Pädophilie

Paraphilie, die durch sexuelle Neigung zu vorpubertären Kindern gekennzeichnet ist
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Pädophilie (von griech. pais Knabe, Kind, und philia Freundschaft) nennt man die primäre sexuelle Neigung zu Personen vor oder zu Beginn der Pubertät (also zu Kindern). Aus Analogie zu den Begriffen Homo- und Heterosexualität und um die sexuelle Neigung zum Ausdruck zu bringen, wird auch der Begriff Pädosexualität synonym verwendet.

Die primäre sexuelle Neigung zu männlichen Kindern wird als Päderastie bezeichnet. Diese wiederum ist von Ephebophilie zu unterscheiden, die als eine primäre Neigung zu männlichen Jugendlichen (also nach der Pubertät) definiert wird.

Eingeführt wurde der Begriff (als "Paedophilia erotica") 1896 durch den Wiener Psychiater Richard von Krafft-Ebing in dessen berühmter Psychopathia sexualis. Im wesentlichen ist es bei seiner Definition geblieben. Für Pädophilie werden folgende Merkmale aufgeführt:

  • das sexuelle Interesse gilt Kindern, die sich vor oder zu Beginn der Pubertät befinden
  • das sexuelle Interesse ist dabei primär, d.h. ausschließlich bzw. überwiegend und ursprünglich, auf Kinder ausgerichtet
  • das sexuelle Interesse ist zeitlich überdauernd

Bisweilen wird in Definitionen zusätzlich ein Altersunterschied von mindestens 5 Jahren aufgeführt, um so einverständliche sexuelle Handlungen unter Kindern bzw. zwischen Kindern und Jugendlichen nicht zu pathologisieren. Dem entgegen steht jedoch die Beobachtung, dass sich eine pädophile Orientierung bereits in der Adoleszenz - oder in der Kindheit - heranbildet.

Ausschlaggebend bei Pädophilie ist die primäre Neigung bzw. Fixierung sexueller Wünsche auf Kinder. Für Swanson (1971) ist der "klassische Pädophile" ein Mann, welcher "der Mithilfe des kindlichen Partners bedarf, [...] um sexuelle Befriedigung zu erlangen". Das bedeutet einerseits, dass der Pädophile durch Situationen erregt und befriedigt wird, in denen das Kind sexuell aktiv ist; andererseits verschafft auch das Befingern des kindlichen Opfers dem pädophilen Sexualtäter Befriedigung. Albert Moll, ein Pionier der Sexualforschung, stellte bereits 1912 fest, dass für den Pädophilen die Manipulation der kindlichen Genitalien die Hauptrolle spielt, "weil häufig der Täter selbst nur dadurch zu sexueller Befriedigung kommen kann, dass er die Erregung im Kind stimuliert und beobachtet." (Vgl. Albert Moll, The Sexual Life of the Child. Macmillan, London 1912.)

Pädophilie liegt dann nicht vor, wenn zwar ein sexuelles Interesse an Kindern besteht, dies aber nicht primär ist. Es gilt als empirisch abgesichert, dass sehr viele Erwachsene durch Kinder sexuell stimulierbar sind (Hall et. al 1995, Freund und Watson 1991 und Quinsey et al. 1975). Die Bezeichnung "Pädophilie" wird - vor allem im englischsprachigen Raum anders (stärker vom Missbrauchsaspekt her argumentierend) und in den Medien oft nicht im streng wissenschaftlichen Sinne verwendet:

  • durch die Annahme, dass ein Täter bei sexuellem Missbrauch von Kindern immer pädophil sei - es existieren bei sexuellem Missbrauch aber auch andere Motivlagen;
  • durch die Anwendung der Bezeichnung auch auf sexuelle Handlungen oder Wünsche, die auf Jugendliche und nicht auf Kinder gerichtet sind.

In diesen Fällen spricht man bisweilen auch von "Pseudopädophilie".


