Dorsalgie

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ICD-10-Code Dorsalgie
M54 Rückenschmerzen (M54.0 - M54.9)

Dorsalgie (v. lat. dorsum „Rücken“ und griech. ἄλγος „Schmerz“) besagt, dass Rückenschmerzen bestehen. Über deren Ursache ist keine Aussage enthalten. Der Begriff beinhaltet Schmerzen im Bereich des ganzen Rückens sowie davon ausgehende (ausstrahlende) Schmerzen.

Ursachen

Orthopädische Krankheitsbilder

Der wohl häufigste Anlass für eine Dorsalgie besteht in einer Funktionsstörung der Gelenke im Bereich der Wirbelsäule. Das sind die Wirbelgelenke, mit denen die Brustwirbel untereinander kommunizieren, und die, mit denen die Rippen und die Querfortsätze der BWS verbunden sind. Schon aus geringfügigen Anlässen kann es zu Beschwerden kommen. Umdrehen im Auto zum Rückwärtsfahren kann bei ungünstigen Voraussetzungen ausreichen, um Schmerzen auszulösen. Die umgebende Muskulatur versucht vergeblich, den normalen Funktionsszustand wieder herzustellen, es kommt zu Verspannungen, die Muskulatur verquillt. Je mehr sich die Muskulatur verspannt, umso stärker werden die Schmerzen, und je stärker die Schmerzen werden, umso mehr nimmt die Verspannung zu (ein typischer Teufelskreis). Sind Rippengelenke betroffen, strahlen diese Schmerzen in die Brustwand aus. Das kann bis zum Brustbein reichen, jeder Atemzug fällt dann schwer.

Neben diesen unangenehmen, aber an sich harmlosen Funktionsstörungen kommen auch andere Ursachen für Schmerzen in der Brustwirbelsäule in Betracht:

  • Die Scheuermannsche Krankheit beim Jugendliche kann im floriden Stadium solche Beschwerden auslösen. Die später, im Erwachsenenalter bestehenden Veränderungen der Wirbelkörper, die dem Zustand nach einer Scheuermannschen Krankheit entsprechen, können ebenfalls diese Symptome verursachen.
  • Wirbelkörperbrüche sind von Außen normalerweise nicht festzustellen. Es kommt vor, dass Sportler einen frischen Wirbelbruch erlitten haben, aber sich nicht an die auslösende Prellung erinnern können und meinen, nicht verletzt zu sein.
  • Knochenerkrankungen, wie etwa die Osteoporose, die zu einer herabgesetzten Belastbarkeit der Wirbelkörper führen, können schon bei nichtigen Anlässen Brüche verursachen.
  • Wirbelkörpermetastasen zeigen keine charakteristische Symptomatik, auch sie können mit einer harmlosen Dorsalgie verwechselt werden.
  • Das Tietze-Syndrom verursacht Schmerzen im Brustkorb, die beim Atmen zunehmen und etwas Bedrohliches haben. Oft wird eine Lungen- oder Rippenfellentzündung oder – beim Ausstrahlen der Schmerzen in die linke Brustseite – eine Erkrankung des Herzens vermutet.

Internistische Erkrankungen

Vor allem bei bewegungsunabhängigen Rückenschmerzen muss auch an internistische Erkrankungen gedacht werden. Atemabhängige Schmerzen können durch eine Rippenfellentzündung (Pleuritis), belastungsabhängige Schmerzen durch eine koronare Herzkrankheit und nahrungsabhängige Schmerzen durch ein Zwölffingerdarmgeschwür verursacht sein. Gallenkoliken strahlen oft in die rechte Schulter und gelegentlich in den Rücken aus, auch der Schmerz einer Bauchspeicheldrüsenentzündung kann in den Rücken projiziert werden. Ein akut auftretender starker Schmerz zwischen den Schulterblättern ist Leitsymptom der Aortendissektion, auch Herzinfarkte und Lungenembolien können sich in Form eines plötzlichen Rückenschmerzes präsentieren. Bei Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule muss auch an eine Nierenbeckenentzündung und Nieren- bzw. Harnleitersteine gedacht werden. Auch eine Gürtelrose kann vor dem Auftreten typischer Hautbläschen unklare Schmerzen verursachen.

Psychosomatische Ursachen

Wie in allen Bereichen der Wirbelsäule können auch psychosomatische Schwierigkeiten eine Rolle bei der Schmerzentstehung spielen: Die Wirbelsäule ist dafür ein wichtiges „Erfolgsorgan“. Formulierungen wie: „Jemand hat schwer an etwas zu tragen“, „Das hat jemandem den Rücken gebrochen“, „Jemand müsse Katzbuckeln“ sind Hinweise aus der Umgangssprache, die sich auf diesen Zusammenhang beziehen. Ein anderer, oft nicht festgestellter Wirkmechanismus ist eine Funktionsstörung der Kiefergelenke CMD, die mit dem vielfältigen Beschwerdekomplex, den sie verursachen kann, auch für Schmerzen in der Wirbelsäule verantwortlich sein kann. Der psychosomatische Aspekt spielt hier ebenfalls eine wichtige Rolle. Wenn dann noch ein Mensch versucht, seine Schmerzen mit „zusammengebissenen Zähnen“ zu ertragen, schließt sich ein Kreis aus Stress, Schmerzen und den sich gegenseitig bedingenden Reaktionen auf Stress und Schmerzen, der für den Einzelnen schnell unerträglich werden kann. Es ist immer wichtig für den behandelnden Arzt, sich zu fragen, ob die Wirbelsäule, auch wenn sie von ihren degenerativen Veränderungen her gut zu dem klinischen Beschwerdebild passt, auch der Grund für die zu behandelnden Schmerzen ist, oder ob die Ursache möglicher Weise in einem anderen Bereich des Körpers liegt. Eine kunstgerechte Therapie, technisch perfekt an einem Bereich ausgeführt, der nicht die Ursache des Therapiezieles ist, ist sowohl für den Patienten als auch für den Arzt eine herbe Enttäuschung.

