NATO-Doppelbeschluss

Resolution der Nato zum Atomwaffengebrauch
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. Februar 2006 um 22:02 Uhr durch 84.58.217.119 (Diskussion) (Der „Doppelbeschluss“). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Unter dem NATO-Doppelbeschluss wird die Entscheidung der NATO vom 12. Dezember 1979 verstanden, dem Warschauer Pakt eine beidseitige Begrenzung von Mittelstreckenraketen anzubieten, verbunden mit der Drohung, bei Nichteinigung ebenfalls neue amerikanische Mittelstreckenraketen in Westeuropa zu stationieren.

Im weiteren Sinne wird auch die dieser Stationierung vorausgehende Sicherheitspolitische Debatte eingeschlossen. Der NATO-Doppelbeschluss war eines der bestimmenden Themen in der Bundesrepublik Deutschland der frühen 1980er-Jahre. Während die Befürworter von einer notwendigen „Nachrüstung“ (Aufrüstung) sprachen, sahen die Kritiker darin den Teil eines sinnlosen und gefährlichen Rüstungswettlaufes.

Vorgeschichte

Die Anfang der 1970er langsam beginnende und sich bis Ende des Jahrzehnts fortsetzende Entspannungspolitik zwischen den USA und der UdSSR fand ihren Niederschlag in den Rüstungskontroll-Verträgen SALT I (1972) und SALT II (1979), die vor allem die strategischen nuklearen Kapazitäten begrenzen und damit einen weiteren eskalierenden Rüstungswettlauf in diesem Bereich verhindern sollten.

Die SALT-Verträge sahen jedoch keine allgemeine gegenseitige nukleare Rüstungskontrolle vor, sondern bezogen sich ausschließlich auf die strategischen Trägersysteme und deren Gefechtsköpfe. Darunter fielen keine der so genannten taktischen Nuklearwaffen wie beispielsweise von Kampflugzeugen abgeworfene nukleare Bomben oder auch Mittelstreckenraketen (MRBM & IRBM). In Bezug auf Mittelstreckenraketen stellte dies eine Lücke in den SALT-Abkommen dar. Denn Mittelstreckenraketen waren eigentlich nur bis zur Perfektionierung der Interkontinentalraketen (ICBM) in Gebrauch und waren danach aus dem Einsatz verschwunden. Die UdSSR nutzte nun diese Lücke durch Entwicklung und Stationierung (ab 1977) einer neuen modernen mit nuklearen Mehrfachgefechtsköpfen bestückten Mittelstreckenrakete, der SS-20. Eine Version dieser Rakete mit einer weiteren, dritten Stufe würde als strategische Waffe dienen, mit interkontinentaler Reichweite.

Im Dezember 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein (siehe Afghanischer Bürgerkrieg und sowjetische Invasion). Die Beziehungen zwischen „Ostblock“ und „Westeuropa“ erreichten einen weiteren Tiefpunkt im Kalten Krieg.

Der „Doppelbeschluss“

Die europäischen NATO-Verbündeten sahen in den auf mobilen Abschussrampen montierten SS-20 Raketen eine mindestens ebenso große Bedrohung, wie in den strategischen Interkontinentalraketen und fassten am 12. Dezember 1979 den sogenannten NATO-Doppelbeschluss. Dieser Beschluss sah die Stationierung von 572 ebenfalls mobilen amerikanischen Mittelstreckenraketen (Pershing II und bodengestützten Cruise Missiles vom Typ BGM-109 Tomahawk Gryphon Ground-Launched Cruise Missile) vor, um damit das nukleare „Gleichgewicht des Schreckens“ durch „Nachrüstung“ wiederherzustellen. Außerdem wurden der Regierung der UdSSR sofortige Verhandlungen angeboten, mit dem Ziel, nuklear bestückte Mittelstreckenwaffen völlig aus Europa zu verbannen. Sollten diese Verhandlungen scheitern, würden die Mittelstreckenraketen vier Jahre später stationiert werden. Von sowjetischer Seite wurde moniert, dass die französischen Kernwaffen nicht berücksichtigt wurden.

Maßgeblich am NATO-Doppelbeschluss beteiligt war der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, der bereits im Jahre 1977 in einer Rede vor dem Londoner International Institute for Strategic Studies auf die Gefahren hinwies und Gegenmaßnahmen der NATO forderte. Damit brachte er die SPD in eine schwierige Situation, da der NATO-Doppelbeschluss gerade in den Hauptstationierungsländern der Raketen (Deutschland und Niederlande) zu Protesten in der Bevölkerung und zur vorübergehenden Stärkung der Friedensbewegung führte. Zahlreiche SPD-Abgeordnete schlossen sich den Protesten an. Es kam zu mehreren Großdemonstrationen mit vielen 100 000 Teilnehmern, sowie weiteren teilweise spektakulären Aktionen wie Menschenketten, Sitzblockaden vor Atomwaffenstandorten unter anderem.

Wesentlicher Kritikpunkt der in der Friedensbewegung vertretenen Beschlussgegner war, dass das nukleare Vernichtungspotential beider Seiten bereits für die mehrfache Vernichtung der Welt ausreichte, mithin also jede weitere Rüstung unsinnig sei. Weiterhin wurde von einer umgekehrten Kubakrise gesprochen, da die Vorwarnzeit für die damalige UdSSR im Falle eines Erstschlags von Europa aus auf wenige Minuten reduziert würde. Die Gefahr eines Krieges durch Irrtum und eines „atomaren Holocaust“ sei dadurch erheblich erhöht. Einer der vielen Protestslogans der Friedensbewegung war in Anspielung an „make love not war“ und den Namen der US-Mittelstreckenwaffen: „Petting statt Pershing“.

Befürworter des Doppelbeschlusses verwiesen hingegen darauf, dass bei einem sowjetischen SS-20-Angriff auf Westeuropa ein NATO-Gegenschlag nur durch US-Interkontinentalraketen erfolgen könnte, was automatisch eine Ausweitung des Konflikts zur Folge haben würde. Zudem sei die Pershing II als Erstschlagwaffe ungeeignet, weil sie weder die sowjetischen Raketenstellungen hinter dem Ural erreichen noch die strategischen U-Boote bedrohen könne.

Die am 30. November 1981 begonnenen Abrüstungsverhandlungen in Genf blieben ergebnislos, woraufhin der Bundestag im Jahre 1983 der Stationierung mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP zustimmte. Die Sowjetunion brach daraufhin die begonnenen Abrüstungsverhandlungen ab.

Am 8. Dezember 1987 wurde schließlich zwischen der UdSSR und den USA das INF-Abkommen unterzeichnet. Dies sah die Zerstörung sämtlicher Mittelstreckenwaffen vor und beendete damit auch diese Episode des kalten Krieges.

Literatur

  • Herbert Dittgen: Deutsch-amerikanische Sicherheitsbeziehungen in der Ära Helmut Schmidt. Vorgeschichte und Folgen des NATO-Doppelbeschlusses München; Fink 1991, ISBN 3770526767