Lepra
Lepra ist eine seit der Antike bekannte Infektionskrankheit und wird auch als Hansen-Krankheit, Aussatz oder Miselsucht (engl. leprosy) bezeichnet. Sie wird durch das Bakterium Mycobacterium leprae ausgelöst und ist heute gut durch Antibiotika behandelbar, die allerdings in Entwicklungs- und Schwellenländern oft nicht verfügbar sind. Die Inkubationszeit kann bei Monaten oder auch Jahren liegen. Für die Übertragung und damit einer Infektion mit dem Erreger bedarf es eines langfristigen Kontakts mit einem Infizierten.

Geschichte
Verbreitung
Lepra ist eine der ältesten bekannten Krankheiten und wird schon in den frühesten Schriften erwähnt. Neuesten Forschungsergebnissen zufolge gibt es eindeutige Anzeichen dafür, dass der Ursprung von Lepra in Ostafrika liegt. Übereinstimmend mit den Wanderungsbewegungen des frühen Menschen vor Zehntausenden von Jahren hätten sich von dort aus die Bakterien einerseits nordwestwärts nach Europa und andererseits Richtung Osten nach Indien und Asien ausgebreitet. Im Alten Testament wird in Levitikus Kapitel 13 Vers 1–46 ausführlich beschrieben, woran Aussatz zu erkennen ist und wie mit den Erkrankten zu verfahren sei. Allerdings wird nicht streng zwischen Lepra und anderen Hautkrankheiten unterschieden. Aufgrund des damals unvollständigen medizinischen Wissens wurden viele Hautkrankheiten als Lepra bezeichnet; die tatsächlich vorliegende Krankheit ist nicht immer nachvollziehbar. In Griechenland und in Italien zu Ciceros Zeiten scheint Lepra häufig vorgekommen zu sein. Später, im 7. und 8. Jahrhundert, war sie unter den Langobarden sehr verbreitet, und in Bremen wurden schon im 9. und in Würzburg im 11. Jahrhundert Hospitäler für Leprakranke gegründet. Das Leprosorium Aachen-Melaten wurde lt. Ausgrabungsergebnis im 8. Jh. an der Königsstraße nach Maastricht gegründet. Die allgemeinere Verbreitung des Aussatzes in Europa im Mittelalter wird oft den Kreuzzügen zugeschrieben. Sie erreichte ihren Höhepunkt im 13. Jahrhundert und verschwand mit dem Schluss des 16. Jahrhundert fast ganz aus der Reihe der chronischen Volkskrankheiten in Mitteleuropa.
Allerdings weist Meyers Konversationslexikon von 1888 darauf hin, dass Lepra in Skandinavien, auf Island und der Iberischen Halbinsel, in der Provence und an den italienischen Küsten, in Griechenland und auf den Inseln des Mittelmeers regelmäßig vorkommt. Im Verlauf der Kolonialisierung gelangte der Erreger nach Westafrika und Amerika und durch den weiteren Sklavenhandel in die Karibik und nach Brasilien. Am verbreitetsten jedoch sei die Krankheit im 19. Jahrhundert in Norwegen gewesen, wo man 1862 noch 2.119 Aussätzige bei nicht ganz 2 Millionen Einwohnern zählte. In Deutschland wurden zur gleichen Zeit nur vereinzelte Fälle registriert. Insgesamt hat sich der Lepraerreger in der Zeit seiner weltweiten Ausbreitung genetisch kaum verändert, was für Bakterien extrem ungewöhnlich ist. Dennoch ließ sich mit den winzigen genetischen Unterschieden der Verbreitungsweg der Lepra nachträglich mit hoher
Genauigkeit feststellen.
Andere neue Forschungen gehen davon aus, dass die Lepra hauptsächlich durch die Tuberkulose zurückgedrängt wurde. Die von der Lepra geschwächten Patienten wurden oft auch von der Tuberkulose befallen, welche die Patienten wesentlich schneller tötete als die Lepra und so eine Ausbreitung der Lepra verhinderte (siehe [1]).
