Duldung (Aufenthaltsrecht)

vorübergehende Aussetzung der Abschiebung im deutschen Aufenthaltsrecht
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 9. Dezember 2015 um 23:07 Uhr durch JB-Firefox (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Duldung ist nach der Definition des deutschen Aufenthaltsrechts eine „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“ von ausreisepflichtigen Ausländern. Sie stellt keinen Aufenthaltstitel dar und begründet daher auch keinen rechtmäßigen Aufenthalt. § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) regelt, wessen Abschiebung ausgesetzt wird und aufgrund dessen eine Duldung (§ 60a Abs. 4 AufenthG) erhält; dies sind insbesondere Fälle, in denen eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen (zunächst) nicht durchgeführt werden kann. Die Duldung dient ausschließlich dazu, dem Ausländer zu bescheinigen, dass er ausländerbehördlich registriert ist und von einer Durchsetzung der bestehenden Ausreisepflicht für den genannten Zeitraum abgesehen wird. Der Aufenthalt eines Ausländers wird mit der Duldung zwar nicht rechtmäßig, jedoch entfällt mit der Duldung eine Strafbarkeit wegen illegalen Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Mit einer Duldung können Auflagen und Nebenbestimmungen verbunden werden. Die Duldung erlischt mit der Ausreise des Ausländers und berechtigt nicht zur Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland.

Muster des Trägervordrucks einer Duldung (Vor- und Rückseite)
Klebeetikett für Trägervordruck
Echte Duldung mit aufgetragenem Klebeetikett. Personenbezogene Daten sind geschwärzt.

Erwerbstätigkeit

Grundsätzlich dürfen geduldete Personen nicht arbeiten, jedoch kann für die Dauer der Duldung die Aufnahme einer Beschäftigung gestattet werden. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Ermessensentscheidung. Für die ersten drei Monate des Aufenthalts besteht ein Arbeitsverbot. Nach § 32 Beschäftigungsverordnung (BeschV) kann die Ausländerbehörde − nach Zustimmung der Agentur für Arbeit und einem mindestens dreimonatigen, erlaubtem Aufenthalt im Bundesgebiet − eine entsprechende Genehmigung erteilen. Bis zum fünfzehnten Monat des Aufenthalts findet hierfür eine Arbeitsmarktprüfung statt (Vorrang arbeitssuchender Inländer bzw. EU-Ausländer). Berufsausbildung, FSJ, FÖJ und Bundesfreiwilligendienst werden von der Ausländerbehörde ohne Arbeitsmarktprüfung genehmigt (§ 32 BeschVerfV). Nach einer Aufenthaltsdauer von 15 Monaten entfällt die Arbeitsmarktprüfung. Eine Beschäftigungserlaubnis darf gemäß § 33 BeschV jedoch nicht erteilt werden, wenn bei dem Ausländer aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen (Abschiebung) nicht vollzogen werden können oder er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen.

Die Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber und Geduldete sind 2014 im Rahmen einer Verabredung zwischen Bund und Ländern zu „sicheren Herkunftsstaaten“ gelockert worden: so wurde im November 2014 das Arbeitsverbot für Geduldete von zwölf auf drei Monate[1] und der Zeitraum der Vorrangprüfung von vier Jahren auf fünfzehn Monate verkürzt.[2] Bis zum 30. Juni 2013 war die Erwerbstätigkeit Geduldeter noch nicht in der Beschäftigungsverordnung (BeschV) sondern in der damaligen Beschäftigungsverfahrensverordnung (BeschVerfV)[3] geregelt.

Räumliche Beschränkung

Inhaber einer Duldung dürfen sich nach dem als Residenzpflicht bekannten § 61 AufenthG nur in ihrem Bundesland aufhalten. Der Aufenthalt und die Wohnsitznahme können in Einzelfällen weiter, zum Beispiel auf einen Landkreis, beschränkt werden. Die Ausländerbehörde kann das Gebiet auch erweitern, wenn geduldete Personen eine unbeschränkte Arbeitsberechtigung besitzen, Ausbildungszwecke dies erfordern oder die Erweiterung der Aufrechterhaltung der Familieneinheit dient. Für ein kurzfristiges Verlassen des Bundeslandes benötigt der Inhaber einer Duldung eine Verlassenserlaubnis; diese ist entbehrlich, wenn er Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen sein persönliches Erscheinen erforderlich ist, wahrnehmen will (§ 12 Abs. 5 Satz 3 AufenthG).

