Die Marienkirche (auch Sankt Marienkirche) im Zentrum der Altstadt Wismars zwischen Marktplatz und Fürstenhof gelegen, ist die höchste der drei Stadtkirchen. Die Höhe des Mittelschiffgewölbes betrug 32,2 Meter; der Turm ist 82,5 Meter hoch.[1] Sie war Hauptpfarrkirche und Ratskirche[2] der Marktstadt. Sie gehört zu den ältesten Bauwerken der Hansestadt. Ihr im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigtes Schiff wurde 1960 gesprengt.





Baugeschichte
Bau I
Der Bau war nicht die erste Marienkirche in Wismar, denn für 1250 ist die Existenz einer anderen Marienkirche belegt. Vermutlich war sie ein Holzbau, der schon in den 1220er Jahren stand. Die Stadtgründung im Jahr 1226 machte das Vorhandensein einer Pfarrkirche notwendig.[3] Die Marienkirche wurde um 1260–70 als Hallenkirche mit Westturmanlage erbaut. Die Breite des Langhauses betrug 36 Meter, die Höhe der Gewölbe etwa 16 Meter, die Länge des Schiffes und die Gestalt des Chores sind unbekannt. Diese gewaltigen Maße zeugen von der wirtschaftlichen Leistungskraft der Stadt im 13. Jahrhundert. Erhalten blieben der Westturm und seine Seitenkapellen. Auch die Vorlagen für Arkadenbögen zwischen den Seitenschiffen und dem Mittelschiff stammen noch aus der Zeit. Die Höhe der Turmhallen und die Spuren des Schildbogens über der Öffnung der mittleren Halle belegen, das die drei Schiffe gleich hoch waren und von einem gemeinsamen Dach gedeckt waren.[4]
Bau II
- 1. Bauabschnitt:
Nach dem Abriss des Chores erfolgte der Bau einer provisorischen Abschlusswand zum weiterbenutzten Hallenlanghaus. Um 1320–1339 wurde unter Werkmeister Johann Grote der basilikale Umgangschor mit Kapellenkranz errichtet.
- 2. Bauabschnitt:
Nach 1339 erfolgte die Vollendung des Chores und 1353 die Weihe. Danach wurde das alte Hallenlanghaus abgetragen, das Backsteinmaterial für den Neubau des Langhauses als Basilika wiederverwandt. Im Typus entsprach die Kirche dem Vorbild der Marienkirche von Lübeck.
- 3. Bauabschnitt:
Um 1370/75 wurde das Langhaus vollendet.
- 4. Bauabschnitt:
Vor 1388 wurden nachträglich zwischen die Strebepfeiler Einsatzkapellen angebaut, auf der Nordseite um 1388 die Nordhalle und vor 1390 die Sakristei. Die Südvorhalle und die östlich daneben liegende Knochenhauerkapelle entstanden vor 1414.
- 5. Bauabschnitt:
Im 5. Bauabschnitt erfolgte die Aufstockung des Westturms um drei Geschosse auf eine Höhe von 80 Meter.
Die Kapelle unter dem Turm wurde im Mittelalter von der Kaufleutekorporation der Bergenfahrer ausgestattet, unterhalten und genutzt.
Nachmittelalterliche Veränderungen
Im 15. oder frühen 16. Jahrhundert wurde der steile gotische Pyramidenhelm zerstört und durch einen Dachreiter ersetzt, der wiederum 1539 durch Blitzschlag zerstört wurde. Der Ersatz wurde 1661 vom Sturm heruntergeworfen, der anschließende provisorische Abschluss blieb bis heute bestehen. Im 18. Jahrhundert wurden teilweise Fenster und Portale zugemauert. In den 1860er Jahren wurde ein Dachreiter über dem östlichen Ende des Langhausdaches errichtet.
Nach 1945
Im April 1945 wurde die Kirche durch britische Luftminen stark beschädigt. Die Dacheindeckung und alle Gewölbe stürzten ein. Die Seitenschiffe, sowie die beiden Vorhallen gingen nieder.[5] 1951 wurde deshalb für die Gemeinde eine Notkirche nach dem Entwurf von Otto Bartning gebaut, die Neue Kirche, welche aus den Steinen des alten Pfarrhauses erbaut wurde.
