Brüderbewegung

freikirchliche Bewegung
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Die Brüderbewegung ist eine freikirchliche Bewegung, deren örtliche Gemeinden zwar selbstständig, aber in Lehre und Praxis der Gesamtheit der "Versammlung" verbunden sind. In Deutschland hat sich ein Teil der Gemeinden 1942 mit den Baptisten zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden vereinigt. Weltweit gehörten den verschiedenen Richtungen der Brüderbewegung Ende der 1990er Jahre etwa eine Million Menschen an.

Die Brüdergemeinden (ab 1829) sind nicht zu verwechseln mit der Herrnhuter Brüdergemeine (ab 1722) oder mit den beiden württembergischen Brüdergemeinden Korntal und Wilhelmsdorf. Deren Ursprung ist der württembergische Pietismus, der keine gemeinsamen historischen Wurzeln mit der Brüderbewegung hat.

Andere Bezeichnungen für die Brüderbewegung

Ursprünglich lehnte es die Brüderbewegung ab, sich einen offiziellen Namen zu geben. Sie beanspruchte für sich nicht, jeweils Gemeinde ("Versammlung") Gottes am Ort zu sein, sondern hielt daran fest, dass zu der Gemeinde Gottes am Ort alle dort lebenden Gläubigen gehören, gleich zu welcher Gruppierung oder Denomination sie sich zählten. Sie wollten jedoch so gut sie es verstanden und mit der Hilfe des Herrn gerade diese Wahrheit demonstrieren und somit ein "Zeugnis" derselben darstellen. Eine besondere Bezeichnung hätte sie wieder zu einer der verschiedenen Konfessionen gemacht, was sie unbedingt zu verhindern suchte. Ihre strikte Ablehnung jedes Namens führte dazu, dass sie von ihrem Umfeld mit unterschiedlichen Bezeichnungen belegt wurde. Hinzu kam, dass sich die Bewegung im Laufe der Zeit in mehrere Gruppen spaltete, die sich z.T. gegenseitig ihre Rechtmäßigkeit absprachen. Insofern wurden weitere Bezeichnungen notwendig, um zum Beispiel die "offenen Brüdergemeinden" von den "geschlossenen" zu unterscheiden.

Folgende Bezeichnungen für die Brüderbewegung bzw. einzelne ihrer Teile finden heute Verwendung:

  • "Brüderversammlungen"
  • "Christen ohne Sonderbenennung" oder "ohne Sonderbekenntnis"
  • "Christliche Versammlung" oder einfach nur "Versammlung" (nach der Übersetzung der Elberfelder Bibel, in der das griechische "ekklesia" (Luther: Gemeinde) mit "Versammlung" wiedergegeben wird)
  • "Darbysten" (nach dem Begründer des "geschlossenen" Flügels der Brüderbewegung John Nelson Darby; von den Betroffenen selbst wird diese Bezeichnung besonders entschieden abgelehnt, da man sich nicht nach einem Menschen nennen möchte und das Wort zudem oft abwertend verwendet wird)
  • "Exklusive" (in Deutschland Bezeichnung für die "geschlossenen" Brüdergemeinden; im engl./intern. Sprachraum Bezeichnung für die in Deutschland "Ultra-Exklusive" genannte Richtung, s.u.)
  • "Ultra-Exklusive" oder die "Englischen Brüder" oder im engl./intern. Sprachraum "Exclusive Brethren" (s.o.) bzw. "Raven/Taylor Brethren"; eine besonders exklusive Richtung mit straffer internationaler Führung; aus einer Trennung in Großbritannien (London) in den Jahren 1890ff hervorgegangen; hauptsächliche Führer dieser Richtung waren F.E. Raven und nach ihm J. Taylor sr. und jr.
  • "Plymouth Brethren" (Plymouth-Brüder)
  • "Tight Open Brethren" (Bezeichnung für eine Gruppe, die zwischen "offen" und "geschlossen" steht; verbreitet vor allem in Kalifornien/USA mit mittlerweile weltweitem Einfluss durch unter Brüdergemeinden populäre Buchautoren wie William MacDonald und Jean Gibson. In Österreich im Salzburger Land sind in den letzten Jahrzehnten etliche Brüdergemeinden dieses Typs entstanden, vereinzelt auch in Deutschland)

