Ronald Grossarth-Maticek (* 1940 in Budapest) ist ein deutscher Medizinsoziologe und Buchautor.
Leben
Grossarth-Maticek studierte Soziologie, Psychopathologie, Kriminologie und Medizin an der Universität Heidelberg und der Universität Belgrad. Er promovierte in den Fächern Soziologie und Medizin.
Er leitete von 1973 bis 1995 die sogenannte Heidelberger Prospektive Studie, in der rund 30.000 Menschen aus 18.000 Heidelberger Haushalten über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren in regelmäßigen Abständen hinsichtlich einer Vielzahl von gesundheitsbeeinflussenden Variablen untersucht wurden. [1] Er erfasste dabei auf umfangreichen Fragebögen Dutzende physischer Faktoren (etwa Rauchen, Bewegung, Organvorschädigungen, genetische Disposition und Ernährung) sowie psychische Faktoren (Distress, Selbstregulation). Hierzu schuf er eine eigene Verhaltenstypologie, in die er die Befragten anhand des Grades ihrer Selbstregulation einordnete.
Er arbeitete eng mit Hans Jürgen Eysenck zusammen. Von 1990 bis 2006 war Grossarth-Maticek Direktor des Instituts für präventive Medizin, Politische, Wirtschafts- und Gesundheitspsychologie in Heidelberg. Seit 2007 ist er außerdem Direktor des zwischenstaatlichen Programmes des Belgrader European Center for Peace and Development (ECPD) für multidisziplinäre Studien.
Werk
Grossarth-Maticeks Forschungsergebnissen zufolge wird das Krankheitsrisiko durch eine schlechte Selbstregulation vervielfacht, wohingegen physische Risikofaktoren lediglich in der Summe wirken. Bei Menschen mit ungünstiger Selbstregulation, die Verhaltensalternativen nicht erkennen, nicht wirklich in Betracht ziehen oder nicht umsetzen, spricht Grossarth-Maticek von einem „eigentümlichen Zwang, ohne Not genau so und nicht anders zu handeln“.[2] Ein solches Verhalten entstehe durch eine Verfestigung von Verhaltensmustern in den ersten Lebensjahren.[2] Wurde der „freie Fluss der Liebe“ durch frühkindliche Zurückweisungen, Traumata, Enttäuschungen oder andere Erlebnisse gestört, könne es im Erwachsenenalter zu Störungen der inneren und äußeren Kommunikation kommen.[3]
Grossarthsche Verhaltenstypologie
Grossarth unterscheidet sechs Typologien von Verhaltensmustern laut der sogenannten Grossarthsche Verhaltenstypologie:[4]
Typ I: zentrale und ausdauernde Ausrichtung auf ein ersehntes, aber sich entziehendes Objekt; Hemmung bei der Verwirklichung der ersehnten Nähe, somit Hemmung der Befriedigung dieses wichtigsten Bedürfnisses.
Typ II: zentrale und ausdauernde Ausrichtung auf ein störendes, hinderndes Objekt, ohne Erreichung der ersehnten Distanzierung, mit immer wieder aufkommender Übererregung und einem Gefühl hilflosen Ausgeliefertseins.
Typ III: hohe Ambivalenz und starke Egozentrik. Instabil, mit zwischenzeitlichen Phasen autonomer Selbstregulation, jedoch auch hyperaktiver übermäßiger Distanzierung bei Verletzungen und intensiver Suche nach Nähe bei emotionalen Bedürfnissen.
Typ IV: Ausrichtung auf gegenwärtige Objekte, die bei sich selbst Wohlbefinden, Lust oder Sicherheit auslösen oder die einem selbst Sinnerfüllung gewähren. Situations- und bedürfnisangepasste flexible Selbstregulation.
Typ V: rationales und antiemotionales Verhalten. Bei Überwältigtsein durch Emotionen entstehen Krisen, etwa depressive Zustände.
Typ VI: irrationales, durch Gefühle beherrschtes Verhalten, ohne rationale Überprüfung des eigenen Verhaltens.
Auf Basis dieser Typologie führte Grossarth-Maticek Überlegungen und Untersuchungen zur möglichen Vorgeschichte und zur Häufigkeit von chronischen Krankheiten und Gesundheit durch. Er hebt Ähnlichkeiten zwischen den Typen I und II hervor, und sieht Typ III als eine Mischform von I und II.
Autonomietraining
Grossarth-Maticek und seine Mitarbeiter, darunter der Psychiater und Psychoanalytiker Helm Stierlin, entwickelten ein Autonomietraining, das darauf zielt, die Selbstregulation anzuregen. Bei diesem Autonomietraining soll im Gespräch die Fähigkeit gestärkt werden, durch eigenaktive Problemlösung Wohlbefinden, Lustgewinn, Sicherheit und Sinnerfüllung zu erreichen. Der Trainee wird ermuntert, sich selbst wahrzunehmen und zu erkennen, welche Eigenktivität sein Wohlbefinden steigert.[5] 2001 ließ er es unter dem Begriff Autonomietraining Gesundheit und Problemlösung durch Anregung der Selbstregulation markenrechtlich schützen.[6]
Rezeption und Auszeichnungen
Der Psychologe Reinhold Schwarz und andere Kritiker werfen Grossarth-Maticek vor, er verfechte die sogenannte "Krebspersönlichkeit" (Einführung Psychosoziale Onkologie, UTB, München 2008, S. 37). Grossarth-Maticek selbst spricht nicht von „Krebspersönlichkeiten“, beschrieb aber sehr wohl spezifische Verhaltensmuster (zum Beispiel Leid in der Isolation von ersehnten, als zentral wichtig empfundenen aber unerreichbaren Objekten), die bestimmte Risiken verstärkten, etwa das Lungenkrebsrisiko bei Rauchern. Hier spricht Grossarth-Maticek von Synergieeffekten. Als Vertreter einer multidisziplinären Präventivmedizin geht Grossarth-Maticek nicht von „Krebspersönlichkeiten“ aus, sondern von psychophysischen Wechselwirkungen, die zur Erkrankung führen. (vgl. Synergetische Präventivmedizin, Springer, Heidelberg 2008, Seite 210). Die „Krebspersönlichkeit“ wird sogar empirisch widerlegt, da bei Berücksichtigung physischer Krankheitsfaktoren wie Zigarettenrauchen, Alkohol, Ernährung das Verhaltensmuster als Einflussfaktor seine statistische Signifikanz verliert.
