Sexueller Missbrauch von Kindern

sexuelle Handlungen an oder vor Kindern gegen deren Willen
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Sexueller Missbrauch von Kindern bezeichnet gesellschaftlich abgelehnte beziehungsweise strafrechtlich verfolgte sexuelle Handlungen mit, an oder vor Kindern.

Die strafrechtlichen Definitionen beziehen in der Regel mehr Handlungen ein als von der Sexualwissenschaft als schädlich erkannt sind. Übereinstimmend gelten aber mindestens diejenigen sexuellen Handlungen als Missbrauch, die mit Körperkontakt verbunden sind, durch psychischen oder physischen Druck erzwungen werden und an denen biologische (vorpubertäre) Kinder beteiligt sind.

Einführung

Das Thema ist von drei Seiten zu beleuchten:

Es besitzt erstens eine sexualwissenschaftliche Komponente, in der insbesondere der Entwicklungsstand und die sexuelle Reife von Kindern untersucht wird, sowie die Einflüsse, die sexuelle Geschehnisse zwischen Kindern sowie zwischen Erwachsenen und Kindern auf die Kinder haben. Es wurde eine phänomenologische Einteilung vorgeschlagen, nach der sexuelle Handlungen dann als Missbrauch gelten, wenn sie zu Schäden führen beziehungsweise zu einer negativen Reaktion des Kindes.

Zweitens besitzt es eine moralische Komponente, da auch solche Einflüsse, die von der Sexualwissenschaft nicht als schädlich erkannt werden, in einer Gesellschaft aus anderen Gründen nicht akzeptabel sein können. Allgemein lehnen Gesellschaften aber (in Übereinstimmung mit sexualwissenschaftlichen Erkenntnissen) vor allem gewaltsame und von Erwachsenenen vorgenommene Handlungen ab.

Und es besitzt drittens eine juristische Komponente: Die Rechtsprechung muss aufgrund sexualwissenschaftlicher Erkenntnisse und moralischer Vorstellungen einer Gesellschaft Verfahren finden, Kinder vor Schäden in ihrer Entwicklung zu schützen und ihre Rechte zu wahren, und einen Kompromiss zwischen dem Schutz von Kindern vor Missbrauch und dem Recht von Kindern auf selbstbestimmte Sexualität eingehen (siehe Kinderrechte).

Sexueller Missbrauch von Kindern ist in den meisten Ländern ein Straftatbestand. Die Gesetzgeber orientieren sich bei widersprüchlichen Empfehlungen von Moral und Wissenschaft oft mehr an den Moralvorstellungen der Gesellschaft. So stehen beispielsweise häufig auch sexuelle Handlungen von Kindern untereinander unter Strafe, darunter auch Doktorspiele, die vermutlich zur normalen kindlichen Sexualität gehören. Begründen lässt sich dies auch mit der Lückenhaftigkeit und teilweisen Widersprüchlichkeit der zur Verfügung stehenden sexualwissenschaftlichen Studien. Die Gesetzgeber sind außerdem bestrebt, Straftaten möglichst einfach und klar zu definieren. So werden zumeist feste Altersgenzen verwendet, die auf individuelle Entwicklungsstände, auf die sich die Sexualwissenschaft bezieht, wenig Rücksicht nehmen.

Definitionskriterien

Alter der Beteiligten

Im biologischen, psychologischen und soziologischen Sinn gelten Kinder als Personen vor dem Einsetzen der Pubertät. Diese beginnt bei Jungen etwa im Alter von 11-12 und bei Mädchen im Alter von 10-11 Jahren und unterliegt bei beiden Geschlechtern einer großen Varianzbreite. Das Eintrittsalter in die Pubertät zur Eingrenzung des Kindesalters beim sexuellen Missbrauch findet nur selten und bei eng gefassten Kriterien Anwendung. Häufiger ist eine festgelegte Altersgrenze anzutreffen; der individuelle Entwicklungsstand des Kindes wird in der Regel nicht berücksichtigt. In Europa liegt diese Altersgrenze zwischen 12 (Niederlande, Vatikan) und 17 (Nordirland), in Deutschland bei 14 Jahren.

Das Alter des Sexualpartners des Kindes wird in manchen, jedoch nicht allen Definitionen, in unterschiedlicher Weise als Kriterium für sexuellen Missbrauch von Kindern herangezogen. Hierbei kommt sowohl ein relativer Altersunterschied als auch eine absolute Altersobergrenze des Sexualpartners vor. Der relative Altersunterschied wird dabei häufig durch einen Mindestaltersunterschied von drei oder fünf Jahren festgesetzt, als absolute Altersobergrenze wird meist die Volljährigkeit (18 oder 21 Jahre) des älteren Partners festgelegt. Das Alter des Beteiligten tritt als notwendiges oder als hinreichendes Kriterium auf.

Einwilligung

Sexuelle Handlungen gegen den Willen eines Kindes gelten, im Einklang mit allgemeinen Definitionen von sexuellem Missbrauch, gemeinhin als hinreichendes Kriterium für sexuellen Missbrauch.

Mitte der 1980er Jahre kam es in den USA zu einer Debatte um die Frage, ob Kinder in sexuelle Kontakte mit Erwachsenen einwilligen können. Unterschieden wurde dabei zwischen dem simple consent, der "willentlichen Einwilligung" und dem informed consent, der "wissentlichen Einwilligung". Die Quintessenz der Debatte besagt, dass Kinder zwar willentlich, nicht aber wissentlich in sexuelle Handlungen einwilligen, da ihnen das Wissen um die Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung noch fehlt. Daher werden zum Teil auch sexuelle Handlungen, die mit Einwilligung des Kindes erfolgten, als sexueller Missbrauch angesehen. Eine präzise Differenzierung zwischen Verstößen gegen den simple consent (Vergewaltigung) und gegen den informed consent (Verhandlungsmoral) findet allerdings häufig nicht statt.

Das deutsche Familienrecht hingegen unterordnet den Willen des Kindes dem Kindeswohl. Danach ist es vorrangige Aufgabe der Eltern, in von diesen als dem Kindeswohl abträglich angesehene Handlungen des Kindes einzugreifen und diese ggf. zu unterbinden. Nach diesem traditionell hohen Rechtsgut wäre es zunächst Aufgabe der Eltern festzulegen, ob sie in einer Aktivität, an der ihr Kind beteiligt ist, sich beteiligen will oder beteiligt werden soll, einen "sexuellen Missbrauch" erkennen.