Die sexualwissenschaftliche Ablehnung einverständlicher sexueller Handlungen mit Kindern

Unabhängig von der Frage nach der sexuellen Orientierung werden in der Sexualwissenschaft "einverständliche" sexuelle Handlungen mit Kindern überwiegend abgelehnt. Diese Ablehnung stützt sich hauptsächlich auf zwei Begründungen:

  • Kinder sind nicht in der Lage, die Konsequenzen sexueller Handlungen zu überblicken und können demnach zwar willentlich, nicht aber informiert zustimmen (Finkehor). Anders formuliert: Erwachsene können Kinder zu sexuellen Handlungen in einer Weise überreden, dass das Kind zwar sein Einverständnis zeigt, aber letztlich nicht weiß, was es sich damit antut.
  • Martin Dannecker stellte das Modell der Disparität der Wünsche bzw. der Ungleichzeitigkeit auf, nach dem Erwachsene und Kinder in einer sexuellen Beziehung unterschiedliche Wünsche haben und in ihrer sexuellen Entwicklung ungleichzeitig sind. Die sexuellen Wünsche der Erwachsenen korrelieren damit entwicklungspsychologisch nicht mit den Wünschen des Kindes.

Der Pädophile als "lieber Onkel"

Während 1988 Finkelhor und I. A. Lewis postulierten, "dass die meisten, wenn nicht alle" der "Kinderschänder" unter den Pädophilen kein Interesse an Kindern und keine Empathie für Kinder hätten, sprechen zahlreiche andere Studien von einer Nicht-Aggressivität und Zuneigung der Pädophilen zu ihren Opfern. (Vgl. etwa K. Howells, "Some meanings of children for paedophiles". Vortrag auf der International Conference on Love and Attraction, Swansea 1977.) Ein Pädophiler wird demzufolge versuchen, sich mit den Kindern gut zu stellen, um von ihnen gemocht zu werden und dann - wenn die Gelegenheit günstig erscheint - an ihnen sexuelle Handlungen vornehmen zu können. Dem entspricht auch die Beobachtung, dass sexuell aktive pädophile Männer in stärkerem Maße kinderlieb zu sein scheinen als andere Sexualstraftäter.

Psychologischer Aspekt

In der Sexualwissenschaft wird kontrovers diskutiert, ob es sich bei Pädophilie um eine sexuelle Störung handelt. So definiert der ICD 10 Pädophilie als eine Persönlichkeitsstörung (Paraphilie), weil es sich um eine deviante - also von der Norm abweichende - Sexualpräferenz handelt. Der DSM-IV geht nur dann von einer Störung aus, wenn der Betreffende in seiner sozialen Funktionsweise beeinträchtigt ist und so unter dem Krankheitsbild zu leiden hat. Ungeklärt ist hierbei, ob das Leiden durch Pädophilie per se oder durch den sozialen Druck, dem sich ein Pädophiler ausgesetzt fühlt, verursacht wird. Es ist anzunehmen, dass die überwiegende Meinung der Sexualwissenschaft dahin tendiert, Pädophilie als eine Störung zu betrachten. Neben einigen Wissenschaftlern, die auch eine Parallele zur Homosexualität sehen, vertreten vor allem pädophile Organisationen die Auffassung, dass es sich bei Pädophilie um eine primäre sexuelle Orientierung handelt. Davon losgelöst fordern sie die Entkriminalisierung einverständlicher sexueller Handlungen mit Kindern, was von Kinderschutzvereinen vehement abgelehnt wird.

Phänomenologie

Über die Anzahl der Pädophilen gibt es keine zuverlässigen Angaben. Vorsichtige Schätzungen gehen von 50.000 bis 200.000 pädophilen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland aus.

Eine Studie von Coxell et al., die 1999 im British Medical Journal erschien, befragte 2500 Männer zu sexuellen Aktivitäten vor ihrem sechzehnten Lebensjahr, bei denen der Sexualpartner mindestens fünf Jahre älter war. Von den Befragten berichteten 7,7% über freiwillige und 5,3% über unfreiwillige Sexualkontakte mit einem Mann, der beträchtlich älter war. Demzufolge hätten 13% der Knaben – eine nicht gerade geringe Zahl - sexuelle Kontakte zu pädophil veranlagten Männern gehabt. (Vgl. A. Coxell, M. King, G. Mezey, G. Gordon, "Lifetime prevalence, characteristics, and associated problems of non-consensual sex in men: cross sectional survey". British Medical Journal 318: 850, 27 March 1999.)

Es stellte sich ferner in einer nachfolgenden Untersuchung von Rind et al. heraus, dass diejenigen Männer, die als Jungen nicht einverständliche Sexualkontakte mit Pädophilen erlebt hatten, als Erwachsene signifikant gestörter waren als die Männer, die die Sexualkontakte als nicht unangenehm bezeichneten. Weiter zeigten Rind et al., dass drei Achtel der Jungen ihre sexuellen Erfahrungen mit Pädophilen positiv oder neutral in Erinnerung hatten, aber nur ein Zehntel der Mädchen. Missbrauch mit Anwendung von sexueller Gewalt scheint also bei Mädchen häufiger vorzukommen als bei Jungen. (Vgl. Bruce Rind, Philip Tromovitch, Robert Bauserman, "The Clash of Media, Politics and Sexual Science: An examination of the controversy surrounding the Psychological Bulletin meta-analysis on the assumed properties of child sexual abuse". In: Joint Annual Meeting. Society for the Scientific Study of Sexuality and American Association of Sex Educators, Counselors and Therapists, 6 November 1999.)

