Geschichte der Karpatenukraine

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Dies ist die Geschichte der Karpato-Ukraine, welche in der heutigen Ukraine liegt.

Erste Slawen

Nachdem das Gebiet während der Völkerwanderungszeit von vielen verschiedenen Völkern vorübergehend bewohnt wurde, wurde im 6. Jahrhundert der mittlere Teile der Karpato-Ukraine von vom Norden kommenden Slawen besiedelt. Im 7. Jahrhundert grenzte das dünn besiedelte Gebiet im Süden an das Reich der Awaren. Im 8. Jahrhundert wurde die Karpatoukraine zahlreicher besiedelt. Im 9. Jahrhundert war der westliche Teil wahrscheinlich Bestandteil des Neutraer Fürstentums in der heutigen Slowakei und später im gleichen Jahrhundert sicherlich Bestandteil von Groß-Mähren mit einer wichtigen Burgstätte in Uschhorod. Der südwestliche Teil des Gebietes war wahrscheinlich jenes Territorium, das 896 das erste Ziel eines (erfolgreichen) Angriffs der aus Asien angekommenen nomadischen ungarischen Stämme gegen Groß-Mähren war. Nach ungarischen Sagen sind die Ungarn durch die Verecke-Pass in die Karpatenbecken im Jahre 896 gekommen. Im 10. und frühen 11. Jahrhundert war das Gebiet Bestandteil der Kiewer Rus.

Teil Ungarns

In der Mitte des 11. Jahrhunderts wurde das Gebiet sukzessive an Ungarn angeschlossen. Die Bewohner Ungarns aus dieser Region aus dieser Zeit werden in den Quellen in der Regel nur als Rutheni Regiae Majestatis, d. h. militärische Kolonien in königlichen Diensten, erwähnt. Ruthenische Bauern werden erst im 13. Jahrhundert erwähnt. Bis 1918 umfasste das Gebiet innerhalb Ungarns die Komitate (Gespanschaften) Usch (ungarisch Ung), Bereg, Ugotsch (ungarisch Ugocsa) und die Nordhälfte von Maramures (Marmaros, ungarisch Máramaros).

Nach dem Mongoleneinfall in Ungarn 1242 wurde das Gebiet von vielen neuen Ruthenen besiedelt. Im 13.bis 15. Jahrhundert wurden bestimmte Gebiete der Karpato-Ukraine Fürsten aus dem Gebiet hinter den Karpaten geschenkt. So wurde beispielsweise die Burg Füzér (heute in Ungarn) mit zwei Dörfern (Posessiones Rutheni coles) in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts dem Fürsten Rostislav Michajlovič geschenkt und dem Fürsten Fedir Kojatovič 1396 Mukacheve. Letzterer hat später das Orthodoxe Kloster des Hl. Nikolaus auf dem Hügel des Mönchs errichtet.

Etwa seit dem 13. Jahrhundert kam es zur Kolonisierung durch die so genannten Walachen, d. h. es wurden Gemeinden (Krajna) nach walachischem Recht gegründet. Um 1440 haben die ersten Orthodoxen Bischöfe begonnen, von Mukatschewe aus, für die Ruthenen in den Karpaten tätig zu sein. Zu dieser Zeit und in den folgenden Jahrhunderten war die Hauptbeschäftigung der Bevölkerung Viehzucht und –handel. Die meisten ethnischen Ungarn (Magyaren) sind in den südwestlichen Teil des Gebiets ab der Mitte des 16. Jahrhunderts eingezogen, nachdem der Großteil des heutigen Ungarns Bestandteil des Osmanischen Reiches wurde.

Vom 16. Jahrhundert (?) bis zum 18. Jahrhundert (?) waren die östlichen zwei Drittel des Gebiets (zeitweise auch das ganze Gebiet) Bestandteil von Siebenbürgen (das mehr oder weniger ein Teil Ungarns war). Im Jahre 1646 wurde durch die Union von Uschhorod die Orthodoxe Kirche in Ungarn (Ostslowakei, Karpatoukraine, nordöstliches heutiges Ungarn) Rom unterstellt, wodurch die heutige Griechisch-Katholische Kirche entstanden ist. 1698-1699 sind die ersten für die Ruthenen bestimmten Bücher erschienen, die Fibel und der Katechismus; die erste karpatenrussische Zeitung ist erst 1867 erschienen. Um 1700 war die westliche Karpatoukraine die Ausgangsbasis für die in der heutigen Slowakei (damals Oberungarn) stattfindenden antihabsburgischen Aufstände des Emmerich Thököly und vor allem des Franz Rákóczi II.

