Definition
Kühlt man gleiche Ausgangsmengen warmen und kalten Wassers in gleichen nicht-geschlossenen Gefäßen unter gleichem Druck und gleichen Umgebungsbedingungen unter eine Temperatur ab, die dem Gefrierpunkt von Wasser bei diesem Druck entspricht (0° C bzw. 273,15 K bei einem Druck von 1013,25 hPa), so kann man in einem bestimmten Bereich von Abkühlungsgeschwindigkeiten beobachten, daß das zu Versuchsbeginn wärmere Wasser zu einem früheren Zeitpunkt gefriert (kristallisiert), als das ursprünglich kühlere Wasser. Dieses scheinbar paradoxe Phänomen wird auch als Mpemba-Effekt bezeichnet.
In vereinfachter Form kann man den Mbemba-Effekt als das spezielle Phänomen bezeichnen, bei dem heißes Wasser unter bestimmten Bedingungen schneller gefriert als kaltes Wasser.
Die uneingeschränkte Aussage, wonach heißes Wasser schneller gefriert als kaltes Wasser, ist jedoch falsch, da der Mbemba-Effekt nur in speziellen thermodynamischen Systemen auftritt.
Erstmalige Entdeckung
Beschrieben wurde dieses Phänomen angeblich schon von Aristoteles, Francis Bacon (oder war es Roger Bacon?) und René Descartes. 1963 stieß auch der tansanische Schüler Erasto B. Mpemba auf diesen Effekt, als er Speiseeis herstellte. Zusammen mit Dr. Denis G. Osborne veröffentlichte er 1969 die Ergebnisse zahlreicher Versuche zu diesem Thema. Jedoch dauerte es einige Jahre, bis dieser Effekt wissenschaftlich untersucht wurde.
Ursache
Die Ursache des Mbemba-Effekts ist, daß die Menge des wärmeren Wassers beim Abkühlen in einem offenen System durch Verdunstung im Vergleich zur Menge des kühleren Wassers überproportional abnimmt. Dies liegt daran, daß der Dampfdruck einer Flüssigkeit (zu dem wiederum die Geschwindigkeit der Verdampfung proportional ist) exponentiell mit der Temperatur ansteigt. Das heißt, daß bezogen auf die gleiche Zeiteinheit mehr heißes als kaltes Wasser verdampft (Augustsche Dampfdruckformel).
Dadurch liegen beim Erreichen des Gefrierpunktes immer unterschiedliche Wassermengen vor, und zwar derart, daß die Menge des ursprünglich wärmeren Wassers immer kleiner ist als die Menge des ursprünglich kühleren Wassers. Eine geringere Wassermenge gefriert jedoch bei ansonsten gleichen Bedingungen immer schneller als eine größere Wassermenge.
Der Mbemba-Effekt tritt also dann (und nur dann) auf, wenn die Parameter des Systems so gewählt sind, daß die ungleichförmige Abnahme der flüssigen Wassermengen beim Abkühlen und der daraus resultierende schnellere Kristallisationsprozeß der geringeren verbleibenden Wassermenge die Geschwindigkeit des Gesamtvorgangs (Abkühlung plus Kristallisation) bestimmt.
Mpemba-Effekt und thermodynamische Systeme
Offenes System
Der Mbemba-Effekt tritt nur in offenen physikalischen Systemen auf. Charakteristisch für offene Systeme ist ein möglicher Stoff- und Wärmeaustausch des Systems mit seiner Umgebung, wobei die Umgebung im Falle eines offenen Systems per Definition nicht in die Betrachtung einbezogen wird (oder anders ausgedrückt: die Umgebung ist kein Bestandteil des offenen Systems). Thermodynamisch gesehen werden bei Experimenten in offenen Systemen mehrere intensive (massenunabhängige) und extensive (massenabhängige) Größen gleichzeitig verändert, wodurch die Messung und Interpretation von beobachteten Effekten naturgemäß erschwert wird.
Geschlossenes System
In geschlossenen physikalischen Systemen kann der Mbemba-Effekt nicht auftreten, sofern die Wassermenge in der flüssigen Phase nicht vernachlässigbar klein im Vergleich zum Gesamtvolumen des Systems ist (oder anders ausgedrückt: das geschlossene System darf einem offenen System nicht zu sehr ähneln).
