Putsch
Ein Putsch (auch Staatsstreich oder französisch Coup d’État [ ] genannt) ist eine oft überraschende, meist gewaltsame Aktion eines Teils der Staatsorgane (oder einer Gruppe davon; oft handelt es sich z. B. um das Militär oder einen Teil davon) mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen und die Macht im Staat zu übernehmen.[1] Häufig folgt auf einen Putsch eine Militärdiktatur oder die Herrschaft eines autoritären Regimes.
Putschisten sind jene Menschen, die einen Putsch ausführen; in der Regel sind es hohe Militäroffiziere oder Führer paramilitärischer Organisationen. Es kommen aber auch andere „Putsche“ vor, z. B. in der Schweiz im Jahre 1839 der sog. „Züriputsch“ zur vorübergehenden (bis 1845 dauernden) Ausschaltung des Liberalismus im Kanton Zürich.
Das Wort „Putsch“ wird oft nur für einen gelungenen Putsch benutzt, und ein fehlgeschlagener wird dann „Putschversuch“ oder Revolte genannt. Ein gescheiterter Putschversuch endet häufig mit einem Schauprozess mit der Anklage des sog. Hochverrats.[2]
Das Wort Putsch ist negativ konnotiert:[3] Als Putsch werden meist Ereignisse bezeichnet, die der Sprecher als nicht wünschenswert ansieht. Putschisten verwenden daher in der Regel andere Bezeichnungen für ihre Handlungen.
Begriffsherkunft
Ursprünglich stammt der Begriff aus der Schweiz, wo das schweizerdeutsche Dialektwort Putsch eigentlich ‚Stoß‘, ‚Zusammenstoß‘ bedeutet. Schon im 16. Jahrhundert wurde es auch im übertragenen Sinn militärisch für einen plötzlichen Vorstoß, den Aufprall gegen ein Hindernis oder die Initiative zu einem Unternehmen verwendet und erhielt dann auch die speziellere Bedeutung ‚Volksauflauf‘, ‚Revolte‘.
Im 19. Jahrhundert wurde die Bezeichnung Putsch für verschiedene Umstürze und Unruhen wie den Freiämter Putsch (1830), den Neuenburger Putsch (1856) oder den Tessiner Putsch (1890) gebraucht.[4] Besonders im Gefolge des erfolgreichen Putschs der reaktionären Kräfte in Zürich 1839 (Züriputsch) verbreitete sich das Wort durch die Zeitungsberichte im deutschen, französischen (le putsch) und englischen (the putsch) Sprachraum.
Putsch und Staatsstreich
Darüber, ob die Begriffe Putsch und Staatsstreich Synonyme sind oder sich semantisch unterscheiden, besteht keine Einigung. Die Begriffsbedeutungen Putsch und Staatsstreich (frz. coup d’État) sind nicht völlig identisch. Bei einem Putsch wird der gewaltsame Sturz der Regierung von außen versucht (etwa vom Militär), während an einem Staatsstreich ein oder mehrere Mitglieder der aktuellen Regierung beteiligt sind. Der Begriff Staatsstreich orientiert sich dabei am Staatsstreich des 18. Brumaire VIII, d. h. der Machtübernahme Napoleons I. in Frankreich 1799.
- Der Duden sieht den Unterschied darin, dass die einen Staatsstreich ausführende Gruppe bereits Teile des Staates legitim kontrolliere, was bei einem Putsch nicht der Fall sei; sie hätten allenfalls indirekte Verbindungen zum Militär oder zu paramilitärischen Gruppen.[5]
- Auch das Politiklexikon sieht den Unterschied zwischen Putschisten und Akteuren eines Staatsstreiches darin, dass diese bereits an der Macht beteiligt seien; als Antonym zum Staatsstreich nennt es dagegen den Putsch.[6]
- Nach Walter Theimers Lexikon der Politik dagegen wird ein Staatsstreich „insbesondere vom Militär oder Teilen davon“ durchgeführt: der Unterschied bestehe darin, dass die Putschisten „subalterne Offiziersgruppen“ oder andere eher machtlose Gruppen seien; Voraussetzung für die Durchführung eines Staatsstreichs sei dagegen eine hohe Machtstellung der Akteure, die – wie bei der Absetzung Mussolinis durch König Viktor Emanuel III. 1943 – sogar Staatsoberhäupter sein könnten. Das Antonym zum Staatsstreich sei die Revolution.[7]
- Das Wortschatzlexikon der Universität Leipzig bezeichnet beide Begriffe als synonym.[8]
- Auch der Osteuropahistoriker Manfred Hildermeier benutzt beide Begriffe synonym, wenn er etwa die Moskauer Ereignisse vom August 1991 mal als „gescheiterten Putsch“, mal als „versuchten Staatsstreich“ bezeichnet.[9]
- Das Wörterbuch zur Geschichte definiert Putsch als Sonderform des Staatsstreichs: Er sei ein „Staatsstreich von unten durch eine kleinere Gruppe“.[10]
- Der Kriminologe Wolf Middendorf sieht ebenfalls keinen wesentlichen Bedeutungsunterschied, allenfalls gehörten Putschisten oft niedrigeren militärischen Rängen an.[11]
- Das Englische und das Französische machen ebenfalls keinen Unterschied zwischen Putsch und Staatsstreich, beides heißt jeweils coup d’etat.