Sozialleistungen (Unterhaltsleistungen)

Ein geduldeter Ausländer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (ALG) oder Sozialhilfe. Ein Ausländer mit einer Duldung nach § 60a AufenthG gehört im Regelfall zum Personenkreis der Leistungsberechtigten des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG). Davon gibt es nur eine Ausnahme, die in der Praxis nur sehr selten ist: Duldungsinhaber, die in der Vergangenheit einmal vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Asylberechtigte anerkannt wurden, sind gemäß § 1 Abs. 2 und 3 AsylbLG nicht nach dem AsylbLG leistungsberechtigt. In der Praxis trifft dies zum Beispiel auf Ausländer zu, die ihren Aufenthaltstitel auf Grund von Ausweisungsverfügungen verloren haben.

Nach § 3 AsylbLG wird der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft (Gemeinschaftsunterkunft), Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts vorwiegend durch Sachleistungen gedeckt. Kann etwas nicht geleistet werden, kann es in Form von Wertgutscheinen oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen gewährt werden. Besonders bei langfristig geduldeten Personen kommt es auch regelmäßig zu Barauszahlungen bzw. Überweisungen. Medizinische Behandlungen werden nur in sehr eingeschränkter Form gewährt (vgl. § 4 AsylbLG).

Außerdem erhält jeder ausreisepflichtige Ausländer, der Leistungen nach § 3 AsylbLG bezieht, ab Beginn des 15. Lebensjahres (14 Jahre), monatlich 40,90 Euro (für unter 14-Jährige sind es 20,45 Euro). Viele geduldete bzw. vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer erhalten jedoch keine Bargeldleistungen und damit auch nicht den im § 3 AsylbLG enthaltenen Bargeldanteil von 40,90 € bzw. 20,45 €. Dies ist dann der Fall, wenn die Leistungen nach dem AsylbLG gemäß § 1a AsylbLG auf das im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene eingeschränkt werden. Typische Beispiele für Geduldete, die einer solchen Leistungseinschränkung unterliegen, sind Ausländer, die die deutschen Behörden am Vollzug einer Abschiebung hindern (z.B. durch fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung, Täuschung über die Identität etc.).

Nach 48 Monaten können unter gewissen Voraussetzungen höhere Analogleistungen nach § 2 AsylbLG in Anspruch genommen werden. Damit erhalten geduldete Ausländer Leistungen analog zum Sozialgesetzbuch (SGB XII) und bekommen somit die Leistung eines regulären Sozialhilfeempfängers inkl. den Leistungen von Mitgliedern einer gesetzlichen Krankenversicherung, ohne dass sie tatsächlich dort Mitglied werden würden (vgl. § 264 SGB V). Mit wenigen Ausnahmen sind geduldete Ausländer, die dann Leistungen nach § 2 AsylbLG analog zum SGB XII erhalten, normalen Sozialhilfeempfängern gleichgestellt. Unterschiede bestehen darin, dass Teile des AsylbLG weiterhin auf diese geduldeten Ausländer Anwendung finden und dass ein Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG im Gegensatz zum Empfänger von Arbeitslosengeld 2 nach dem SGB II (allgemeinsprachlich „Hartz-IV-Empfänger“ genannt) nicht oder nur sehr schwierig sanktioniert werden kann, wenn dieser eine zumutbare Erwerbstätigkeit nicht annimmt. Demnach sind geduldete Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG teilweise sogar besser gestellt als Empfänger von Arbeitslosengeld II.

Kinder- und Jugendhilfe kann ebenfalls in Anspruch genommen werden.