Doch wird dieser Aspekt sowohl von Befürwortern, als auch von Gegnern einer Liberalisierung dieses Bereichs häufig als irrelevant bezeichnet: Dabei übergehen in entsprechender Argumentation Befürworter den grundgesetzlich garantierten Schutz der Famlie als überindividuelles Recht, indem sie einzig auf das individuelle Persönlichkeitsrecht des Kindes abheben, während Gegner das Subsidiaritätsprinzip missachten mit der Begründung, dass häufig Eltern selbst am "sexuellen Missbrauch" von Kindern beteiligt seien. Neben der - umstrittenen - Schädlichkeit jedweder sexuellen Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen (bzw. Jugendlichen oder älteren Kindern) blenden sie so die - unbestrittene - Schädlichkeit jedweder (auch notwendiger!) destruierenden Eingriffe in die Eltern/Kind-Bindung aus.

Sexuelle Handlung

Allen Definitionen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemein ist, dass eine sexuelle Handlung als notwendiges oder als hinreichendes Kriterium vorhanden sein muss. Es ergeben sich Unterschiede, welche Handlungen als sexuell definiert werden.

Als nicht objektivierbares Kriterium gilt, dass eine Handlung dann und nur dann sexuell ist, wenn sie der Befriedigung sexueller Bedürfnisse einer der beteiligten Personen dient, sei es mit oder ohne Körperkontakt. Diese Definition schließt Handlungen mit Körperkontakt, die aber nicht der Befriedigung sexueller sondern anderer Bedürfnisse (z.B. sadistische Motivation) dienen, aus.

Daneben finden sich objektivierbare Kriterien, die sich i.d.R. über die Intensität der sexuellen Handlung definieren. Weitgehend gelten folgende Handlungen als sexuell:

Hiervon unabhängig ist, ob die sexuelle Handlung vor einem Kind, an einem Kind oder ob sie von einem Kind auf Veranlassung an sich selbst vorgenommen wird.

Als Sonderfall schränkt die juristische Definition (Bundesrepublik Deutschland) sexuelle Handlungen auf solche ein, die vom deklarierten Opfer auch wahrgenommen wurden. Dies ergibt sich aus der notwendigerweise vorliegenden Rechtsgutsverletzung einer Person (siehe § 184f StGB).

Eng gefasste Definitionen sexuellen Missbrauchs von Kindern legen oftmals Körperkontakt (Penetration oder Berührungen an Geschlechtsorganen oder der weiblichen Brüste) und fehlende Einwilligung als notwendiges Kriterium zu Grunde. Weite gefasste Definitionen zielen auf das Vorliegen umfangreich definierter sexueller Handlungen als hinreichendes Kriterium ohne Rücksicht auf Einwilligung oder Vorhandenseins eines Körperkontakts ab (Exhibitionismus, Einwirkungen durch pornografische Abbildungen).

Medizinisch notwendige Handlungen gelten nach keiner Definition als sexueller Missbrauch, auch wenn dabei die Geschlechtsorgane des Kindes berührt werden und dies dem Kind unangenehm ist.

Begriffsdebatte

Der Begriff "sexueller Missbrauch an Kindern" wird vorwiegend im feministischen Umfeld gleichbedeutend für sexuellen Missbrauch von Kindern verwendet. Er soll die Einseitigkeit der sexuellen Handlungen an einem Kind zum Ausdruck bringen. Der Begriff wird in der Sexualwissenschaft auf Grund der fehlenden Neutralität nicht verwendet.

Die Bezeichnung "Missbrauch" wird kritisiert, weil sie einen korrekten "Gebrauch" von Kindern impliziere. Auch in der Sexualforschung wird der Begriff auf Grund seiner fehlenden Neutralität kritisiert. Auf diese Kritik wird häufig erwidert, dass der Begriff Missbrauch sich nicht auf das Kind selbst beziehe, sondern auf den Missbrauch der sozialen, psychischen und/oder physischen Macht des Erwachsenen im Verhältnis zum Kind.

In der politischen Debatte und in Aufklärungskampagnen werden oft die Begriffe sexuelle Gewalt an Kindern und sexuelle Ausbeutung von Kindern gleichbedeutend für sexuellen Missbrauch von Kindern verwendet. Die Verwendung des Begriffs sexuelle Gewalt soll die bei sexuellem Missbrauch auch auftretende Gewalt in den Vordergrund stellen. Der Begriff sexuelle Ausbeutung zielt auf eine einseitige Ausbeutung eines Kindes zur sexuellen Bedürfnisbefriedigung unter Ausnutzen einer Zwangslage oder durch Anwendung von Gewalt ab. Beide Begriffe beschreiben lediglich einen Teilaspekt des sexuellen Missbrauchs und nicht das gesamte Phänomen.

Strafrechtliche Aspekte

Die meisten Komponenten des sexuellen Missbrauches sind bereits generell unter Strafe gestellt. So ist eine Vergewaltigung ein Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung, unabhängig davon, ob eine erwachsene Frau oder ein Kind zum Opfer wird. Dadurch fokussiert sich die juristische Betrachtung auf die Frage, was das Besondere darstellt, das diejenigen sexuellen Handlungen mit Kindern zu strafrechtlich relevanten Handlungen machen kann, die unter Erwachsenen akzeptabel wären. Die Gesetzgebung muss diese, durch die anderen gesetzlichen Regelungen nicht bereits abgedeckten Bereiche, gesondert formulieren. Dem Grundsatz entsprechend, dass keine Freiheiten grundlos eingeschränkt werden sollen, muss sie angeben, welches Rechtsgut durch die gesetzliche Regelung geschützt werden soll.

Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland gelten jegliche sexuelle Handlungen an, mit oder vor Kindern als sexueller Missbrauch. Das geschützte Rechtsgut ist laut gesetzlicher Abschnittsüberschrift die "sexuelle Selbstbestimmung". Dazu gehört die "ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes" (Schönke) bzw. die "von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen ungestörte Gesamtentwicklung des Kindes" (Tröndle). Ob das Kind in die sexuellen Handlungen eingewilligt hat, und das Alter des Täters spielen keine Rolle, da das Kind nach Auffassung des Gesetzgebers in jedem Fall einem Schadensrisiko ausgesetzt ist. Sexuelle Handlungen von Kindern untereinander sind allerdings nicht strafrechtlich erfasst. Als Kinder gelten Personen vor dem vollendeten 14. Lebensjahr. Diese Altersgrenze orientiert sich zumindest im Prinzip an der biologischen Entwicklung. Bei Jugendlichen, die älter als 14 Jahre sind, sieht der Gesetzgeber ein Schadensrisiko durch sexuelle Handlungen nicht mehr. Bestraft wird überwiegend nach § 176 StGB (Sexueller Missbrauch von Kindern). In Konkurrenz zu § 176 StGB stehen auch § 173 StGB (Beischlaf zwischen Verwandten), § 174 StGB (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen), § 177 StGB (Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung), § 179 StGB (Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen), § 182 StGB (Sexueller Missbrauch von Jugendlichen, § 183 StGB (Exhibitionistische Handlungen) und § 184 StGB Abs. 3, Nr. 3 (Herstellung kinderpornografischer Schriften).

