Unter Fliegen des Menschen (von germanisch „fleugan“ > ahd. „fliogan“ > mhd. „vliegen“ > nhd. „fliegen“, „gleiten“, „auffahren“, „umherfliegen“) versteht man allgemein eine Bewegung von Menschen durch die Luft bzw. im Weltraum. Der lateinische Parallelbegriff ist „volare“.[1]
Hierbei wird begrifflich nicht zwischen aktiver und passiver Bewegung unterschieden. Umgangssprachlich entfällt im Neuhochdeutschen häufig auch eine Differenzierung zwischen „Fliegen“ und „Fallen“. Figürlich findet der Ausdruck „Fliegen“ schließlich auch für eine rasche Bewegung am Boden Verwendung.[2]
Aktives und passives Fliegen
Der Beginn des menschlichen Fliegens wird allgemein mit den erfolgreichen Gleitflügen des Flugpioniers Otto Lilienthal in den Jahren 1891 bis 1896 angesetzt.[3] Lilienthal orientierte sich dabei am Flug von Großvögeln.[4] Er sprach von „Fliegetechnik“, wenn er seine Flugversuche beschrieb.
Während sich die Frage des aktiven und passiven Fliegens bei Vögeln nicht stellt,[5] wird diese beim menschlichen Fliegen bedeutsam. Der Begriff unterscheidet nicht zwischen „Fliegen“ und „Geflogen werden“. Die Bedeutung des Verbums (= „Tätigkeitswort“) ohne Zusatz reduziert sich beim menschlichen Fliegen auf die „Bewegung in der Luft“. Menschen „fliegen“ auch dann noch im Verkehrsflugzeug, wenn alle Passagiere und das fliegende Personal einschließlich der Piloten schlafen und der Autopilot die Steuerung der Maschine übernommen hat. So bezieht sich der Begriff „Fliegen“ ohne Unterscheidung auf die steuernde Cockpitbesatzung, die Mitreisenden wie das sie transportierende Flugzeug. Alle scheinen, vom sprachlichen Ausdruck her, dieselbe Tätigkeit auszuüben. Eine Differenzierung muss erst durch eine Zusatzerläuterung kenntlich gemacht werden. Im Fachdeutsch spricht man daher von „aktivem Fliegen“, wenn die Tätigkeit des „Flugzeugführers“ von der des „Fluggastes“ unterschieden werden soll. Unter „aktivem Fliegen“ versteht die Fliegersprache darüber hinaus das wachbewusste Steuern des Fluggeräts, etwa durch den Gleitschirmflieger, der sich nicht lediglich von seinem Schirm tragen lässt oder durch den Hängegleiterpiloten, der sich nicht von den Winden die Richtung des Kreisens vorgeben lässt, sondern willentlich über sein Fluggerät verfügt und sachgerechte Entscheidungen trifft. Der „Fluggast“, „Tandemflieger“ oder „Mitflieger“ wird, genau genommen, geflogen. Er fliegt nicht selbstständig, trifft keine flugrelevanten Entscheidungen, trägt keine Verantwortung für die sichere Abwicklung des Fluges, sondern fliegt in Abhängigkeit von einem aktiv sich für ihn betätigenden Piloten.[6]
Aktiv gestaltete Flugphasen ergeben sich auch in Sportarten wie dem Weitsprung, dem Hochsprung, dem Trampolin- oder Wasserspringen. Passive Flugphasen ereignen sich etwa bei Unfällen, bei denen Gegenstände nach einer Explosion oder ein Motorradfahrer samt seiner Maschine nach einem Zusammenstoß „durch die Luft fliegen“. Aber auch Luftakrobaten in der Zirkusarena lassen sich, von ihren Partnern durch die Luft geschleudert und aufgefangen, durch die Zirkuskuppel fliegen.
Fliegen und Fallen
Blätter im Herbst können „fallen“, aber auch „fliegen“, wenn der Wind sie aufwirbelt und durch die Lüfte trägt. Fallschirmspringer sprechen gern vom „Fliegen“, obwohl ihr Sport sich physikalisch in der Vertikalen bewegt und damit korrekt als „Fallsport“ einzuordnen ist. Maßgeblich für diese Begriffsentlehnung ist das subjektive Gefühl, sich frei in der Luft bewegen zu können sowie die Nah- und Zeitlupenaufnahmen, die den Weg der Bewegung nicht als vertikal erkennen, sondern als „Fliegen“ erscheinen lassen. Eine ähnliche Zuordnung findet sich bei den Schispringern, die wegen der in der Zeitlupenwiedergabe lang erscheinenden Flugphase gern von „Schifliegen“ reden.
