Zum Inhalt springen

Kaukasische Sprachen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 19. März 2006 um 16:15 Uhr durch Ernst Kausen (Diskussion | Beiträge) (Externe Beziehungen der kaukasischen Sprachen). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Unter dem Begriff kaukasische Sprachen werden die Sprachen des Kaukasusgebietes zusammengefasst, die dort schon vor der Einwanderung indogermanischer, turkischer und semitischer Bevölkerungsgruppen gesprochen wurden. Es gibt etwa 40 kaukasische Sprachen mit rund 9 Millionen Sprechern. Die Lehre von den kaukasischen Sprachen wird als Kaukasistik oder Kaukasologie bezeichnet, ihre Fachvertreter heißen Kaukasologen.

Alternative Bezeichnungen

Alternative Bezeichnungen für die kaukasischen Sprachen sind ibero-kaukasisch, paläo-kaukasisch oder altkaukasisch; die erstere Bezeichnung erklärt sich aus der griechischen Bezeichnung "Iberer" für die Bewohner des Südkaukasus, sie ist aber heute wegen ihres scheinbaren Bezuges zur iberischen Halbinsel missverständlich.

Geschichte

Über die Zuwanderung der Sprecher dieser altkaukasischen Sprachen in das Kaukasusgebiet gibt es weder archäologische noch historische Belege. Sie muss also vor einem sehr langen Zeitraum erfolgt sein, so dass man von "autochthonen" Bevölkerungsgruppen sprechen kann, die ihre linguistische Identität gegen spätere Zuwanderer behaupten konnten. Der Kaukasus war seit dem Altertum für seine unglaubliche Sprachen- und Völkervielfalt bekannt (Belege bei Herodot, Strabo, Plinius u.a.), die Angaben schwanken zwischen 70 und 360 Sprachen und Dialekte. Als Ursache für die Vielfalt auf engstem Raum ist sicherlich zurecht die starke Zerklüftung des Kaukasusgebiets in viele kleine, schwer zugängliche Täler angeführt worden, in die sich die verschiedensten Gruppen zurückziehen konnten und ihre angestammten Sprachen behielten; darüber hinaus trägt die geographische Situation zur Abspaltung von Dialekten bei, aus denen sich nach einiger Zeit - begünstigt durch erschwerte Kommunikation - selbständige Sprachen entwickelten. Der Kaukasus gehörte bis zum Jahre 1991 ganz zur Sowjetunion, während nach deren Zerfall die Staaten Russland, Georgien, Armenien und Aserbaidschan ihren Anteil daran haben.

Das Georgische hat seit dem 5. Jahrhundert eine eigene Schrift und gilt als älteste Schriftsprache Osteuropas. Sie wurde im Mchedruli-Alphabet niedergeschrieben. Außer dieser Sprache wurden weitere elf kaukasische Sprachen zu Schriftsprachen ausgebaut, alle jedoch erst im 19. oder 20. Jahrhundert. Für die Verschriftlichung dieser Sprachen wurden neben dem georgischen Alphabet auch das arabische, lateinische und kyrillische Alphabet verwendet.

Heutige sprachliche Situation des Kaukasus

Außer den eigentlichen kaukasischen werden im Kaukasusgebiet Sprachen aus drei Familien gesprochen: dem Indogermanischen, Turkischen und Semitischen. Das Indogermanische ist mit dem Armenischen, den iranischen Sprachen Ossetisch, Kurmandji, Zaza, Tatisch und Talysisch, den slawischen Sprachen Russisch und Ukrainisch und dem Griechischen vertreten. Die Turksprachen im Kaukasusgebiet sind Aserbaidschanisch, Kumykisch, Karatschai-Balkarisch und Nogaisch. Die einzige semitische Sprache ist das neuostaramäische Aisor, das von etwa 13.000 Menschen in Georgien und Armenien gesprochen wird.

Übrig bleiben die rund 40 autochthonen kaukasischen Sprachen mit zusammen fast 9 Mio. Sprechern, um die es in diesem Artikel ausschließlich geht. Diese Sprachen zerfallen in über hundert Dialekte, wobei die Dialekte mancher kaukasischer Sprachen kaum wechselseitig verstehbar sind, obwohl nur einige Kilometer Luftlinie zwischen ihren zu Lande schwer erreichbaren Dörfern liegen. Die antiken Schätzungen mit 300 Sprachen, die zunächst übertrieben erscheinen, könnten also doch nahe an der Wahrheit gelegen haben.

Klassifikation der kaukasischen Sprachen

Es ist nach heutigem Forschungsstand äußerst unwahrscheinlich, dass die kaukasischen Sprachen eine genetische Einheit (eine Sprachfamilie) bilden. Die Mehrheit der Forscher geht heute von drei unabhängigen genetischen Einheiten oder kaukasischen Sprachfamilien aus, die wie folgt bezeichnet werden:

  • Kartwelisch oder Südkaukasisch
  • Abchaso-Adygisch oder (Nord-) Westkaukasisch
  • Nacho-Dagestanisch oder (Nord-) Ostkaukasisch

Die südkaukasischen Sprachen werden südlich, die west- und ostkaukasischen Sprachen hauptsächlich nördlich des von Nordwest nach Südost verlaufenden Kaukasus-Hauptkamms gesprochen.