Auch Stierlin betrachtet das Konzept der Krebspersönlichkeit kritisch. Er erkennt die von Grossarth-Maticek gemachte Unterscheidung zwischen Typ I und Typ IV an und bezeichnet sie, um ihre Veränderbarkeit hervorzuheben, als Mentalitäten.[7]
Aufbauend auf Grossarth-Maticeks Autonomietraining und den Konzepten der Salutogenese entwickelte der Arzt Theodor Dierk Petzold einen Ansatz der salutogenen Kommunikation.
Vom ECPD wurde Grossarth-Maticek der Titel eines Professors verliehen, den er in Deutschland mit dem Zusatz Postgraduate Studies, ECPD führen darf.
Werke (Auswahl)
Grossarth-Maticek veröffentlichte seine Untersuchungsergebnisse in mehreren Büchern und Fachartikeln, zuletzt im Mai 2008 im Heidelberger Springer-Verlag. Im Vorwort zu diesem Buch äußert sich Professor Werner Wittmann, Methodiker von der Universität Mannheim, zu Grossarth-Maticeks Methode mit den Worten, diese könne „die weltweite Psychologie und Epidemiologie zur Weiterentwicklung anregen“.[8]
- Grossarth-Maticek, R.: Synergetische Präventivmedizin. Forschungsstrategien für Gesundheit, Heidelberg 2008, ISBN 978-3540770770.
- Grossarth-Maticek, R.: Selbstregulation, Autonomie und Gesundheit: Krankheitsrisiken und soziale Gesundheitsressourcen im sozio-psycho-biologischen System. Vorworte von Helm Stierlin und Peter Schmidt; Berlin 2002, ISBN 978-3110174953
- Grossarth-Maticek, R.: Autonomietraining: Gesundheit und Problemlösung durch Anregung der Selbstregulation; Berlin 2000, ISBN 978-3110168815
- Grossarth-Maticek, R.: Systemische Epidemiologie und präventive Verhaltensmedizin chronischer Erkrankungen Strategien zur Aufrechterhaltungen der Gesundheit; Berlin 1999, ISBN 978-3110165180
- Grossarth-Maticek, R. / Stierlin, H.: Krebsrisiken – Überlebenschancen: Wie Körper, Seele und soziale Umwelt zusammenwirken; Heidelberg 1998, ISBN 978-3896705341
- Grossarth-Maticek, R. and Eysenck, H. J.: Prophylactic effects of psychoanalysis on cancer-prone and coronary heart disease-prone probands, as compared with control groups and behaviour therapy groups. Journal of Behaviour Therapy and Experimental Psychiatry, 21, 91–99, 1990
- Grossarth-Maticek, R.: Krankheit als Biografie. Ein medizinsoziologisches Modell der Krebsentstehung und -therapie, Kiepenheuer & Witsch, 1979, ISBN 978-3462013481
- Grossarth-Maticek, R.: Revolution der Gestörten? Quelle + Meyer, November 1982, ISBN 978-3494008158
- Grossarth-Maticek, R.: Anfänge anarchistischer Gewaltbereitschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Hohwacht, 1975, ISBN 978-3873530416
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Grossarth-Maticek, R. (1998), S. 110 f.
- ↑ a b Wo das Dogma beginnt, ist das Leben am Ende. In: Interview mit Grossarth-Maticek. brand eins 04/2002, abgerufen am 12. März 2011.
- ↑ Grossarth-Maticek zitiert durch Theodor Dierk Petzold: Erfahrungen mit dem Autonomietraining. (PDF; 49 kB) 9. April 2005, abgerufen am 12. März 2011. , S. 1
- ↑ R. Grossarth-Maticek: Selbstregulation, Autonomie und Gesundheit. Krankheitsrisiken und soziale Gesundheitsressourcen im sozio-psycho-biologischen System, 2002, ISBN 978-3110174953 Kapitel 4. Grossarthsche Verhaltenstypologie, S. 118–120
- ↑ Theodor D. Petzold: Erfahrungen mit dem Autonomietraining nach Grossarth-Maticek – als Allgemeinarzt mit psychosomatischem Schwerpunkt und als Ausbilder im Autonomietraining. Abgerufen am 20. März 2011.
- ↑ Der Titelschutz-Anzeiger, Nr. 516, Woche 18/2001. (PDF; 84 kB) 2001, abgerufen am 14. Juli 2012.
- ↑ Helm Stierlin (Psychologie Heute, Mai 1998), zitiert nach: Psychologie heute: Kann man Krebs doch wirksam vorbeugen - und heilen? Abgerufen am 19. März 2011.
- ↑ (Springer)
Personendaten | |
---|---|
NAME | Grossarth-Maticek, Ronald |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Mediziner und Buchautor |
GEBURTSDATUM | 1940 |
GEBURTSORT | Budapest |