Die Umgangssprache ist reich an Ausdrücken, die sich des Fliegens bedienen, obgleich eigentlich ein Fallen gemeint ist wie „Hinfliegen“, das eigentlich ein „Hinfallen“ ist oder „Umfliegen“, das etwa das „Umfallen“ einer Stehlampe ausdrücken will. Das umgangssprachliche Wort „Herumfliegen“ kennzeichnet das wilde Durcheinander ungeordnet im Raum „herumfahrender“ oder“ herumliegender Gegenstände. Der Ort der Betonung kann bei Komposita eine Sinnveränderung bewirken. So meint der Ausdruck „Umfliegen“ mit dem Akzent auf dem zweiten Wortteil noch in der ursprünglichen Wortbedeutung das Umkreisen etwa einer Gewitterfront durch das Flugzeug, während dasselbe Wort mit dem Akzent auf der Vorsilbe als „Umfliegen“ das Umstürzen eines Gegenstands ausdrückt.
Physikalisch-technische Unterschiede
Beim Vorgang des Fliegens mischen sich Bewegungselemente wie das Steigen, Schweben, Gleiten oder Sinken. Fliegen meint im eigentlichen Sinn den Vorgang der Loslösung von der Schwerkraft und der Bewegung gegen die Anziehungskraft der Erde. Dazu bedarf es eines Auftriebs, wie thermische oder dynamische Aufwinde ihn für das motorlose Fliegen mit Gleitschirm, Hängegleiter und Segelflugzeug liefern. Mit Motoren ausgestattete Flugzeuge nutzen neben ihrer aerodynamischen technischen Ausstattung vor allem höhere Geschwindigkeiten, um den notwendigen Auftrieb für das Fliegen zu erzeugen. Geworfene Gegenstände, Geschosse oder Raketen brauchen eine hohe Bewegungsenergie, um, als Flugkörper in die Luft katapultiert, „fliegen“ zu können. Auch bei Sprüngen wie dem Weitsprung, dem Hochsprung oder dem Schisprung ist ein Ausgangsimpuls erforderlich, um die nachfolgende Flugphase zu erreichen. Wegen der großen Sprungweiten von Hochschanzen und der durch Zeitlupenaufnahmen zeitlich und optisch gestreckten Flugphase ist in der Fachsprache des Schispringens oft auch von „Schifliegen“ die Rede, obwohl –physikalisch gesehen- weder eine Schwebebewegung noch gar eine Aufwärtsbewegung, sondern eine reine, wenn auch gedehnte Fallbewegung stattfindet. Bei der Bewegung von Ballonen und Luftschiffen in der Luft spricht man fachsprachlich wegen der andersartigen Auftriebsform nicht von „Fliegen“, sondern von „Fahren“. Vögel können sich neben dem Segeln in Aufwinden zusätzlich durch das Bewegen ihrer Flügel in die Luft erheben und dort halten. Im Unterschied zu den Flächenflugzeugen nutzen Hubschrauber als sogenannte Drehflügler Rotoren, um den notwendigen Auftrieb und Vortrieb für das Fliegen zu erzeugen.[7]
Fliegen als Metapher
Schon das klassische Latein verwendete den Ausdruck „volare“ bzw. „praetervolare“ in übertragener Bedeutung im Sinne von „eilen“, „sich schnell bewegen“ und übertrug den Begriff in poetischer Weise auf die Bewegung des Windes, auf die Fahrt von Schiffen, auf die Verbreitung von Gerüchten oder auf das Verfliegen der Zeit.[8] Die deutsche Umgangssprache profitiert reichlich vom bildlichen Ausdruck des Fliegens, der sich in zahlreichen Metaphern wiederfindet:
„Einen Text überfliegen“ will deutlich machen, dass man schnell, ohne genaueres Hinschauen, über eine Schrift hinweggeht, um sich einen oberflächlichen Eindruck von dem Inhalt zu verschaffen.
„Rausfliegen“ setzt ins Bild, dass jemand „Hals über Kopf“ gegen seinen Willen einen Raum oder seine Firma verlassen muss, nachdem ihm gekündigt wurde.
„Auf etwas oder jemanden fliegen“ heißt, dass man sich zu etwas/jemandem heftig hingezogen fühlt.
„Ausfliegen“ will sagen, dass ein „Ausflug“ gemacht, das Haus verlassen wird.
„Um/an den Hals fliegen“ veranschaulicht eine plötzliche, heftige Umarmung.
„Fliegende Hände“ signalisieren ein heftiges Beben und Zittern vor Aufregung.
„Fliegender Puls“ meint einen sehr schnell und oberflächlich schlagenden Puls.
„Fliegende Eile“ drückt eine große Unruhe und Hast aus.
„Fliegende Zeit“ steht für die rasch vergehende Gegenwart, den sich schnell verflüchtenden Augenblick.
„Fliegende Hitze“ versinnbildlicht plötzlich auftretende Hitzewallungen bei seelischer Erregung oder als Symptom der Wechseljahre.
„Fliegender Händler“ ist der Ausdruck für einen Händler ohne festen Verkaufsstand.
„Fliegender Holländer“ geht auf die Sage vom plötzlich auftauchenden und wieder verschwindenden Gespensterschiff zurück.
„Fliegende Bauten“ bezeichnen nur vorübergehend aufgestellte Einrichtungen wie Baugerüste, Tribünen, Karusselle oder Schaubuden.