Geschichte

Irland und England

Keimzellen der Brüderbewegung waren mehrere kleine Kreise von Christen in Dublin, Irland, die sich regelmäßig zum Bibelstudium versammelten. Zentrum der Lehren war, dass Jünger Christi frei und unabhängig von Denominationen zusammenkommen, das Wort Gottes verkündigen, sich von der Welt absondern und gleichzeitig die Wiederkunft Jesu erwarten sollten. Die Zersplitterung der Christenheit in viele verschiedene Kirchen und Gemeinschaften lehnte man ab und hatte den Wunsch, der Einheit der Gläubigen, die vor Gott trotzdem bestehe (Epheser 4,4a), Ausdruck zu verleihen, indem man verwaltende Organisation so viel wie möglich aufgab und einfach als "lebendiger Organismus" zusammenkam. Jeder überzeugte Christ war willkommen, von welcher Konfession er auch kam. 1829 wagte man es in einem dieser Kreise, zu dem auch der Zahnarzt und spätere Missionar Anthony Norris Groves (1795-1853) gehörte, erstmals auch das Abendmahl zu feiern, da es nicht an eine Institution gebunden sei. Groves war der Überzeugung, "dass Gläubige, die sich als Jünger Christi versammeln, frei seien, das Brot miteinander zu brechen, wie ihr Herr es ihnen anvertraut hat". Bald fand auch der anglikanische Geistliche John Nelson Darby durch den Juristen John Gifford Bellett Kontakt zu diesem Kreis, der der Ursprung der Brüderbewegung werden sollte.

Innerhalb weniger Jahre entstanden auch in Großbritannien ähnliche Kleingemeinden. Durch Benjamin Wills Newton kam Darby zusammen mit George Vicesimus Wigram, dem späteren Herausgeber von Konkordanzen zum biblischen Grundtext, nach Plymouth. Dort gab es einen evangelistisch tätigen ehemaligen Marineoffizier namens Percy Francis Hall, mit dem sie sich zusammenschlossen und im Januar 1832 ebenfalls eine Gemeinde gründeten. Plymouth wurde bald das Zentrum der Bewegung, weshalb die Brüderbewegung lange auch unter dem Namen "Plymouth Brethren" bekannt war. Verschiedentlich gab es Anfeindungen von Seiten der kirchlichen Kreise.

Im Laufe der Zeit erlangte Darby großen Einfluss und wurde der informelle Führer der vor allem auf Heiligung und Absonderung bedachten Richtung der Brüderbewegung. Demgegenüber betonten Georg Müller (1805-1898) und Henry Craik (1805-1866), die sich seit 1832 in der Bethesda-Kapelle im englischen Bristol versammelten, mehr die Aspekte Einheit, Mission und Diakonie. Während Darby die "philadelphische" Gemeinde (vgl. Offenbarung 3,7-13) jenseits aller christlichen Denominationen um den einen Tisch sammeln wollte, legten Müller und seine Gemeinde mehr Wert auf Begegnung und Zusammenarbeit mit aktiven Christen aus anderen Konfessionen. Ursprünglich waren beide Strömungen der Brüderbewegung jedoch noch miteinander verbunden und tauschten sich im Verkündigungsdienst aus.

Trennungen

Zum Bruch kam es im Jahr 1848 über die Frage der überörtlichen Verbindlichkeit von Gemeindeausschlüssen und um Newton und seine Lehren über die Leiden Christi. Die Brüder um Darby entwickelten ein sehr enges Gemeinschafts- und Gemeindeverständnis und verlangten von allen mit ihnen Verbundenen, Gemeindeausschlüsse untereinander anzuerkennen und zu beachten. Die Gemeinde in Bristol und in ihrem Gefolge auch viele andere schlossen sich diesem Weg Darbys jedoch nicht an und nannten sich deshalb später "offene Brüder", während Darbys Gemeinden als "geschlossene" oder "exklusive Brüder" bekannt wurden. (Die Bezeichnung "exklusiv" von lat. excludere entstand, weil dieser Zweig das Mahl des Herrn "ausschließend" feiert im Bewusstsein der kollektiven Verantwortung der örtlichen Versammlung (s.u., gemäß 1. Korinther 10) und nicht nur in persönlicher Verantwortung (1. Korinther 11). Er kommt also nicht daher, dass diese Christen sich für etwas Besseres halten würden oder angesehener wären.)