Schweiz

Das Schweizer Recht bestraft nach Artikel 187 StGB sexuelle Handlungen von und mit Personen unter 16 Jahren (Kind) mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus. Die Handlungen bleiben straffrei, wenn der Altersunterschied weniger als drei Jahre beträgt.

Als Sexualdelikte mit Kindern gelten laut schweizerischem StGB: sexuelle Handlungen mit Kindern, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Schändung, Förderung der Prostitution, Menschenhandel und Inzest. Bei Sexualdelikten mit Kindern unter 16 Jahren beginnt der Verjährungszeitraum erst zu dem Zeitpunkt, zu dem das Opfer das 18. Lebensjahr vollendet hat. Eingeführt wurde der Beginn der Verjährung nach zahlreichen Fällen von Personen, die sich erst im Erwachsenenalter an sexuellen Missbrauch in der Kindheit erinnerten (False Memory Syndrom).

Liegt eine Nötigung, Vergewaltigung oder sogenannte Schändung vor, greifen in erster Linie die Artikel 189, 190 oder 191, die eine Höchststrafe von 10 Jahren Zuchthaus vorsehen.

USA

In den USA will der Gesetzgeber das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Kinder schützen. Weil Kinder aber nicht wissentlich in sexuelle Handlungen einwilligen können, kann es gemäß der Verhandlungsmoral auch keine einvernehmlichen sexuellen Kontakte zu Kindern geben. Die Handlungen werden, auch wenn das Kind ihnen zugestimmt hat, so bewertet, als hätten sie gegen seinen Willen stattgefunden. Sie gelten damit rechtlich als Vergewaltigung (statutory rape). Die Altersgrenze, ab der ein Kind fähig ist wissentlich sexuellen Handlungen zuzustimmen und damit auch faktisch ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmungsrecht bekommt, richtet sich im Prinzip nicht nach der biologischen, sondern nach der geistigen Entwicklung. Sie liegt bei 18 Jahren. In dem dafür verwendeten Begriff Alter der Zustimmungsfähigkeit (age of consent) im Gegensatz zum deutschen Schutzalter macht sich das unterschiedliche geschützte Rechtsgut bemerkbar.

Häufigkeit

Grundsätzlich ist zwischen Inzidenz- und Prävalenzstudien zu unterscheiden. Inzidenzstudien geben Auskunft über bekannt gewordene Fälle, während Prävalenzstudien auf Stichproben aus der Allgemeinheit oder solche, die auf die Allgemeinheit übertragbar sind, zurückgreifen.

Umgang mit Häufigkeitsangaben

Zur Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs von Kindern existiert eine Vielzahl von Studien, die sich jedoch aufgrund unterschiedlich verwendeter Missbrauchsdefinitionen nur schwer vergleichen lassen. Übereinstimmend festhalten lässt sich, dass sexuelle Handlungen mit Kindern häufig vorkommen.

Häufigkeitsangaben über sexuellen Kindesmissbrauch werden teilweise verzerrt oder falsch dargestellt. Zeitweise veröffentlichten Organisationen unter Berufung auf das Bundeskriminalamt (BKA) falsche Zahlen von 200 bis 300 Tausend missbrauchter Kinder pro Jahr in Deutschland. Diese Angaben wurden vom Bundeskriminalamt zurückgewiesen, das in der Polizeilichen Kriminalstatistik des Jahres 2002 von 15.998 erfassten Fällen berichtet, fanden sich aber dennoch in der Sekundärliteratur (Levold 1997) wieder. Häufig werden im Zusammenhang mit der Polizeilichen Kriminalstatistik unzulässigerweise angezeigte Fälle mit begangenen Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs dargestellt.

Desweiteren stoßen die entsprechenden Studien aufgrund ihrer Thematik allgemein auf zahlreiche methodische Hindernisse. Vor allem der Komplex des Nichterinnerns von Missbrauchserfahrungen ist hier zu nennen. Dies lässt sich häufig zurückführen auf Verdrängung, Kindheitsamnesie aber auch das Meiden eigentlich präsenter Erinnerungen, da diese als schmerzhaft erlebt werden. Auch werden bei den Studien nur selten spezielle Gruppen erfasst, bei denen eine höhere Häufigkeit angenommen wird (z.B. Therapiepatienten, Prostituierte, Drogenabhängige, Heimbewohner). Eine Studie anhand von 276 Therapieprotokollen (Brunner / Meyer 1994) wies bei enger Definition bereits 18,3% (m) und 25,2% (w) Betroffene aus.

Inzidenzstudien

In der Bundesrepublik Deutschland werden jährlich etwa 15.000 Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs (§ 176 StGB) angezeigt (Polizeiliche Kriminalstatistik) bei etwa gleichbleibender Tendenz sowie gestiegener Anzeigebereitschaft in den letzten Jahren (Stand 2002). Insgesamt sind die Zahl leicht rückläufig.

Im Jahre 2001 wies die Statistik 19.230 angezeigte Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs auf. Davon waren 77 Prozent weiblich und 23 Prozent männlich. Die überwiegende Mehrzahl (rund 91 Prozent) war zwischen sechs und 14 Jahre alt. Die Täter waren in etwa 97 Prozent der Fälle männlich. Die Aufklärungsquote (das prozentuale Verhältnis von ermittelten Tatverdächtigen und angezeigten Fällen des Kindesmissbrauchs) liegt laut Kriminalstatistik bei ca. 75 Prozent und damit leicht unter der durchschnittlichen Aufklärungsquote von etwa 80 Prozent. Maßgeblich dafür ist der hohe Anteil an angezeigten Sexualdelikten, bei denen der Täter dem Opfer gut bekannt war.

Den angezeigten Fällen stehen etwa 2.200 Verurteilungen gegenüber (Strafverfolgungsstatistik). Hauptursache hierfür ist der hohe Anteil exhibitionistischer Handlungen vor Kindern, zu denen nur relativ wenige Tatverdächtige ermittelt werden können. Eine weitere Ursache ist die hohe Zahl an Falschanschuldigungen, insbesondere bei familienrechtlichen Auseinandersetzungen (Schönke) sowie fehlender hinreichender Tatverdacht (vgl. T. Gunder: Der Umgang mit Kindern im Strafverfahren: Eine empirische Untersuchung zur Strafverfolgung bei Sexualdelinquenz. Frankfurt am Main 1999).

