Neclá Kelek [zur Aussprache: das c wird als dsch gesprochen] (* 1957 in Istanbul) ist eine promovierte, deutsche Sozialwissenschaftlerin und Frauenrechtlerin türkischer Herkunft. Sie lehrt Migrationssoziologie an der Evangelischen Fachhochschule für Sozialpädagogik in Hamburg.
Leben
In der Türkei gehörte ihre Familie der Minderheit der Tscherkessen an. Während ihr Urgroßvater mit dem Verkauf von Sklavinnen an den Harem des Sultans reich wurde, ein Großvater seine Frau raubte, kaufte ihr Vater seine Frau für zwei Ochsen. Neclá Kelek kam 1968 im Alter von neun Jahren mit ihren Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Ihre Eltern pflegten in Istanbul noch einen westlichen Lebensstil, in Deutschland dagegen wendeten sie sich der Religion zu. Als Kelek einmal ihrem Vater zu widersprechen wagte, drohte er, sie mit einem Beil zu erschlagen. Der Vater verbot ihr die Teilnahme am Schulsport zum Schutze ihrer Jungfräulichkeit und zur Wahrung der Familienehre.
Ihre beiden älteren Geschwister fügten sich noch den konservativen Ansichten ihrer Eltern, doch sie flüchtete sich als Jugendliche zuerst in die Depression („Hüzün“) und erprobte dann die offene Verweigerung durch ihre Anstrengungen in Schule und Hochschule. Immer mehr entfremdete sich ihr Vater der Familie, verließ sie schließlich ganz und heiratete eine 35 Jahre jüngere Frau.
Später studierte sie Volkswirtschaft und Soziologie in Hamburg. Von ihrer Familie wurde sie verstoßen, da diese ihr Recht auf Eigenständigkeit leben wollte. Mit einer Untersuchung über die heranwachsende Frau im Islam wurde sie 2001 promoviert. Keleks forschungsleitendes Thema ist die islamisch geprägte Parallelgesellschaft in Deutschland. Eine Duldung der Unterdrückung von Mädchen, aber auch von Jungen in islamisch-orthodoxen Familien lehnt sie als falsch verstandene Toleranz entschieden ab. Heute lebt sie mit ihrem Lebensgefährten und ihrem Sohn aus einer geschiedenen Ehe.
Engagement für Menschenrechte
Ebenso wie Ayaan Hirsi Ali, niederländische Politikerin somalischer Herkunft, und die ägyptische Frauenrechtlerin Sérénade Chafik wendet sie sich gegen die Unterdrückung der Frauen im Islam. Kelek wird von islamischen Organisationen heftig kritisiert, da sie die Überzeugung einer nur geringen Vereinbarkeit von westlichen und islamischen Idealen vertritt.
Vor allem von der türkischen Presse kommen immer wieder Angriffe, Frauenrechtlerinnen wie Kelek, Seyran Ates und Serap Çileli wird nicht ohne Grund Übertreibung vorgeworfen. Die meisten Frauen, in Zahlen Millionen, oder jede zweite, seien männlicher Gewalt ausgesetzt und würden nicht in Freiheit leben. Bis Mitte 2005 war das auch die Redaktionsrichtlinie des konservativ-nationalistischen Boulevardblatts Hürriyet (Freiheit), das bei den Türken in Deutschland großen Einfluß hat. Vierzig Prozent von ihnen hatten nach einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) aus dem Jahr 2002 diese Zeitung in den vergangenen zwei Wochen gelesen. Am 22.5.05 startete Hürriyet eine deutschlandweite Kampagne „Gegen häusliche Gewalt“. Die Diskussionsveranstaltungen in den deutschen Großstädten fanden eine große Resonanz, doch die zuvor attackierten Frauenrechtlerinnen lehnten eine Beteiligung ab.
Kelek ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Giordano Bruno Stiftung, eine „Stiftung zur Förderung des evolutionären Humanismus“.