Kurz vor und nach dem Tod Darbys (1882) wurden mehrere führende Männer der Brüderbewegung (unter anderem William Kelly, Frederick William Grant und Clarence Esme Stuart) aus der Bewegung ausgeschlossen und gründeten eigene Gemeinden, die zum Teil heute noch bestehen. Große Teile konnten aber auch wieder zueinander finden. Die Trennung "offen – geschlossen" existiert dagegen grundsätzlich bis heute. (Im englischsprachigen Raum versteht man unter "Exclusive Brethren" hauptsächlich die Raven-Brüder, eine ab 1890 entstandene Richtung mit extrem starker Absonderung von Andersdenkenden.)

Deutschland

Sowohl die "geschlossene" als auch die "offene" Brüderbewegung fand den Weg nach Deutschland.

Geschlossene Brüder in Deutschland

Am Beginn der deutschen "geschlossenen" Brüderbewegung stehen die Namen Julius Anton von Poseck und Carl Brockhaus. Der Düsseldorfer Jurist Poseck übersetzte ab 1849 Schriften John Nelson Darbys und anderer englischer "Brüder" ins Deutsche und gründete ab 1851 im Rheinland auch Versammlungen nach englischem Vorbild. Der Elberfelder Lehrer Brockhaus war zunächst im Rahmen des "Evangelischen Brüdervereins" (nicht zu verwechseln mit der Schweizer Bewegung gleichen Namens) evangelistisch tätig, trat jedoch Ende 1852 mit einigen Mitarbeitern aus ihm aus und wurde zur führenden Persönlichkeit der deutschen "geschlossenen Brüder". 1853 fand er Kontakt zu Darby, der Deutschland zwischen 1854 und 1878 achtmal besuchte.

Von Elberfeld aus verbreitete sich die Brüderbewegung schnell, zunächst im Bergischen Land, im Siegerland, im Dillkreis und im Wittgensteiner Land. Brockhaus reiste jedoch auch darüber hinaus lehrend durch Deutschland, die Niederlande und die Schweiz, sodass an vielen Orten neue Gemeinden entstanden (z.T. unter Anfeindungen durch kirchliche Kreise). Um 1900 wurden in den "geschlossenen" Versammlungen 20.000 Anhänger geschätzt.

Mit Darby und anderen Mitarbeitern gab Brockhaus die Elberfelder Bibel heraus, eine wortgetreue Übersetzung der Heiligen Schrift (NT 1855, AT 1871; ab 1960 durchgreifend revidiert und seither nicht mehr so konkordant wie das ursprüngliche Werk). Vom Gedankengut der Brüderbewegung beeinflusst ist auch die von Cyrus I. Scofield bearbeitete Scofield-Bibel, die das dispensationalistische Modell der Heilsgeschichte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte.

Offene Brüder in Deutschland

Die Geschichte der deutschen "offenen Brüder" beginnt in gewisser Weise bereits 1843 mit einem Besuch Georg Müllers in Stuttgart; später wurde auch eine Gemeinde in Tübingen gegründet. Größere Zahlen von "offenen" Brüdergemeinden entstanden jedoch erst ab Ende des 19. Jahrhunderts. Die "offenen Brüder" standen in Beziehung zu dem Evangelisten Friedrich Wilhelm Baedeker, der durch seine zahlreichen Missionsreisen, die ihn bis zur russischen Strafkolonie Sachalin führten, zum entscheidenden Gemeindegründer der "offenen" Brüderbewegung in West- und Osteuropa wurde. Die "offenen Brüder" suchten auch in Deutschland die Begegnung und Zusammenarbeit mit anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Sie nahmen an Veranstaltungen der Evangelischen Allianz teil, waren engagiert im "Verband gläubiger Offiziere" und waren Mitbegründer der Allianz-Bibelschule Berlin, der heutigen Bibelschule Wiedenest im Oberbergischen.

Die Brüderbewegung im Dritten Reich

Am 13. April 1937 wurden die "geschlossenen" Brüdergemeinden von den Nationalsozialisten verboten, da man ihnen aufgrund ihrer starken Betonung der Absonderung von der Welt eine staatsfeindliche (und damit antinationalsozialistische) Haltung unterstellte (was auf die meisten aber nicht zutraf). Bereits im Mai 1937 konnte sich der größte Teil der "geschlossenen Brüder" mit Erlaubnis der Behörden als Bund freikirchlicher Christen (BfC) neu organisieren. Diesem Bund, zu dessen Statuten ausdrücklich das Bekenntnis zum nationalsozialistischen Staat gehörte, traten im November 1937 auch die "offenen Brüder" bei. 1942 vereinigte sich der BfC mit dem Bund der Baptisten zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (BEFG).