Obwohl keine unmittelbare Gefahr des Zusammenbruchs oder gesundheitlicher Gefährdungen durch den abgesperrten Bau bestand, wurden 1960 Langhaus und Chor der St. Marien-Kirche unter Protest zahlreicher kultur- und geschichtsinteressierter Bürger gesprengt und das Baumaterial zu Schotter verarbeitet. Der Turm konnte wegen seiner Bedeutung als Seezeichen nicht beseitigt werden.
In den vergangenen Jahren wurde mit Mitteln von Stadt, Land, Bund, Deutscher Stiftung Denkmalschutz und mit Spenden engagierter Bürger der verbliebene Turm geschlossen und mit Installationen soweit ausgerüstet, dass wieder eine Nutzung für Veranstaltungen möglich ist. Der Grundriss des ehemaligen Kirchenschiffes wurde durch niedrige Mauern wieder sichtbar gemacht.
St. Marien war gemeinsam mit St. Georgen in Wismar bis Januar 2012 Ort der Ausstellung Wege zur Backsteingotik: „Gebrannte Größe – Bauten der Macht“, die sich mit der Backsteingotik und auch der Entstehungsgeschichte von St. Marien befasste. Der Turm von St. Marien ist Teil der Europäischen Route der Backsteingotik.
Ausstattung
St. Marien war als Wismarer Ratskirche durch Stiftungen reich ausgestattet. Im Laufe der Geschichte wurden daher auch Ausstattungsstücke an ärmere Gemeinden Mecklenburgs weitergegeben: Ein Beispiel ist die Kanzel aus der Werkstatt des Lübecker Bildschnitzers Tönnies Evers d. J. von 1587, die sich seit dem Jahr 1746 in der Marienkirche von Neustadt-Glewe befindet.
Etliche Stücke der Ausstattung konnten in den Wirren des Zweiten Weltkrieges gerettet werden, ein großer Teil wurde aber auch zerstört. Dazu gehören der Hauptaltar von 1749, der Orgelprospekt aus der Zeit um 1840 und das Gestühl.[6]
Das Triumphkreuz von 1420 schmückt seit der Restaurierung 1990 den Schweriner Dom. Es wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts geschaffen.[7]
Andere Stücke, darunter die Taufe aus Bronze, die um 1335 gegossen wurde, sind zurzeit in der Wismarer Nikolaikirche untergestellt. Die Taufe stand nachweislich 1495 unter dem Turm. Vermutlich ist sie eine Arbeit des Johann Apengeter aus Lübeck. Eine ähnliche, von Apengeter gegossene Taufe steht in der Marienkirche in Lübeck. Drei Figuren in Mönchsgewändern tragen den Kessel, verschiedene Reliefs mit Figuren sind in zwei Reihen angeordnet. In der oberen Reihe werden zwischen den Aposteln Szenen aus dem Leben Christi gezeigt, sowie die Darstellung des Christus als Weltenrichter. In der unteren Reihe sind die klugen und die törichten Jungfrauen und ebenfalls Szenen aus dem Leben Christi zu sehen. Das Taufbecken ist von einem verknoteten Gitter aus Eisen umgeben, das Taue darstellt. Es wurde wahrscheinlich im 16. Jahrhundert angefertigt. Nach einer Sage half der Teufel dem Schmied bei der Anfertigung dieses endlosen Gitters. Im Volksmund wird es deswegen Teufelsgitter genannt.[8]
Ein um 1430 geschnitztes Flügelretabel aus dem Mittelalter wird derzeit in der Marienkirche ausgestellt. Es war wohl ursprünglich Bestandteil des Krämeraltares. In der mittleren Tafel wird Maria dargestellt, sie wird von dem Heiligen Mauritius und dem Erzengel Michael begleitet. Die Reliefs in den beiden Flügeln zeigen auf der rechten Seite die Anbetung des neugeborenen Jesus durch die heiligen drei Könige und auf der linken Seite die Verkündigung. Die Krämer gaben dieses Retabel in Auftrag, nachdem sie 1411 ihre Kapelle an den Chorumgang im Nordosten angebaut hatten. Die Kapelle wurde im selben Jahr geweiht. Die Krämer verehrten Maria ganz besonders, zusätzlich zum Altar hatten sie ihr auch einen Kronleuchter mit einer Marienfigur geweiht. Die Krämer nutzten ihre Kapelle auch für Zusammenkünfte und Besprechungen.[9]
Die Astronomische Uhr von St. Marien wurde bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Turm