Projekte
Mittlerweile ist Kelek eine weithin anerkannte und daher gefragte Expertin zum Themenkreis der islamischen Kultur in der westlichen Welt. Zur Zeit arbeitet sie an einer familiensoziologischen Studie über den Einfluß des Islam auf die Kleinfamilie. Dazu besuchte sie türkische Inhaftierte und befragte sie nach deren Biographie. Die Hamburger Justizbehörde berät sie zu Fragen der Behandlung türkisch-muslimischer Gefangener. Zur Vorbereitung des evangelischen Kirchentages 2005 in Hannover wurde sie zur Mitarbeit bei der Projektgruppe eingeladen. Außerdem beriet sie die baden-württembergische Landesregierung bei ihrer Gesetzesinitiative, Zwangsheiraten unter Strafe zu stellen.
Kontroverse: Kelek kontra akademische Mehrheitsmeinung
Kurz vor der Herausgabe von Keleks familiensoziologischer Studie Mitte März 2006 veröffentlichte die Wochenzeitung Die Zeit am 2. Februar 2006 einen als Petition bezeichneten Offenen Brief von sechzig Wissenschaftlern aus dem sozialpädagogischen Fachbereich im Allgemeinen und der Migrationsforschung im Besonderen. Darin machten sie Kelek im Kern den Vorwurf, mittlerweile unwissenschaftlich zu arbeiten. Während Kelek in ihrer Dissertation den wissenschaftlichen Kriterien noch genügt habe, würde sie mit ihrer Erzählung Die fremde Braut und ihren Zeitungsbeiträgen Einzelfälle zu exemplarischen Gattungsmerkmalen der muslimischen Migranten verallgemeinern. Dies wäre ein unzulässiger Schluss und daher als irrational zu bezeichnen. Ebenso unwissenschaftlich und irrational verhielten sich daher auch alle staatlichen und politischen Unterstützer ihrer kritischen Haltung gegenüber der Migrationspolitik. Man bestreite zwar nicht die Existenz von Zwangsheiraten und Ehrenmorden, doch wären diese Phänomene eher marginal, überdies von der EU induziert und daher als untypisch für muslimische Migranten in Westeuropa zu betrachten.
Kelek erhielt in derselben Augabe der Zeitung die Möglichkeit zu einer Replik eingeräumt, die auch von der Tageszeitung taz am 3. Februar abgedruckt wurde. Sie warf ihrerseits den Unterzeichnern der Petition vor, unwissenschaftlich zu argumentieren. Entgegen den realen Zuständen verträten diese eine Illusion der geglückten Integration muslimischer Migranten. Trotz täglich dieser Ansicht widersprechender Ereignisse versuchten die Vertreter der akademischen Mehrheitsmeinung lieber die Überbringerin der schlechten Nachricht zu kritisieren als ihre eigenen Ansichten bzw. ihr „ideologisches Konzept des Multikulturalismus“. Sie spitzte ihre Erwiderung zu, indem sie den „Kritiker[n] aus der gut ausgestatteten Welt der öffentlich finanzierten Migrationsforschung“ vorwarf, „seit 30 Jahren für das Scheitern der Integrationspolitik verantwortlich“ zu sein. Der wahre Zweck ihrer Einrede wäre die „Angst um ihre Forschungsmittel“.