Zwischen 5 und 12 % vor allem der "geschlossenen Brüder" verweigerten sich sowohl dem BfC als auch dem BEFG und versammelten sich während der NS-Zeit im Untergrund.

Nachkriegszeit und heutige Situation in Deutschland

Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus konnten sich die "geschlossenen Brüder" wieder frei versammeln, und viele Mitglieder des BEFG (bald auch ganze Gemeinden) kehrten zu ihnen zurück (diese Richtung wird bis heute als "alte Versammlung" – umgangssprachlich "AV" – bezeichnet). Andere, die dem Bund ebenfalls ohne innere Überzeugung beigetreten waren, wollten jedoch nicht wieder in die "Enge" des "geschlossenen" Brüdertums zurück und formierten sich zu einer dritten Gruppe, die als "bundesfreie Brüder" oder "Freier Brüderkreis" bekannt wurde. Dadurch schrumpften die Brüdergemeinden im BEFG zur kleinsten "Brüder"-Gruppe zusammen: Mitte der 1980er Jahre machten sie nur noch 18 % der Brüderbewegung in der damaligen BRD aus, während 45 % den "geschlossenen Brüdern" und 37 % dem "Freien Brüderkreis" zuzurechnen waren (vgl. Jordy, Die Brüderbewegung in Deutschland, Bd. 3, S. 316).

Seit den 1990er Jahren trennen sich immer mehr "geschlossene" Gemeinden – teils freiwillig, teils gezwungenermaßen – von ihrer Gruppe und nehmen eine "offenere" Position ein. Hintergrund sind v.a. Streitigkeiten über Ausschlussverfahren und über Fragen der Gastzulassung zum Abendmahl. So sind eine Reihe von sog. "blockfreie Brüdergemeinden" entstanden.

Damit gibt es heute (wenn man von der zahlenmäßig unbedeutenden Raven-Gruppe absieht, die nur noch wenig mit den ursprünglichen "Brüder"-Grundsätzen zu tun hat) vier Gruppen von Brüdergemeinden in Deutschland:

  • Die "Bundesgemeinden", die dem BEFG angehören, über VEF und Evangelische Allianz auch enge Beziehungen zu anderen Freikirchen haben und mit ihnen zusammenarbeiten. Historisch gesehen "offen", geben diese Gemeinden "brüderspezifische" Besonderheiten in Lehre und Praxis allmählich auf und nähern sich den übrigen evangelikalen Freikirchen an. Die Zahl der Gemeinden beläuft sich auf etwa 140 mit ca. 9000 Gliedern.
  • Die "bundesfreien Gemeinden" ("Freier Brüderkreis") sind keinem übergeordneten Gemeindeverbund zugehörig, pflegen aber gute Beziehungen zu den Brüdergemeinden im BEFG und – je nach Gemeinde – auch mit anderen Freikirchen; teilweise arbeitet man in der Evangelischen Allianz mit. Bundesfreie Gemeinden vertreten typisch "offene" Lehrgrundsätze. Es gibt rund 200 Gemeinden mit ca. 13.000 Gliedern.
  • Die "blockfreien Gemeinden" sind ebenfalls keinem überörtlichen Verband angehörig, sie pflegen vor allem Beziehungen zu bundesfreien Gemeinden, jedoch keine Kontakte (mehr) mit "geschlossenen" Gemeinden. Teilweise arbeiten sie in allianzorientierten Aktionen mit. Zu dieser Gruppe gehören etwa 50 Gemeinden mit ca. 3000 Gliedern.
  • Die "geschlossenen Versammlungen" haben keine gemeindlichen Beziehungen zu Kirchen und Freikirchen, nur zu anderen "geschlossenen" Versammlungen. Die Mitarbeit in allianzorientierten Aktionen lehnen sie grundsätzlich ab; Abendmahlsgastzulassungen aus "nichtgeschlossenen" Gemeinden werden nicht praktiziert. Zurzeit gibt es etwa 220 Gemeinden mit ca. 14.000 Gliedern.