Häufigkeitsangaben bei Inzidenzstudien spiegeln nicht die tatsächliche Häufigkeit wider: hinzu kommt ein Dunkelfeld durch nicht angezeigte Fälle. Aufgrund der höheren Anzeigebereitschaft zeigen Inzidenzstudien eine höhere Gewichtung von Taten, bei denen entweder keine Vorbeziehung zum Tatverdächtigen bestand oder bei denen Gewalt angewendet wurde, und eine geringere Gewichtung von Taten, die ohne Gewalt durchgeführt wurden bzw. bei denen eine Vorbeziehung zum Tatverdächtigen bestand.

Prävalenzstudien

Verschiedene Prävalenzstudien zeigen auf, dass etwa 2 bis 30 Prozent der weiblichen Bevölkerung in ihrer Kindheit bzw. frühen Jugend sexuelle Handlungen erlebt haben. Die Prävalenzen variieren sehr stark und hängen im Wesentlichen von den verwendeten Missbrauchsdefinitionen (Anwendung von Gewalt, Körperkontakt, Alter des Opfers, Altersunterschied zum Täter, Selbsteinschätzung) ab.

Eine Studie in der Bundesrepublik, bei der rund 3.200 Personen im Alter zwischen 16 und 59 Jahren befragt wurden (Pfeiffer/Wetzels 1992), geht davon aus, dass gemäß einer engen Definition (nur sexueller Missbrauch mit Körperkontakt und Opfer unter 14 Jahre) 6,2 Prozent der Mädchen und 2 Prozent der Jungen sexuellen Missbrauch erlebt haben. Bei einer weiten Definition (alle als "sexuelle Übergriffe in Kindheit und Jugend" erlebten Handlungen) stiegen diese Zahlen auf 7,3 Prozent der männlichen und 18,1 Prozent der weiblichen Befragten an.

Dies deckt sich in etwa mit den Ergebnissen der Studie von Coxell et al. (British Medical Journal, 1997). Befragt wurden etwa 2.500 Männer zu sexuellen Aktivitäten vor ihrem sechzehnten Lebensjahr, bei denen der Sexualpartner mindestens fünf Jahre älter war. Davon berichteten 7,7 Prozent über freiwillige und 5,3 Prozent über unfreiwillige Sexualkontakte mit einem Mann, der beträchtlich älter war. Demzufolge hätten 13 Prozent der Jungen sexuelle Kontakte mit einem Mann gehabt, die in einer weiter gefassten Definition als Missbrauch einzustufen sind. (Vgl. A. Coxell, M. King, G. Mezey, G. Gordon, "Lifetime prevalence, characteristics, and associated problems of non-consensual sex in men: cross sectional survey". British Medical Journal 318: 850, 27 March 1999.)

Generell kommt es bei Mädchen häufiger als bei Jungen zu sexuellem Missbrauch durch (meist männliche) Erwachsene. (Vgl. auch P. Cox, S. Kershaw, T. Trotter, ed., Child Sexual Assault: Feminist Perspectives, Palgrave, London, 2001.)


Missbrauchshandlungen

Die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes gibt Auskunft über die Missbrauchshandlungen der angezeigten Fälle sexuellen Missbrauchs (Hellfeld). Es ist davon auszugehen, dass aufgrund erhöhter bzw. verminderter Anzeigebereitschaft Taten von fremden Tatverdächtigen (z.B. Exhibitionisten vor Kindern) über- und Taten aus dem Nahfeld des Kindes unterrepräsentiert sind.

Etwa zwei Drittel der Missbrauchshandlungen der angezeigten Fälle fanden mit Körperkontakt und etwa ein Drittel ohne Körperkontakt statt. Bei den Fällen mit Körperkontakt entfallen etwa drei Viertel auf einfache sexuelle Handlungen mit einem Kind während ein Viertel der Handlungen mit Eindringen in den Körper des mutmaßlichen Täters oder Opfers (Beischlaf, intensives Petting, Zungenküsse) verbunden verbunden sind. Bei den angezeigten Fällen ohne Körperkontakt entfallen etwa zwei Drittel auf Exhibitionismus vor Kindern, das restliche Drittel bestand aus dem Vornehmen sexueller Handlungen von Kindern an sich selbst bzw. dem Vorzeigen pornografischer Darstellungen.

Der Anteil des sexuellen Missbrauchs zur Herstellung kinderpornografischer Schriften nimmt etwa 1,2 Prozent ein. Der sexuelle Missbrauch mit Todesfolge beträgt etwa 0,012 Prozent (2 Fälle) an der Gesamtzahl der Fälle sexuellen Missbrauchs.

Täter

Klassifizierungen

Tätertypen

Betrachtungen von Tätern sexuellen Missbrauchs klammern üblicherweise Exhibitionisten als gesondert zu betrachtendes Phänomen aus. Täter sexuellen Missbrauchs zeichnen sich nicht durch gemeinsame Attribute aus. Sie sind in allen Bevölkerungsschichten vertreten.

Die Täter werden nach folgenden Typen klassifiziert:

Regressiver Typ

seine primäre sexuelle Orientierung ist auf Erwachsene gerichtet, er ist durch Kinder jedoch sexuell erregbar. Aufgrund der leichten Verfügbarkeit von Kindern, wegen nichtsexuellen Problemen sowie wegen Problemen mit erwachsenen Sexualpartnern greift er zur sexuellen Befriedigung auf Kinder zurück. Man spricht deshalb auch von einem Ersatzobjekttäter.

Fixierter Typ

er zeichnet sich durch seine primäre sexuelle Orientierung auf Kinder aus. Er ist durch Erwachsene sexuell nicht oder kaum erregbar. Es handelt sich um den klassischen Pädophilen.

Soziopathischer Typ

er zeichnet sich durch mangelnde Empathie für Opfer und bisweilen durch sadistische Neigungen aus. Die Sexualität dient ihm nicht primär zur sexuellen Befriedigung, sondern als Mittel zur Unterdrückung, weshalb er manchmal auch als sadistischer Typ bezeichnet wird.

Nach vorsichtigen Schätzungen sind regressive Täter mit etwa 90 Prozent am häufigsten anzutreffen. Der fixierte Typ folgt mit etwa zwei bis zehn Prozent an zweiter Stelle. Der soziopathische Typ tritt nur in wenigen Einzelfällen auf. In den Medien sowie im englischsprachigen Raum werden regressive Täter fälschlicher Weise als Pädophile bezeichnet.

Kindliche und jugendliche Täter

Daneben kommt sexuellen Handlungen unter Kindern sowie zwischen Jugendlichen und Kindern unter den Begriffen sexuell aggressive Kinder und Jugendliche, sexuell deviante oder auffällige junge Täter immer häufiger Aufmerksamkeit zuteil. Diese wurden von Therapeuten geprägt.