Stellung der Infizierten in der Gesellschaft
Lepra ist seit jeher einer der großen Schrecken der Menschheit. Vermutlich war die Verbreitung der Krankheit durch Ansteckung schon seit frühester Zeit bekannt (siehe Diskussion). Da es bis ins 20. Jahrhundert hinein keine Medikamente gegen die Krankheit gab, blieb über Jahrtausende die Quarantäne der einzige Schutz. Eine Absonderung der Aussätzigen wurde schon in vorchristlichen Zeiten durch Gesetze oder religiöse Vorschriften geregelt.
Die Annahme der Ansteckungsgefahr durch Lepra führte deshalb schon sehr bald zur Errichtung von Aussatzspitälern (Leprosorien, Sondersiechenhäuser), meist an abgelegenen Plätzen oder außerhalb der Städte. Im nördlichen Deutschland weihte man die zahlreichen Aussatzspitäler meist dem heiligen Georg, wovon Namen wie St. Georgs- oder St. Jürgensspital zeugen. Die meisten deutschen Leprosorien wurden erstmalig im 13. und 14. Jahrhundert erwähnt. Die ältesten Aussatzspitäler errichtete man in der Zeit der letzten Kreuzzüge, an denen die Deutschen fast keinen Anteil hatten. Außer diesen größeren Anstalten gab es noch vereinzelte Feldhütten, in denen einzelne den Landgemeinden angehörende Kranke untergebracht wurden.
Ob ein Mensch aussätzig war oder nicht, entschieden vereidigte Beschauer. In Holland besaßen einzelne Kapellen ein Privileg für diese Tätigkeit, was ihnen viel Geld einbrachte. Wer für aussätzig erklärt wurde, erhielt ein schriftliches Zeugnis und eine besondere Kleidung, gewöhnlich ein schwarzes Gewand mit bestimmten Abzeichen sowie einen Hut mit breitem weißem Band. Dazu trugen die Leprakranken eine hölzerne Klapper, um ihre Annäherung anzuzeigen, außerdem einen Stock, mit dem sie die Gegenstände, die sie begehrten, berühren konnten. Das Tragen von Waffen war ihnen verboten. In Frankreich erklärte man Aussätzige für bürgerlich tot. An einigen Orten las man den Kranken die Totenmesse, ja man ging sogar so weit, sie symbolisch mit Erde zu bewerfen oder gar für einen Moment in einen Sarg zu legen. Leprose durften keine öffentliche Orte besuchen, nicht erben, und kein Eigentum erwerben. Dies trieb die armen Leidenden oft so weit zur Verzweiflung, dass sie sich gegen die Bewohner der Städte empörten, was aber mit härtesten Strafen bis hin zur Todesstrafe belegt werden konnte.
Andererseits war es den Aussätzigen gestattet, zu betteln und in der Welt herumzuziehen. In den Leprosorien herrschten sehr komplizierte, weitgehend übereinstimmende Hausordnungen. Frauen und Männer hatten getrennt zu leben und mussten unter Androhung des Verlustes ihrer Pfründe keusch bleiben. Ebenso durften sie nicht nicht heiraten. Jede Gemeinschaft zwischen Sonnenuntergang und -aufgang war untersagt. Kein Kranker durfte ohne Gefährten das Haus verlassen, über Nacht fernbleiben, oder mit einer gesunden oder siechen Frau sprechen usw.. Auch sollten sich die Kranken aller lärmenden Vergnügungen enthalten. Die für sie bestimmten Kapellen standen an einem abgesonderten Platz, der nur durch eine kleine Öffnung mit der übrigen Kirche verbunden war. Das Abendmahl wurde den Kranken an Werktagen in dieser besonderen Kapelle gereicht.
Pippin der Jüngere erklärte Lepra 757 zum Ehescheidungsgrund, verbunden mit der Erlaubnis zur Wiederverheiratung für den gesunden Ehepartner. 300 Jahre später wurde diese Entscheidung jedoch revidiert: Nun mußten beide Ehepartner ins Leprosorium.