Der Unterbau des Turmes und die beiden Seitenhallen sind noch von der frühgotischen Vorgängerkirche erhalten. Mit dem Bau wurde etwa von 1260 bis 1270 begonnen, dies wird auch durch einige überlieferte Bestätigungen zu Ziegellieferungen und Stiftungen belegt. Das Portal ist spitzbogig und mit Kleeblattbogenfriesen[10] und Ecklisenen ausgestattet. Die ehemaligen Rundfenster an den Seiten wurden vermauert.[11]Dieser frühgotische Unterbau wurde in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts um drei Geschosse aufgemauert. Die einzelnen Geschosse wurden an jeder Seite durch zwei Spitzbogenfenster gegliedert. Die Außenkanten wurden durch weiße Kalksteinbinder betont, sie bilden einen starken Kontrast zu der roten Farbe der Backsteine. Zwei sich kreuzende Satteldächer wurden wohl im 16. Jahrhundert aufgesetzt.[12] Die vier Giebelfelder sind mit Maßwerksteinen und geometrischen Mustern verziert. Die Turmuhr erhielt 1647 die Zifferblätter, von den einstmals 13 Glocken sind 9 erhalten.[13]
Kapellen
Im Mittelalter wurden die Pfarrkirchen überwiegend von den Menschen des zugehörigen Kirchspieles genutzt. Die Kirche diente der Spende der Sakramente der Beichte, der Taufe, der letzten Ölung und schließlich der Beerdigung der Gemeindemitglieder. Der südliche Teil der Altstadt zwischen dem Dominikanerkloster, dem Heilig-Geist-Hospital und der Bademutterstraße bildete das Kirchspiel der Marienkirche. In diesem Bezirk befanden sich auch der Marktplatz und das Rathaus Hier im Stadtzentrum wohnten zum Teil sehr wohlhabende Bürger.[14] Der Haupteingang der Kirche war zum Markt hin ausgerichtet. Die ältere Nordvorhalle diente auch als Leichenhaus, in dem die Verstorbenen vor der Beerdigung aufgebahrt wurden. Hier war auch eine Orgel installiert. Wie auch in den Kirchen in anderen Hansestädten üblich, ließen sich begüterte Gemeindemitglieder Kapellen in der Kirche einrichten oder anbauen. Auch Kaufmannsgesellschaften und Handwerksämter richteten sich Kapellen ein und stifteten dafür. Jeweils an der Ostwand einer Kapelle stand ein Altar, an dem von einem sogenannten Meßpriester jeden Tag eine Ewige Messe gelesen wurde. Diese Messen sollten den Stiftern zum Seelenheil dienen. Um dies für die Kirche einträgliche Geschäft zu fördern, wurde jede Möglichkeit ausgeschöpft, Kapellen einzurichten oder an das Gebäude anzubauen. Auch in den beiden erhaltenen Turmhallen waren Kapellen eingerichtet.[15] Die Familie Westphal aus Wismar hatte ihre Kapelle in nördlichen Nebenhalle des Turmes, diese Kapelle wurde später von den Hökern übernommen. Die Wismarer Böttcher besaßen eine Kapelle in der südlichen Turmhalle. Eine reiche Witwe eines Ratsherren stiftete Almosen, die regelmäßig von Bedürftigen in der Böttcherkapelle empfangen wurden. Im Raum direkt unter dem Turm waren die Kapellen der Bergenfahrer, der Barbiere und der Kaufleute untergebracht. Hier stand auch die Taufe.[16] Die Kapelle St. Marien zur Weiden befand sich in der Südwestecke. Das dreijochige Gebäude stand über einem rechteckigen Grundriss. Die vor 1324 errichtete Kapelle diente der der Aufstellung verschiedener Altäre und wurde wahrscheinlich als Station bei Prozessionen benutzt. Die Kapelle wurde 1960 abgebrochen. Die Bantzkowsche Sühnekapelle wurde zwischen 1427 und 1433 gebaut. Die Kosten dafür übernahm die Stadt als Sühneleistung für die Hinrichtung des Bürgermeisters Bantzkow. Die Kapelle wurde vor 1850 abgerissen.[17] In der Marienkirche befanden sich die Grabkapelle des schwedischen Generalmajors von Wrangel, die vom Lübecker Gießer Tile Bruith gegossene Bronzegrabplatte der Herzogin Sophie von Mecklenburg († 1504),[18] ursprünglich im Schwarzen Kloster, durch den Krieg gerettet und heute in St. Nicolai, und das Grab des Rechtsgelehrten David Mevius († 1670 als Vizepräsident des schwedischen Tribunals zu Wismar). Hölzerne Skulpturen der Wrangelschen Grabkapelle sind heute im Kellergewölbe unterhalb des Rathauses ausgestellt.
