Spieltrieb ist ein Roman der deutschen Schriftstellerin Juli Zeh, der 2004 veröffentlicht wurde. Er ist dem Segment der Belletristik zuzuordnen und zeichnet das Bild einer Generation, die sich durch massiven Moral- und Werteverfall auszeichnet.
Inhalt
Ada, 14 Jahre, scharfsinnig, hochintelligent und eine der Protagonisten des Romans, kommt nach einem Schulverweis neu auf das Ernst-Bloch-Gymnasium in Bonn. Dieses und seine nähere Umgebung stellt fast durchgängig den Handlungsort des Romans dar.
Ada ist an ihrer neuen Schule eine Außenseiterin, was ihr jedoch nichts ausmacht. Sie hält ihre Mitschüler für kindisch, dumm und stereotyp und erstrebt daher auch nicht die Knüpfung sozialer Kontakte. In der Schule durchgehend exzellente Leistungen vorweisend, verneint sie die Existenz jeglicher grundlegenden Werte.
Ihr Alltag und ihre Apathie wird massiv erschüttert, als Alev, 18 Jahre, halb-Ägypter, Viertel-Franzose, aufgewachsen in Deutschland, Österreich, Irak, den Vereinigten Staaten und Bosnien-Herzegowina in ihre Klasse kommt. Er ist der zweite Protagonist des Romans. Zwischen Ada und Alev entwickelt sich eine Beziehung, die sich durch ein hohes Maß an Selbstreflexion, klarer Rollenverteilung und strategisch-spielerischem Handeln auszeichnet. Sie fußt auf der gemeinsamen Überzeugung der Nichtexistenz von Werten und der Scharfsinnigkeit, mit der beide ihre Umwelt sezieren und bloßstellen. Sie weist jedoch auch sexuelle Komponenten auf und es lässt sich eine Sehnsucht nach Bindung und festen, haltbietenden Elementen vermuten. Als ein solches erscheint beispielsweise der zynische und sarkatische Geschichtslehrer Höfi, mit denen sich beide, jenseits verbal-intellektueller Gedankenspiele, verbunden fühlen. Im Verlauf der Geschichte begeht dieser jedoch, unbeabsichtigt in Gegenwart von Ada und Alev, Suizid.
Alevs Idee, die Anwendbarkeit der Spieltheorie zu überprüfen, gibt Anstoß zu einem Spiel, das den polnische Sportlehrer Smutek ins Blickfeld des Rezipienten rückt. Dieser wird von Ada zu sexuellen Handlungen verführt, von Alev gefilmt und schließlich mit dem Bildmaterial erpresst. Hauptziel ist dabei keineswegs die Erpressung von Geld oder Vorteilen, wenngleich dies ebenfalls vorkommt, sondern vielmehr das Fortbestehen des Spieles zu sichern und die Berechenbarkeit des Einzelnen sowie kompletter sozialer Gefüge zu untersuchen. Mit Fortgang des Spieles entwickelt sich zwischen Ada und Smutek eine schwer zu klassifizierende positiv-emotionale Beziehung, die auch außerhalb des Spieles zunehmend Geltung beansprucht.
Das Spiel endet mit Smuteks gewaltsamer Auflehnung und leitet über zum juristischen Finale, das erstmals der Erzählerin des Romans, "der kalten Sophie", eine wesentliche Rolle einräumt. Im nachfolgenden Strafprozess gegen Smutek, Ada und Alev ist sie die Richterin und stellt wesentliche Überlegungen zu den Fragen von Gerechtigkeit, Schuld und Recht an, aber auch der eigenen und abstrakten Zuständigkeit, Möglichkeit und Rechtfertigung des Auftrages zu richten. Ergebnis ist ein Urteil, das scheinbar das Opfer bestraft, den Täter verschont und Recht und Gerechtigkeit auf den Kopf stellt.
Bezug zu philosophischen Grundfragen
Recht und Unrecht
Von zentraler Bedeutung in Juli Zehs Roman ist die rechtsphilosophische Frage nach der objektiven Existenz von Recht und Unrecht. Juli Zeh greift hier unter anderem die rechtsphilosophischen Gegenpole des Rechtspositivismus auf der einen und des Naturrechts auf der anderen Seite auf.
So sehen Ada und Alev Regeln jeglicher Art als rein willkürlich an, diese verkommen zu Spielregeln, die beliebig änderbar sind und keinerlei anderen Grund der Verbindlichkeit besitzen, als dass sie gerade Teil des Regelwerkes sind.
Ada und Alev sind somit in ihren Grundzügen her als nihilistisch zu betrachten; als selbsterklärte Urenkel der Nihilisten gehen sie aber noch darüber hinaus. Es ist das Nichtvorhandensein einer Vorstellung von Richtig oder Falsch, die Ada und Alev auszeichnen. Übrig bleibt der reine Pragmatismus: Wenn 'das Gute' für sie maximierte Effizienz bei minimierten Verlustrisiko wäre, das 'Schlechte' hingegen nichts als ein suboptimales Resultat?
Naturrechtliche Elemente gehören in Spieltrieb zu Reliquien der Vergangenheit und werden in Konfrontation mit dem Zeitgeist zur Farce. Beispielhaft zu nennen wäre der historische Namensgeber der Schule, Ernst Bloch, ein Vertreter des Naturrechts, aber auch die Absurdität, die entsteht, wenn der im Roman tagespolitisch aktuelle Amoklauf von Erfurt von Ada als ein Grund zur Freude interpretiert wird.
In letzter Konsequenz wird die Anwendbarkeit des Rechts an sich von der Figur der 'kalten Sophie' in Zweifel gezogen. Sie beschleicht die Ahnung, den Fall nie entscheiden zu können, und spricht davon, dass das Versagen des Rechts zur Kenntnis genommen werden müsse.
Spieltheorie
Die Spieltheorie ist eine tragende Säule der Romanhandlung. Am Beispiel des Gefangenendilemmas wird die Frage der Berechenbarkeit und somit auch Beeinflussbarkeit menschlichen Handelns thematisiert, und ist Grundlage von Adas und Alevs Spiel. Dies reißt auch die Frage auf, inwiefern das Leben als Spiel betrachtet werden kann, ob und wo ein solches endet, und welche Mittel im Spiel erlaubt sind.
Anlehnung an andere Romane und Autoren
Juli Zehs Roman lehnt sich teilweise erheblich an andere Autoren an. So weist er Nähe zu Musils 'Der Mann ohne Eigenschaften' auf. Eine Szene ist fast wortwörtlich von Musil übernommen, und nur in kleinsten Details abgeändert worden. Auch der Erzählstil gleicht dem Musils in auffallendem Maße.
'Der Mann ohne Eigenschaften' wird aber auch inhaltlich in den Roman eingebunden; er ist Lektüre im Deutsch-Leistungskurs vom polnischen Sport- und Deutschlehrer Smutek, gibt Anlass zur Leistungskursfahrt und ist Gegenstand von Reflexionen und Überlegungen der Protagonisten, sowie von Diskussionen im Unterricht.
Siehe auch
Weblinks
Quellen
- Spieltrieb, Frankfurt/Main (Schöffling) 2004, 470 S. ISBN 3895610569