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Determinationsthese

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Die Determinationsthese, oft auch Determinierungshypothese genannt, ist ein Modell zur Erklärung des Verhältnisses zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit / PR. Der Begriff stammt aus der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft.

Das Modell

Die Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Baerns entwickelte die Determinationsthese – auch wenn sie sie selbst nicht so nannte. Der Ausgangspunkt für sie war die auffällige Konsonanz (Übereinstimmung) der Berichterstattung verschiedener Medien zu jeweils einem Thema. Sie stellte in ihrer 1981 abgeschlossenen Untersuchung die landespolitische Öffentlichkeitsarbeit in Nordrhein-Westfalen in Form von Pressemitteilungen und Pressekonferenzen der Gesamtberichterstattung über landespolitische Themen in der Presse gegenüber. Sie kam zum Ergebnis, dass 60-70 % der Berichterstattung in den Medien auf Öffentlichkeitsarbeit zurückgehen. Aus ihren Forschungsergebnissen folgerte sie:

  • Journalistisches Berufsbild des freien kritischen Berichterstatters widerspricht tatsächlichen Tätigkeitsmerkmalen im arbeitsteilig und großbetrieblich organisierten und terminierten Produktionsprozess.
  • Öffentlichkeitsarbeit und PR haben Themen und Timing der Medienberichterstattung weitgehend unter Kontrolle.
  • Je mehr Einfluss PR hat, desto weniger Einfluss hat der Journalismus (und andersherum). (Baerns bezeichnet das als Nullsummenspiel)
  • Journalisten (auch Agenturjournalisten) verhalten sich passiv vermittelnd gegenüber PR-Material. Der Aussagegehalt von PR-Botschaften wird durch Journalismus kaum verändert.
  • Es findet eine Reduktion der Informationsvielfalt auf die unterschiedliche Interpretation, Selektion und medientechnisch-dramaturgische Umsetzung des vorgegebenen Materials statt.
  • Der Journalismus tritt als autonomes Informationssystem hinter die Selbstdarstellung der PR zurück. Die Leistung der Medien besteht weitgehend in der Spiegelung des durch PR Angebotenen.

Kritik an der Determinationsthese

Diese Ergebnisse haben zu einer weiteren Beschäftigung der Wissenschaft mit dem Verhältnis von PR und Journalismus geführt. Kritikpunkte sind u.A.:

  • die methodische Einseitigkeit (nur Einfluss der PR auf Journalismus untersucht),
  • die nicht beachteten Unterschiede in verschiedenen Medien,
  • die nicht beachteten weiteren Einflussfaktoren auf den Journalismus,
  • die Sichtweise, dass PR und Journalismus konkurrierende Systeme seien. Baerns Modell lässt nicht zu, dass beide Systeme symbiotisch voneinander profitieren z.B. durch Medienpartnerschaften bei Veranstaltungen und ökonomische Vorteile für das journalistische System durch bspw. preiswerte Übernahme von PR-Material und anschließende Berichterstattung.
  • die nicht beachteten Schwierigkeiten der PR, in Krisensituationen ihre Botschaften zu kommunizieren.

Weiterentwicklung der Determinationsthese

Die Forschungsergebnisse lösten eine rege Forschungstätigkeit in diesem Gebiet aus. Forschungsbefunde in anderen Regionen haben das Determinationsmodell als zu stark vereinfachend erscheinen lassen.

René Grossenbacher untersuchte 1985 18 schweizerische Zeitungen bezüglich der Verarbeitung des Informationsmaterials von 53 Pressekonferenzen über eine Input-Output-Analyse. Zusätzlich befragte er 12 Journalisten über den Umgang mit Quellen, nach Arbeitsabläufen und nach dem beruflichen Selbstverständnis. Sein Fazit:

  • Kaum Abwandlung der PR-Texte durch die Journalisten außer Vermehrung von Zitaten und Neutralisierung der Sprache. Die eigentliche Informationsproduktion obliegt der PR, dem Journalismus obliegt nur die Selektion, Neutralisierung und Verdichtung des Inputs.

Damit bestätigte Grossenbacher für die schweizerischen Zeitungen Baerns These, die Öffentlichkeitsarbeit determiniere den Journalismus. Er stellte aber gleichzeitig fest, dass eine gegenseitige Abhängigkeit bestünde.

1992 untersuchten Wolfgang Donsbach und Henrike Barth die Berichterstattung über Pressekonferenzen. Sie kommen zu dem Schluss, dass zwischen beiden Systemen ein Konkurrenzverhältnis bei der Gestaltung von Medieninhalten vorherrscht:

  • Auswahl der Themen durch professionelle Werte und Ziele des Journalisten; aktive Rolle des Journalisten bei der Beschaffung und Selektion der Medieninhalte
  • Konstruktion der Medieninhalte ist durch die PR der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteure bestimmt; passive Rolle des Journalisten, die vorwiegend durch Strukturen des Kommunikationssystems bedingt ist.

