und wurde des Hochverrats angeklagt. Obwohl seine Verteidigungsrede, die einzige Rede, die er je in eigener Sache hielt, nach Thukydides' Urteil die beste Apologie war (Thukydides VIII 68), wurde Antiphon verurteilt und hingerichtet.
Werke
Die in der Antike Antiphon zugeschriebenen Lehrschriften, insbesondere zur gerichtlichen Argumentation, sind verloren, ebenso eine Sammlung von Gemeinplätzen (topoi) für Promömien, Schluss und Epiloge. Von den 60 unter Antiphons Namen gelesenen Reden, von denen Caecilius von Kaleakte nur 35 als echt gelten ließ, sind 3 echte, also tatsächlich gehaltene Verteidigungsreden für Mordprozesse erhalten. Außerdem sind drei so genannte Tetralogien überliefert, d.h. knapp abgefasste Musterbearbeitungen, die mit jeweils zwei Anklage- und Verteidungsreden fiktive Mordprozesse behandeln; ihre Echtheit wurde gelegentlich bestritten. Dazu kommen schließlich spärliche Fragmente weiterer Reden, darunter der Verteidigungsrede in eigener Sache.
Antiphons Stil zeigt alle Zeichen einer sich noch entwickelnden, daher experimentellen und kühnen Literatursprache, des entstehenden Attischen. Auffällig ist der Kontrast zwischen der ausgeklügelten Argumentationstechnik, die v.a. mit Wahrscheinlichkeitsargumenten (eikóta) arbeitet, und der ebenso ausgeprägten Vorliebe für Antithesen und Klangfiguren (sog. Gorgianischen Figuren) zum dagegen oft eher schlichten, bisweilen harten und ungefügigen Satzbau.
Siehe auch: Antiphon (Sophist)
Literatur
- Thomas Schirren, Thomas Zinsmaier (Hrsg.): Die Sophisten. Ausgewählte Texte. Griechisch/Deutsch. Reclam, Stuttgart 2003. – S. 120–215 Übersetzung der sophistischen Fragmente und mehrerer Reden.
- M. Gagarin: Antiphon the Athenian. 2003. – Wichtigste Monographie.
- Thomas Zinsmaier: Wahrheit, Gerechtigkeit und Rhetorik in den Reden Antiphons. In: Hermes 126 (1998) 398–422. – Beispielhafte Einzeluntersuchung.