Sozialstaat

Staat, der in seinem Handeln nach sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit strebt
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Der Begriff Sozialstaat bezeichnet ein Gemeinwesen, das bestrebt ist, soziale Unterschiede – etwa materieller Natur – zwischen seinen Mitgliedern bis zu einem gewissen Grad auszugleichen, um die Teilhabe aller an den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zu gewährleisten. Verfassungsrechtler benutzen daher auch den Begriff sozialer Rechtsstaat.

Der Sozialstaat soll soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit herstellen, seine Bürger vor Notlagen bewahren oder ihnen im Falle der Not Hilfe anbieten. Ausdruck des Sozialstaatsprinzips in Deutschland sind die Sozialversicherungen. Dazu zählen die Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung, Pflegeversicherung und Arbeitslosenversicherung.

Verankerung im Grundgesetz

Das Sozialstaatsprinzip gehört neben dem Rechtsstaats-, dem Föderalismus- und dem Demokratieprinzip zur Grundlage der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz (Art. 20 GG) legt fest:

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“

Das Sozialstaatsprinzip ist damit im Grundgesetz als Staatsziel verankert, das neben der Garantie der Menschenwürde und der Menschenrechte den Schutz der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG (Ewigkeitsklausel) genießt.

Der Grundrechtskatalog der Art. 1-19 GG nennt aber mit Ausnahme des Mutterschutzes in Art. 6 Abs. 4 GG explizit keine rechtlich bindenden sozialen Grundrechte oder Teilhaberechte, wie etwa ein Recht auf Arbeit. Auch eine bestimmte Wirtschaftsordnung gibt die Verfassung nicht vor. Sie schützt das Privateigentum, bindet dessen Nutzung aber an das Gemeinwohl. Artikel 14 II GG lautet:

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Infolgedessen wird das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik oft als Soziale Marktwirtschaft bezeichnet, da der Staat sich das Recht vorbehält, umverteilend in das Wirtschaftsleben einzugreifen, während sich die Wirtschaft zugleich am Markt orientiert - im Gegensatz zur zentralen Planwirtschaft. Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ geht auf den Volkswirtschaftler Alfred Müller-Armack zurück, der unter Ludwig Erhard Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium war.

Geschichte des Sozialstaats

Bereits in der Antike und im Mittelalter gab es vereinzelt Versuche von seiten des Staates, die materielle Not seiner Bürger oder Untertanen zu lindern. Dahinter stand seit je her der Gedanke, Unruhen und Aufstände zu verhindern und für politische Stabilität zu sorgen.

Auch die Ursprünge des modernen Sozialstaatsgedankens gehen auf solche Überlegungen zurück. Entwickelt hat er sich im 19. Jahrhundert als Folge der Industriellen Revolution und der Massenverelendung breiter Bevölkerungsschichten. Er basiert auf der Erkenntnis, dass Eigentum die Basis für die Ausübung von Rechten ist und dass Freiheit substanzlos bleibt, wenn ihre Ausübung nicht durch Eigentum gewährleistet ist. Durch staatliche Umverteilung sollten Arme und Schwache eine elementare Grundsicherung erhalten.

Sozialstaatliches Handeln war aber immer zugleich Ordnungspolitik, die auf die Erhaltung des sozialen Friedens abzielte. So sollten die unter Reichskanzler Otto von Bismarck in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland eingeführte Renten-, Kranken- und Unfallversicherung die wachsende Bevölkerungsschicht der Industriearbeiter von revolutionären Bestrebungen abhalten. Der Schwerbeschädigtenschutz wurde nach dem 1. Weltkrieg 1919, die Arbeitslosenversicherung 1927 eingeführt.

Seit dem 2. Weltkrieg wurden die sozialstaatlichen Leistungen in fast allen westeuropäischen Staaten über die reine Grundsicherung hinaus erweitert.

Krise des Sozialstaats

Der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich A. von Hayek befasste sich mit den machtpolitischen Aspekten des Sozialstaates ("Der Weg zur Knechtschaft"). Die Umverteilung ständig anwachsender Geldsummen, mit der Rechtfertigung, dies sei aus "sozialen" Gründen notwendig, verschafft Politikern gutdotierte Posten und Macht. Die Verfügungsmöglichkeiten über das eigene Einkommen werden immer weiter eingeschränkt, während ständig wachsende Verwaltungsapparate die "gerechte" Verteilung der eingezogenen Abgaben überwachen (und dabei nicht unbeträchtliche Summen selbst verbrauchen).

Angesichts wirtschaftlicher Probleme des Sozialstaates infolge der ständigen Ausweitung von Leistungen, der deutschen Wiedervereinigung und der Globalisierung, der Ausweitung der Staatsverschuldung und des Anwachsens der Arbeitslosigkeit, kam es zu Versuchen, die explosiv wachsenden Kosten einzudämmen, die jedoch noch nicht von Erfolg gekrönt waren. Im Gegenteil - die Ausgaben wurden erheblich gesteigert. ( Siehe die gescheiterte Hartz IV Reform).

Literatur

  • Alfred Müller-Armack: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft. (versammelt Frühschriften 1945–1948 sowie Beiträge zu den geistigen Grundlagen und zur Fortentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft von 1953 bis 1973). Zuerst 1974; 2. erw. Auflage (1981).
  • Christoph Butterwegge, Rudolf Hickel, Ralf Ptak: Sozialstaat und neoliberale Hegemonie. Vom Standortnationalismus zur Auflösung der Demokratie. ESPRESSO-Verlag, 1998, ISBN 3-88520-718-4
  • Christoph Butterwegge: Krise und Zukunft des Sozialstaates. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 3-8100-4138-6
  • Friedrun Quaas: Soziale Marktwirtschaft. Wirklichkeit und Verfremdung eines Konzepts. Haupt, 2000, ISBN 3-258060-126
  • Friedrich August von Hayek Der Weg zur Knechtschaft
  • Gerd Habermann Der Wohlfahrtsstaat
  • Gerhard Bäcker The dismantling of welfare in Germany, Düsseldorf, 1998
  • Gerhard Bäcker u. a. Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, Bd.1 / Ökonomische Grundlagen, Einkommen, Arbeit und Arbeitsmarkt, Arbeit und Gesundheitsschutz, April 2006, ISBN 3531133330
  • Gerhard Bäcker u. a. Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, Bd.2 / Ökonomische Grundlagen, Einkommen, Arbeit und Arbeitsmarkt, Arbeit und Gesundheitsschutz, April 2006, ISBN: 3531133349

siehe auch