Manche Forscher fassen das West- und Ostkaukasische zu einer genetischen Einheit "Nordkaukasisch" zusammen. Die früher oft vertretene Hypothese einer Einheit aller kaukasischen Sprachen findet heute nur noch wenige Anhänger. Einige Wissenschaftler halten neuerdings sogar die Einheit der ostkaukasischen Sprachen für fraglich und teilen sie in eine nachische und dagestanische Familie auf.

Klassifikation der kaukasischen Sprachen

Externe Beziehungen der kaukasischen Sprachen

Wenn man von der Existenz mehrerer genetisch unabhängiger kaukasischer Sprachfamilien ausgeht, sind sämtliche Hypothesen, die sich auf eine Verwandtschaft einer anderen Sprachfamilie mit 'dem Kaukasischen' als Ganzem beziehen, von vornherein auszuschließen. Damit könnte man 90% aller Hypothesen und Spekulationen über externe genetische Beziehungen der kaukasischen Sprachen ohne weitere Diskussion ablehnen. Dennoch sollen hier wenigstens einige der wichtigeren Vorschläge tabellarisch aufgezählt werden, um die Kreativität zu beleuchten, die diesem Thema in den letzten hundertfünfzig Jahren gewidmet wurde:

Forscher Jahr Hypothese - Sprachvergleich
F. Bopp 1847 Kartwelisch ist indogermanisch
F. Lenormant 1871 Urartäisch - Kaukasisch
H. Sayce 1882 Urartäisch - Kaukasisch
F. Hommel 1884 Alarodisch - Kaukasisch
V. Thomsen 1899 Etruskisch - Kaukasisch
A. Trombetti 1902 Afroasiatisch - Kaukasisch
H. Winkler 1907 Elamisch - Kaukasisch
N.J. Marr 1908 Semitisch - Kartwelisch
H. Winkler 1909 Baskisch - Altmediterran - Kaukasisch
F. Bork 1924 Sumerisch - Kaukasisch
R. Bleichsteiner 1930 Burushaski - Kaukasisch
E. Forrer u.a. 1934 Hattisch - Westkaukasisch
R. Lafon 1934 Altmediterran - Kaukasisch
A. Pajazat 1936 Urartäisch - Sinotibetisch - Ostkaukasisch
K. Bouda 1949 Baskisch - Kaukasisch
K. Bouda 1950 Tibetisch - Kaukasisch
A. Tovar 1950 Baskisch - Kaukasisch
R. Lafon 1951/52 Baskisch - Kaukasisch
K. Bouda 1952/54 Burushaski - Kaukasisch
J. Braun 1954 Urartäisch - Kaukasisch
O.G. Tailleur 1958 Baskisch - Jenisseisch - Kaukasisch
V. Illich-Svitych 1964ff Kartwelisch ist nostratisch
M. Cereteli 1966 Sumerisch - Kartwelisch
S. Mufti 1978 Indogermanisch - Westkaukasisch
I.M. Djakonov 1978 Hurrisch-Urartäisch - Ostkaukasisch
J. Braun 1981 Baskisch - Kartwelisch
S.A. Starostin 1982 Jenisseisch - Nordkaukasisch
S.A. Starostin 1984 Sino-Tibetisch - Jenisseisch - Nordkaukasisch
S. Nikolajew 1989 Nordkaukasisch gehört zum Dene-Kaukasischen

Klimov äußert zu den meisten dieser Hypothesen: Charakteristische Züge der erwähnten Arbeiten sind ungenügende Kenntnis der Spezialliteratur, ungenaue Aufzeichnung des verwendeten Materials, willkürliche Gliederung der Lexeme, fehlerhafte Rekonstruktion von Vorformen, nicht selten auch das Operieren mit nicht echt kaukasischem Sprachmaterial,... Vorlage:Lit.

Die baskisch-kaukasische Hypothese findet auch sonst in der seriösen kaukasologischen (Vogt, Dumezil, Deeters) und baskologischen Literatur (Lacombe, Etxaide, Mitxelenia) deutliche Ablehnung, das große baskische etymologische Lexikon von Löpelmann verzichtet völlig auf baskisch-kaukasische Gleichungen Vorlage:Lit.

Hurritisch und Urartäisch ostkaukasisch?

