Freytag-Loringhoven
, Wessel Freiherr v., (* 10. November 1899 in Groß-Born, Livland; † 26. Juli 1944 in Mauerwald, Ostpreußen) war Oberst im Generalstab der deutschen Wehrmacht. Er war Mitglied des militärischen Widerstandes gegen Adolf Hitler. Er war befreundet mit Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der das Attentat vom 20. Juli 1944 ausübte.
Leben
Kindheit und Jugend
Wessel v. FL entstammt einer der ältesten, westfälischen Adelsfamilien (Genalogisches Handbuch der Baltischen Ritterschaften, S.416ff). Er wurde in Groß-Born am 10.11.1899 geboren. Kindheit und Jugend verbrachte er auf dem väterlichen Gut Adiamünde in Livland. Nach seinem Biographen, Bernd Freiher Freytag von Loringhoven war er dort, "wie schon Generationen seiner Familie vorher" in der damals noch heil erscheinenden "Welt des baltischen Landlebens" aufgewachsen. Er begeisterte sich für die Philosophie des deutschen Idealismus. Er besuchte das Gymnasium in Riga. Nach dem Abitur trat er, nach Bernd v. FL (a.a.O., S.211), "1918 in die Baltische Landeswehr ein". Mit der Umwandlung dieser Truppe "in das 13. Infanterieregiment der Lettischen Armee" wurde er lettischer Soldat. "Im Oktober 1920 ließ er sich zum Studium nach Riga beurlauben. Im Januar 1921 wurde er endgültig aus dem lettländischen Heeresdienst entlassen." Er begann in Riga Jura zu studieren. Im Januar 1922 verließ er als Baltendeutscher die neugegründete Republik Lettland, um in die deutsche Reichswehr einzutreten. Er wurde als Offizieranwärter in das Reiterregiment Nr.4 in Potsdam aufgenommen.
Werdegang
Seine militärische Laufbahn führte ihn 1943 als Oberst i.G in das OKW. Er war überzeugter Christ. Trotzdem war er in seiner Kriegschulzeit 1923 in Deutschland nach Bernd v.FL (a.a.O., S.212) zunächst einer der zahlreichen "Sympathisanten des rebellierenden Nationalsozialismus" gewesen. Diese Sympathie konnte er seit den Rassengesetzen und seit Kriegsbeginn nicht mehr aufrechterhalten. Endgültig brach er mit dem Nationalsozialismus als er den deutschen Ostfeldzug und alle damit verbundenen Verbrechen miterleben mußte. Er begann sich entschlossen am deutschen Widerstand gegen Hitler zu beteiligen.
Die Freytagsche Denkschrift
Nach Harald Steffahn (in "Adolf Hitler", Hamburg 1979, S.101)legt Oberst Wessel von Freytag-Loringhoven ... [vor der Kesselschlacht um Stalingrad 1942] als "1c (Nachrichtenchef)der Heeresgruppe B] Anfang Oktober eine Denkschrift vor, die den russischen Großangriff am Don erwartet - wo er am 19. November auch losbrechen wird. Die kommende Kesselschlacht wird untrüglich vorausgesehen, doch die Kassandra der Heeresgruppe B dringt im Führerhauptquartier nicht durch. Hitlers Meinungsbildung scheint abgeschlossen zu sein."
Im militärischen Widerstand
Nach Ulrich Cartarius (S.205) hatte "er zusammen mit Claus Graf Schenk von Stauffenberg die Kriegsakademie" besucht. "Wahrscheinlich lernt er in Potsdam auch Henning von Tresckow kennen." Nach dem Text in der >Gedenkstätte Deutscher Widerstand< "verschärft sich seine Kritik nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 und der Besetzung Norwegens im Jahr darauf.Im Juni 1941 wird Wessel v.FL in den Stab von Heinrich Graf zu Dohna versetzt." Nach Cartarius (a.a.O, S.205)"beteiligt er sich" in der folgenden Zeit "an dem Plan, Hitler bei einem Besuch der Ostfront auf dem Flugplatz Poltawa bei Charkow festzunehmen und bei Gegenwehr zu töten. Das Unternehmen als >>Plan Lanz<< bekannt, soll Oberst Graf Strachwitz mit seinem Panzerregiment >>Großdeutschland<< durchführen. Es kommt jedoch nicht dazu, weil Hitler nicht in Poltawa erscheint."
