Biblische Exegese

Auslegung von Texten des Alten und Neuen Testaments in der christlichen Theologie und für die Glaubenspraxis
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Die Biblische Exegese, die Auslegung der Bibel, klärt die Bedeutung eines biblischen Texts. Die biblische Exegese hat in ihrer reflektierten, wissenschaftlichen Form wechselseitig die Bemühungen von Philologie, Rechtswissenschaft und einer sich entwickelnden Literaturwissenschaft unterstützt und verwertet. Insofern ist sie am Entstehen einer allgemeinen methodischen Exegese beteiligt gewesen.

Schon innerhalb der ersten Generationen des Christentums finden sich Beispiele dafür, dass neutestamentliche Texte nicht klar zu verstehen waren. So bescheinigt der 2. Petrusbrief den Briefen des Paulus und anderen Schriften, dass in ihnen "einige Dinge schwer zu verstehen sind" (2. Petr 3,16).

Hermeneutik und Exegese

Oft wird biblische Exegese mit Biblischer Hermeneutik verwechselt oder gleichgesetzt, aber die beiden sind nicht identisch. Exegese ist die praktische Auslegung eines biblischen Texts, Hermeneutik klärt die Ziele und Beweggründe für diese Auslegung.

Stationen in der Geschichte der Biblischen Exegese

Entsprechend der klassischen philologischen Schule in Alexandria stellte Origenes(ca. 185 - 254) für die Bibel die Theorie vom "mehrfachen Schriftsinn" auf. Demzufolge reichte nicht die rein literarisch-philologische Analyse des Textes. Dem einfachen Gläubigen genügte dieser geschichtliche Sinn, jedoch sollte die Exegese für Geübtere auch den seelischen Sinn erheben und für Vollkommene der geistig-geistliche Sinn festgestellt werden.

Dieser Dreischritt somatische - psychische - pneumatische Exegese wurde dann durch Johannes Cassianus im 5. Jahrhundert zur Theorie vom vierfachen Schriftsinn ausgebaut, die für das gesamte Mittelalter prägend war. Zur historisch-literalen Exegese tritt nun ein Dreischritt, der sich am Schema Glaube-Liebe-Hoffnung orientiert.

  • Literalsinn (wörtliche, geschichtliche Auslegung)
  • Allegorischer Sinn (Interpretation "im Glauben") = dogmatisch
  • Tropologischer Sinn (Interpretation "in Liebe") = moralisch
  • Anagogischer Sinn (Interpretation "in Hoffnung")= endzeitlich

Damit stand die Frage einer mehrdeutigen Schrift im Raum. Da aber nach eindeutigen Auslegungen gefragt wurde, setzten hier Reformbemühungen ein.

Die Reformatoren lehnen im Einklang mit dem in der Renaissance neu entdeckten historischen Bewusstsein den vierfachen Schriftsinn ab. Sie wollen historisch (und auch theologisch) "zu den Quellen" (ad fontes). Sie fragen allein nach dem Wort- oder Literalsinn. (sola scriptura) Damit stellte sich dann aber die Frage, ob das ausreicht. Die reformatorische Hermeneutik beantwortete das mit der theologischen These vom "Wort Gottes", das alleinige Autorität hat und für sich spricht. Damit spitzte sich die Frage nach dem Verstehen zu und die neuzeitliche Hermeneutik entwickelte sich - zunächst als typisch protestantische Ergänzung der Exegese.

Eine entsprechende Verdeutlichung der katholischen Position erfolgte auf dem Trienter Konzil (2. Hälfte 16. Jhd.), als die mehrdeutige Schrift unter die Autorität von kirchlichem Lehramt gestellt wurde: Ohne das (bischöfliche bzw. päpstliche) Lehramt bleibt die Bibel zweideutig. Durch die enge Anlehnung der Bibel an die kirchliche Tradition bildete sich zunächst explizit keine Hermeneutik heraus.

Die Exegese seit der Aufklärung reagierte insbesonders auf die altprotestantische (lutherische) Orthodoxie des 16. und 17. Jahrhunderts, die den Literalsinn mit "Gottes Wort" gleichsetzte und somit den Bibeltext erneut mit einem bis ins Äußerste verfeinerten Regelwerk umgab. Die sich als wissenschaftlich verstehende Exegese der Aufklärung propagierte dagegen die Trennung von Literalsinn der Bibel und "Wort Gottes" in der Bibel. Damit wurde der Bibeltext mit nun sich schnell entwickelnden philologischen und historischen Methoden untersuchbar, wogegen die Dogmatik (insbesonders die Schriftlehre) und die Biblische Hermeneutik sich um das Verstehen der analysierten Texte kümmern sollte. Wenn auch eine absolut objektive Exegese nicht möglich ist, so sind doch ihre Ergebnisse heutzutage zwischen katholischen und evangelischen Theologen im akademischen Bereich weithin ähnlich. Die Verwertung der Ergebnisse einer exegetischen Standardanalyse jedoch kann sehr unterschiedlich sein.