Seit ca. 1980 kommt es zunehmend zu Gemeindeneugründungen, die sich allgemein brüdergemeindlich orientieren. Diese Gemeinden haben meist keinen Bezug zur Geschichte der Brüderbewegung, stimmen aber in einem Großteil der Lehren mit den Brüdergemeinden überein und suchen in Konferenzen und Werken die Gemeinschaft mit ihnen. Zu den Werken, die solche Gemeindegründungen fördern, gehören die Deutsche Inland-Mission (DIM) und indirekt die Konferenz für Gemeindegründung (KfG). Gemeinden dieser Art gibt es inzwischen etwa 50 mit ca. 3000 Gliedern.

Lehre und Praxis

Die Brüdergemeinden verstehen sich als "bibeltreue" christliche Gemeinden, wobei das gemeindliche Leben wie auch das Lehrverständnis mit anderen freikirchlichen Gruppierungen in weiten Teilen konform gehen. Im Folgenden sollen daher nur die wesentlichen Unterschiede dargestellt werden.

Struktur

Einige Brüdergemeinden außerhalb des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden lehnen festgeschriebene Organisationsstrukturen ab. Die Zeit der biblischen Gemeindeämter (Hirten, Lehrer, Älteste und Diakone) ist entsprechend ihrer heilsgeschichtlichen Schau der Kirchengeschichte unwiederbringlich vorbei. Einer der Gründe: Es gibt keine Apostel mehr; nur sie konnten – so die Sicht einiger Brüdergemeinden – in die genannten Ämter berufen. Für die Gegenwart gilt allein das Wort Jesu: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte" (Matthäus 18,20). Über die Fragen des Gemeindelebens wird in so genannten "Brüderstunden" gesprochen, zu denen Brüder eingeladen sind, die der Gemeinde durch ihren Dienst vorstehen. Bei den Beschlüssen wird Einmütigkeit angestrebt. "Bewährte" und begabte Brüder werden von der Brüderversammlung mit der Durchführung der Gesprächsergebnisse beauftragt.

Da im Bereich der Vermögens- und Immobilienverwaltung ein gewisses Maß an Organisation von staatlicher Seite vorgeschrieben ist, hat man innerhalb vieler Brüdergemeinden einen kleinen Trägerverein gegründet, der die genannten Aufgaben übernimmt. Dieser Verein ist meist als gemeinnützig anerkannt und kann auch die erforderlichen Spendenquittungen ausstellen.

Die überregionale Verbindung zwischen den einzelnen Ortsgemeinden wird vor allem durch mehrmals jährlich stattfindende Bibelkonferenzen gefördert. Bekannte Konferenzen der BEFG-Gemeinden waren/sind u.a. die Berlin-Hamburger und die Köln-Elberfelder Konferenz; beim "Freien Brüderkreis" ist es die Dillenburger Konferenz, bei den "geschlossenen Brüdern" die Hückeswagener und die Dillenburger Konferenz. Im Jugendbereich erfreut sich die Wiedenester Konferenz zu Pfingsten großer Beliebtheit. Von mehreren Brüdergemeinden fest angestellte Reiseprediger tragen ebenfalls zur Vernetzung der Gemeinden bei.

Zu einem großen Teil wird in den Brüdergemeinden die Gläubigentaufe – fälschlicherweise oft als Erwachsenentaufe bezeichnet – praktiziert. Hier entscheidet sich der Einzelne bewusst für den Glauben an Jesus Christus und meldet sich bei Brüdern seines Vertrauens, um getauft zu werden. Eine Ausnahme bilden hier die Raven-Brüder, die auch Säuglinge taufen, sofern sie einer Gemeindefamilie entstammen und ihre christliche Erziehung gewährleistet ist. Diese auf John Nelson Darby zurückgehende Taufpraxis (auch Haustaufe genannt) wird in Frankreich und in der französischen Schweiz auch von den "geschlossenen Brüdern" geübt, während sie sich unter den deutschen "geschlossenen Brüdern" nicht durchsetzen konnte.

Die Taufe findet in einem größeren Becken (Baptisterium) statt, in dem der Täufling ganz untergetaucht wird (entsprechend der biblischen Taufpraxis). Diese Becken befinden sich häufig im Versammlungsraum der Gemeinde; die Taufe kann aber zum Beispiel auch im Schwimmbad, in einem offenen Gewässer oder in der Badewanne einer Privatwohnung vollzogen werden bzw.