Im Gegensatz zu rechtlichen Kriterien, die sexuelle Handlungen - zumindest unter Kindern - als gegenseitigen Missbrauch einordnen, findet überwiegend eine feste Einteilung in Opfer und deviante Täter statt. Die Bewertung des Täters als sexuell aggressiv stellt keine Einschränkung der Missbrauchskriterien auf Fälle mit Zwang und Gewalt dar. Auch die Initiierung der sexuellen Handlung bedingt nicht die Täterschaft, sondern die Devianz (Abweichung). Diese zeigt sich durch sexuell auffälliges Verhalten, das als nicht altersgemäß angesehen wird. Eine Schwierigkeit liegt in der Abgrenzung zum normalen - möglicherweise breit gestreuten - Sexualverhalten von Minderjährigen und besonders Kindern, das nur wenig erforscht ist. Im Allgemeinen steht Devianz, beispielsweise die Homosexualität, nicht mit Kriminalität oder einem Therapiebedarf in Verbindung. Im Zusammenhang mit einer vermuteten Präventivwirkung durch eine frühzeitige Therapie von Devianzen ist interessant, dass homosexuelle Erfahrungen in der Kindheit kaum mit der sexuellen Orientierung im Erwachsenenalter zusammenhängen.

Die Kriterien, welches Verhalten von Kindern und Jugendlichen als deviant und damit als sexueller Missbrauch eingestuft wird, sind unterschiedlich. Romer führt aus, dass bei sexuellen Handlungen unter Kindern "dann zweifelsfrei von einem sexuellen Angriff auszugehen [ist], wenn Gewalt, Zwang oder Bedrohung angewendet wurde, wenn eine Penetration jedweder Art versucht wurde, oder wenn irgendeine Form von Verletzung des Opfers dokumentiert ist". "Ab einem Altersunterschied ab 5 Jahren muss immer eine sexuelle Aggression angenommen werden, d.h. dass beim jüngeren Kind kein Einvernehmen hergestellt ist, auch nicht durch Bezahlung oder Geschenke". Deegener stellt dar, dass häufig eindeutig sexuell aggressive Handlungen oft im Rahmen von Doktorspielen gedeutet werden und die Chancen auf eine Therapie vertan werden. Als sexuell aggressives Verhalten definiert er folgende Handlungen:

  • Oral- oder Vaginalverkehr oder Penetration in Scheide oder After mit den Fingern oder anderen Objekten
  • Küssen von Genitalien
  • Imitation von Geschlechtsverkehr
  • Berührungen im Brust- und Genitalbereich

Bisweilen werden auch juristische Kriterien herangezogen, um zu definieren, welche sexuellen Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen als sexueller Missbrauch einzustufen sind. Nach deutschem Recht gelten sowohl einverständliche als auch mit Gewalt einhergehende sexuelle Handlungen unter Kindern als sexueller Missbrauch (siehe: § 176 StGB).

In jüngerer Zeit wendet man sich im Rahmen von Präventionsarbeit immer häufiger der Therapie von Kindern und Jugendlichen zu, die unter oben genannten Bedingungen als sexuell aggressiv gelten. Begründet wird dies damit, dass in empirischen Untersuchungen festgestellt wurde, dass ein nicht unerheblicher Teil erwachsener Sexualdelinquenten sich bereits im Kindesalter sexuell auffällig zeigten. Untersuchungen, ob sexuell auffällige Kinder und Jugendliche im Erwachsenenalter häufiger sexuell delinquent werden als der Bevölkerungsdurchschnitt, liegen nicht vor.

Bei der Therapie sexuell aggressiver Minderjähriger kommen in den USA entwürdigende und medizinisch umstrittene Verfahren wie die Aversionstherapie und Erektionsmessgeräte zum Einsatz.

Vorbeziehungen

Bei den in Hell- und Dunkelfeldstudien untersuchten Fällen sexuellen Missbrauchs bestand eine Vorbeziehung zwischen Kindern und dem Täter. Bekannte machen etwa die Hälfte, Verwandte ein Fünftel der Täter aus. Väter als Täter sind eher selten, die Fallzahl liegt zwischen 3 und 6 Prozent. Bei Jungen wurde beobachtet, dass lediglich etwa 10 bis 20 Prozent der Täter aus dem familiären Nahfeld entstammen.

Zwischen sozialer Nähe und der Intensität sexueller Handlungen besteht eine Beziehung. Die Anzahl, die Dauer und die Intensität der sexuellen Handlungen nimmt mit der sozialen Nähe zwischen Täter und Kind zu.

Geschlecht

Nach derzeitiger Sachlage bilden Männer etwa 85 bis 90 Prozent der Täter. Der Anteil weiblicher Täter ist erst in jüngerer Zeit in das Blickfeld wissenschaftlicher Untersuchungen gelangt.

Alter

Häufigste Altersgruppe der mutmaßlichen Täter sexuellen Missbrauchs sind die 14-16jährigen, gefolgt von den 16-17jährigen. Mit zunehmenden Alter sinken die Belastungszahlen. Dabei zu beachten ist, dass der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs (§ 176 StGB) sowohl freiwillige wie unfreiwillige sexuelle Handlungen mit Kindern unter Strafe stellt. TVBZ sind allerdings ebenso wie alle Angaben der Polizeilichen Kriminalstatistik dem Einwand ausgesetzt, dass hier nur bekanntgewordene (d.h. angezeigte) Fälle ausgewertet werden; es kann ein erhebliches Dunkelfeld bestehen (s.o.). Hinsichtlich des Alters der Tatverdächtigen im untenstehenden Diagramm ist zu beachten, dass eine Strafverfolgung bei Tatverdächtigen, die strafunmüdig (also unter 14 Jahren) sind, ausscheidet.

 

Tatverdächtigen-Belastungszahlen (TVBZ) beim sexuellen Missbrauch von Kindern (Tatverdächtige pro 100.000 der Bevölkerung der gleichen Altersgruppe). Grundlage: PKS 1996

Vorgehensweise

Gewalt ist beim sexuellen Missbrauch von Kindern eher selten anzutreffen. Nach einer Untersuchung des Bundeskriminalamtes wurden bei 85 Prozent der angezeigten Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs keine Drohung oder Nötigung angewandt (Baurmann 1985).

Bei sexuellem Missbrauch in der Kernfamilie gilt häufig eine familiäre Dysfunktion der Familiendynamik als Auslöser sexuellen Missbrauchs. Der Täter baut oft eine intensive Beziehung zum Kind auf, die mit einer gesteigerten emotionalen und bisweilen auch materiellen Zuwendung einher geht. Das Kind wird für den Täter zum Ersatzpartner, was für das Kind eine oft nicht zu bewältigende Rollenkonfusion auslöst. Gleichzeitig sinkt die Möglichkeit für das Kind, sich an andere Mitglieder der Kernfamilie zu wenden, um dieser Situation zu entkommen. Sexueller Missbrauch in der Kernfamilie erstreckt sich aufgrund der sich für den Täter bietenden Möglichkeiten oft über einen längeren Zeitraum und wird häufig von intensiveren sexuellen Handlungen begleitet.

