Pflegeversicherung (Deutschland)

Versicherung zur Absicherung von Pflegekosten
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Die Pflegeversicherung wurde ab 1. Januar 1995 mit Einführung des SGB XI als "fünfte Säule" der Sozialversicherung in Deutschland eingeführt ("Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit, Pflegeversicherungsgesetz – PflegeVG"). Die Träger der Pflegeversicherung sind die Pflegekassen, deren Aufgaben von den Krankenkassen wahrgenommen werden. Alle gesetzlich krankenversicherten Personen wurden mit Inkrafttreten des SGB XI in die soziale Pflegeversicherung aufgenommen. Alle Vollversicherten einer privaten Krankenversicherung wurden Mitglieder der privaten Pflegeversicherung (PPV). Damit wurde erstmals ein Versicherungsschutz für nahezu die gesamte Bevölkerung eingeführt. Um der Pflegeversicherung ausreichende Geldmittel zu verschaffen, begann die Beitragspflicht am 1. Januar 1995, während die ersten Leistungen erst ab 1. April 1995 beansprucht werden konnten. Seit 1. April 1995 werden Leistungen für die häusliche Pflege übernommen, seit 1. Juli 1996 auch für die stationäre Pflege.

Die Pflegeversicherung ist eine Einrichtung des deutschen Sozialversicherungssystems. In anderen Staaten ist sie nicht vorhanden oder anders determinierten Verteilungsinstitutionen zugeordnet. In Österreich ist das Bundespflegegeldgesetz BPGG eine vergleichbare Einrichtung, die Schweiz hat kein solches System.

Entstehung der Pflegeversicherung

Die lang diskutierte Pflegeversicherung trat als 5. Zweig der Sozialversicherung am 1. Januar 1995 mit Beitragszahlungen von 1% vom Bruttoeinkommen in Kraft, um einen finanziellen Sockel zu bilden. Ab 1. April 1995 gewährte die Pflegeversicherung Leistungen für die häusliche Pflege, ab 1. Juli 1996 Leistungen für die stationäre Pflege. Die Beiträge stiegen dann auf 1,7% des Bruttoeinkommens. Zur Finanzierung der Arbeitgeberbeiträge wurde der Buß- und Bettag als Feiertag abgeschafft. (Ausnahme: Sachsen – da zahlen die Arbeitnehmer allerdings auch 1,35% statt 0,85%)

Notwendig wurde die Einführung der Pflegeversicherung, weil die Sozialhilfeausgaben einen „Sprengsatz“ in den Kommunalhaushalten darstellten. Bis dato finanzierte sich die Pflege aus Steuermitteln und dem Geltungsbereich des SGB V sowie aus Eigenmitteln. Traditionelle Lebensformen erodierten zunehmend, d.h. die familiäre Unterstützung bei Pflegebedürftigkeit sank aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen. Die/der Einzelne wurde anfälliger gegenüber materiellen Lebensrisiken, was die Notwendigkeit staatlicher Steuerungsbemühungen hervorrief. Für die Mehrzahl aller Pflegebedürftigen existierte kein Schutz gegen das Pflegerisiko oberhalb des Sozialhilfeniveaus.

Der nach außen transportierte Grund für die Einführung der Pflegeversicherung beschreibt den Wunsch, alte Menschen vor der von ihnen verschmähten Sozialhilfeabhängigkeit wegen Pflegebedürftigkeit zu bewahren. Tatsächlich zielen die Nutzen- und Verteilungseffekte der Pflegeversicherung auf die Mitte der Gesellschaft ab.

Sozialhilfe in Form von „Hilfe zur Pflege“ wird dennoch mit steigender Tendenz notwendig. Mit Einführung der Pflegeversicherung hat das Pflegefallrisiko Anerkennung als allgemeines Lebensrisiko gefunden. Allerdings handelt es sich dabei um ein Budgetierungssystem statt ein Bedarfsdeckungssystem.