Lepra heute
Aufgrund der Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika ist Lepra inzwischen in Ländern mit entwickelter Gesundheitsversorgung nahezu ausgerottet. In vielen Entwicklungsländern hingegen stellt die Krankheit noch ein ernstzunehmendes Problem dar. Ein Großteil der Erkrankten lebt in Indien. Auch in Afrika gibt es viele Kranke. Die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. (DAHW) schätzt die Zahl der jährlich weltweit vorkommenden Neuinfektionen auf etwa 700.000 (Stand 1995). In vielen der von Lepra betroffenen armen Ländern wurden mit Entwicklungsgeldern spezielle Behandlungszentren errichtet. Es ist erklärtes Ziel der Weltgesundheitsorganisation die Krankheit auszurotten, ähnlich wie es mit den Pocken gelungen ist.
Das letzte speziell für die Behandlung eingerichtete Sanatorium in Europa liegt in dem kleinen spanischen Dorf Fontilles im Hinterland der Costa Blanca. Hier im Sanatorio San Francisco de Borja lebten früher bis zu 400 Leprakranke. Zurzeit werden noch etwa 60 akut kranke oder von der Krankheit gezeichnete Menschen betreut.
Klassifikation
Die Symptome der Lepra variieren von Patient zu Patient sehr stark. Um die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Lepra klassifizieren zu können, wurde auf dem VI. Internationalen Lepra Kongress 1953 in Madrid folgende Einteilung vorgenommen:
- indeterminierte Lepra
- tuberkoloide Lepra
- lepromatöse Lepra
- Borderline
Symptomatik
Bei dieser Krankheit aus dem Bereich der Neurologie sterben die Nerven ab und die Betroffenen verlieren das Gefühl für Kälte, Wärme und auch Schmerz. Ohne Behandlung verletzen sie sich oft unbemerkt und infizieren sich über die Wunden an lebensgefährlichen Krankheiten wie Tetanus usw.
Frühstadium
Im Frühstadium spricht man von indeterminierter Lepra. Sie äußert sich in unscharf abgegrenzten Flecken auf der Haut. Bei dunkelhäutigen Menschen sind diese heller als die gesunde Haut, bei hellhäutigen sind sie gerötet. Die Flecken selbst fühlen sich für den Erkrankten taub an. In dieser Phase kann die Krankheit stagnieren, spontan abheilen oder zur tuberkoloiden, lepromatösen oder Borderline Lepra weiterentwickeln.
Tuberkoloide Lepra
Die asymmetrischen Hautflecken sind hier erhaben und rau. An den betroffenen Stellen fallen die Haare aus. Neben der Haut sind vor allem die peripheren Nerven knotig verdickt. Der Befall ist auch hier asymmetrisch. Mit fortschreitender Krankheit nimmt der Tastsinn immer weiter ab, bis der Patient nichts mehr spürt. Die Folge sind oft schwere Verletzungen und daraus resultierend weitere Verstümmelungen. Der Befall motorischer Nerven äußert sich in Muskelschwäche, Muskelrückbildung und Lähmungserscheinungen.
Borderline Lepra
Borderline Lepra gilt als instabile Krankheitsvariante, die sich je nach Zustand des Immunsystems weiterentwickelt. Bei weitgehend intaktem Immunsystem bildet sich die bakterienarme, tuberkoloide Form heraus. Bei geschädigtem Immunsystem vermehren sich die Bakterien nahezu ungestört. Es kommt zur Ausbildung der bakterienreichen, ansteckenden lepromatösen Form. Die Symptome im Borderline Stadium können sowohl denen der tuberkoloiden Lepra ähneln als auch deutlich Abweichungen zeigen. So können die Hautflecken symmetrisch sein; auch der Befall der Nerven kann symmetrisch erfolgen.
Lepromatöse Lepra
Die lepromatöse Lepra ist die schwerste Form der Krankheit. Durch ungehemmte Vermehrung der Bakterien verbreiten sich diese über Blutbahnen, Nervengewebe, Schleimhäute und das Lymphsystem im ganzen Körper. Die Haut ist stark verändert und von Knoten und kleinen Flecken überzogen. Charakteristisch sind die hellroten bis braunen Leprome, die das Gesicht und andere Körperteile zersetzen. Besonders im Gesicht verschmelzen diese zu einem "Löwengesicht" Facies leonida). Im weiteren Verlauf kann ein geschwüriger Zerfall mit Befall von Knochen, Muskeln und Sehnen und einem Befall der inneren Organe erfolgen.