Die Wendung Coup d’État[12] wird hingegen auch in anderem Zusammenhang bei einem wagemutigen Vorstoß, einem Handstreich verwandt.
Militärputsch
Armeen haben häufig Traditionen, die älter sind als die Nationalstaaten, deren Existenz zu sichern ihre Aufgabe ist. Die Klassenzusammensetzung des Offizierskorps kann dabei eine Rolle spielen, die Größe der Armee, eine Tradition von vorangegangenen Militärputschen, Niederlagen in Kriegen oder nationale Krisen, deren Bewältigung einer zivilen Regierung nicht zugetraut wird. Das kann dazu führen, dass zivile Regierungen entweder von Militärs in Putschen direkt beseitigt, oder aber vom Militär ihren inneren Feinden ausgeliefert werden.
Häufiger als der direkte Putsch mit dem Sturz der Regierung ist die legalisierte Auflehnung, bei der das Militär seine umfangreichen Machtbefugnisse nutzt, um direkten Einfluss auf politische Regierungsentscheidungen zu nehmen. In der Türkei, Thailand und in Chile hatte sich das Militär nach Militärputschen auch für die Zeit nach der Rückgabe der Macht an die Zivilisten derartige Einflussmöglichkeiten gesichert. Parlamentssitze und andere institutionalisierte Einflussmöglichkeiten sichern dem Militär einen Einfluss an der politischen Macht, ohne dass eine direkte Gewaltandrohung ausgesprochen werden muss.
Putsche in der Geschichte
Obwohl das Wort Putsch international erst seit dem „Züriputsch“ in Gebrauch ist, können Staatsstreiche in davorliegenden Zeiten ebenso bezeichnet werden. Im Folgenden eine Auswahl von Ereignissen, die als Putsche bezeichnet werden:
Jahr | Land | Ereignis |
---|---|---|
1799 | Frankreich | Staatsstreich des 18. Brumaire VIII – Napoléon Bonaparte übernimmt die Macht. |
1839 | Schweiz | Züriputsch |
1852 | Frankreich | Staatsstreich Louis Napoleons (Zweites Kaiserreich) |
1920 | Weimarer Republik | Kapp-Putsch (Putschversuch) |
1923 | Weimarer Republik | Hitler-Ludendorff-Putsch (Putschversuch) |
1926 | Polen | Maiputsch |
1936 | Spanien | Das Pronunciamiento rechtsgerichteter Militärs führt zum Spanischen Bürgerkrieg. |
1941 | Jugoslawien | Dušan Simović stürzt die jugoslawische Regierung, weil diese den Beitritt zum Dreimächtepakt unterzeichnet hatte. Als Reaktion darauf beginnt am 6. April 1941 der deutsche Balkanfeldzug (Jugoslawischer Staatsstreich 1941). |
1944 | Deutsches Reich | Putschversuch, siehe Attentat vom 20. Juli 1944 |
1953 | Iran | Mohammad Mossadegh wird gestürzt, siehe Operation Ajax. |
1964 | Brasilien | zur Verhinderung der Bodenreform durch Präsident João Goulart, Militärdiktatur bis 1985 |
1967 | Griechenland | Beginn der griechischen Militärdiktatur (→ Obristenregime) bis 1974 |
1973 | Chile | Putsch Augusto Pinochets gegen Salvador Allende, siehe Geschichte Chiles sowie Putsch in Chile 1973 |
1980 | Türkei | Putsch durch General Kenan Evren |
1991 | Sowjetunion | Augustputsch, Putschversuch einiger Politiker und Militärs, die russische Bevölkerung verteidigt erfolgreich Boris Jelzins Regierung, unterstützt von der Mehrheit des Militärs. |
Siehe auch
Literatur
- David Hebditch, Ken Connor: Wie man einen Militärputsch inszeniert. Von der Planung bis zur Ausführung. Ares-Verlag, Graz 2006, ISBN 3-902475-23-4.
