Keuschheit

ethisches Konzept der Mäßigung im Umgang mit Sexualität
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Keuschheit ist das Verhalten einer der sinnlichen Inbrunst durchaus fähigen Person, sich vermöge eines – vorzugsweise unbewusst – erworbenen Schamgefühls oder kraft eines bewussten Grundsatzes vor Sexuellem zu hüten, seien es auch nur Andeutungen anderer oder eigene Anwandlungen. "Keuschheit" geht also weiter als ein bewusster und gewollter Verzicht auf den (sexuellen) Genuss.

Viele Kulturen (mit weitgehender Ausnahme der europäisch-westlichen seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts) schätzen die Keuschheit hoch und erlegen sie vor allem jungen Menschen auf.

Keuschheit, Sitte und Ideologie

Wird „Keuschheit“ zu einer moralpolitischen Forderung nach ‚Sittlichkeit‘ erhoben, so kollidiert dies mit ihrem unwillkürlichen und vorbewussten Charakter und sie wird erfolgreichen Falls zu einer gängigen „Sitte“. Diese ist daran erkennbar, dass ganz gewisse Haltungen gegenüber Anderen (z.B. das Augensenken, die Verschleierung) zur Vorschrift gemacht werden.

Geraten Sitten sexueller Zurückhaltung ihrerseits in einen Parteienstreit, etwa als symbolische Muster, so wird „Keuschheit“ leicht zu einer bloßen Ideologie, z.B. im gegenwärtigen „Kopftuchstreit“ in Frankreich oder Deutschland seit der Jahrtausendwende.

Obwohl die Forderung nach Keuschheit in vielen Kulturen stark kulturell oder religiös begründet wird, hat diese mehrere sehr profane Gründe: In vielen Kulturen ist oder war die wirtschaftliche Situation von alleinerziehenden Müttern äußerst schwierig und wird oder wurde durch soziale Ächtung noch verschärft. Diese Problematik hat sich in der westlichen Welt erst mit der Antibabypille entschärft. Eine weitere Problematik sind Krankheiten, die auf sexuellem Wege übertragen werden. Trotz des medizinischen Fortschritts gibt es immernoch mehrere unheilbare Infektionskrankheiten (AIDS, Hepatitis). Keuschheit oder auch die starke Beschränkung der Zahl von Sexualpartnern reduziert das persönliche Risiko zu Erkranken und die Ausbreitung dieser Krankheiten.

Keuschheit in den Religionen

Christentum

Die christlichen Kirchen (und der Islam) verstehen unter "Keuschheit" den bewussten freiwilligen Verzicht auf sexuelle Handlungen bei unverheirateten Partnern und beim Ehepaar den Verzicht auf sexuelle Handlungen mit jemand anderem als dem Ehepartner.

Im Zölibat der römisch-katholischen Kirche bedeutet sie nicht nur den Verzicht auf Ehe, sondern auch auf alle sexuellen Handlungen und streng genommen auch die Unterdrückung sexueller Fantasien (Keuschheit der Gedanken, vgl. dazu den Apostel Paulus, aber auch Jesu Aussagen über den Ehebruch in der Bergpredigt ("Wer eine Frau anschaut, ihrer zu begehren, ...")).

In der Tradition der römisch-katholischen Kirche gehört Keuschheit zu den Evangelischen Räten.

Anfang der 1990er Jahre entstand in den USA in evangelikalen Kreisen die Jugendbewegung "True Love Waits", die für Enthaltsamkeit bis zur Ehe eintritt. Daraus entwickelte sich eine internationale Jugendbewegung, die auch im deutschen Sprachraum unter dem Namen "Wahre Liebe wartet" vertreten ist.