Nach Beobachtungen einiger Forscher sind etwa 80 Prozent der Pädophilen auf Jungen fixiert. Andere Studien - vor allem von feministischer Seite - sagen im Gegensatz dazu aus, dass Mädchen häufiger als Jungen sexuelle Kontakte mit (meist männlichen) Erwachsenen erleben. (Vgl. P. Cox, S. Kershaw, T. Trotter, ed., Child Sexual Assault: Feminist Perspectives, Palgrave, London, 2001.) Unklar ist, ob auf Mädchen orientierte Pädophile wegen des höheren sozialen Drucks in geringerer Zahl öffentlich in Erscheinung treten und so eine hohe Dunkelziffer bei Missbrauchsfällen vorliegt. Ebenso konnte beobachtet werden, dass Pädophilie zu über 90 Prozent bei Männern in Erscheinung tritt. Pädophile Frauen sind nur wenig bekannt.

Alter des Kindes

In wissenschaftlichen Definitionen ist überwiegend die Pubertät im Sinne der Geschlechtreife ('Gonadarche') die Grenze für "Kinder" im Zusammenhang mit Pädophilie zu finden. Dieses Alter liegt heute fast überall unterhalb des gesetzlichen Schutzalters (als die einschlägigen Gesetze entstanden, war dies aber häufig umgekehrt). Entgegen der Definition werden Kinder aber üblicherweise als Personen vor oder zu Beginn der Pubertät verstanden. Problematisch an dieser Grenzziehung ist, dass die Pubertät als eine sichere Marke erscheint, dies aber nur scheinbar so ist. Zwar kann man sie im Prinzip durch Augenschein feststellen, aber die Vorstellung, mit der Pubertät werde die Sexualität gleichsam im Kinde "eingeschaltet" oder wenigstens "umgeschaltet" scheint nicht haltbar zu sein. Vielmehr beginnt die Entwicklung bereits viel früher im sechsten bis achten Lebensjahr und führt bei großer Varianz im Durchschnitt bereits mit zehn Jahren zu einem erotischen Interesse.

Das präferierte Alter ist bei Pädophilie zwischen 4 und 14 Jahren einzuordnen, wobei es zwei Gipfel in der Alterspräferenz gibt: der eine Gipfel liegt bei 5-6 Jahren, der andere bei 11-12 Jahren. Das sexuelle Begehren ist beim konkreten Pädophilen in der Regel auf einen Alterabschnitt in diesem Bereich - und nicht den gesamten Bereich - orientiert. Es erlischt spätestens bei der Ausprägung sekundärer Geschlechtsmerkmale beim Kind.

Sexuelles Interesse

Die Intensität des sexuellen Interesses am Kind ist individuell unterschiedlich ausgeprägt. Sie variiert dabei zwischen geringem und sehr starkem Bedürfnis nach sexuellen Handlungen mit Kindern. Wie bei anderen Sexualitäten, kommt das Bedürfnis nach nichtsexueller körperlicher oder emotionaler Nähe - ebenfalls individuell ausgeprägt - als zusätzliche Dimension hinzu. Ein Ansatz zu umfassender Betrachtung der Pädophilie berücksichtigt so das Spannungsdreieck Liebe - Erotik - Sexualität. Pädophile Organisationen haben in den 70er und 80er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts das sexuelle Interesse verneint und Pädophilie als reine "Kinderliebe" dargestellt, um so die negativen Konsequenzen der Pädophilie - den möglichen Kindesmissbrauch - zu verharmlosen. Gerade bei Männern mit ihrem testosterongesteuerten Sexualtrieb dürfte aber das rein sexuelle Interesse an Kindern im Vordergrund stehen.

Strafrechtlicher Aspekt

Pädophilie als nicht aktiv ausgeübte sexuelle Neigung wird strafrechtlich nicht verfolgt. Problematisch wird es, wenn es zu sexuellen Handlungen mit Kindern kommt. Dies ist als sexueller Missbrauch von Kindern unter Strafe gestellt.