Die Gemeindemitglieder, die sich eine Begräbnisstätte innerhalb der Kirche nicht leisten konnten, wurden auf dem Friedhof, der die Marienkirche umgab, bestattet. Auf diesem Friedhof standen zwei kleine Kapellen.[19]
Glocken
St. Marien besitzt eines der der umfangreichsten Geläute Norddeutschlands und einen einzigartigen Bestand an historischen Läute- und Uhrschlagglocken.[20]
Nr. |
Name |
Gussjahr |
Gießer, Gussort |
Masse (kg, ca.) |
Durchmesser (mm) |
Schlagton (HT-1/16) |
1 | Große Glocke | 1567 | Hermann Paßmann, Lübeck | 5000 | 1968 | b0 −1 |
2 | Bürgerglocke | 1567 | Hermann Paßmann, Lübeck | 2700 | 1613 | c1 −2 |
3 | Wächterglocke | 1902[21] | M & O Ohlsson, Lübeck | 1750 | 1420 | des1 ±0 |
4 | 1652 | Adam Dankwart, Wismar | 1200 | 1264 | es1 +5 | |
5 | 1592 | Gerdt Bincke, Wismar | 770 | 1017 | f1 −4 | |
6 | 2. H. 14. Jh. | unbekannt | 1200 | 1139 | g1 +8 | |
7 | 1621 | Clawes Bincke, Wismar | 800 | 1022 | as1 +10 | |
8 | 14. Jhdt. | unbekannt | 400 | 840 | b1 +15 | |
9 | 1435 | Timmo Jegher, Lübeck | 220 | 727 | c2 +10 |
Dazu kommen außen am Turm drei Uhrglocken, von denen die Stundenglocke 1539 gegossen wurde. Die Läute- und Uhrschlagglocken bilden gemeinsam ein Glockenspiel, das nach dem Kirchenjahr wechselnde Choräle spielt.
Pastoren
- 1320/21 Heinrich von Dassow
- 1361–1366 Martinus de Golnow
- 1841–1849 Johann Joachim Hartwig Meyer (Diaconus)
Kirchhof
Der Kirchhof von St. Marien war in früherer Zeit mit Kapellen überbaut darunter St. Marien zu den Weiden und die Bantzkowsche Sühnekapelle. Diese haben sich nicht erhalten, da sie zum Teil schon im 19. Jahrhundert abgerissen wurden.