Islam

Im Islam ist unter anderem das Kopftuch (oder auch der Schleier) ein symbolisches äußeres Zeichen für den freiwilligen Verzicht auf sexuelle Handlungen zwischen unverheirateten Partnern/Verlobten und beim Ehepaar für den Verzicht auf sexuelle Handlungen mit jemand anderem als dem Ehepartner (s. a. Treue). Eine wichtige Aussage des Koran findet sich in Sure 17:32: Und nahet nicht dem Ehebruch .... Darüber hinaus empfiehlt der Islam, jeden unnötigen Kontakt zwischen den Geschlechtern zu vermeiden. Männer werden dazu aufgefordert, ihre Blicke zu Boden zu schlagen (Sure 24:30).
Lebenslange Enthaltsamkeit wird im Islam aber abgelehnt, da (nach einem Hadith) die Ehe der halbe Glauben ist und der Koran das Mönchstum ablehnt (Sure 57:27).

Sozialer Hintergrund ist, dass das entblößte Haupthaar in diesen (wie auch in vielen anderen historischen und gegewärtigen Gesellschaften) als sinnlicher (sexueller) Reiz empfunden wird. (Vgl. dazu den Habit christlicher Nonnen.)

Begriffsverkehrung

In den vergangenen Jahrzehnten hat das Thema "Keuschheit" die BDSM-Szene beschäftigt. Ein moderner Keuschheitsgürtel gibt dem dominanten Partner die (fast absolute) Kontrolle über das Geschlecht und das Sexualverhalten des submissiven Partners. Die Keuschheit dient als Teil des einvernehmlichen Spiels dazu, Macht auszuüben oder zu verspüren. Damit kann eine einzelne Session sehr einfach im Verborgenen auf den Alltag zu einer 24/7 SM-Beziehung ausgedehnt werden, ohne Verwandte und Bekannte durch ein Coming-out vor den Kopf zu stoßen. In diesem Zusammenhang wird das angebliche Ideal der "Keuschheit" ad absurdum geführt, denn es soll die sexuelle Spannung gesteigert werden, um sie beim Aufschließen des Gürtels desto unkeuscher zu entladen.

Gegenbegriffe

Den Gegensatz zur Keuschheit bildet die Geilheit, die als Wollust (luxuria) in der christlichen Religion eine der sieben Todsünden darstellt.

Zitate

  • Wo ist sie hin, die Zeit, da ich noch alle Männer für redlich und alle Weiber für keusch hielt. (Jean Paul)
  • Herr, gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit, aber noch nicht jetzt! (Augustinus von Hippo als Jugendlicher vor seiner Bekehrung)
  • Wenn du fest entschlossen bist, ein sauberes Leben zu führen, ist die Keuschheit keine Last für dich, sondern Krone des Sieges. (Josemaría Escrivá)
  • Ein Großteil des modernen Widerstandes gegenüber Keuschheit stammt vom Glauben der Menschen, dass sie ihre eigenen Körper ‘besitzen’. (C. S. Lewis)
  • Keuschheit bedeutet die geglückte Integration der Geschlechtlichkeit in die Person und folglich die innere Einheit des Menschen in seinem leiblichen und geistigen Sein. Die Geschlechtlichkeit, in der sich zeigt, daß der Mensch auch der körperlichen und biologischen Welt angehört, wird persönlich und wahrhaft menschlich, wenn sie in die Beziehung von Person zu Person, in die vollständige und zeitlich unbegrenzte wechselseitige Hingabe von Mann und Frau eingegliedert ist. (Aus dem Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2337)
  • Und keusche Frauen der Gläubigen und keusche Frauen derer, denen vor euch die Schrift gegeben wurde, wenn ihr ihnen ihre Morgengabe gebt, nur in richtiger Ehe und nicht in Unzucht, noch dass ihr heimlich Buhlweiber nehmt. (Sure 5:5)
  • Sprich zu den gläubigen Männern, dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren sollen. Das ist reiner für sie. (Sure 24:30)
  • Und diejenigen, die keine (Gelegenheit) zur Ehe finden, sollen sich keusch halten, bis Allah sie aus Seiner Fülle reich macht. (Sure 24:33)
  • Von allen sexuellen Verirrungen ist die Keuschheit die abwegigste. (Anatole France)


Verwandte Themen

Enthaltsamkeit, Jungfrau, Jüngling, Nacktheit, Scham, Scheu, Weiblichkeit, Zensur.

Siehe auch

Triebverzicht, Satyagraha


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