In einem geschlossenen System kann das bei höherer Temperatur vermehrt verdampfende Wasser dem System nicht entweichen, sondern kondensiert beim Abkühlen wieder in dem Maße, wie es seinem Dampfdruck bei der jeweiligen im System herrschenden Temperatur und dem jeweiligen herrschenden Druck entspricht. Die Wassermengen bleiben in beiden Teilsystemen (wärmeres und kühleres Wasser) konstant, lediglich das Verhältnis von flüssigem zu gasförmigem Wasser ist zeitweise unterschiedlich. Die zur Verdampfung des Wassers notwendige Verdampfungswärme, die dem flüssigen Wasser selbst entzogen wird, entweicht dem System nicht (wie im Falle des offenen Systems) sondern wird beim Abkühlen und Kondensieren in Form von Kondensationswärme wieder frei.
Dadurch benötigt das anfänglich wärmere Wasser in einem geschlossenen System immer länger zu seiner Abkühlung als das anfänglich kühlere Wasser, d.h. das wärmere Wasser kann das kühlere bei der Abkühlung nicht „überholen“, wie es das im Falle des offenen Systems tut. Das anfänglich kühlere Wasser gefriert damit immer vor oder wenigstens zeitgleich mit dem wärmeren Wasser (je nachdem, wie steil die Abkühlungskurve ist) und der Mbemba-Effekt tritt nicht auf.
Wesentliche Einflußparameter
Folgende Parameter sind in einem offenen System von wesentlicher Bedeutung:
Menge
Die anfänglichen absoluten Wassermengen. Diese dürfen natürlich nicht zu klein sein, damit das Wasser nicht vollständig verdunstet ist, bevor es den Gefrierpunkt erreicht hat.
Temperatur
Die anfänglichen absoluten Temperaturen der jeweiligen Wassermengen. Dabei begünstigt eine große Temperaturdifferenz zwischen wärmerem und kälterem Wasser den Mbemba-Effekt dadurch, daß überproportional mehr wärmeres Wasser verdampfen kann. Allerdings darf die Temperatur des kühleren Wassers auch nicht zu nahe am Gefrierpunkt liegen, da das heißere System sonst nicht die Möglichkeit hat, das kühlere beim Abkühlen zu "überholen".
Oberfläche
Die Größe der Phasengrenzfläche zwischen flüssiger und gasförmiger Phase bestimmt die pro Zeiteinheit verdampfende Wassermenge (Verdampfungsgeschwindigkeit), da diese der Größe der Oberfläche proportional ist, sofern das Wasser nicht siedet. Die Oberflächengröße wiederum ist von der Gefäßform abhängig. Für die Beobachtung des Mbemba-Effekts ist eine große Oberfläche, die zu einem hohen Stoffmengenverlust durch Verdampfung führt, günstig.
Umgebungstemperatur
Die Umgebungstemperatur, die auch als Temperatur des Wärmereservoirs bezeichnet wird. Die absolute Temperaturdifferenz zwischen den anfänglichen Wassermengen und dem Reservoir bestimmt den Verlauf der Abkühlungskurve. Je größer die Differenz, desto steiler verlaufen die Abkühlungskurven, d.h. um so schneller kühlen die Proben allein durch Wärmeleitung und Wärmestrahlung ab und um so geringer ist der Stoffmengenverlust durch Verdampfung. Für die Beobachtung des Mbemba-Effekts ist deshalb eine Temperatur des Reservoirs knapp unterhalb des Gefrierpunkts von Wasser günstig, da die Reservoirtemperatur so für das Gefrieren ausreicht und die Abkühlungskurven der flüssigen Phasen hinreichend flach verlaufen.
Wärmeleitfähigkeit
Der Wärmeleitfähigkeitskoeffizient des Gefäßes. Dieser bestimmt, in welchem Maße die Abkühlung des Wassers über die Gefäßwand erfolgen kann. Je größer der Koeffizient, um so schneller kühlt das Wasser durch Wärmeableitung und Wärmestrahlung über das Gefäß ab. Für die Beobachtung des Mbemba-Effekts ist ein geringer Wärmeleitfähigkeitskoeffizient des Gefäßes insofern günstig, da dann mehr Wasser während des Abkühlens der flüssigen Phasen verdampfen kann, andererseits erschwert ein zu geringer Wärmeleitfähigkeitskoeffizient die Wärmeabführung der Kristallisationswärme über die Gefäßwand beim Gefrieren, was den Effekt wieder vermindert. Im praktischen Versuch sollten also beispielsweise keine Isoliergefäße verwendet werden.