Das Echo in den Medien war unerwartet einhellig. Bis auf extrem unterschiedliche Reaktionen in der Tageszeitung taz [1], [2] nahmen die Tageszeitungen FAZ [3], [4], Die Welt [5], Frankfurter Rundschau [6] eindeutig Stellung für Keleks Positionen. Aus neutraler Sicht kommentierte die NZZ vom 11. Februar 2006 [7]. Einer Verfasserin des Offenen Briefes, Yasemin Karakasoglu wirft die deutsche Frauenrechtlerin Alice Schwarzer in der FAZ vom 11. Februar 2006 vor, sei sei „sehr, sehr weit von wissenschaftlicher Neutralität entfernt und sehr, sehr eng mit der islamistischen Szene in Deutschland verbandelt.“ [8]
Auszeichnungen
- 2005: Geschwister-Scholl-Preis
Werke
- 2006: Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes. Kiepenheuer & Witsch, Köln, ISBN 3-462-03686-6 (erscheint Mitte März 2006)
- 2005: Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland. Kiepenheuer & Witsch, Köln, ISBN 3-462-03469-3
- Besprechung von Rupert Neudeck und von Otto Schily im Spiegel - 2002: Islam im Alltag. Islamische Religiosität und ihre Bedeutung in der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern türkischer Herkunft. Dissertation. Waxmann, Münster, ISBN 3-8309-1169-6
Film
- 2005: Verschleierte Unterdrückung? Die Frauen und der Islam. SWR, Fernsehdiskussion mit Neclá Kelek und Seyran Ateş 44 Min. Erstausstrahlung: 8.3.2005 [9]
Weblinks
- „Gerechtigkeit für die Muslime!“, Die Zeit, 2. Februar 2006, Nr. 6, Petition der 60 Migrationsforscher
- „Entgegnung“, Die Zeit, 2. Februar 2006, Nr. 6, Keleks Replik der Petition, übernommen von der taz
- „Sexuelle Ausbeutung, nahe der Sklaverei“, Heidenheimer Zeitung, 16. November 2005
- „Geschwister-Scholl-Preis an deutsch-türkische Soziologin verliehen“, Leipziger Volkszeitung, 15. November 2005
- „Porträt Necla Kelek, Soziologin“, Tagesspiegel, 17. September 2005
- „Warum nur schauen so viele weg?“, Süddeutsche Zeitung, 11. April 2005
Beiträge von Kelek
- „Sie haben das Leid anderer zugelassen!“, Die Zeit, 8. Februar 2006, Nr. 7, „Eine Antwort auf den offenen Brief von 60 Migrationsforschern: Sie ignorieren Menschenrechtsverletzungen, weil sie nicht in ihr Konzept von Multikulturalismus passen.“
- „Der Pascha-Test“, taz, 16. Januar 2006, Plädoyer von Kelek für den umstrittenen „Gesprächsleitfaden“ des baden-württembergischen Innenministeriums für Einbürgerungswillige
- Dankesrede für Geschwister-Scholl-Preis, taz, 15. November 2005 (Ausschnitt)
- „Anwälte einer Inszenierung“, Zeit, 17. September 2005, Bericht über den Sürücü-Prozess von N. Kelek
- „Eure Toleranz bringt uns in Gefahr“, Die Welt, 26. Februar 2005, „Beispiel Zwangsehen: Warum rot-grüne "Islamversteher" die Lage der moslemischen Frauen nur verschlechtern.“ Essay von Neclá Kelek
Interviews
- „Das ist eine Art Pascha-Test“, Tagesspiegel, 19. Januar 2006 zum „Gesprächsleitfaden“
- „Geschwister-Scholl-Preis an Türkei-kritische Schriftstellerin“, Münchner Merkur, 29. September 2005
- „Es sind verlorene Söhne“, taz, 23. September 2005
- „Zwangsehe & Ehrenmord in Deutschland – Muslimische Frauen fordern: Schluss mit Multikulti-Toleranz“, Interview mit Kelek, 3sat, 19. Juni 2005, auch als Video
- „Gefängnis Familie. Eine Frau bricht das Tabu des Schweigens“, Sicherheit heute, 30. Januar 2005
Personendaten | |
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NAME | Kelek, Neclá |
KURZBESCHREIBUNG | türkisch-deutsche Sozialwissenschaftlerin |
GEBURTSDATUM | 1957 |
GEBURTSORT | Istanbul |