Die Hurriter lebten im 3. und 2. Jahrtausend vor Christus in Nordmesopotamien, das Reich Urartu bestand in Ostanatolien in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends vor Christus. Die Sprachen dieser Völker - Hurritisch und Urartäisch - wurden in einem weiten Bereich vom Irak über Syrien bis in die Türkei und Armenien gesprochen. Ihre Verwandtschaft gilt heute als bestätigt, wobei das jüngere Urartäisch allerdings nicht ein direkter Nachfahre des Hurritischen ist, sondern beide aus einer gemeinsamen älteren Quelle hervorgegangen sind. I.M. Djakonov legte 1978 eine Arbeit über die Beziehung des Hurritisch-Urartäischen (dessen genetische Einheit er maßgeblich belegt hatte) mit den ostkaukasischen Sprachen vor. Einige hurritisch-kaukasische Gleichungen Djakonovs (phonetisch vereinfacht):

		      Hurritisch				Ostkaukasisch

		it-     'gehen'		                id	tschet.	'laufen'	
		al-ay	'Herrin'		        äla	tschet.	'Fürst'
		ker	'lang'				*q'är 	ostkauk.'groß, alt'
		xil	'sprechen'			*χil	ostkauk.'sagen'
		saw-ala	'Jahr'				*šaw-n	ostkauk.'Jahr'
		seri	'Tag, Abend'			seri	tschet.	'Abend'

Diese Hypothese wird heute als nicht unwahrscheinlich, aber auch noch nicht als gesichert betrachtet.

Nostratische und sino-kaukasische Hypothese

V.M. Illich-Svitych und A. Dolgopolsky sind seit 1964 die Hauptvertreter einer sog. nostratischen Makrofamilie, die die Sprachfamilien Indogermanisch, Uralisch, Altaisch, Kartwelisch, Drawidisch (und früher auch Afroasiatisch) vereinen soll. Eine aktuelle Darstellung ist Dolgopolsky 1998. Für die kaukasischen Sprachen ist diese These insofern relevant, als das Kartwelische ein Bestandteil dieser 'Überfamilie' sein soll. Dolgopolsky bringt insgesamt 124 nostratische Gleichungen, davon enthalten nur 32 kartwelisches Material, von denen etliche für ihn selbst fraglich sind. Zitiert werden in der Regel keine rekonstruierten ur-kartwelischen Formen, sondern heutiges einzelsprachliches Material. Es ist also sehr verständlich, dass die meisten Kaukasologen der nostratischen Hypothese skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.

Noch knapper und deutlicher fällt mehrheitlich die Zurückweisung der sino-kaukasischen Makrofamilie aus, die Starostin 1984 begründen wollte. Dabei geht er von einer genetischen Beziehung des - als Einheit aufgefassten - Nordkaukasischen mit dem sibirischen Jenisseischen (Ket) und dem Sino-Tibetischen aus, die auf seinen Rekonstruktionen der jeweiligen Protosprachen beruht. Später wurde diese Makrofamilie um einige altorientalische Komponenten (Hurritisch-Urartäisch, Hattisch u.a.), das Baskische und durch Nikolajev 1988 um die nordamerikanischen Na-Dene-Sprachen zur dene-kaukausischen Makrofamilie erweitert.

Die Zukunft wird zeigen, ob in den nostratischen und dene-kaukasischen Hypothesen noch Potential für externe Beziehungen der kaukasischen Sprachen steckt.

Hattisch

Hauptartikel: Hattische Sprache

Das Hattische (von den Hethitern hattili genannt) ist die älteste durch Texte belegte Sprache Anatoliens. Seine Ausdehnung umfasste vor dem Eindringen der indogermanischen Hethiter, Palaier und Luwier ganz Zentral- und Nordanatolien bis zur Schwarzmeerküste und Teile Kappadokiens; es ist um 1500 v. Chr. als gesprochene Sprache ausgestorben.

Als relativ sicher kann gelten, dass das Hattische mit keiner anderen bekannten Sprache verwandt ist. Versuche, es mit den westkaukasischen Sprachen in Beziehung zu setzen (Forrer 1934), gelten als wenig gelungen.

Es gibt einige lexikalische Anklänge zum Hurritischen, z.B.

	     Hurritisch	             Hattisch	     Deutsch

	kate			kait		Gerste
	hawuri			wur		Erde
	arinni			arinna		Brunnen

Allerdings sind die gesicherten lexikalischen Kenntnisse des Hattischen so gering, dass daraus keine weiterreichenden Schlüsse gezogen werden können. Es könnten ja auch Lehnwörter sein.

Literatur

  • Georgij A. Klimov: Einführung in die kaukasische Sprachwissenschaft. Buske, Hamburg 1994. ISBN 3-87548-060-0
  • Gerhard Deeters: Armenisch und kaukasische Sprachen. Handbuch der Orientalistik. Bd. 7,1. Brill, Leiden 1963.
  • Aharon Dolgopolsky: The nostratic macrofamily and linguistic palaeontology. The McDonald Inst. for Archaeological Research, Cambridge 1998. ISBN 0-9519420-7-7
  • Aharon Dolgopolsky, Vitaly Sevoroskin (Hrsg.): Languages and their speakers in ancient Eurasia. dedicated to Professor Aharon Dolgopolsky on his 70th birthday. Canberra 2002. ISBN 0-9577251-3-2
  • Vitalij V. Sevoroskin: Nostratic, Dene-Caucasian, Austric, and Amerind. First International Interdisciplinary Symposium on Language and Prehistory. Ann Arbor, Mich. 1988. Brockmeyer, Bochum 1992. ISBN 3-8196-0032-9
  • Martin Löpelmann: Etymologisches Wörterbuch der baskischen Sprache.Dialekte von Labourd, Nieder-Navarra und La Soule. 2 Bde. Berlin 1968.