Bildung

Ein Rechtsanspruch auf die kostenfreie Teilnahme an einem Integrationskurs besteht nicht, weil hierfür ein förmliches Aufenthaltsrecht erforderlich ist (§ 44 Abs. 1 AufenthG). Wer einen Teilnahmeanspruch nicht oder nicht mehr besitzt, kann jedoch im Rahmen verfügbarer Kursplätze zur Teilnahme zugelassen werden (§ 44 Abs. 4 AufenthG).

In einem Teil der Bundesländer gilt für alle Kinder und Jugendlichen (auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge), auch geduldete, die Schulpflicht (Grundschule und Sekundarstufe 1, bzw. Sonderschule, insgesamt 9 oder 10 Jahre Vollzeitschulpflicht), wobei kurz- und längerfristige Duldung teils unterschiedlich betrachtet wird. In einem Teil der Bundesländer folgt die Berufsschulpflicht (bis zum Beginn des Halbjahres, in dem die Schülerin/der Schüler volljährig wird).[4] (Zur Schulpflicht bei unsicherem Aufenthaltsstatus siehe auch: Schulpflicht (Deutschland)#Asylbewerber, Ausländer ohne Aufenthaltsstatus.)

Wenn die Voraussetzungen (Zeugnisse, Deutschkenntnisse etc.) zur Aufnahme eines Studiums erfüllt sind und die Universität bzw. Hochschule eine Zulassung zum Studium erteilt, ist ein Studium mit einer Duldung prinzipiell möglich, was in der Praxis aber auf gewisse Schwierigkeiten stoßen kann.[5] Auch ist es möglich, mit einer Duldung den Führerschein zu machen.

Geduldeten Ausländern, die ihren ständigen Wohnsitz im Inland haben, wird Ausbildungsförderung geleistet, wenn sie sich seit mindestens vier Jahren ununterbrochen rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten (§ 8 Abs. 2 a BAföG).

Aufenthaltserlaubnis

Nach § 25 Abs. 5 AufenthG besteht nach 18 Monaten Duldungszeit ein Soll-Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Ein solcher Anspruch besteht jedoch nur dann, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist, die Unmöglichkeit der Abschiebung also nicht selbst verschuldet hat und auch eine freiwillige Ausreise unmöglich oder jedenfalls unzumutbar ist. Auch müssen grundsätzlich die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG vorliegen. Hiervon kann die Ausländerbehörde jedoch nach Ermessen absehen (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).

Praxis

In der Praxis lebten zum 31. Dezember 2011 87.839 Ausländer mit einer Duldung in Deutschland.[6] Die Praxis, Duldungen immer wieder zu verlängern, nennt man Kettenduldung. Viele der geduldeten Personen können weder freiwillig ausreisen noch abgeschoben werden, da sie keinen Pass besitzen und/oder ihre Herkunft bzw. Staatsangehörigkeit nicht zweifelsfrei geklärt ist und sich nur langwierig oder gar nicht klären lässt. Als Ursachen hierfür gelten die tatsächliche Unaufklärbarkeit der Identitätsdaten, insbesondere bei unbegleiteten Minderjährigen und Herkunftsstaaten mit unzuverlässigem Urkundenwesen, ein geringes Interesse der Herkunftsstaaten an der Rückkehr und eine damit verbundene zögerliche Bearbeitung oder Prüfung von Anfragen deutscher Behörden und die fehlende Mitwirkung der betroffenen Ausländer selbst.

Bleiberecht

Am 17. November 2006 einigten sich die Innenminister der Länder auf ein Bleiberecht für geduldete Ausländer. Demnach sollte „geduldeten“ Ausländern, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung (Stichtag) mehr als sechs Jahre (mit Kindern) bzw. acht Jahre (ohne Kinder) in Deutschland leben, ein dauerhaftes Bleiberecht eingeräumt werden, wenn sie bis 2009 eine Arbeitsstelle nachweisen können. Dabei sollen durch den Kompromiss keine höheren Sozialleistungen anfallen.[7] Ausgeschlossen waren Ausländer, die die Ausländerbehörde vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht haben, insbesondere also in der Vergangenheit über ihre Identität täuschten. Ergänzend hierzu trat im August 2007 die gesetzliche Altfallregelung nach § 104a AufenthG in Kraft. Diese ist mittlerweile jedoch ausgelaufen.[8]