Störparameter
Folgende Parameter sind für das Eintreten des Mbemba-Effektes nicht entscheidend, wenngleich sie ihn in verstärkender (positiver) oder abschwächender (negativer) Form zu stören vermögen. Deswegen sollten sie bei der Betrachtung von vornherein durch eine geeignete Wahl der Bedingungen ausgeschaltet werden.
Unterkühlte Flüssigkeiten bzw. Schmelzen
Kühlt man sehr reine Flüssigkeiten unter ihren Gefrierpunkt ab, so kann die Kristallisation ausbleiben, wenn keine Kristallisationskeime in der Flüssigkeit vorhanden sind. Zur Vermeidung kann man den Wasserproben einige Körnchen Quarzsand als Kristallisationsmatrix hinzufügen. Entgegen einer verbreiteten Ansicht ist die Konzentration (d.h. Menge) an Kristallisationskeimen für jeden Kristallisationsprozeß bedeutungslos, entscheidendend ist lediglich, ob es mindestens einen geeigneten Kristallisationskeim gibt oder nicht. Die Gefrierpunktserniedrigung durch fehlende Kristallisation ist im übrigen unabhängig von der Tatsache, daß sich der Gefrierpunkt einer Flüssigkeit in Abhängigkeit von Druck und Volumen des Systems sowohl zu niedrigeren als auch zu höheren Werten hin verschieben kann (siehe dazu: Phasendiagramme von Einkomponentensystemen).
Prinzipiell wirkt sich der Effekt der unterkühlten Flüssigkeit aufgrund fehlender Kristallisationskeime nicht auf den Mbemba-Effekt aus, da er die ursprünglich kühlere Probe genauso betrifft, wie die ursprünglich wärmere. Sofern man allerdings unterstellt, daß das ursprünglich wärmere Wasser potentielle Kristallisationskeime - beispielsweise durch Ausgasen gelöster Fremdbestandteile wie Kohlendioxid - im Vergleich zum ursprünglich kühleren Wasser verliert, so würde der Effekt der unterkühlten Flüssigkeiten den Mbemba-Effekt abschwächen, da das ehedem heißere Wasser nun gerade nicht schneller gefrieren würde, sondern zur Unterkühlung neigte.
Temperaturgradienten
Temperaturunterschiede im System, auch Temperaturgradienten genannt. In einer unbewegten Flüssigkeit treten beim Abkühlen ebenso wie in der unbewegten Umgebung, Temperaturdifferenzen auf. So ist beispielsweise die Temperatur an den Gefäßwänden und an der Phasengrenze geringer als im Inneren der Phase, in der Umgebung ist die Temperatur in der Nähe der Gefäße höher als in weiterer Entfernung von diesen. In unterschiedlich warmen Ausgangsgefäßen treten beim Abkühlen unterschiedliche Gradientenverläufe auf, die praktisch gleichbedeutend mit einer Änderung des Wärmeleitfähigkeitskoeffizienten nach außen hin sind. Dieser Effekt wird durch das Rühren der Flüssigkeiten (z.B. Magnetrührer) während des Abkühlens und einem Gebläse im Reservoir, welches eine konstante und gleichförmige Reservoirtemperatur sicherstellt, vermieden. Temperaturgradienten im System schwächen den Mbemba-Effekt ab, da sie die Verdunstung vermindern.
Gelöste Fremdstoffe
Gelöste Stoffe (dazu gehören auch gelöste Gase) können den Gefrierpunkt einer Flüssigkeit erniedrigen (Raoultsches Gesetz), wobei die Gefrierpunkterniedrigung dem Fremdstoffmengenanteil proportional ist. Im Falle von gelösten Gasen (z.B. Kohlendioxid in Wasser) ist die Konzentration an gelöstem Gas wiederum temperaturabhängig (Dampfdruck!), d.h. die unterschiedlich warmen Wasserproben enthalten unter Gleichgewichtsbedingungen unterschiedliche Mengen gelöster Gase und haben damit auch einen geringfügig unterschiedlichen Gefrierpunkt. Der Effekt ist allerdings sehr klein (im Bereich von 0,01 K bis 0,001 K) und spielt damit praktisch für den Mbemba-Effekt keine Rolle. Der Einfluß gelöster Gase würde den Mbemba-Effekt verstärken, da das anfänglich heißere Wasser weniger gelöste Fremdbestandteile enthielte und darum sein Gefrierpunkt im Vergleich zum anfänglich kühleren Wasser weniger herabgesetzt wäre. Insgesamt vermeidet man diesen „Schmutzeffekt“, indem man für den Versuch entgastes Wasser (durch vorheriges Aufkochen und Anlegen eines Vakuums) verwendet. Analoges gilt natürlich auch für Volumen- und andere Effekte, die durch ausfrierende Gasbläschen verursacht werden könnten.