Presseberichte zum Abriss der Kirche
Die Ostsee-Zeitung berichtete am 5. August 1960: Verantwortungsvoll geprüft und beschlossen, Hinweise und Vorschläge der Bevölkerung beachtet. Nach gründlicher Aussprache einstimmiger Beschluss: Hauptschiff der Marienkirche wird beseitigt, Turm bleibt erhalten. In einer außerordentlichen Sitzung beschäftigten sich seit gestern Abend die Abgeordneten des Stadtparlaments mit der seit Jahren und besonders in der letzten Zeit von der Wismarer Bevölkerung diskutierten Frage über den baulichen Zustand der Marienkirche. Dieses Bauwerk, das am 14. August 1945 durch anglo-amerikanische Flugzeuge (Luftminen) schwer beschädigt wurde, bildet seit Jahren einen großen Gefahrenherd und bedroht das Leben und die Gesundheit vieler in unmittelbarer Nähe lebender Bürger. ... Die Frage der Bevölkerung, was geschieht mit der Ruine der Marienkirche? haben wir sehr ernst genommen. Wir setzten Bauexperten und Sachverständige aus Dresden und Rostock ein und ließen den baulichen Zustand exakt untersuchen. Das Ergebnis besagt, daß der weithin sichtbare Turm erhalten bleiben kann, das Hauptschiff dagegen eine große Gefahrenquelle bildet und deshalb beseitigt werden muß, sagt Genosse Fliegert (Oberbürgermeister) den Abgeordneten, die in vollem Verantwortungsbewußtsein zu entscheiden hatten. ... Die Stadtverordneten beschlossen nach gründlicher Erörterung aller Für und Wider den Abbruch des Hauptschiffes der Marienkirche.[22]
Die Welt berichtete am 10. September 1960: St. Marien soll fallen, sagt die SED . Eines der berühmtesten gotischen Bauwerke will man jetzt in Wismar vernichten. Die Wismarer Silhouette? Das sind die drei mächtigen Kirchen, breit, blockig und für die Ewigkeit gebaut: St. Georgen, St. Nicolai und St. Marien. ... Aber wie wird es morgen sein? Diese bange Frage ist nur allzu begründet, denn in die schönste der Wismarer Kirchen hat ein Sprengkommando der sowjetzonalen Polizei Sprenglöcher hineingetrieben. St. Marien soll fallen, so hat es die SED beschlossen. ... Auf den Platz von St. Marien will man einen „Kulturpalast“ stellen, nicht die Kirche, sondern ein „sozialistischer Bau“ soll künftig die Silhouette der Stadt bestimmen. Die Steine des Gotteshauses sollen die Maschinen speisen, die gegenwärtig nur zögernd Platten für die „sozialistische Großblockweise“ produzieren. Es mangelt an Rohstoff, die Kirche soll ein Steinbruch werden. ... Kein Fachmann zog bisher in Zweifel, daß man das kostbare Bauwerk restaurieren könne. Der Turm steht fest wie eh und jeh, aber auch Mauern und Pfeiler von Mittel- und Seitenschiff zeigen keine Neigung einzustürzen, obwohl man sie seit fünfzehn Jahren schutzlos Sturm und Regen preisgegen. ... Noch am Anfang dieses Jahres war man in Wismar überzeugt, daß St. Marien in Kürze wiederhergestellt werde. Ein gutes Dutzend Kommissionen hatte im Laufe der Jahre geprüft und erwogen, keiner kam es in den Sinn, für den Abriß zu plädieren. Heimlich, im März 1960, fiel in den Räumen der SED-Kreisleitung die Entscheidung. SED-Sekretär Rohloff sprach das Urteil; Oberbürgermeister Fliegert wurde zum Vollstrecker bestimmt. Die Spielregeln wurden dem Stadtoberhaupt überlassen. Dieser ältliche Herr aus Breslau ging indes nicht sonderlich geschickt zu Werke. Er ließ auf einem Vortragsabend seinen Stadtplaner Domhardt über „Planung und Gestaltung“ Wismars sprechen. Dabei benutzte der Mann Skizzen, auf denen St. Marien schon abgerissen war. Das brachte die Wismarer in Harnisch. Wohnblöcke, Hochhäuser und Kulturpalast flogen vom Tisch. Eine harte Diskussion hub an, einziges Thema: St. Marien. ... Ein angesehener sachverständiger Bürger legte einen kompletten Plan auf den Tisch, der belegte, wie man mit 20 Handwerkern, einem Turmdrehkran und einem Jahresetat von 200.000 Ostmark St. Marien retten könne. Wenn nur der Wille vorhanden wäre. ... Für acht Wochen, April bis Juni, fiel der Vorhang. Aber Anfang Juli meldeten sich in der lokalen Presse in zunehmendem Maße „Werktätige“, die den Abriß von St. Marien forderten. Die „Werktätigen“ wurden „dringlicher“ und der Fliegert gab schließlich bekannt, daß er sich „zu einer Prüfung dieser Frage entschließen müsse“. ... St. Marien liegt uns sehr am Herzen. Wir werden alles versuchen, um das kostbare Bauwerk zu retten. Die Entscheidung wird nur nach