Herr von Boilstädt

Grablege eines Kriegers aus dem 6. Jahrhundert nahe Boilstädt, Gotha in Thüringen
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Als Herr von Boilstädt wird die Grablege eines Kriegers der thüringisch-fränkischen Oberschicht aus dem 6. Jahrhundert bezeichnet, die in einem ungestörten Grab mit reichhaltigen Beigaben 2013 in der Nähe von Boilstädt geborgen werden konnte.

Herr von Boilstädt Befund 96

Fund

Nachdem bei Straßenbauarbeiten an der neuen Umgehungsstraße zwischen Gotha-Sundhausen und Gotha-Boilstädt im Jahre 2012 archäologische Funde gemacht wurden, fanden von August 2012 bis November 2013 archäologische Ausgrabungen durch das Thüringische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (TLDA) statt.

Die weit über 100 Funde auf einer Trassenlänge von ca. 3 km wurden auf verschiedene Epochen datiert. Älteste Befunde stammen aus Siedlungsresten der jungsteinzeitlichen Linearbandkeramik (5500 v. Chr.), während andere Siedlungsreste der frühen Bronzezeit zugeordnet wurden. Andere Befunde weisen auf Grabhügel der späten Bronzezeit (ca. 1000 v. Chr.) und auf Spuren der Besiedelung aus der Eisenzeit (ca. 500 v. Chr.) hin. Die bedeutendsten Funde stammen aus dem Frühmittelalter (um 600 n. Chr.) aus der Zeit der Merowinger.[1]

 
Schildbuckel

Befunde

Die wichtigsten Befunde bildeten zwei reich ausgestattete Kriegerbestattungen, die vollständig erhalten waren und nicht beraubt wurden. Beide stammen aus der Zeit um 600 n. Chr. und stellen in diesem ungestörten Zustand eine Seltenheit dar. Sie tragen die Bezeichnungen „Befund 96“ und „Befund 131“. Der „Herr von Boilstädt“, wie ihn die Archäologen wegen der Nähe der Fundstätte zu Boilstädt nannten, obwohl das Grab in der heutigen Gemarkung Sundhausen liegt, befand sich im Befund Nr. 96. Er hatte eine Größe von 1,5 × 2,8 m und lag 2,3 m unter der Oberfläche. Unmittelbar in der Nähe wurden ein Pferdeskelett und die Überreste eines Hundes gefunden, was auf die Stellung des Toten Rückschlüsse erlaubt. Das kleinere Grab (Befund 131) hatte geringere Abmessungen und lag nur 1 m unter der Oberfläche.

Bergung

Während die meisten Befunde vor Ort gesichert wurden, entschied man sich bei diesen beiden Befunden zu einer Blockbergung. Im Oktober 2013 erfolgte die Bergung und Verbringung nach Weimar-Ehringsdorf, in eine Außenstelle des TLDA. Hier konnten die Befunde unter Laborbedingungen geborgen und konserviert werden. Dabei erwies sich der Befund 96, das Grab des „Herrn von Boilstädt“, als ein Befund mit überregionaler Bedeutung.

Der „Herr von Boilstädt“ (Befund 96)[2]

 
Kamm

Zum ersten Mal konnte man in Thüringen eine ungestörte christliche Bestattung aus dem ausgehenden 6. Jahrhundert mit modernen Methoden erforschen. Die Ausstattung des Grabes lässt auf weitreichende Beziehungen der Thüringer Elite schließen. Die Grabkammer wurde als 17 t schwerer Block nach Weimar gebracht und von Oktober 2014 bis August 2015 freigelegt. Neben der Dokumentation wurden Funde entnommen und konserviert. Der Tote war in einer hölzernen Grabkammer auf einer hölzernen Liege auf dem Rücken aufgebahrt und fiel, nachdem die Liege verwittert war, auf den Bauch. Im September 2015 wurde das zuvor als separater Block eingehauste Skelett gedreht, um auch an die Funde unter dem Skelett zu kommen, ohne es zu zerstören. Im Oktober 2015 wurden die Freilegungsarbeiten abgeschlossen und die Restaurierung fortgesetzt.

Anthropologische Befunde

 
Charonspfennig Bef. 96

Der „Herr von Boilstädt“ war etwa 30 bis 35 Jahre alt und ungefähr 1,80 m groß. Seine kräftige Statur und sein Stiernacken deuten, neben den Grabbeigaben, auf einen Krieger hin. Seine Zähne weisen einen erstaunlich guten Zustand auf. Somit muss es sich wohl um einen Angehörigen der Oberschicht handeln, die über ausreichende und gesunde Nahrungsmittel verfügte. Gefunden wurden an seinem Skelett sogenannte Reiterfacetten, die auf Veränderungen der Oberschenkelknochen in Form einer Ausweitung der Gelenkflächen an den Oberschenkelköpfen auf die Oberschenkelhälse hinweisen. Dies ist eine Besonderheit, die auf einen Reiter hinweist, zumal in unmittelbarer Nähe des Befundes ein Pferdeskelett gefunden wurde.