Der Tod tritt nicht unmittelbar durch den Erreger ein, sondern durch Sekundärinfektionen.
Therapie
Grundsätzlich gilt Lepra heutzutage als heilbar.
Ein erster großer Fortschritt im Kampf gegen die Lepra war die Entdeckung des Krankheitserregers, des Bakteriums Mycobacterium leprae durch den norwegischen Arzt Gerhard Armauer Hansen im Jahr 1873.
Erste Therapieansätze gab es schon in den 20-er Jahren. Diese waren jedoch wenig erfolgreich. Ein Durchbruch in der Lepratherapie gab es in den 40-er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die Sulfonamidtherapie. 1947 führte Archie Cochrane Dapson (DDS), das bis heute bedeutsamste Sulfonamid, in die Therapie ein.
Die Heilungsaussichten sowie die geeignete Therapieform hängen ab von der Erscheinungsform und dem Fortschritt der Erkrankung. Zur Klärung wird hierzu ein Lepromintest durchgeführt. In Abhängigkeit von der Diagnose ist eine monate- bis jahrelangen Kombinationstherapie mit den Medikamenten Dapson, Clofazimin (ab 1962) und Rifampicin (ab 1971) erforderlich. Es kommt vor, dass ein Wechsel der Immunitätslage zu einer Verschlechterung des Zustandes führt. Diese Veränderung wird Lepra-Reaktion genannt. Die hierbei gegebenen komplexen Vorgänge müssen von einem Spezialisten mit einer auf den Patienten individuell abgestimmten Therapie behandelt werden.
In den 70-er Jahren wurden Kombinationstherapien mit mehreren Antibiotika entwickelt und in einem mehrjährigen Feldversuch auf Malta erfolgreich getestet. Daraufhin empfiehlt die WHO seit 1982 die Polychemotherapie in einer bis heute kaum abgewandelten Form.
Obwohl es immer noch Versorgungsschwierigkeiten mit den benötigten Medikamenten in armen Ländern gibt, konnte die Lepra in den 1990er Jahren weiter zurückgedrängt werden. Die WHO ist mit der Ausrottung dieser Seuche beschäftigt.
Sonstiges
Eine Anzüchtung des Erregers in vitro ist bis heute noch nicht gelungen. Seit 1960 gelang es jedoch M. leprae in Mäusepfoten zu züchten. Wegen ihrer ungewöhnlich niedrigen Körpertemperatur sind seit 1971 neunbändige Gürteltiere die für die Anzüchtung des Erregers geeignete Tiergruppe. Dies macht sie auch unverzichtbar bei der Erforschung von Impfstoffen.
Siehe auch
Literatur
- Andreas Kalk: Lepra in Zentralasien. Die fast vergessene Krankheit. Deutsches Ärzteblatt (Köln) 97(13), S. A829–A830 (2000), ISSN 0012-1207
- Anna Bergmann: Tödliche Menschenexperimente in Kolonialgebieten. Die Lepraforschung des Arztes Eduard Arning auf Hawaii 1883-1886. In: Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hg.) „... Macht und Anteil an der Weltherrschaft.“ Berlin und der deutsche Kolonialismus. Unrast-Verlag. Münster 2005, ISBN 3-89771-024-2
Weblinks
- Lepra - Patienteninfo von NetDoktor.at
- Lepra Biologie Referat
- Umfangreiche Infoseiten der Lepra-Tuberkulosehilfe Dinslaken
- Medizin.de - Lepra-Kranke: Absonderung heute nicht mehr notwendig
- Lepramuseum Münster - Gesellschaft für Leprakunde e. V.
- INFOLEP Leprosy Information Services
- LEPRA MISSION Freundeskreis der Aussätzigen Arbeit e. V.
- Leprahilfe Emmaus Schweiz
- Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V.