Sonstige Parameter
Wasserdampfpartialdruck
Der Wasserdampfpartialdruck in der gasförmigen Phase muß im Vergleich zum Sättigungsdampfdruck klein sein, da sonst kein bzw. weniger Wasser verdampfen kann. Diese Bedingung ist in der Regel bei der Versuchsdurchführung in trockener Umgebung gewährleistet. Ein hoher Wasserdampfpartialdruck in der gasförmigen Phase eines offenen Systems würde den Mbemba-Effekt abschwächen.
Unbeachtliche Parameter
Druck- und Volumenabhängigkeit des Gefrierpunkts
Der exakte Gefrierpunkt von reinem Wasser ist, wie bei jeder Flüssigkeit bzw. Schmelze druck- und volumenabhängig. Der genaue Wert kann dem sogenannten Phasendiagramm des Wassers entnommen werden. Bei Normaldruck (p = 1013,25 hPa) und Standardvolumen entspricht der Gefrierpunkt dem sogenannten Tripelpunkt im Phasendiagramm. Der Tripelpunkt des Wassers ist auf 0°C bzw. 273,15 K normiert. Bei anderen Drücken bzw. Volumina kann der Gefrierpunkt über oder unter diesem Wert für den Gefrierpunkt liegen. Diese Tatsache ist unabhängig von Gefrierpunktserniedrigungen durch gelöste Fremdbestandteile und unterkühlten Schmelzen aufgrund fehlender Kristallisationskeime.
Die mikroskopische Struktur der Flüssigkeit
Der Mbemba-Effekts ist vollständig im Rahmen der klassischen Wärmelehre erklärbar. Mikroskopische Eigenschaften wie z.B. die Struktur von Flüssigkeiten sind, abgesehen von ihrer Bedeutung für die kalorischen Daten der betrachteten Substanz, unbeachtlich.
Andere Flüssigkeiten
Der Mpemba-Effekt ist nicht auf Wasser beschränkt, also keine Anomalie des Wassers. Ob er auftritt wird hauptsächlich durch die kalorischen Daten einer Substanz bestimmt. So weisen auch andere Substanzen wie z.B. Ethanol, Essigsäure, Benzen oder Hexan eine ähnliche exponentielle Abhängigkeit des Dampfdrucks von der Temperatur auf. Allerdings liegen die Gefrierpunkte dieser Substanzen wesentlich tiefer als die von Wasser, so daß der praktische Versuch höhere experimentelle Anforderungen an die notwendige Kühlung stellt. Zudem sind diese Substanzen giftig oder ätzend, so daß sich das Verdampfen in offenen Systemen ohne besondere Schutzmaßnahmen verbietet.
Praktischer Nutzen
Eine praktische Anwendung des Mpemba-Effekts ist offensichtlich unsinnig, da man Energie einsetzen muß, um eine Substanz zu verdampfen, die anschließend ungenutzt in die Umgebung entweicht. In diesem Fall wird man von vorneherein mit entsprechend weniger Substanz arbeiten, ohne etwaige Überschüsse durch Verdampfung abzutrennen.
Der Mpemba-Effekt ist im Ergebnis ein überraschender und im ersten Augenblick der Intuition widersprechender Schaueffekt, dessen physikalisch-chemische Grundlage in der seit dem 19. Jhdt. bekannten Augustschen Formel zu sehen ist. Der Effekt ist jedoch beispielsweise geeignet, Interessierte auf anschauliche und verblüffende Art und Weise an Fragestellungen der klassischen Thermodynamik heranzuführen.
Erwähnung im Fernsehen
In der Fernsehsendung Clever! – Die Show, die Wissen schafft vom 13. März 2006 wurde der Mpemba-Effekt vorgestellt. Der Effekt wurde zum Teil durch die Entstehung von Kristallisationskeimen erklärt. Dieses war aber offensichtlich falsch, weil es sich bei dem heißen Wasser um gewöhnliches Leitungswasser handelte. Es waren also bereits (wie bei der Bereitung von Speiseeis) unzählige Kristallisationskeime vorhanden und das Entstehen weiterer hätte keinen Einfluss auf den Versuch. Außerdem konnte bei dem Versuchsaufbau der Effekt hinreichend durch die schnellere Verdunstung des heißen Wassers erklärt werden.