Die in Tschechien und der Slowakei bereits in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte so genannte nationale Widergeburt hat bei den Ruthenen erst 1849-1867 stattgefunden, allerdings ohne nennenswerte Erfolge. Nachdem 1849 die Ungarn von russischen Truppen geschlagen wurden, legten die Ruthenen unter der Führung des Politikers Adolf Ivan Dobrjanský der Regierung ihre Forderungen nach Anerkennung ihrer Nation, Sprache und einer entsprechenden Verwaltungsgliederung vor. Nach der Bildung von Österreich-Ungarn waren die Ruthenen, genauso wie die Slowaken, Deutschen und andere Nationalitäten in Ungarn, einer sehr starken Magyarisierung ausgesetzt. Am Ende des 19. Jahrhunderts brach ein erster Aufstand gegen Ungarn aus, der sich für einen Anschluss an das ukrainische Gebiet aussprach.

Bevor das Gebiet 1919 der Tschechoslowakei angeschlossen wurde, war es eines der wirtschaftlich rückständigsten Gebiete Europas. Das gesamte industrielose Gebiet war in den Händen von ungarischen Großgrundbesitzern, die dort praktisch nur zur Jagd in die Karpaten fuhren, und die ruthenische/ukrainische Bevölkerung waren größtenteils Analphabeten. Erst 1872 wurden in dem Gebiet die ersten Eisenbahnlinien eröffnet (Budapest-Uschhorod (Ungvár) sowie Lwiw-Budapest) und 18801919 fand eine massive Auswanderung in die USA statt.

Teil der Tschechoslowakei

Im Zuge des Zerfalls von Österreich-Ungarn waren einige Ruthenen im November 1918 für eine Angliederung an die Ukraine, andere wollten zu Russland, andere wiederum eine Autonomie innerhalb Ungarns, und der amerikanische Nationalrat der Karpatenrussen vereinbarte mit Tomáš Garrigue Masaryk die Angliederung an die neu entstandene Tschechoslowakei. Am 26. Dezember gestand Budapest dem Gebiet eine Autonomie (unter dem Namen Ruska Krajina) zu, die im März 1919 innerhalb der kurzlebigen Ungarischen Räterepublik (Ungarische Sowjetrepublik) noch ausgeweitet wurde.

Die Alliierten beschlossen jedoch, das Gebiet der Tschechoslowakei anzuschließen, da sich diese als das stabilste und wirtschaftlich stärkste Land Mitteleuropas erwies, was für das multiethnische und rückständige Karpatenrussland damals wichtig war. Nachdem tschechoslowakische Truppen das Gebiet 1919 besetzt hatten, hat der Zentrale Nationalrat der Karpatenrussen in Uschhorod am 8. Mai 1919 für eine Angliederung an die Tschechoslowakei gestimmt. Nachdem die Tschechen und Slowaken jedoch das Ausmaß der Rückständigkeit dieses Gebietes gesehen hatten, weigerten sie sich dann doch, Karpatenrussland an die Tschecho-Slowakei anzuschließen. Es war aber zu spät, denn bei den Verhandlungen über den Vertrag von Saint-Germain wurden sie von den Alliierten aus den vorstehend genannten Gründen praktisch zum Anschluss gezwungen. Mit dem Vertrag von Saint Germain vom 10. September 1919 erhielt die Tschechoslowakei Karpatenrussland, mit der bei der Pariser Friedenskonferenz gestellten Auflage, diesem eine weite Autonomie zu gewähren. Diese Autonomie wurde dem Gebiet jedoch in der Praxis bis 1938 nicht gewährt (das Parlament für das Gebiet wurde nie einberufen, der Gouverneur wurde vom Präsidenten der Tschechoslowakei ernannt) und das Gebiet bildete de-facto nur eine Provinz namens Karpatenrussland (Podkarpatská Rus, wörtlich Subkarpatisches Ruthenien). Hauptstadt war wie heutzutage Uschhorod.

Die Ruthenen waren neben der fehlenden Autonomie auch mit dem Grenzverlauf zur Slowakei unzufrieden, da dieser 1919 150.000 Ruthenen auf dem Gebiet der nordöstlichen Slowakei beließ (auch bis heute).

Das Gebiet erfuhr zu Zeiten der Tschechoslowakei einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung, doch blieb es die bei weitem ärmste Region des Landes.