Pflegestufen

Um Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen zu können, muss eine Pflegestufe festgestellt werden. Pflegebedürftige stellen dazu einen Antrag bei ihrer Krankenkasse. Von dort wird ein Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung beauftragt, der die Pflegebedürftigkeit anlässlich eines Hausbesuches unter angemessener Berücksichtigung eines ggf. geführten Pflegetagebuches feststellt und je nach festgestellten Pflegeaufwand die Pflegestufe empfiehlt. Sie richtet sich ausschließlich an den zeitlichen Anforderungen für die Pflege aus. Als pflegerische Leistungen gelten Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung. Andere wichtige Bedürfnisse wie die Unterstützung in sozialen Bereichen des Lebens, die Bewältigung von Krisen und Vereinsamung, der Umgang mit Sterben und Tod oder nahezu die gesamte Betreuung von Menschen, die an Demenz (Altersverwirrtheit) leiden, sind ausgeklammert. Leistungen der sog. Behandlungspflege fallen in den Finanzierungsbereich der Krankenkassen. Die letztendliche Entscheidung der Pflegeeinstufung trifft die Pflegekasse unter maßgeblicher Berücksichtigung des Pflegegutachtens. Je nach Pflegestufe bestehen für Pflegebedürftige unterschiedliche Leistungsansprüche.

Die Pflegestufen sind:

I - erhebliche Pflegebedürftigkeit, d.h. Hilfebedarf mindestens 90 min. pro Tag. Auf die Grundpflege müssen dabei mehr als 45 Min. tägl. entfallen.
II - schwere Pflegebedürftigkeit, d.h. Hilfebedarf mindestens 180 min pro Tag mit einem Grundpflegebedarf von mindestens 120 Min. täglich
III - schwerste Pflegebedürftigkeit, d.h. Hilfebedarf mindestens 300 min pro Tag. Der Anteil an der Grundpflege muss dabei mindestens 240 Min. täglich betragen.

Leistungen

Leistungen bei häuslicher Pflege

Zur Zeit entscheiden sich etwa zwei Drittel der mehr als zwei Millionen Pflegebedürftigen für die häusliche Pflege.

  • Sachleistungen

Pflegebedürftige können Sachleistungen (nur bei den sozialen Pflegeversicherungen, siehe unten "Bei Privat Versicherten") von ambulanten Pflegediensten bis zu einem Betrag von monatlich 384,00 € (Stufe I), 921,00 (Stufe II) bzw. 1432,00 € (Stufe III), in Härtefällen 1918,00 € in Anspruch nehmen. Die Pflegedienste rechnen direkt mit der Pflegekasse ab. Ein Härtefall liegt bei einem außergewöhnlich hohen Pflegeaufwand vor, z.B. im Endstadium einer Krebserkrankung.

  • Geldleistungen

Alternativ werden für die ambulante Pflege durch selbstbeschaffte Pflegepersonen auch Geldleistungen gewährt. Das Pflegegeld beträgt in Stufe I 205 €, in Stufe II 410 € und in Stufe III 665 €. Eine Härtefallregelung gibt es bei Geldleistungen nicht.

  • Kombination aus Sach-und Geldleistung

Eine weitere Möglichkeit ist die Kombinationsleistung, bei der Kosten für Pflegedienstleistungen abgerechnet werden und der nicht verbrauchte Anteil an der Höchstleistung als Geldleistung geltend gemacht wird. Wird z.B. 80 % des Höchstbetrages der Sachleistung verbraucht, stehen daneben noch 20 % des Höchstbetrages der Geldleistung zur Verfügung.

  • Verhinderungspflege/Kurzzeitpflege

Dabei werden im Bedarfsfall auch die Kosten für eine Ersatzpflegekraft (Verhinderungspflege durch eine Vertragspflegeeinrichtung bzw. Kurzzeitpflege stationär in einem Pflegeheim) bis zu 4 Wochen jährlich bis zu einem Betrag von 1.432,- €. Leistungsgründe können z.B. Urlaub der Pflegeperson oder eine kurzfristige Verschlechterung der Pflegebedürftigkeit sein.