Exegetische Methoden

In der heutigen Zeit gibt es verschiedene exegetische Methoden, die sich bezüglich ihrer Voraussetzungen und Methoden mehr oder weniger stark unterscheiden. Sie sind unten kurz beschrieben, näheres findet sich in den einzelnen Artikeln:

Historisch-kritische Exegese

Die heute gebräuchlichste exegetische Methode, die von vielen Theologen als Standard für alle Deutung gesehen wird, ist die historisch-kritische Exegese. Diese Methode versucht, die historischen "Fakten", soweit diese erschließbar sind, zu klären: Entstehungsgeschichte, Formengeschichte, zeitgenössische politische Situation, Archäologie usw. gehören hier dazu. Diese Methode hilft z.B., die Person Jesu besser zu verstehen, hilft zu unterscheiden, was Jesus wahrscheinlich selbst gesagt hat, von dem, was andere ihm in den Mund gelegt haben. Sie versteht die Schriften aus ihrem zeitgeschichtlichen Kontext heraus: Dann wird einem z.B. bewusst, dass Jesus Jude war, dass die Alttestamentarische Regel "Aug um Aug, Zahn um Zahn" zum damaligen Zeitpunkt ein echter menschenrechtlicher Fortschritt war, dass im Unterschied zu altrömischen Wundererzählungen Jesus Kranke immer fragt, ehe er sie heilt (außer es handelt sich um Dämonen). Antike Könige vollziehen ihre Wunderkräfte hingegen ungefragt. Der Nachteil dieser Methode: Sie verliert oft den Bezug zum konkreten heutigen Glaubensleben und zersplittert sich in Details. siehe auch: historisch-kritische Exegese


Feministische Exegese

Gemeinsam ist den einzelnen Richtungen der feministischen Bibelauslegung das Interesse, die Rolle und das Leben von Frauen in der Bibel zu erforschen und stärker im allgemeinen Bewusstsein zu verankern. Zudem hinterfragt sie kritisch das Männer- und Frauenbild der Bibel, deren Texte wohl alle von Männern verfasst worden sind. Schließlich will sie biblische Inhalte für Frauen in der heutigen Zeit nachvollziehbar machen.

Bedeutende feministische Exegetinnen sind Carter Heyward, Dorothee Sölle, Luise Schottroff, Ruth Ahl, Carola Moosbach, Maria Jepsen, Marie-Theres Wacker, Helga Kohler-Spiegel, Ulrike Bail.

Tiefenpsychologische Exegese

Der bedeutendste tiefenpsychologische Exeget ist Eugen Drewermann.

Befreiungstheologische Exegese

Bedeutende befreiungstheologische Exeget/inn/en sind Gustavo Gutiérrez, Ernesto Cardenal, Paulo Suess, Dom Hélder Câmara, Oscar Arnulfo Romero, Hugo Assmann, Jon Sobrino, Ignácio Ellacuria, Leonardo Boff, Antônio Moser, Dorothee Sölle, Johann Baptist Metz, Horst Goldstein, Alberto Libanio, Dom Erwin Kräutler

Grammatikalisch-historische Exegese

Die grammatisch-historische Exegese zielt darauf hin, den Text entsprechend der ursprünglichen Absicht des Autors zu verstehen, so weit dies möglich ist. Sie stützt sich dabei auf exakte Analyse von Grammatik und Wortbedeutung ebenso wie auf Elemente der historisch-kritischen Methode wie Formgeschichte, Redaktionsgeschichte, oder Midraschgeschichte.

Sie geht jedoch von grundsätzlich anderen Voraussetzungen aus als die Textgeschichte: die Bibel wird als Heilige Schrift gesehen, die von Gott inspiriert ist. Die als historisch berichteten Ereignisse werden im Wesentlichen als historische Ereignisse gesehen, auch Wunder werden nicht a priori ausgeschlossen.

Die grammatikalisch-historische Exegese wird von vielen evangelikalen Theologen angewandt.

Dogmatische Exegese

Die dogmatische Exegese versucht, aus den Schriften Grundparameter des Glaubens herauszuarbeiten, die für alle Menschen von Bedeutung sind, arbeitet also systematisch-philosophisch.

Die dogmatische Exegese spielt in der katholischen Kirche eine wesentliche Rolle.

Existentialistische Exegese

Die existenzialistische oder neoorthodoxe Exegese gehört zu den sachorientierten Auslegungsarten: Hier wird versucht, menschliche Grundverfasstheiten aus den Texten zu schälen.


Fundamentalistische Exegese

Die fundamentalistische Exegese geht von der Verbalinspiration und Irrtumsfreiheit der Bibel aus. Sie versteht die Bibel (abgesehen von eindeutig poetischen Texten) als historischen Bericht, der wortgetreu interpretiert werden muss.

Exegese in der Kirchengeschichte

Auch frühen Kirchengeschichte, in der Auseinandersetzung mit der Gnosis und in den christologischen Diskussionen der ersten Jahrhunderte spielt die Fragen nach der richtigen Auslegung der Bibel eine wesentliche Rolle und es entwickelten sich verschiedene exegetische Schulen.

Literatur

  • Ulrich Luz (Hrsg.), Zankapfel Bibel: Eine Bibel- viele Zugänge, 1993, Theol. Verlag, Zürich, ISBN 3-290-10874-0
Sechs Autoren verschiedener theologischer Herkunft (historisch-kritisch, bibeltreu, evangelikal, feministisch, materialistisch, tiefenpsychologisch)beschreiben ihre grundlegenden Annahmen und Positionen und interpretieren den gleichen Bibeltext.