Das Paradoxon des Epimenides lautet:
Alle Kreter sind Lügner.
Argumentationen dienten insbesondere in der Tradition des antiken Griechenlands häufig als Mittel sozialer Auseinandersetzungen und verschafften demjenigen, der dieses Mittel geschickt einzusetzen wusste, hohes Ansehen (z.B. Sokrates). Da Epimenides, der selber Kreter war, seinem eigenen Volk die Glaubwürdigkeit abstreitet, schädigt er damit natürlich auch seinen eigenen sozialen und argumentativen Status. In diesem Sinn wurde und wird der Satz als paradox empfunden.
Dementsprechend wurde die Aussage auch gegen die Kreter verwendet. In der Bibel schreibt Paulus in Titus 1,12:
Es hat einer von ihnen gesagt, ihr eigener Prophet:
"Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche"
Dies Zeugnis ist wahr.
Paradoxie ist ein vielgestaltiger Begriff. Eine echte Antinomie (Selbstwiderspruch) ist die Aussage jedoch nicht. Um das zu zeigen, muss man den in der natürlichen Sprache ungenauen Begriff des Lügners präzisieren:
- Wenn ein Lügner jemand ist, der manchmal lügt (gewöhnlicher Sprachgebrauch):
- Dann ergibt offensichtlich sich kein Widerspruch, gleichgültig ob man die Aussage des Epimenides als falsch oder wahr bewertet.
- Wenn ein Lügner jemand ist, der immer lügt (d.h. jede seiner Aussagen ist falsch):
- Wird die Aussage als wahr angenommen, ist sie ihrem Inhalt nach, da sie von einem Kreter stammt, falsch. Damit ergibt sich ein Widerspruch.
- Wird die Aussage als falsch angenommen, gilt nicht, dass alle Kreter bei jeder Aussage lügen. Dann gibt es also mindestens einen Kreter, der manchmal die Wahrheit sagt. Das muss aber nicht Epimenides sein. Und selbst wenn er es ist, kann er ja diesmal lügen. Damit ergibt sich kein Widerspruch.
Die Aussage ist damit möglicherweise falsch, aber kein Selbstwiderspruch.