 
Byzantinische Lampe mit christlicher Symbolik

Beigaben

Zu den bedeutendsten Beigaben gehören eine byzantinische Lampe mit christlicher Symbolik und eine westgotische Goldmünze (Tremissis). In dieser Kombination sind die Funde in Deutschland einzigartig. Die herausgehobene Stellung des Mannes belegen auch die weiteren Grabbeigaben:

  • Waffen wie Schildbuckel mit Buntmetallnieten, Speerspitze, Ango, Sax (einschneidiges Hiebschwert), Spatha (zweischneidiges Langschwert), Schwertgarnitur
  • Reitzubehör wie Trense, mehrere Silber- und buntmetallüberzogene Eisenniete des Zaumzeuges
  • Persönliche Ausrüstungsgegenstände wie Goldmünze Ende 6. Jh. (Charonspfennig – im Mund des Befundes), Dreilagenkamm, Glasspielstein, Beutel mit Glasperlenkette, Fragment eines eisenzeitlichen Glasarmringes und mehrere Flachglassplitter, bronzene Öllampe, massiver Buntmetallring und vermutlich eine Dose aus Rinde mit einem kleinen silbernen Beschlag
  • Speisebeigaben wie Tierknochen, Eierschalen und ein Fisch
  • in ca. 4 Meter Entfernung ein Grab mit einem enthaupteten Pferd und ein Hund.

Zweites reiches Kriegergrab (Befund 131)

Das zweite Kriegergrab war ebenfalls in einer hölzernen Grabkammer angelegt worden. Während beim Befund 96 eine Überhügelung von ca. 8 m Durchmesser gewesen war, ist bei diesem Befund keine Überhügelung nachweisbar. Das Grab wurde in insgesamt drei Teilblöcken geborgen und im Oktober 2013 nach Weimar verbracht. Bis Ende des Jahres 2013 wurden die Funde aus den Blöcken geborgen und inzwischen vollständig restauriert.

 
Schwertgurt Bef. 131

Anthropologische Befunde

Auch bei dem Befund 131 handelt es sich um einen Krieger, der mit seinen reichhaltigen Grabbeigaben wahrscheinlich im 7. Jh. begraben wurde.

Beigaben

 
Gürtelschnalle allamannischen Ursprungs

Besonders erwähnenswert ist bei diesem Befund eine silbertauschierte Gürtelgarnitur, die Parallelen zu einem Pferdegeschirr aus Niederstotzingen aufweist. Es ist wahrscheinlich ein Stück aus dem frühen 7. Jh. aus dem langobardischen Italien.

  • Waffen: Schildbuckel, Lanzen-/Speerspitze, Sax, Spatha mit silbertauschierter Schwertgarnitur, Gürtelschnalle mit festem Beschlag, Gegenbeschlag und Rückbeschlag (Italien?)
  • Reitzubehör wie Trense, mehrere eiserne Niete des Zaumzeuges sowie Sporn und Endbeschläge des Befestigungsriemens
 
Trense (Bestandteil des Zaumzeugs)
  • Persönliche Ausrüstung: Gürtelgarnituren, Tasche mit Taschenbügeln und eiserner Schnalle, darin Feuerstein und Feuerstahl, eisernes Messer, Toilettebesteck mit Schere und Rasiermesser und ein Dreilagenkamm
  • Speisebeigaben: Tierknochen und Eierschalen
  • ca. 6,5 m entfernt ein enthauptetes Pferd

Datierung

Die Datierung der Grablege erfolgte typologisch aufgrund der charakteristischen Waffenausstattung und der Grabbeigaben, insbesondere der westgotischen Goldmünze, in die Zeit um 600 n. Chr.

Deutung

Die reichhaltige Ausstattung des Grabes des „Herrn von Boilstädt“ lässt darauf schließen, dass er ein Angehöriger der Oberschicht war. Besonders die gefundene byzantinische Öllampe und die westgotische Münze zeugen von der beginnenden Christianisierung und den noch vorherrschenden Bestattungsritualen.[3]

Literatur

Einzelnachweise

  1. Medieninformation: Der "Herr von Boilstädt" und die archäologische Ausgrabung zur Ortsumfahrung Gotha-Sundhausen; Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Weimar; 12.02.2016
  2. Homepage Boilstädt: Uwe Ulrich: Ein Besuch beim Herrn von Boilstädt
  3. MDR: Der Herr von Boilstädt