Sexueller Missbrauch im weiteren sozialen Umfeld des Kindes wird häufig bei sich bietender Gelegenheit verübt. In der Regel besteht hier ebenfalls eine Vorbeziehung zum Kind, die sowohl flüchtig als auch intensiv, in der Regel auf Basis beidseitiger emotionaler Zuwendung, ausgeprägt sein kann. In Einzelfällen konnten unterschiedliche Tatverhaltensweisen beobachtet werden. Es fanden sich Täter, die die Tat vorgeplant und eine entsprechende Gelegenheit selbst geschaffen haben, und Täter, die eine sich zufällig ergebende Möglichkeit ergriffen haben. In der Regel hat der Täter jedoch zuvor sich mit dem Gedanken befasst, sexuelle Handlungen mit einem Kind zu begehen. Taten aus einem spontanen Triebdurchbruch heraus sind sehr selten anzutreffen.

Pädophile Täter gehen in der Regel eine freundschaftliche Beziehung mit Kindern ein, wobei sie sich der Zustimmung des Kindes versichern wollen. Dabei wenden sie sich oft an Kinder, die zuwendungsbedürftig sind bzw. arbeiten in Berufen, in denen sie viel mit Kindern zu tun haben. Siehe auch Pädophilie.

Therapie

Häufig werden psychotherapeutische Behandlungen für straffällig gewordene sexuelle Missbraucher als gerichtliche Auflage angeordnet. In der Regel wird nicht geprüft, ob eine psychologische oder medizinische Indikation vorliegt. Eine Therapieauflage dient vornehmlich dem Zweck der Besserung des Sexualdelinquenten und nicht primär einer Heilung.

Als Therapieform tritt so in den letzten Jahren immer häufiger die kognitive Verhaltenstherapie in den Vordergrund (Hanson). Ursprünglich nur therapiebegleitend werden Psychopharmaka wie Antidepressiva, Antiandrogenen, Phasenprophylaktika und Neuroleptika aufgrund des Kostendrucks im Gesundheitswesen anstelle einer Psychotherapie eingesetzt.

Bei sexuellem Missbrauch in der Kernfamilie werden häufig auch systemische Therapien angewendet, die auf die Behebung der familiären Dysfunktion als Auslöser des sexuellen Missbrauchs abzielen. Dabei wird oft die gesamte Familie in die Therapie mit einbezogen. Sofern keine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit besteht, kann so der Täter in der Familie verbleiben und es wird bisweilen auf eine Strafverfolgung verzichtet, um die Familie als solche zu erhalten und die betroffenen Kinder nicht weiteren Belastungen auszusetzen.

In den 1960er Jahren war bei Sexualstraftätern (vornehmlich Homosexuelle und Kindesmissbraucher) die Anwendung der Stereotaxie in Mode. Durch starke Ströme wurden dabei Teile des Gehirns, die für sexuelle Luststeuerung verantwortlich gehalten wurden, weggebrannt. Aversionstherapien fanden in den 1960er Jahren in Deutschland noch weitgehend eine Anwendung bei Homosexuellen und Kindesmissbrauchern, wurden aber aus ethischen Gründen eingestellt. Sie wird vornehmlich in den USA bei Kindern und Jugendlichen sexuellen Missbrauchern angewendet, auch wenn der Missbrauch einverständlich statt fand.

Rückfallwahrscheinlichkeit

Empirische Studien über die Rückfallwahrscheinlichkeit von Sexualstraftätern im allgemeinen und Kindesmissbrauchern im besonderen sind weitgehend abgesichert. Internationale Studien kommen zu vergleichbaren Ergebnissen. Etwa 20 Prozent der Kindesmissbraucher wurden in den beobachteten Zeiträumen (4 bis 10 Jahre) erneut einschlägig rückfällig, leicht geringer als der Durchschnitt von Sexualstraftätern (22 Prozent). Dabei zeigte sich bei fixierten Tätern (Pädophile; etwa 10 Prozent der Täter) eine deutlich höhere Rückfallwahrscheinlichkeit von bis zu 50 Prozent als bei regressiven Tätern (etwa 90 Prozent der Täter). Die Rückfallwahrscheinlichket nach einer Aufdeckung sexuellen Missbrauchs im familiären Nahfeld des Kindes wird als gering eingestuft, da es sich hierbei eher um episodenhafte Handlungen handelt. Allgemein haben Sexualstraftäter eine deutlich geringere Rückfallwahrscheinlichkeit als andere Straftäter (je nach Delikt, im Bereich von 50-80 Prozent variierend). Die festgestellten Rückfallwahrscheinlichkeiten sind als untere Grenzwerte zu betrachten, da sich die Studien auf bekannt gewordene Wiederholungsstraftaten beziehen.

Reaktionen und Folgen

Es wird zwischen Reaktionen und Folgen sexuellen Missbrauchs unterschieden. Während bei Untersuchung der Reaktionen deklarierte Opfer über ihre Bewertung der sexuellen Handlungen, meist rückblickend, befragt werden, zielt eine Untersuchung der Folgen auf den allgemeinen psychischen und sozialen Zustand anhand bestimmter Kriterien ab.

Reaktionen

Die unmittelbaren und langfristigen Reaktionen von Kindern auf sexuelle Handlungen mit anderen Personen sind breit gestreut. Sie reichen von Angst, Scham und Schuldgefühlen über Unverständnis des Geschehenen bis hin zu emotionaler Geborgenheit, Freude, Lust und Orgasmus. Die Reaktionen sind geschlechtsspezifisch. Während etwa die Hälfte bis zu zwei Drittel der Mädchen von negativen Reaktionen berichten, zeigen nur etwa 20 bis 30 Prozent der Jungen negative Reaktionen. Eine Sonderstellung nehmen bisexuelle und homosexuelle ein, die sich ihrer Attraktion auf Männer bewusst waren: bei ihnen überwiegen positive Reaktionen und oft ging von ihnen die Initiative zu den sexuellen Handlungen aus.