Aufgrund einer starken kulturellen und sprachlichen Verwandtschaft der Bevölkerung des Gebiets mit den Ukrainern, Lemkos und Boikos in der Sowjetunion und in Polen der Zwischenkriegszeit, gab es in Karpatenrussland während der gesamten Zwischenkriegszeit sezessionistische Tendenzen. Politisch war das Gebiet durch zahlreiche Parteien charakterisiert, von denen die politischen Gruppierung der Ukrainophilen, Russophilen, die Kommunisten und jene der Ungarn am wichtigsten waren. Die Ukrainophilen, die von der Nationalen Christlichen Partei von Augustin Woloschyn vertreten wurden, waren in der Regel griechisch-katholisch und waren überwiegend für eine Autonomie innerhalb der Tschechoslowakei, teiweise jedoch für eine Angliederung an die Ukraine. Die Russophilen, die von der Landwirtschaftlichen Föderation von Andrej Brodij bzw. von der faschistischen Partei von Fencik vertreten wurden, waren meist griechisch-orthodox und wollten ebenfalls Autonomie. Die Ungarn wurden von der Vereinigten Ungarischen Partei vertreten, die in den Wahlen konstante 10% der Stimmen in Karpatenrussland gewann und in permanenter Opposition zu Prag stand. Die aufgrund der Rückständigkeit des Gebiets starken Kommunisten waren für eine Angliederung an die Sowjetunion (Ukraine). In den Wahlen von 1935 gewannen diejenigen Parteien, die die Regierung in Prag unterstützten, nur 25% der Stimmen; 63% entfielen auf Gegner der Prager Politik wie die Kommunisten (25% der Stimmen), die Ungarn-Partei und die autonomistischen Gruppierungen.

Nachdem auch die Slowakei Anfang Oktober 1938 ihre Autonomie innerhalb der Tschechoslowakei proklamiert hatte, wurde auch in Karpatenrussland am 11. Oktober die erste autonome Regierung unter Andrej Brodij gebildet, und am 26. Oktober die zweite unter Augustin Woloschyn. Das Gebiet wurde im November dann in die Karpato-Ukraine umbenannt.

November 1938 - 1945

Am 2. November 1938 wurde der südwestliche, überwiegend von Ungarn bewohnte Teil des Gebiets mit Mukatschewe (ungar. Munkács) und Uschhorod (ungar. Ungvár) aufgrund des 1. Wiener Schiedsspruchs erneut Ungarn zugesprochen. Als Sitz der Regierung der Karpato-Ukraine wurde daraufhin Hust' bestimmt.

Schon kurz darauf versuchte Ungarn, auch den Rest der Karpato-Ukraine zu annektieren. Ziel war vor allem eine gemeinsame Grenze mit dem befreundeten Polen und der Besitz der Theißquellen. Die beiden Schiedsrichtermächte des Wiener Spruches, Deutschland und Italien wollten sich jedoch durch die Ungarn nicht düpieren lassen und pfiffen die Ungarn zurück.

Am 15. März 1939, nachdem die benachbarte Slowakei ihre Unabhängigkeit proklamiert hatte sowie Böhmen und Mähren deutsches Protektorat geworden waren, erklärte die Rest-Karpato-Ukraine ihre Unabhängigkeit, wurde aber noch am gleichen Tag, im Widerspruch zu den Bestimmungen des Wiener Schiedsspruches, von Ungarn annektiert. Ungarische Soldaten stießen dabei auf militärischen Widerstand der einheimischen Bevölkerung. Die von Ungarn eine Woche später von der Karpato-Ukraine versuchte Eroberung der Slowakei schlug nach einigen Scharmützeln fehl.

Nach der deutschen Besetzung Ungarns am 19. März 1944, im April und Mai wurden über 100.000 Juden aus dem Gebiet in deutsche Todeslager deportiert; im Herbst 1944 vertrieb die von Osten vorrückende Sowjetarmee Deutsche und viele Ungarn aus der Karpato-Ukraine. Das Gebiet war vorläufig wieder Bestandteil der Tschechoslowakei und es wurde eine tschechoslowakische Delegation in das Gebiet geschickt. Die wirkliche Macht lag jedoch in den Händen der allerorts gebildeten lokalen Nationalausschüsse, deren Kontaktaufnahme mit den tschechoslowakischen Behörden von den Sowjets systematisch unterbunden wurde. Benes verbot die Tätigkeit der ungarischen, deutschen, russophilen Parteien sowie der faschistischen Fencik-Partei; übrig geblieben waren damit praktisch nur die Kommunisten und die Prag-Anhänger. Am 26. November 1944 sprach sich eine Versammlung der Nationalausschüsse in Mukatschewe (dt. Munkatsch,ung. Munkács) auf Initiative der Kommunisten von Mukatschewe schließlich für eine Angliederung an die Sowjetunion als „Transkarpatische Ukraine“ aus. (Das war natürlich eine Entscheidung von Stalin selbst.) Nach anschließenden Verhandlungen zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion, bei denen die (seit dem Zweiten Weltkrieg teilweise von Moskau aus gesteuerten) Kommunisten aus der Tschechoslowakei Benes überredeten, das Gebiet an die Sowjetunion abzutreten, wurde vereinbart, das Gebiet nach Kriegsende der Sowjetunion zu übergeben. Im Juni 1945 geschah dies dann auch. Die zahlreichen Tschechen und Slowaken, die in der Karpato-Ukraine lebten, hatten die Möglichkeit erhalten, tschechoslowakische Staatsbürger zu werden. Die Sowjetunion gliederte das Gebiet der Ukrainischen Sowjetrepublik an. Seither teilt das Gebiet die Geschichte der Ukraine.