Vermutlich wegen der juristischen Konsequenzen und der Gefahr einer Schädigung der Kinder vermeidet ein großer Teil der Pädophilen sexuelle Kontakte zu Kindern. Dennoch ist die Gefahr eines Kindesmissbrauchs bei einigen Pädophilen latent vorhanden, da ihre sexuellen Neigungen so gut wie ausschließlich auf Kinder ausgerichtet sind und manche von ihnen ihren Sexualtrieb nicht unter Kontrolle halten können.

Der Anteil pädophiler Täter am sexuellen Missbrauch von Kindern wird auf 2 bis 10 Prozent eingeschätzt (Kinsey-Report, Lautmann, Brongersma, Groth). Internationale Studien belegen, dass straffällig gewordene Pädophile mit etwa 40 bis 50 Prozent im Gegensatz zu anderen Sexualstraftaten (Mittel: 22 Prozent) ein deutlich höheres Rückfallrisiko für einschlägige Delikte haben (Egg 2001). Dabei neigen Pädophile eher zu minderschweren sexuellen Handlungen (vornehmlich genitale Berührungen oder orale Stimulation des Kindes) während bei regressiven Tätern Geschlechtsverkehr mit Kindern häufig über einen länger andauernden Zeitraum zu beobachten ist (Deegener). Die Anwendung von Gewalt ist bei Pädophilen selten anzutreffen. Sie suchen Kontakte mit Kindern in der Regel "einverständlich" aufzubauen und bedienen sich dabei einer differenzierten Konsensstrategie (Lautmann), d.h. sie versuchen, die Kinder etwa durch Geschenke zum Sex mit ihnen zu überreden oder reagieren beispielsweise auf zärtliche Berührungen des Kindes mit entsprechender langsamer Eskalation. Hierbei greift jedoch die obige Einschränkung bezüglicher der Unmöglichkeit eines echten Einverständnisses.

Therapeutischer Aspekt

Die pädophile Orientierung ist tief in der Persönlichkeitsstruktur verankert und lässt sich nicht ohne Schäden an der Persönlichkeit des Betroffenen ändern (man spricht auch von strukturierten Pädophilen). Dennoch ist die Inanspruchnahme externer Hilfe angezeigt, wenn die Gefahr besteht, dass es zu sexuellem Missbrauch von Kindern kommen kann oder wenn der Pädophile unter dem mit seiner Orientierung einhergehenden sozialen Druck zu leiden hat. Hierbei bieten sich Gesprächstherapien an, in denen der Pädophile ausreichend über seine sexuelle Orientierung reflektieren und einen ichsyntonen sowie verantwortungsvollen Umgang mit seiner Orientierung erlernen kann. Ein niederschwelligeres Hilfsangebot wird durch pädophile Selbsthilfegruppen sowie durch Foren zum Gedankenaustausch mit gleich orientierten im Internet geleistet.

Übergriffe von Priestern auf Minderjährige

In jüngerer Zeit betrifft ein besonderes Phänomen vor allem die katholische Kirche: die Fälle sexueller Übergriffe von Priestern auf minderjährige Jungen. Derartige Fälle sind sowohl in den USA als auch in Deutschland bekannt geworden. Während in den Medien hier häufig von "pädophilen Priestern" die Rede ist, bleibt unklar, ob es sich bei der Mehrzahl der Täter um Menschen mit primär pädophiler Neigung handelt, oder ob es die Kombination aus sexueller Unterdrückung z.B. in Form des Zölibats (im Katholizismus) und Gelegenheit (Messdiener und andere Kinder befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis) ist, die zu den Taten führt.

Literatur

  • Archives of Sexual Behavior: Special Section on pedohilia, Vol. 31, No. 6 (Dec. 2002), S. 465-510 (mit Beiträgen insbes. von Green, Schmidt, Rind, u.a.)
  • Volkmar Sigusch: Sexuelle Störungen und ihre Behandlung, Thieme 2001, ISBN 3131039434
  • Martin Dannecker: Das Drama der Sexualität, Europäische Verlagsanstalt 1992, ISBN 3434460993
  • Günther Deegener: Sexueller Missbrauch: Die Täter, Beltz 1995, ISBN 3621272518

Siehe auch: Päderastie -- Schutzalter -- Pubertät -- Sexualität -- Heterosexualität -- Homosexualität-- sexueller Missbrauch von Kindern -- Kinderprostitution -- Babystrich -- Strichjunge