Marktabgrenzung

für die Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung relevanter Markt
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Mithilfe der Marktabgrenzung wird im deutschen und europäischen Kartellrecht der für die Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung relevante Markt bestimmt. Denn um zu beurteilen, ob ein Unternehmen marktbeherrschend ist, muss natürlich feststehen, auf welchem Markt diese Stellung überhaupt bestehen würde. So macht es einen Unterschied, ob für die Beurteilung der Marktmacht von Chiquita auf den gesamten Fruchtmarkt (dort nur ein Marktanteil von 5 %) oder nur auf den für Bananen (dort 50 %) abgestellt wird.[1]

Der relevante Markt muss dabei in sachlicher, räumlicher und ggfs. zeitlicher Absicht abgegrenzt werden.

Sachliche Marktabgrenzung

Die sachliche Marktabgrenzung ist das Kernstück der Marktermittlung. Hier geht es um die Frage, welche Waren/Dienstleistungen der relevante Markt gegenständlich umfasst.

Bedarfsmarktkonzept

In der Praxis hat sich in Deutschland das Bedarfsmarktkonzept durchgesetzt. Danach sind dem relevanten Angebotsmarkt alle Produkte und Dienstleistungen zuzurechnen, die aus der Sicht der Nachfrager nach Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind.[2] Es kommt also entscheidend auf die funktionelle Austauschbarkeit der Ware/Dienstleistung aus Sicht der Marktgegenseite – bei Absatzmärkten ist dies z.B. der Verbraucher – an. Maßgebend ist dabei die tatsächliche Anschauung der Abnehmer. Eine physikalisch-technische oder chemische Identität ist nicht notwendig.[3] Es kann durchaus vorkommen, dass die Abnehmerauffassung in manchen Fällen enger (eigener Markt für Klinker; kein gemeinsamer mit Zement oder Kalkstein) und in manchen weiter (Gemeinsamer Markt für Arzneimittel und wissenschaftlich nicht fundierte Produkte) ist.[4] Bei der Frage der funktionellen Austauschbarkeit dürfen die tatsächlichen Gewohnheiten der Abnehmer nicht außer Acht gelassen werden: So sind etwa Nass- und Trockenrasur durchaus austauschbar, üblicherweise findet ein Systemwechsel bei den Nutzern jedoch nicht statt.[5] Beachtet werden müssen auch potentielle Alternativen. Zum relevanten Markt müssen dementsprechend auch die Hersteller gerechnet werden, die in der Lage sind, die Eigenschaften ihrer Waren auf ähnliche Bedürfnisse anderer Nachfrager umzustellen (Angebotsumstellungsflexibilität). Nichts hindert etwa einen Hersteller von Tierfutterdosen, neben solchen für Hundefutter auch Dosen für Katzenfutter herzustellen.[6] Ein Hersteller von Portalhubwagen kann dagegen nicht ohne Weiteres Reach-Stacker bauen.[7]

Die Kommission setzt im Rahmen des Bedarfmarktkonzepts verstärkt auf das Kriterium der (Kreuz-)Preiselastizität. Nach dem sogenannten SSNIP-Test (Small but significant and nontransitory increase in price) wird die Frage gestellt, ob die Nachfrager als Reaktion auf eine angenommene kleine, aber nicht gänzlich unbedeutende, dauerhafte Erhöhung der relativen Preise (im Bereich zwischen 5 % und 10 %) für die betreffenden Produkte bzw. Gebiete auf leicht verfügbare Substitute ausweichen würden.[8] Dieser Test ist jedoch nicht unumstritten.[9] Der SSNIP-Test kann nämlich bei marktbeherrschenden Unternehmen, die bereits unabhängig vom Markt agieren können, irreführend sein, da das Preisniveau des Produktes des beherrschenden Unternehmens eventuell bereits überhöht ist (sog. Cellophane Fallacy). Der BGH akzeptiert den Test dementsprechend nur als ein Indiz von vielen.[10]

Räumliche Marktabgrenzung

Auch hier kommt es maßgeblich auf die funktionelle Austauschbarkeit aus Sicht der Marktgegenseite an. So kann der Einzelhandel seinen Bedarf an Staubsaugerbeuteln mithilfe von Anbietern aus ganz Europa decken,[11] Transportbeton kann dagegen nur in einem beschränkten Umkreis um das jeweilige Werk bezogen werden,[12] während für Autofahrer gar nur diejenigen Schilderpräger, die nur wenige Meter von der jeweiligen Zulassungsstelle entfernt liegen, in Betracht kommen.[13]

Zeitliche Marktabgrenzung

Auf einen zeitlichen Markt ist nur ausnahmsweise abzustellen. So kann etwa der Werbemarkt für ein einziges Spitzenfußballspiel einen eigenen relevanten Markt darstellen.[14] Solange sich jedoch Wettbewerbsverhältnisse nicht ändern, müssen sie auch nicht in verschiedene Zeitabschnitte aufgeteilt werden.[15]

Einzelnachweise

  1. Prozentzahlen nur beispielhaft. Vgl. EuGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – C-27/76 – Slg. 1978, 207 – United Brands und United Brands Continental / Kommission.
  2. StRspr. Zuletzt BGH, Urteil vom 6. Dezember 2011 – KVR 95/10 – BGHZ 192, 18 = WuW/E DE-R 3591 – Total/OMV.
  3. WuW/E BKartA 2591.
  4. Vgl. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht. 2 Aufl. GWB § 19 Rn. 13.
  5. BKartA vom 23. Jui 1992 AG 1992, 363 „Gillette Wilkinson“. Vgl. auch Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht: GWB. § 19 Rn. 28.
  6. EuGH, Urteil vom 21. Februar 1973 – Rs. 6/72 – Slg. 1973, 215 – Continental Can/Kom.
  7. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2009 – KVZ 41/08 – juris.
  8. Vgl. Bekanntmachung relevanter Markt Tz. 17.
  9. Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht. 5 Aufl. FKVO Art. 2 Rn. 52.
  10. BGH, Beschluss vom 4. März 2008 – KVR 21/07 – NJW-RR 2008, 996 – Soda-Club II.
  11. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 – KVR 14/03 – WuW/E DE-R 1355 – Staubsaugerbeutelmarkt
  12. KG, Urteil vom 1. Oktober 2009 – 2 U 10/03 Kart – WuW/E DE-R 2273 - Berliner Transportbeton.
  13. OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 2522, 2524 – Schilderprägerstelle Bad Salzuflen.
  14. BGH WuW/E 2406, 2408 f. – Inter Mailand-Spiel.
  15. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht. 2 Aufl. GWB § 19 Rn. 24.