Die Wehrgerechtigkeit ist neben dem Grundrecht auf Wehrdienstverweigerung einer der obersten Grundsätze der deutschen Wehrpflicht.
Er besagt, dass jeder deutsche Mann ab dem 18. Lebensjahr wehrpflichtig ist und zum Wehrdienst eingezogen wird. Dadurch sollte sichergestellt sein, dass nicht Willkür oder Zufall darüber entscheiden, ob ein junger Mann den Wehrdienst ableisten muss.
Dennoch gab es seit der Gründung der Bundeswehr Freistellung vom Wehrdienst. So wurden damals durchgehend fünf Prozent der Männer eines Jahrgangs ausgemustert. Auch muss man bis heute keinen Wehrdienst ableisten, wenn zwei (Halb-)Brüder bereits Wehrdienst geleistet haben.
Da die Wehrpflicht eine massive Grundrechtseinschränkung für die Wehrpflichtigen darstellt, besteht für den Beibehalt der Wehrpflicht ein starker Druck, diese Einschränkungen mit der Bedrohungslage zu rechtfertigen. Seit Ende der 90er Jahre ist die Ausmusterung und die Verweigerung nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. So wurde 2002 nur jeder vierte Mann zum Wehrdienst herangezogen, über ein Drittel der jungen Männer gar sofort ausgemustert.
Am 21. April 2004 entschied das Verwaltungsgericht Köln erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik, dass in einem konkreten Einzelfall der Wehrpflichtige nicht zum Wehrdienst herangezogen werden darf, da die Wehrgerechtigkeit nicht mehr gewährleistet sei. Das Bundesverwaltungsgericht hob das Urteil allerdings auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück an das Verwaltungsgericht Köln. Das Verwaltungsgericht Köln setzte darauf die Verhandlung aus und legte den Sachverhalt dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vor. Es ist also möglich, dass die Wehrungerechtigkeit durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt wird, was enorme Konsequenzen für die Wehrpflicht haben dürfte.
Die Bedeutung, die den Zivildienstleistenden im Sozialwesen zukommt, hat den Verdacht hervorgerufen, dass der Wehrdienst in Deutschland nur noch deswegen aufrecht erhalten werde, um weiterhin den Einsatz von Zivildienstleistenden zu ermöglichen.
Auch stellt sich die Frage, warum nur Männer einen Wehrdienst bzw. Wehrersatzdienst ableisten müssen.
Der Begriff Wehrgerechtigkeit ist in gewissem Sinne euphemistisch, da es hier nicht um eine Gerechtigkeit, sondern um eine möglichst gleichmäßige Belastung aller mit der durch die Wehrpflicht einhergehenden Grundrechtseinschränkung geht. Kritiker haben zudem darauf hingewiesen dass letztgültige Wehrgerechtigkeit im Sinne einer Gleichbehandlung aller jungen Leute aufgrund der notwendigen und unvermeidbaren Differenzierung zwischen Tauglichkeit und Untauglichlkeit nicht möglich ist, da in der Konsequenz dieser Differenzierung immer einige junge Leute die keinen Dienst leisten möchten dies auch nicht zu brauchen, da sie gesundheitlich dafür tätsächlich oder vermeintlich nicht geeignet sind, während andere, die dies ebensowenig möchten, aber geeinget sind, dennoch müssen. Dementsprechend ist Wehrpflicht automatisch immer mit einem bestimmten Grad an Ungerechtigkeit verbunden.
Wehrungerechtigkeit
Als Wehrungerechtigkeit bezeichnet man den Umstand, dass wegen fehlender Notwendigkeit die Bundeswehr nicht jeden Wehrpflichtigen tatsächlich auch zum Wehrdienst einberuft, während grundsätzlich jeder Kriegsdienstverweigerer einen Ersatzdienst (im Normalfall Zivildienst) ableisten muss. Durch die kürzlich erfolgte Ausmusterung all derer, die bisher T3 (Tauglichkeitsgrad 3) oder T7 gemustert wurden, verschärfte sich die Wehrungerechtigkeit zusätzlich. Somit müssen heute deutlich weniger als zwei Drittel eines Jahrganges ihren Grundwehr- oder Ersatzdienst ableisten.
So sollen z.B. im Jahr 2003 von den insgesamt 400.000 jungen Männern eines Jahrganges 109.000 Wehrpflichtige ihren Dienst bei der Bundeswehr antreten, während 123.000 Wehrersatzdienstpflichtige zum Zivildienst herangezogen werden. Das Verhältnis von Wehrpflichtigen, die nicht verweigern, zu Kriegsdienstverweigerern liegt aber bei ungefähr 60 zu 40.
Interessant zum Thema ist zum Beispiel auch der Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Ein kleiner Auszug aus den Daten aus dem Bericht des Wehrbeauftragten aus dem Jahre 2004: Von den Männern des Jahrganges 1980 (die jetzt nicht mehr eingezogen werden können) wurden 440 000 als Wehrpflichtige erfaßt.
- 137 500 (31,25%) leisteten den Wehrdienst
- 139 500 (31,70%) Wehrpflichtige verweigerten den Dienst
- 12 500 (2,84%) wandten sich sonstigen Diensten, beispielsweise dem Zivil- und Katastrophenschutz oder dem Entwicklungsdienst zu
- 150 500 (34,20%) wurden entweder ausgemustert, aus formalen gründen vom Dienst befreit (z.B.Verheiratete oder wenn die Brüder gedient haben) oder wurden aus sonstigen Gründen nie eingezogen.
Der Wehrbeauftragte gibt folgende Prognose für die folgenden Jahre:
- In späteren Jahrgängen wird sich die Zahl der tatsächlich zum Grundwehrdienst Herangezogenen voraussichtlich verringern, weil zukünftig nur noch 30 000 Grundwehrdienstleistende und 25 000 freiwillig länger Wehrdienstleistende in den Streitkräften dienen sollen.
Links
Berichte der Wehrbeauftragten von 2001 bis 2004 http://www.bundestag.de/parlament/wehrbeauftragter/index.html