- Edward Luttwak: Wie inszeniert man einen Staatsstreich oder: Der Coup d'Etat. Rowohlt, Reinbek 1969.
- François Mitterrand: Le Coup d'État permanent (dt. Der permanente Staatsstreich). 1964.
- Joachim Fest: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. 4. Aufl. (August 1998), ISBN 978-3-88680-539-6.
- Bruce W. Farcau: The Coup. Tactics in the Seizure of Power. Praeger, Westport 1994, ISBN 0-275947-83-1, S. 2.
Weblinks
- Gefahr von Staatsstreichen in der Welt (A WORLD IN TROUBLE), Maximiliano Herrera
Einzelnachweise und Fußnoten
- ↑ Putsch: 'von einer Gruppe (von Militärs) durchgeführter Umsturz(-versuch) zur Übernahme der Staatsgewalt' Duden: Deutsches Universal Wörterbuch – 2. völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage, 1989
- ↑ Ein Beispiel ist der vom 8. bis 10. Januar 1944 dauernde Prozess von Verona, in dem Benito Mussolini fünf „abtrünnige“ Mitglieder des Großen Faschistischen Rats, darunter seinen Schwiegersohn Galeazzo Ciano, zum Tode verurteilen und am 11. Januar erschießen ließ, nachdem er durch angebliche „Verschwörung der Abtrünnigen“ am 24./25. Juli 1943 von dem Großrat mit großer Mehrheit abgesetzt wurde (19:8).
Man kann dies als einen Putsch ansehen, der zunächst erfolgreich war, aber nachträglich insofern scheiterte, weil Mussolini von den Deutschen befreit und wieder in die Herrschaft eingesetzt wurde. Die fünf erschossenen Männer waren in seinen Machtbereich geraten. - ↑ So erfanden die Nationalsozialisten bewusst den sog. Röhm-Putsch, um die SA durch die staatlich organisierten Morde vom 30. Juni 1934 auszuschalten und dies als angebliche „Staatsnotwehr“ zu rechtfertigen.
- ↑ Zum Sprachlichen siehe Schweizerisches Idiotikon Band IV, Spalte 1936 ff., Artikel Putsch VII, daselbst auch dessen Zusammensetzungen und Ableitungen.
- ↑ Duden, Band 10: Das Bedeutungswörterbuch, 2. Auflage, Mannheim 1985, S. 505 und 605
- ↑ Klaus Schubert und Martina Klein, Das Politiklexikon, 4. Aufl. Dietz, Bonn 2006 (online, Zugriff am 2. Juni 2010)
- ↑ Walter Theimer, Lexikon der Politik. Politische Begriffe, Namen, Systeme, Gedanken und Probleme aller Länder, 6. Auflage, Francke Verlag, Bern 1961, S. 673 f.
- ↑ Wortschatzlexikon der Universität Leipzig s.v. Putsch, Zugriff am 2. Juni 2010
- ↑ Manfred Hildermeier, Die Sowjetunion 1917–1991, Oldenbourg, München 2007, S. 1 und 226
- ↑ Erich Bayer (Hrsg.), Wörterbuch zur Geschichte. Begriffe und Fachausdrücke, 4. Aufl. Kröner, Stuttgart 1980, S. 429
- ↑ Wolf Middendorf, 20. Juli und Kapp-Putsch in der Sicht der Kriminologie, in: Hans-Dieter Schwind, Günter Blau, Ulrich Berz et al. (Hrsg.), Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag am 18. Dezember 1985, DeGruyter, Berlin und New York 1985, S. 257
- ↑ 'Coup d’État: (frz.) Staatsstreich' Duden: Deutsches Universal Wörterbuch. 2., völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage, 1989