Das sonntägliche Abendmahl – die Brüdergemeinden bezeichnen es als "Brotbrechen" – bildet das geistliche Zentrum des gemeindlichen Lebens. Die Gestaltung der Feier unterliegt keiner festgeschriebenen Liturgie, hat jedoch oft folgende Elemente: Die Gemeinde versammelt sich in aller Stille um den Abendmahlstisch, auf dem sich Brot und Wein befinden. Die beiden Substanzen des Abendmahls werden als Zeichen des Todes Jesu Christi, aber auch als "Zeichen der Liebe Gottes" verstanden. Nicht Menschen, sondern der Heilige Geist soll die Feier gestalten. Er bewegt nach Auffassung der "Brüder" verschiedene Männer der Gemeinde, zur Gestaltung der Feier beizutragen. So werden in nicht festgelegter Reihenfolge freie Gebete gesprochen, gemeinsam zu singende Lieder vorgeschlagen und Bibeltexte gelesen, mitunter auch kurze Ausführungen dazu. In den meisten Brüdergemeinden müssen die Frauen – abgesehen vom gemeinsamen Gesang – im Gottesdienst schweigen; in konservativen Gemeinden insbesondere der "geschlossenen" Richtung sitzen sie auch von den Männern getrennt.

Am Abendmahl teilnehmen kann in der Regel nur, wer dazu zugelassen wurde. Dies setzt den persönlichen Glauben an Jesus Christus, die Gläubigentaufe und ein Gespräch mit den Brüdern voraus, die den Betreffenden der Gemeinde vorschlagen. Erfolgen keine Bedenken, darf derjenige mit am Brotbrechen teilnehmen. In einigen Gemeinden müssen auswärtige Abendmahlsteilnehmer ein Empfehlungsschreiben ihrer Heimatgemeinde vorlegen oder zumindest glaubhaft versichern, dass sie auch dort "in Gemeinschaft sind".

Brüdergemeinden haben in der Regel keinen Pastor oder fest angestellten Prediger. Den Predigtdienst versehen Mitglieder der Gemeinde, die sich dazu in der Lage fühlen, ebenso wie Gastprediger. Es kommt selten vor, dass ein und derselbe Prediger an zwei aufeinander folgenden Sonntagen den Verkündigungsdienst versieht (sehr kleine Gemeinden ausgenommen). Man möchte so dem biblischen Grundsatz des "Priestertums aller Gläubigen" entsprechen. Außerdem verhindere die wechselnde Predigtverantwortung die Verengung der Verkündigung auf eine einseitige Lehre.

Stellung der Frau in der Gemeinde

In den Brüderversammlungen nimmt man das Schweigegebot für Frauen (1. Korintherbrief 14,33) sehr ernst, interpretiert es jedoch unterschiedlich. Traditionell beteiligen sich Frauen nur am gemeinsamen Gesang, in "offenen" Gemeinden aber vermehrt auch am Gebet, an der Schriftlesung und dem Bibelgespräch. Frauen führen aber keine "Wortverkündigung" (Predigt oder Bibelauslegung) durch und leiten die Gemeinde nicht (1. Timotheusbrief 2,12). In manchen Gemeinden (vor allem des BEFG) ist eine stärker werdende Beteiligung von Frauen in den Zusammenkünften zu bemerken.

Tätigkeitsfelder (Werke) und Einrichtungen

Literatur

  • Ulrich Bister: Die Brüderbewegung in Deutschland von ihren Anfängen bis zum Verbot des Jahres 1937. Diss. Univ. Marburg 1983.
  • Gerhard Jordy: Die Brüderbewegung in Deutschland. 3 Bände. Wuppertal: R. Brockhaus 1979-1986. ISBN 3-417-24060-3
  • Gerhard Jordy (Hrsg.): 150 Jahre Brüderbewegung in Deutschland. Dillenburg: Christliche Verlagsgesellschaft 2003.
  • Andreas Liese: Verboten – geduldet – verfolgt. Die nationalsozialistische Religionspolitik gegenüber der Brüderbewegung. Hammerbrücke: Jota-Publikationen 2003. ISBN 3-935707-12-6
  • Andreas Steinmeister: ... ihr alle aber seid Brüder. Eine geschichtliche Darstellung der "Brüderbewegung". Lychen: Daniel-Verlag 2004. ISBN 3-935955-34-0

Siehe auch

Portal: Freikirchen – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Freikirchen