  • Pflegehilfsmittel und Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung

Für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel werden bis 31,- € monatlich übernommen. Technische Hilfsmittel können leihweise zur Verfügung gestellt oder zu 100% erstattet werden. Für die Verbesserung des Wohnumfeldes (z.B. Hebegeräte, Einbau eines behindertengerechten Bades) können bis zu 2.557,- € je Maßnahme bewilligt werden.

  • Soziale Absicherung der Pflegeperson

Für ehrenamtliche Pflegepersonen werden für die Pflegeperson Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur gesetzlichen Unfallversicherung übernommen.

Leistungen bei stationärer Pflege

Für die Unterbringung in einem Pflegeheim zahlt die Pflegekasse bei Stufe I 1023,00 €, bei Stufe II 1279,00 € und bei Stufe III 1432,00 € an das Heim. Härtefälle können bis zu 1687,00 € erhalten.

Sonstige Leistungen

  • Tagespflege und Nachtpflege
  • Pflege in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe
  • Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen
  • Zusätzlich Betreuungsleistungen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf (siehe: Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz)

Beitragssätze

Bei gesetzlich Versicherten

Für die gesetzlich Versicherten beträgt der Beitragssatz derzeit 1,7 Prozent des Bruttoarbeitsentgelts (siehe Sozialgesetzbuch XI § 55). Familienangehörige sind beitragsfrei mitversichert, wenn ein Anspruch auf Familienversicherung besteht.

Mit der Einführung der Pflegeversicherung wurde erstmals das Prinzip der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherungen nicht mehr angewendet: in allen Bundesländern außer Sachsen gibt es zwar eine nominelle Halbteilung der Beitragszahlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern; durch die gleichzeitige Streichung des gesetzlichen Feiertags "Buß- und Bettag" wurde aber bewirkt, dass die finanzielle Belastung der Arbeitgeber durch eine entsprechende Erhöhung der Mehrwertproduktion durch die Arbeitnehmer kompensiert wird; die Pflegeversicherung wird faktisch also ausschließlich arbeitnehmerseitig finanziert. In Sachsen ist der Feiertag erhalten geblieben, dafür werden die Pflegeversicherungsbeiträge aber von den Arbeitnehmern alleine getragen. Die gesetzliche Pflegeversicherung unterscheidet sich von den anderen Zweigen der Sozialversicherung also im Wesentlichen dadurch, daß es sich um eine einseitig arbeitnehmerfinanzierte Pflichtversicherung handelt, während die Kranken-, die Renten- und die Arbeitslosenversicherung paritätisch finanziert werden. Der Abschied von der paritätischen Finanzierung bei der Einführung der Pflegeversicherung wird im Allgemeinen von Sozialversicherungsexperten als Wendepunkt angesehen, der den mit dem Ende der Blockkonfrontation einhergehenden Abschied von der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für die Lebensrisiken der Arbeitnehmer markiert.

Personengruppe Beitragssatz
Versicherte Arbeitgeber/Träger
Arbeitnehmer u.ä. im Freistaat Sachsen 1.35 % 0.35 %
Arbeitnehmer u.ä. (restliches Bundesgebiet) 0.85 % 0.85 %
Familienversicherte 0.00 % 0.00 %
Pflegeversicherung der Rentner 1.70 % 0.00 %
Pflegeversicherung der Studenten 1.70 % 0.00 %
Freiwillig Versicherte (Selbständig Tätige, Rentner u.a.) 1.70 % 0.00 %
Seit dem 1. Januar 2005: Zusatzbeitrag für kinderlose Jahrgänge ab Vollendung des 23. Lebensjahres, aber nicht vor dem 1. Januar 1940 Geborene. 0.25 % 0.00 %

Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, den Beitragssatz bis 2015 stabil zu halten. Wegen der demografischen Veränderungen einerseits und der vor allem durch Massenarbeitslosigkeit bedingten Einnahmeausfälle andererseits ist aber schon die Finanzierung der jetzigen Leistungen langfristig nicht gesichert. 2003 trat ein Defizit von rund 700 Millionen Euro auf, so dass die Rücklagen bis spätestens 2006/2007 aufgezehrt sein werden. Darüber hinaus erfordern die Verlagerung hin zu mehr professioneller Pflege im ambulanten Bereich und zu mehr stationärer Pflege, sowie die absehbar notwendige Ausweitung der Leistungen (z.B. für Demenzkranke) weitere finanzielle Mittel. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass die Leistungen der Pflegeversicherung seit deren Einführung noch nicht dynamisiert wurden.

Bei Privat Versicherten

Für die Mitglieder der privaten Pflegepflichtversicherung gelten altersabhängige Beiträge. Die Beitragsregelungen für Familienangehörige, für privatversicherte Rentner, für Selbständige, etc. sind komplex (siehe Weblinks). Die privaten Pflegeversicherungen arbeiten auf der Basis des Anwartschaftsdeckungsverfahrens, d.h. es müssen Altersrückstellungen gebildet werden. Die Leistungen sind denen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertig. An die Stelle der Sachleistungen tritt jedoch die Kostenerstattung.

Zusatzbeitrag für Kinderlose

An und für sich betrachtet, hat die gesetzliche Pflegeversicherung eher den Charakter einer Steuer als einer Versicherung. Und zwar um so mehr, je mehr Kinder die Beitragspflichtigen haben. Denn die Pflegeversicherung teilt massiv von Kinderhabenden zu Kinderlosen um. Denn die Pflegeversicherung zwingt die Gruppe der heutigen Kinder in der Zukunft, nicht nur für die Pflege der Gruppe ihrer eigenen Eltern, sondern zusätzlich auch für die immer größer werdende Gruppe der Kinderlosen aufzukommen. Eltern ziehen zwar die nächste Generation an Pflegeversicherungszahlern auf, erhalten aber bei Alterspflegebedürftigkeit nur die gleichen Pflegeleistungen wie die ehemals Kinderlosen. Und dies obwohl die Pflegeversicherung, um dauerhaft zu funktionieren, auf künftige Beitragszahler, also die heutigen Kinder, angewiesen ist.

Zur Entlastung von Eltern bei der Einzahlung in die Pflegeversicherung zur Honorierung ihrer mit der Erziehung der Kinder aufgenommenen gesellschaftlichen Verantwortung wurde ein Kinderbonus eingeführt, der allerdings aus Sicht von Familienverbänden völlig unzureichend ist.

Danach müssen kinderlose Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung seit 1. Januar 2005 einen um 0,25 % höheren Beitragssatz zahlen als bisher, wenn sie über 23 Jahre alt, aber nicht vor dem 1. Januar 1940 geboren sind. Damit zahlen sie statt der bisherigen 0,85 % künftig einen Beitrag in Höhe von 1,1 % ihres Bruttoeinkommens. Der Arbeitgeberanteil in Höhe von 0,85 % bleibt unverändert.

Pflegeversicherte, die Kinder erziehen oder erzogen haben, sind von der Zahlung des Zusatzbeitrags befreit, wenn sie dem Arbeitgeber einen Nachweis über die Elterneigenschaft vorlegen. Bezieher von Sozialleistungen (z.B. Arbeitslose, Rentner) müssen den Elternstatus dem zuständigen Sozialleistungsträger gegenüber belegen.

Eine relative Entlastung der Familien, wie vom Bundesverfassungsgericht angeordnet, wurde durch die Einführung des Zusatzbeitrags nur mittelbar, nämlich durch die Mehrbelastung Kinderloser erreicht. Zudem sind auch nachweislich (z.B. erfolglose künstliche Befruchtung) ungewollt Kinderlose betroffen; eine gesellschaftliche Diskussion der ungewollten Kinderlosigkeit als Behinderung, die vom Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes in Artikel 3 Absatz 3 erfasst würde, hat bisher nicht stattgefunden.

Siehe auch