Lange Zeit betrachtete man sexuelle Handlungen mit Kindern als monokausale Ursache für positive oder negative Reaktionen. Gängig ist das Modell von Constantine, der Reaktionen von Kindern auf sexuelle Handlungen maßgeblich auf zwei Faktoren zurück führte: die Bereitschaft des Kindes daran teilzunehmen in Verbindung mit der Wahlfreiheit eine Zustimmung zu geben oder zu verweigern. Und die Kenntnisse des Kindes über Sexualität sowie seine eigene Einstellung zur Sexualität. Das Modell wird von empirischen Untersuchungen gestützt, nach dem Kinder bei sexuellen Begegnungen hauptsächlich positive Reaktionen zeigen, wenn sie damit einverstanden waren und negative Reaktionen, wenn sie gezwungen, genötigt oder manipuliert wurden. Fehlendes sexuelles Wissen resultiert häufig in Angstgefühlen bei sexuellen Handlungen, während eine negative Sexualeinstellung häufig in Scham- oder Schuldgefühlen resultiert. Positive Reaktionen überwiegten bei Kindern, die über ein gewisses sexuelles Wissen verfügten und eine positive Sexualeinstellung haben.

Folgen

Zu Beginn der 1980er Jahre konzentrierten sich Studien über Folgen sexueller Handlungen vornehmlich auf Probanden aus dem klinischen und psychiatrischen Umfeld, die wegen psychischer Probleme (Posttraumatische Belastungsstörung, Borderline-Syndrom, Dissoziative Identitätsstörung etc.) in Behandlung waren. Man stellte bei vielen der Probanden Missbrauchserfahrungen in ihrer Kindheit fest. Es zeigte sich aber auch, dass sexueller Missbrauch keine spezifische Symptomatik kennt; ein "Missbrauchs-Syndrom" existiert nicht.

Zunächst wurde dennoch gefolgert, dass Missbrauchserfahrungen grundsätzlich nachteilige Folgen nach sich ziehen. Hingegen stellte Finkelhor bereits 1979 fest, dass es keinen schlüssigen Beweis dafür gebe, dass sexueller Missbrauch von Kindern grundsätzlich schädlich sei. Er begründete, dass eine Ablehnung sexueller Handlungen mit Kindern lediglich auf moralischer Basis erfolgen könne. Diese sei die fehlende Fähigkeit von Kindern, sexuellen Handlungen zustimmen zu können.

Genauere Studien anhand nicht-selektiver Stichproben, die aus der Allgemeinbevölkerung bzw. vergleichbaren Bevölkerungsgruppen stammten, zeigten auf, dass die Hälfte derjenigen Probanden, die Missbrauchserfahrungen in der Kindheit hatten, negative Symptome aufzeigten, die andere Hälfte beschwerdefrei blieb (z.B. Baurmann 1983). Damit konnte nicht mehr von einer grundsätzlichen Schädigung durch sexuellen Missbrauch ausgegangen werden.

Wegen der hohen Korrelation zwischen sexuellem Missbrauch und späteren psychischen Problemen nahm man aber weiterhin eine Ursache-Wirkung Beziehung zwischen dem sexuellen Missbrauch und den negativen Folgen an.

Eine Kausalitätsbeziehung zwischen sexuellem Missbrauch und negativen Folgen gilt empirisch als weitgehend widerlegt. Methodisch korrekte Studien wandten sich einer Ursachen-Wirkung-Beziehung zwischen sexuellem Missbrauch und den Folgen zu (Rind et al. 1998, Kilpatrick 1987). Es wurden repräsentative Stichroben verwendet und dabei nicht isoliert sexuelle Handlungen, sondern auch andere Lebensumstände wie nicht-sexuelle physische und psychische Gewalt sowie emotionale und physische Vernachlässigung miteinbezogen. Es bestätigte sich übereinstimmend mit früheren Ergebnissen, dass nur etwa die Hälfte der Probanden mit Missbrauchserfahrungen über negative Symptome berichteten. Bei den Probanden mit psychischen Problemen zeigte sich, dass diese Probleme eher auf psychische/physische Vernachlässigung/Misshandlung als durch sexuellen Missbrauch erklärbar waren. So zeigten sich in der Meta-Analyse von Rind et al. (1998) um bis 9-fach höhere Effektgrößen für Vernachlässigung/Misshandlung als für sexuellen Missbrauch. Auffällig war, dass Dauer und Intensität sexueller Handlungen mit Kindern keinen großen Einfluss auf möglicherweise vorhandene Schädigungen zeigten, die Anwendung von Gewalt hingegen die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung deutlich erhöhten. Mögliche Schäden waren bei Jungen deutlich weniger anzutreffen als bei Mädchen. Etwa ein Drittel der Jungen schätzten die Erlebnisse positiv ein. Insgesamt waren schwere und langanhaltende Schäden nur in Ausnahmefällen anzutreffen. Dies deckte sich mit den Ergebnissen anderer methodisch korrekter Studien.

Gegenwärtig zeigt sich auf, dass Erklärungsmodelle für negative Folgen sexuellen Missbrauchs ohne Gewalteinwirkung fehlen und die Ergebnisse empirischer Forschung deutlich darauf hinweisen, dass keine Ursachen-Wirkung Beziehung zwischen sexuellem Missbrauch einerseits und negativen Folgen andererseits besteht. Dementsprechend werden nicht gewaltbehaftete sexuelle Handlungen mit Kindern von der Sexualwissenschaft aus moralischen und nicht aus Gründen der Schadensvermutung weitgehend abgelehnt (siehe: informed consent). Es wurde davor gewarnt, in Psychotherapien monokausal sexuellen Missbrauch als Ursache persönlicher Probleme diagnostizieren zu wollen und Therapien hierauf einseitig zu fixieren. Im Kontext einer monokausalen Schadenserwartung sowie der monokausalen Rückführung vieler psychischer Probleme kam es in vielen Fällen zur unbewussten Induktion falscher Erinnerungen an sexuellen Missbrauch durch Therapeuten (siehe False Memory Syndrom). Eine Trennung von moralischem Fehlverhalten und widerlegter Schadensvermutung hat sich überwiegend in der Sexualwissenschaft, nicht jedoch in der öffentlichen Diskussion etabliert.

Liberalisierungstendenzen während der 70er Jahre

In den 70er Jahren wurde in den Massenmedien, sowie von politischen Parteien, vor allem den Grünen, aber etwa auch sozialdemokratischen Arbeitsgruppen, sowie innerhalb der evangelischen Kirche über eine grundsätzliche Legalisierung von Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen diskutiert. Teilweise kam es gar zu repressive Entsublimierung genannten Tendenzen: Verunsicherte Eltern "bekannten" zum Beispiel verschämt auf Elternabenden in Kinderläden, dass sie es nicht ertragen könnten, wenn ihre Kinder ihnen beim Sex zusehen oder ihre Geschlechtsteile stimulieren wollten. Nicht selten wurde solchen Eltern dann geraten, in einer Selbsterfahrungsgruppe solche "bürgerlichen Zwänge" abbauen zu lernen.