Das bedeutet, dass der Einfluss der PR auf den Journalismus variiert. Dies hängt zum Einen vom Nachrichtenwert des Ereignisses ab (so werden Krisen-Pressekonferenzen von Journalisten stärker nachrecherchiert als Alltags-Pressekonferenzen), zum Anderen von der Einstellung des Journalisten zur Quelle. In dem Sinne, dass sich der WWF positiv über Atomkraft, eine Pressekonferenzen über Atomreaktoren hingegen eher negativ äußern würde.

Zu gänzlich anderen Ergebnissen kommt Saffarnia 1992 für die österreichische Tageszeitung Kurier hinsichtlich des Umgangs mit PR-Material. Das Ergebnis:

  • Hohe Transformationsleistung / Eigenleistung durch Journalisten (zusätzliche Recherche, Kommentierung, ...)

Mittlerweile gilt die Determinierungsthese, weil sie nicht alle Aspekte des Verhältnisses von Journalismus und PR betrachtet, als veraltet. Andere Modelle, wie das Intereffikationsmodell, haben die Determinierungsthese erweitert. Zur Zeit dominieren in der Kommunikationswissenschaft systemtheoretische Überlegungen über das Verhältnis zwischen Journalismus und PR, allerdings auf sehr hohem Abstraktionsniveau.

Intereffikationsmodell von Bentele/Liebert/Seeling

Ausgehend von der Annahme, dass PR und Journalisten aufeinander angewiesen sind, formuliert Günter Bentele 1997 die Intereffikationsthese: Journalismus und Public Relations sind zwei ausdifferenzierte Teilsysteme der öffentlichen Kommunikation, die einander wechselseitig beeinflussen. Intereffektion ist ein Kunstwort, das aus den lateinischen Wörtern inter (zwischen) und efficare (etwas ermöglichen) zusammengesetzt ist, also in etwa "gegenseitige Ermöglichung" bedeutet. Die zentrale These: Sowohl im Journalismus, wie auch in der Öffentlichkeitsarbeit sind die jeweiligen Kommunikationsleistungen nur möglich, "weil die andere Seite existiert und mehr oder weniger bereitwillig mitspielt".[1] PR-Leistung ermöglicht also Journalismus und erst Journalismus ermöglicht PR.


Mit diesem Modell wurde vor allem die Einseitigkeit der Determinierungsthese aufgegeben. Es bezieht mehrere Ebenen und Prozesse ein, die nicht nur von einer Seite verursacht werden, sondern im Zusammenspiel gesehen und analysiert wurden. Eine abschließende Operationalisierung der komplexen Struktur des Modells steht noch aus. Bentele selbst beschreibt das Modell als deskriptiv und bezeichnet es lediglich als Grundlage für weitere empirische Untersuchungen. Kritik hat dieses Modell wegen seiner angeblichen "Machtvergessenheit" und sprachlichen Erfindung. Andere Autoren (Stephan Ruß-Mohl) schlagen eher die Bezeichnung parasitäre Beziehung vor, wobei auch hier keine Richtung vorgegeben sein soll.

Literatur

  • Baerns, Barbara: Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus. Zum Einfluß im Mediensystem. Wissenschaft und Politik, Köln, 1991 (1. Aufl. 1985).
  • Bentele, Günter/Tobias Liebert/Stefan Seeling: Von der Determination zur Intereffikation. Ein integriertes Modell zum Verhältnis von Public Relations und Journalismus. In: Bentele/Haller (Hrsg.): Aktuelle Entstehung von Öffentlichkeit. Akteure-Strukturen-Veränderungen. Konstanz 1997, S. 225-250.
  • Bentele, Günter: Parasitentum oder Symbiose? Das Intereffikationsmodell in der Diskussion. In: Rolke, Lothar/Volker Wolff (Hrsg.): Wie die Medien die Wirklichkeit steuern und selber gesteuert werden. Opladen: Westdeutscher Verlag 1999, S. 177-193.
  • Bentele, Günter, Howard Nothhaft: Das Intereffikationsmodell. Theoretische Weiterentwicklung, empirische Konkretisierung und Desiderate. In: Altmeppen, Klaus-Dieter/Ulrike Röttger/Günter Bentele (Hrsg.): Schwierige Verhältnisse. Interdependenzen zwischen Journalismus und PR. Wiesbaden 2004, S. 71-116.