„Fliegende Untertasse“ steht für einen angeblich gesichteten Flugkörper aus dem All.
„Fliegende Fische“ dienen zur Verbildlichung des plötzlichen Herausschnellens aus dem Wasser, etwa bei der Verfolgung durch Raubfische bzw. für bestimmte Fischarten wie den „Schwalbenfisch“.
„Fliegende Blätter“ meinen lose, nicht als Buch oder Broschüre gebundene Einzelblätter.
„Fliegende Gedanken“ oder „Gedankenflüge“ bezeichnen den schnellen Vorbeizug von Vorstellungen und Bildern im Bewusstsein.
Fachsprachliche Unterformen
„Fliegen“ realisiert sich in der fliegerischen Praxis auf sehr verschiedene Weise: Es stehen dem Piloten zunächst Grundformen wie „Steigen“, „Schweben“, „Gleiten“ oder „Sinken“ zur Verfügung. Daneben ergeben sich aus den sogenannten „Freiheitsgraden“ weitere Bewegungsarten über die Rotationsachsen des Fluggeräts wie „Rollen“ als Bewegung um die Längsachse, „Gieren“ als Bewegung um die Hochachse oder „Nicken“ als Bewegung um die Querachse. Als „Slipen“ bezeichnet man einen Seitengleitflug, der dem schnellen Höhenabbau und einer Kurzlandung dient.[9]
Mit kunstflugtauglichen Fluggeräten sind weitere Flugfiguren möglich, die in den verschiedenen Flugsportarten teilweise unterschiedlich ausgeführt und entsprechend benannt werden wie „Wingover“, „Steilspirale“,[10] „Tumbling“ oder „Fullstall“ (Gleitschirm), „Steile Biege“ (Segelflug), „Rückenflug“, „Rolle“, „Turn“, „Chandelle“ zu deutsch „Kerze“, „Trudeln“, „Sturzflug“, „Pirouette“ oder „Looping“ (Segelflug und Motorflug). Die Fliegersprache oder Pilotensprache ist eine Sondersprache, die einen hoch differenzierten Wortschatz zu allen Arten des Fliegens bereithält.[11]
Literatur
- Dale Crane: Dictionary of Aeronautical Terms, Aviation Supplies & Academics, 1997. ISBN 1-56027-287-2
- Fliegen, Schwerpunktheft der Zeitschrift Sache-Wort-Zahl, Aulis-Verlag, Heft 94, Köln 2008
- Ernst Götsch: Luftfahrzeugtechnik. Motorbuchverlag, Stuttgart 2003, ISBN 3-613-02006-8
- R. G. Grant: Fliegen: die Geschichte der Luftfahrt. Dorling Kindersley, Starnberg 2003, ISBN 3-8310-0474-9
- Gerhard Köbler: Althochdeutsches Wörterbuch, 6. Auflage, 2014, Buchstabe F
- Rudolf Schützeichel: Althochdeutsches Wörterbuch. Niemeyer, Tübingen 1995, ISBN 3-484-10636-0
- Gerhard Wahrig: Deutsches Wörterbuch, Bertelsmann-Verlag, Gütersloh 1970, Spalte 1295
- Siegbert A. Warwitz: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Baltmannsweiler 2001, ISBN 3-89676-358-X
Einzelbelege
- ↑ Gerhard Köbler: Althochdeutsches Wörterbuch, 6. Auflage, 2014, Buchstabe F
- ↑ Gerhard Wahrig: Deutsches Wörterbuch, Bertelsmann-Verlag, Gütersloh 1970, Spalte 1295
- ↑ G. Schmitt, W. Schwipps: Pioniere der frühen Luftfahrt, Gondrom, Blindlach 1995
- ↑ Otto Lilienthal: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst 1889 (Neuauflage Bernd Lukasch (Hrsg.), Springer Spektrum, Berlin 2014)
- ↑ Fliegen, Schwerpunktheft der Zeitschrift Sache-Wort-Zahl, Aulis-Verlag, Heft 94, Köln 2008
- ↑ Siegbert A. Warwitz: Fliegen - die Erfüllung eines Traums. In: Ders.: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Baltmannsweiler 2001, S. 87–96
- ↑ Ernst Götsch: Luftfahrzeugtechnik. Motorbuchverlag, Stuttgart 2003
- ↑ Menge-Güthling: Enzyklopädisches Wörterbuch der lateinischen und deutschen Sprache, 7. Auflage, Langenscheidt, Berlin 1950, Seite 809
- ↑ Siegbert A. Warwitz: Phänomen und Faszination des Fliegens, In: Ders.: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Baltmannsweiler 2001, S. 92-94
- ↑ Sauber spiralen - Gleitschirm, www.gleitschirm-magazin.com, GLEITSCHIRMMAGAZIN 05 2004, (PDF, 202 KB)
- ↑ Dale Crane: Dictionary of Aeronautical Terms, Aviation Supplies & Academics, 1997