Rechtssoziologie

Spezielle Soziologie, welche die Wechselwirkung zwischen Rechtsordnung und sozialer Wirklichkeit empirisch untersucht
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Die Rechtssoziologie ist eine wissenschaftliche Diziplin, die sowohl juristische wie auch sozialwissenschaftliche Kerngebiete berührt. Typischerweise stehen etwa gesellschaftliche Wirkungen von Rechtsvorschriften oder von der juristischen Ausbildung nicht grundständig behandelte Themenfelder im Interesse. In Deutschland etwa seit den 1970er Jahren an den Universitäten etabliert, hat das Spannungsfeld von Recht und Gesellschaft in der anglo-amerikanischen akademischen Diskussion einen größeren Stellenwert.

Die dogmatische Rechtswissenschaft versteht unter „Recht“ Normen und Regelungen, die in Gesetzen, Gerichtsurteilen, Verwaltungsentscheidungen und in anderen Rechtssätzen niedergelegt sind. Es geht um Rechtstexte, deren wissenschaftliche Betrachtung zum Ziel hat, ihren (objektiven) „Sinn“ mit den Mitteln der verstehenden Interpretation zu ermitteln.

Breiter gefasst lässt sich Recht als ein Phänomen der gesellschaftlichen Wirklichkeit verstehen, das durch soziale Verhaltensmuster und Zusammenhänge konstruiert wird, bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse stabilisiert oder verändert und nicht zuletzt der politischen Steuerung der Gesellschaft dient. Das waren bereits Themen der Rechtssoziologie, die in der Bundesrepublik Anfang der 70er Jahre eine Blütezeit erlebte. Die Sozialwissenschaften fanden damals an verschiedenen Stellen Einzug in das rechtswissenschaftliche Studium. Einige Universitäten erprobten eine sozialwissenschaftliche Juristenausbildung, die sich allerdings gegen das klassische Modell des dogmatisch ausgebildeten Juristen nicht durchsetzen konnte. Die institutionelle Anbindung der Rechtssoziologie als (vermeintliche) „Grenzwissenschaft“ war also und ist weiterhin schwierig.

Definitionen

Die klassische Rechtssoziologie bewegt sich zwischen zwei Paradigmen: Der „soziologischen Jurisprudenz“ und der disziplinär soziologischen Analyse, der „Soziologie des Rechts“. Für die Soziologische Jurisprudenz steht noch heute vor allem der Name Eugen Ehrlichs. Sie ist der Versuch, über die Kenntnis der Zusammenhänge von Recht und Gesellschaft zu einem besseren Recht zu gelangen. Die Soziologie des Rechts hingegen versteht sich als ein Unterfall der allgemeinen Soziologie, die „Recht“ als gesellschaftliches Phänomen beschreiben und verstehen will.

Heute geht die Forschung zu den Wechselwirkung zwischen Recht und Gesellschaft über klassisch soziologische Ansätze hinaus. „Rechtssoziologie“ wird von vielen im Sinn der angloamerikanischen Law & Society -Forschung bzw. der socio-legal studies verstanden als ein disziplinär nicht gebundenes (transdisziplinäres) Projekt, welches das gesamte Spektrum gesellschaftlicher Rechtsforschung umfasst (s. auch Bora/Höland/Jansen/Lucke/ Machura/Ludwig-Meyerhofer/Teubner in der Zeitschrift für Rechtssoziologie 21 (2001), S. 315 ff.). Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass disziplinäre Forschungsansätze, die Recht als ein soziales Phänomen begreifen bzw. den Zusammenhang zwischen Recht und Gesellschaft untersuchen, notwendig kontingent sind, sich gerade in ihrem Pluralismus gegenseitig befruchten und nicht selten zu einer Änderung oder Erweiterung des „eigenen“ fachlichen Blickfeldes beitragen.

Forschungen zu Rechtswirklichkeit in diesem Sinn (socio-legal research) umfassen neben den klassisch-soziologisch und empirischen Zugängen unter anderem die (Rechts-)Anthropologie, Ethnologie, Kulturwissenschaften, gender studies, Ökonomie, Politikwissenschaften, Sozialgeschichte und –psychologie und die Verwaltungswissenschaften. Zwischen Rechtssoziologie und Rechtstheorie besteht eine enge Beziehung.

Siehe auch

Rechtsethnologie, Gewohnheitsrecht, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Critical legal studies

Literatur

  • Ehrlich, Eugen: Grundlegung der Soziologie des Rechts, 4. Aufl., 1989, durchges. u. hrsg. von Manfred Rehbinder
  • Pound, Roscoe (1910): Law in the books and Law in action, in: American Law Review 44, 12 et seqs.
  • Weber, Max (1967): Rechtssoziologie (hrsg. von Johannes Winckelmann), 2. Aufl.; Luchterhand, Darmstadt u. Neuwied
  • Aubert, Vilhelm (1967): Einige soziale Funktionen der Gesetzgebung, in: Ernst Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.): Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, S. 284-309.
  • Luhmann, Niklas (1981): Ausdifferenzierung des Rechts; Suhrkamp, Frankfurt a.M.
  • Luhmann, Niklas (1987): Rechtssoziologie, 3. Aufl.
  • Röhl, Klaus F. (1987): Rechtssoziologie.
  • Rottleuthner, Hubert (1987): Einführung in die Rechtssoziologie. Die Rechtswissenschaft, Darmstadt.
  • Cotterrell, Roger (1988): Why Must Legal Ideas Be Interpreted Sociologically?, in: Journal of Law and Society 25 (2), 171-192.
  • Cotterrell, Roger (1992): The Sociology of Law: An Introduction, 2nd edition, London.
  • Luhmann, Niklas (1993): Das Recht der Gesellschaft; Suhrkamp, Frankfurt a.M.
  • Raiser, Thomas (1999): Das lebende Recht: Rechtssoziologie in Deutschland, Baden-Baden. ISBN 3789061034
  • Rehbinder, Manfred (2003): Rechtssoziologie, 5., neu bearb. Aufl.