Verwandte Begriffe und Phänomene

  • Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung beschreiben Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von Personen.
  • Pädophilie und Päderastie sind auf Kinder ausgerichtete sexuelle Orientierungen und existieren als solche im Spannungsfeld sexueller Missbrauch.
  • Inzest, insbesondere Eltern/Kind-Inzest, wird häufig als sexueller Missbrauch gewertet, ist jedoch primär durch den Verwandtschaftsgrad und nicht vom Alter der Beteiligten oder Gewaltanwendung abhängig.
  • Kinderprostitution gilt als eine Form sexuellen Missbrauchs.
  • Die Herstellung von Kinderpornografie kann mit sexuellem Missbrauch einhergehen
  • Doktorspiele werden manchmal als "Missbrauch unter Kindern" bezeichnet, insbesondere in den USA
  • False-Memory-Syndrom bezeichnet die Suggestion "falscher Erinnerungen" an sexuellen Missbrauch oder andere Traumata - der Patient erinnert sich an Ereignisse, die gar nicht stattgefunden haben.
  • Pädokriminalität ist ein umstrittener Oberbegriff unter den auch Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornografie fallen.

Literatur

  • G. Amann & R. Wipplinger (Hrsg.), Sexueller Missbrauch - Überblick zu Forschung, Beratung und Therapie. Ein Handbuch. Tübingen
  • Archives of Sexual Behavior, Vol. 31, No. 6, December 2002, p. 465 ff.
  • Bange, D. / Deegener, G. 1996,: Sexueller Missbrauch an Kindern - Ausmaß, Hintergründe, Folgen. Psychologie Verlags Union, Weinheim.
  • Bange, D. & Körner, W. (Hrsg.), Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. Göttingen
  • Bange, D. 2002: Ausmaß. In: Bange / Körner (Hrsg.): Handwörterbuch - Sexueller Missbrauch. Hofgrefe-Verlag, Göttingen.
  • Michael C. Baurmann: Sexualität, Gewalt und psychische Folgen, Bd.15 der BKA-Forschungsreihe, 1983, 1996
  • Beier, Bosinski, Hartmann, Loewit: Sexualmedizin, Urban & Fischer 2001, ISBN 3-437-51086-X
  • Bernard,Frits: Pädophilie ohne Grenzen: Theorie, Forschung, Praxis. Förster, Frankfurt/M. 1997
  • Brunner, R. / Meyer, A.-E. 1997: Sexueller Missbrauch in psychoanalytischen Therapieberichten: Eine empirische Untersuchung von 276 Fallgeschichten. In: Richter-Appelt, H. (Hrsg.): Verführung - Trauma - Missbrauch. Psychosozial-Verlag, Gießen.
  • Deegener, G. 1997: Gesellschaft - Täter - Opfer - Profile. Neuere Forschungsergebnisse zum sexuellen Missbrauch. In: Ulonska, H. / Koch, H.H.(Hrsg.): Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen - Ein Thema der Grundschule. Julius Klinkhardt Verlag, Heilbrunn
  • Ernst, C., 1997: Zu den Problemen der epidemiologischen Erforschung des sexuellen Missbrauchs. In: Amann, G. / Wipplinger, R. (Hrsg.): Sexueller Missbrauch - Überblick zu Forschung, Beratung und Theorie, dgtv-Verlag, Tübingen.
  • Günther Deegener: Sexueller Missbrauch: Die Täter, Beltz 1995, ISBN 3621272518
  • Finkelhor, D. 1997: Zur internationalen Epidemiologie von sexuellem Missbrauch an Kindern. In: Amann, G. / Wipplinger, R. (Hrsg.): Sexueller Missbrauch - Überblick zu Forschung, Beratung und Theorie, dgtv-Verlag, Tübingen.
  • Finkelhor, D., Sexually Victimized Children. New York, 1979
  • Helga Fleischhauer-Hardt: Zeig mal', ISBN 3872943014 (als Dokument der Liberalisierungstendenzen der 70er Jahre interessant, vergriffen)
  • Gloor, R. / Pfister, T. 1995: Kindheit im Schatten. Ausmass, Hintergründe und Abgrenzung sexueller Ausbeutung. Peter Lang Verlag, Bern.
  • Helmut Graupner: Sexual Consent, The Criminal Law in Europe and Overseas, Keynote-Lecture at the 7th International Conference of the International Association for the Treatment of Sexual Offenders (IATSO)
  • Gründer, M., Kleiner, R. & Nagel, H., Wie man mit Kindern darüber reden kann: Ein Leitfaden zur Aufdeckung sexueller Misshandlung. Freiburg im Breisgau, 1994
  • Herman, J. L., Die Narben der Gewalt. München, 1994
  • Allie C. Kilpatrick: Long-Range Effects of Child and Adolescent Sexual Experiences, Laurence Erlbaum Associates 1992, ISBN 0-8058-0913-9
  • Lange, C. 2001: Sexuelle Gewalt gegen Mädchen - Ergebnisse einer Studie zur Jugendsexualität. Psychosozial-Verlag, Gießen.
  • Lautermann, Rüdiger: Die Lust am Kind. Klein Verlag, 1994. AISN 3895210153
  • H.-J. Lenz (Hrsg.), Männliche Opfererfahrungen. Weinheim und München, 2000
  • Tom Levold: Problemsystem und Problembesitz: die Diskurse der sexuellen Gewalt und die institutionelle Praxis des Kinderschutzes, System Familie, Springer-Verlag 1997
  • Müller, K.-S. 1997: Sexueller Missbrauch im Kindes- und Jugendalter. Eine Prävalenzstudie in Köln. Dissertation an der Medizinischen Fakultät der Universität Köln.
  • Katharina Rutschky, Reihart Wolff: Handbuch Sexueller Missbrauch, Rowohlt 1999, ISBN 3499605988
  • J. Schuh & M. Killias (Hrsg.), Sexualdelinquenz. Chur, 1991
  • Volkmar Sigusch: Sexuelle Störungen und ihre Behandlung, Thieme 2001, ISBN 3131039434
  • V. Sigusch (Hrsg.), Therapie sexueller Störungen. Stuttgart, 1996
  • Stöckel, Matthias: Pädophilie. Befreiung oder sexuelle Ausbeutung von Kindern. Campus-Verlag, Frankfurt/M. 1998
  • Wetzels, P.: Verbreitung und familiäre Hintergründe sexuellen Kindesmissbrauchs. In: Höfling, S. / Drewes D. / Epple-Waigel I. (Hrsg.) 1999: Auftrag Prävention - Offensive gegen sexuellen Kindesmissbrauch. Atweb-Verlag.