sorgfältiger Prüfung gefällt. ... Eine SED Kommission kraxelte eines Tages in St. Marien herum. Die „Experten“ hatten nicht zu prüfen, sondern die Begründung für die Sprengung zu liefern. Anfang August trafen sich in Güstrow die Denkmalpfleger Mecklenburgs. Man ...führte Klage, daß man hier und dort von den „staatlichen Organen“ einfach übergangen wurde ... und faßte in Sachen St. Marien den „einmütigen Beschluß“, daß dieses wertvolle, einzigartige Baudenkmal unter allen Umständen erhalten werden müsse. Es waren schöne, starke Worte. ... Als die Denkmalpfleger des Abends, im Wirtshaus, ihren „Erfolg“ begossen, stürzten in Wismar die ersten Pfeiler des Gotteshauses zusammen. Die Detonation löste indes eine Empörung aus, die man in SED-Kreisen nicht vermutet hatte. Die Wismarer stellten sich schützend vor ihre Kirche. Diskussionen flackerten auf, böse und oft unbesonnen, wie man sie in Wismar seit Juni 1953 nicht mehr hörte. Es kam zu kleinen, privaten Protestaktionen.[23]
Literatur
- Friedrich Schlie: Die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Grossherzogthums Mecklenburg-Schwerin. II. Band: Die Amtsgerichtsbezirke Wismar, Grevesmühlen, Rehna, Gadebusch und Schwerin. Schwerin 1898. (Neudruck: Schwerin 1992, ISBN 3-910179-06-1, S. 27–68)
- Gottfried Kiesow: St. Marien in Wismar. In: Bauten der Macht. (Gebrannte Größe, Bd. 2). Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn 2002, ISBN 3-936942-24-2.
- Angela Pfotenhauer, Elmar Lixenfeld: Wismar und Stralsund – Welterbe. monumente edition. Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn 2005, ISBN 3-936942-56-0.
- Claus Peter: Die Glocken der Wismarer Hauptkirchen. Bestand und Quellen. In: Jahrbuch für Glockenkunde. 5/6 (1993/94), S. 69–94.
- St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7.
- Hans Christian Feldmann, Gerd Baier, Dietlinde Brugmann, Antje Heling, Barbara Rimpel: Dehio-Handbuch Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Mecklenburg-Vorpommern. Deutscher Kunstverlag, 2000, ISBN 3-422-03081-6.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Meyers Reisebücher: Ostseehbäder. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig/ Wien 1910, S. 241.
- ↑ Hans Christian Feldmann, Gerd Baier, Dietlinde Brugmann, Antje Heling, Barbara Rimpel, Dehio-Handbuch Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Mecklenburg-Vorpommern. Deutscher Kunstverlag, 2000, ISBN 3-422-03081-6, S. 683.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 12.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7 , S. 11 und 12
- ↑ Schädigungen bei Bombenangriffen
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 15.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 15.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 15.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 18 und 19
- ↑ Hans Christian Feldmann, Gerd Baier, Dietlinde Brugmann, Antje Heling, Barbara Rimpel: Dehio-Handbuch Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Mecklenburg-Vorpommern. Deutscher Kunstverlag, 2000, ISBN 3-422-03081-6, S. 685.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 11.
- ↑ Hans Christian Feldmann, Gerd Baier, Dietlinde Brugmann, Antje Heling, Barbara Rimpel: Dehio-Handbuch Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Mecklenburg-Vorpommern. Deutscher Kunstverlag, 2000, ISBN 3-422-03081-6, S. 683.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 12.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 13.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 13.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 13.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 14.
- ↑ Hubert Stierling: Die Grabplatte der Herzogin Sophie v. Mecklenburg in Wismar. in: Monatshefte für Kunstwissenschaft. Leipzig, Band 10.1917, 8/9, S. 297–300.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 13.
- ↑ Claus Peter: Die Glocken der Wismarer Hauptkirchen. 1993/94, S. 69, die folgende Aufstellung nach ebd, S. 73; bei dieser Aufstellung sind die Angaben zu den Gießern entsprechend zu korrigieren
- ↑ Kopie einer Glocke von 1553 (Schlie, S. 41)
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 26.
- ↑ St. Marien Wismar. Kirchenführer. Verlag Ludwig, Kiel 1996, ISBN 3-9805480-0-7, S. 26–29.
Koordinaten: 53° 53′ 28″ N, 11° 27′ 45,9″ O