Nach dem Text in der Gedenkstätte des Deutschen Widerstandes (Berlin) wird er "1943 auf Betreiben von Admiral Canaris als Oberst i.G.zum Oberkommando der Wehrmacht nach Berlin abgeordnet." Im Zusammenhang mit dem Versuch Hitler am 20. Juli 1944 zu beseitigen, berichtet Cartarius (a.a.O., S.239), dass "für das Attentat, das nun allerdings in nächster Zeit erfolgen muss, sich die Sprengstoffbeschaffung als großes Problem erweist, da strengstens über den vorrätigen Sprengstoff und jede Entnahme gewacht wird. Der Sprengstoff, den Stauffenberg schließlich erhält, ist schon für einen früheren Attentatsversuch organisiert und in der Zwischenzeit von Oberst Wessel von Freytag-Loringhoven versteckt worden. Dieser sorgt jetzt dafür, dass er in die Hände Stauffenbergs gelangt." Nach Nicolaus von Grote hatte Wessel v. FL den Sprengstoff unbemerkt aus den Beutebeständen der Abwehr entnehmen können. Es handelte sich um englisches Bombenmaterial mit zwei englischen Spezial-Zündern.
Bernd Freiherr von Freytag-Loringhoven schreibt zur Situation des 20. Juli (a.a.O., S.240): "Das preußische Offizierskorps, aus dem die meisten Verschwörer des 20. Juli letztendlich hervorgingen, hatte keine Verschwörungen und Attentate gekannt. Die Rolle, die jetzt auf sie zukam, war ihnen ungewohnt. Unsicher wie die Verschwörer waren, verfielen allzu viele in lebhafte Diskussionen über das Für und Wider der notwendigen Maßnahmen. Wessel Freytag bedauerte das" zu viele Reden "außerordentlich, da er das Ziel der Verschwörung dadurch gefährdet sah". Trotzdem gab es für Wessel v. FL (a.a.O., S.240)"kein Zurück". "Das Fehlschlagen des Attentats muß Wessel Freytag auf das Schwerste getroffen haben."
Sven Steenberg berichtet(>Wlassow<, S.151): Im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit dem russischen General Wlassow "erfuhr die Propagandaabteilung vom gescheiterten Aufstandsversuch gegen Hitler. Dann wurde bekannt, dass General Wagner, von Stauffenberg, Schmid von Altenstadt, von Roenne, von Tresckow und von Freytag-Loringhoven an diesem Aufstandsversuch beteiligt waren. Befürchtungen wurden geäußert, die Gestapo werde die Gelegenheit benützen, um auch Wlassow und seine Anhänger auszuschalten... Die Hoffnung auf einen Sturz Hitlers hatte getrogen."
Am 26. Juli 1944, unmittelbar vor seiner Verhaftung durch die Gestapo, setzte Wessel v. FL seinem Leben selbst ein Ende. Als Offizier der militärischen Abwehr konnte er sich die geheimen Verhörmethoden der NS-Zeit nur zu gut vorstellen. Er hatte beschlossen niemanden durch sein Wissen in Gefahr zu bringen. Nach seinem Tod wurde seine Frau zusammen mit den anderen Frauen des 20. Juli gefangengesetzt. Seine 4 Söhne wurden von ihrer Mutter getrennt und in Sippenhaft genommen. Sie wurden erst durch die Siegermächte befreit.
Das >>Genealogischen Handbuch des Adels<< (Freiherrliche Häuser, Band 18),S.121 enthält - als Vorbild für seine Familie - eine Fotografie von ihm. In der >>Gedenkstätte Deutscher Widerstand<< können weitere Einzelheiten zu seiner Biographie eingesehen werden Hier werden als weitere Quellen auch das Buch von Peter Hoffmann >Widerstand, Staatsstreich, Attentat< und der Artikel im >Nachrichtenblatt der Baltischen Ritterschaften< angegeben.
Literatur
- Astaf v. Transehe-Roseneck (Hauptbearbeiter)>Genealogisches Handbuch der Baltischen Ritterschaften - Band Livland<, Görlitz 1929
- Bernd v. Freytag-Loringhoven >Freytag von Loringhoven - Eine kurzgefaßte Familiengeschichte<, München 1986
- Ulrich Cartarius: >Opposition gegen Hitler. Deutscher Widerstand 1933-1945< Berlin 1984, ISBN 3-88680-110-1 (Gesamtdarstellung des Widerstands)
- Walter v. Hueck (Hauptbearbeiter)>Genealogisches Handbuch der Freiherrlichen Häuser< Band XVIII, Limburg 1995
- Harald Steffahn >Die Wahrheit über Stalingrad< in: Christian Zentner >Adolf Hitler< Hamburg 1979
- Sven Steenberg: >Wlassow - Verräter oder Patriot?<, Köln 1968
- Peter Hoffmann: >Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler<, München 1969, 1985 (Piper TB)
- >Wessel Baron Freytag von Loringhoven. Zum 25. Jahrestag des 20. Juli 1944< in: >Nachrichtenblatt der Baltischen Ritterschaften<, 11. Jg. (1969), Heft 2 (Juni)