Diagnostik

Zunächst ist es wichtig, zu erfahren, wann und bei welcher Gelegenheit die Schmerzen erstmals aufgetreten sind, ob sie sich allmählich gesteigert haben oder plötzlich auftraten und insbesondere, ob sie bewegungsabhängig sind. Die Frage, wann sich die Schmerzen verstärken, schließt sich an, ebenso, ob es am Tage schlimmer ist oder beim Schlafen. Bei der klinischen Untersuchung fallen die verquollene Muskulatur und der örtliche Druckschmerz auf. Ist ein Rippengelenk beteiligt, hebt sich die zugehörige Rippe aus dem Relief des Brustkorbes ab.

Weitere Diagnostik ist notwendig, um andere, nicht so harmlose Ursachen der Beschwerden auszuschließen oder festzustellen. Bleiben bei entsprechenden Verdachtsmomenten weiterhin Unklarheiten, ist zusätzlich eine Untersuchung mit dem CT oder dem NMR erforderlich.

Therapie

Ein beliebtes Verfahren ist es, eine Dorsalgie chirotherapeutisch zu behandeln. Die ursächliche Funktionsstörung wird beseitigt, es knackt, und die Schmerzen sind vorbei. Das ist für den Patienten und die eventuellen Zuschauer recht eindrucksvoll, birgt aber Risiken und Möglichkeiten des Misserfolges.

Wenn sich der Kreislauf aus Schmerzen und Verspannungen lange genug festgesetzt hat, ist es nicht möglich, chirotherapeutisch zu arbeiten, ohne übermäßig Gewalt anzuwenden. Das kann Schäden an den Gelenkkapseln zur Folge haben, schlimmstenfalls Wirbelbrüche. Degenerative Veränderungen schränken die Anwendbarkeit dieses Verfahrens deutlich ein, bricht bei der „Therapie“ ein Spondylophyt ab, gehört das sicher nicht Therapieziel. Werden Brüche, eine Osteoporose oder Metastasen übersehen, hat die chirotherapeutische Behandlung gegebenenfalls katastrophale Folgen. Wie in allen Bereichen der Medizin steht auch hier vor der Therapie eine zur exakten Definition des Krankheitsbildes ausreichende Diagnostik.

Wenn ein chirotherapeutischer Eingriff nicht machbar ist, gibt es eine Palette anderer Möglichkeiten, die Schmerzen zu beseitigen: Ziel ist es zunächst, die Muskulatur im betroffenen Bezirk zu entspannen. Physiotherapie, Osteopathie, manuelle Medizin, Entspannungsübungen, autogenes Training, Massagen oder Elektromassagen können oft mit gutem Erfolg angewendet werden, lokale Infiltrationen lockern den Bereich, Akupunktur, gezielt und qualifiziert eingesetzt, kann zum Teil erstaunliche Besserungen bringen. Einreibungen mit so genannten Rheumasalben oder Tinkturen haben zumindest einen beruhigenden Effekt auf den Betroffenen, es passiert schließlich etwas. Medikamente, vor allem Schmerzmittel, sind bei diesen Schmerzzuständen oft nur begrenzt wirksam, es kommt vor, dass selbst Opiate keine ausreichende Linderung bringen.

Ist die Verspannung beseitigt, stellt der Körper meistens von selber den normalen Funktionszustand des erkrankten Segmentes wieder her.

Zur Vorbeugung wichtig ist stabilisierende Gymnastik und Ausgleichssport. In einer Zeit, in der die meisten Strecken mit einem Fahrzeug zurückgelegt werden, viele Leute ihren Lebensunterhalt hinter einem Schreibtisch verdienen und Kinder ihre Abenteuer eher an einer Tastatur als irgendwo im Gelände suchen, sind gezielte, die Rumpfmuskulatur kräftigende Betätigungen dringend notwendig. Die lassen sich jedoch nur im freien Intervall durchführen. Ist es bereits zur akuten Dorsalgie gekommen, verhindern die Schmerzen einen ausreichenden Trainingseffekt.

Kommt es immer wieder zu Dorsalgien, empfiehlt es sich dringend, die eigentliche Ursache zu finden und zu behandeln. Grade diese Dorsalgien sind es, die oft einen „Drehtürmechanismus“ bedingen: Der Patient wird behandelt, verlässt hochzufrieden die Praxis und kommt nach kurzer Zeit mit den gleichen oder sehr ähnlichen Beschwerden wieder. Wenn dann, stereotyp, immer die gleiche, chirotherapeutische Behandlung eingesetzt wird, hat das Kapselschäden an den Wirbelgelenken zu Folge.

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der verschiedenen Erkrankungen der Wirbelsäule ist enorm. Bei den meisten Frührenten stellt die Wirbelsäule mehr oder weniger direkt den Anlass zur Berentung dar, auf diese Gruppe von Krankheitsbildern entfallen die meisten Arbeitsausfälle. Ein ganzer Wirtschaftszweig ist um das Thema Wellness entstanden, eine Vielzahl von so genannten Reha-Kliniken verdient daran ebenfalls Geld, Physiotherapeuten verschiedener Ausbildungsrichtungen, Krankengymnasten und Orthopäden verdienen ihren Lebensunterhalt auf dem krummen Rücken ihrer Mitmenschen.