Ende 2011 wurden Forderungen nach einer erneuten Bleiberechtsregelung für geduldete Ausländer laut. Schleswig-Holstein[9] und Rheinland-Pfalz[10] legten Vorschläge für eine erneute, diesmal jedoch stichtagsunabhängige gesetzliche Bleiberechtsregelung vor.

Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Geduldete

Gemäß dem seit 1. Januar 2009 geltenden § 18a AufenthG und dem seit 1. Juli 2011 geltenden § 25a AufenthG erhalten geduldete Personen unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie als junge Menschen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren seit mindestens sechs Jahren in Deutschland leben, hier erfolgreich die Schule besuchen, eine Berufsausbildung oder ein Studium aufnehmen. Ein Bleiberecht für bisher Geduldete kommt auch in Frage, wenn sie eine Ausbildung abschließen oder eine mehrjährige qualifizierte Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet ausgeübt haben. Auch in diesen Fällen ist die Aufenthaltserlaubnis für Personen ausgeschlossen, die behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinauszögern oder behindern.[11]

Österreich

Im Herbst 2007 musste der österreichische Verfassungsgerichtshof Bleiberechtskriterien mit Minimalstandards erlassen, um das Agieren der österreichischen Regierung und der Behörden wieder in menschenrechts- und verfassungskonforme Bahnen zu lenken. Des Weiteren wurde vom VfGH angemerkt, dass bei fortgesetzter Unterschreitung dieses Minimalkriterien durch Regierung und Behörden Verurteilungen der Republik Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sehr wahrscheinlich seien.[12][13]

Belege

  1. Änderung § 32 BeschV vom 06.11.2014, buzer.de
  2. Änderung § 32 BeschV vom 11.11.2014, buzer.de
  3. BeschVerfV, buzer.de
  4. Vgl. Harmening: Wir bleiben draußen, Schulpflicht und Schulrecht von Flüchtlingskindern in Deutschland (Memento vom 23. August 2006 im Internet Archive), 2005 (PDF; 1,4 MB).
  5. Studium mit Duldung oder Aufenthaltsgestattung, Informationen des Flüchtlingsrates Berlin, abgerufen am 24. Dezember 2011.
  6. Ausländische Bevölkerung. Statistisches Bundesamt, archiviert vom Original am 13. November 2012; abgerufen am 9. August 2013.
  7. „Zuwanderung: Koalition einigt sich beim Bleiberecht“, Meldung vom 13. März 2007, www.zeit.de;
    „Geduldete Ausländer müssen sich bewähren“, Meldung vom 13. März 2007, www.handelsblatt.com.
  8. Aktuelle Infos und Ländererlasse zur bundesweiten Umsetzung der Bleiberechts- und Altfallregelungen, Flüchtlingsrat Berlin.
  9. BR-Drs. 773/11, pdf-Dok. 713 KB.
  10. Beschlussvorlage Rheinland Pfalz zur Innenministerkonferenz, Dezember 2011, pdf-Dok. 2,5 MB.
  11. Infos zum mit dem Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz eingeführten § 18 a AufenthG, Flüchtlingsrat Berlin, abgerufen am 24. Dezember 2011;
    Kommentierung und Ländererlasse zu § 25a AufenthG, Informationen des Flüchtlingsrates Berlin, abgerufen am 24. Dezember 2011.
  12. Der Standard, 31. Oktober 2007: Verfassungsgerichtshof legt Kriterien für Bleiberecht fest
  13. ORF, 31. Oktober 2007: Bleiberecht – VfGH-Ohrfeige für Regierung

Siehe auch

Literatur

  • Philipp A. Riecken: Die Duldung als Verfassungsproblem. 2006, Verlag Duncker & Humblot, ISBN 9783428121786.