Dux Raetiae primae et secundae

Titel des Kommandeurs der römischen Grenztruppen in der Provinz Rätien
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Dux Raetiae (vollständiger Titel Dux provinciae Raetiae primae et secundae „General der ersten und zweiten Provinz Rätien“) war der Titel des spätrömischen Grenzabschnittskommandeurs (dux limitis) in der Provinz Rätien. Dieses militärische Amt wurde im Zuge der von Kaiser Diokletian (284–305) begonnenen Staatsreformen um 310 eingeführt. Der Dux Raetiae unterstand dem Magister militum.[1][2]

Der Verantwortungsbereich des Dux Raetiae (Raetia I und II) am Ende des 4. Jahrhunderts
Notitia Dignitatum: Die Kastelle Augustanis, Phebianis, Submuntorio, Vallato, Ripa prima, Cambidano, Guntia, Foetibus, Teriolis und Quintanis unter dem Kommando des Dux Raetiae.
Das Centenarium „In der Harlach“ am Rätischen Limes. Bau aus einer späten Sicherungsphase des Limes im frühen 3. Jahrhundert
Der für spätrömische Militäranlagen typische unruhige Grundriss mit vielfach halbrunden Türmen. Hier am Beispiel von Kastell Kellmünz.
Die um 80 n. Chr. gegründete Garnison in Eining wurde in der Spätantike auf einen Minimalbereich in der linken oberen Kastellecke reduziert.
Antoninian des Gallienus, geprägt um 260. Am Revers die Abbildung eines Storches, das Wappentier der leg(io) III Ital(ica) P(ia) F(idelis)
Legionär der Tertia Italica, 4. Jahrhundert n.Chr.

Funktion

Die Provinz unterstand zivil und militärisch bis etwa 170 einem Prokurator im Ritterrang, dann, bedingt durch die Stationierung der legio III Italica, einem Senator, ein Statthalter mit größerer Kommandobefugnis. Laut der Notitia Dignitatum unterstand die Zivilverwaltung nach Teilung der Provinz unter Diokletian zwei gleichrangigen praesides. Der "Dux limitis" von Rätien stand der Militärverwaltung vor und befehligte die Limitanei in den Grenzkastellen und zwei Gardereitereinheiten der Comitatenses (equites stablesiani iuniores/seniores). Im Gegensatz zu seinem östlichen Nachbarn, des Dux Pannoniae Primae et Norici Ripensis, der laut dem spätantiken Staatshandbuch Notitia Dignitatum[3] keine binnennorischen Garnisonen unter seinem Befehl hatte, kommandierte er die Streitkräfte beider rätischer Teilprovinzen. In der Hierarchie des kaiserlichen Hofs zählte der Dux zur höchsten Rangklasse der Viri spectabiles.

Namentlich bekannte Duces:

Hauptquartier

Bisher ist es in der Forschung unklar, ob, beziehungsweise wie lange, das Hauptquartier der raetischen Militärverwaltung in Regensburg oder in Augsburg, der alten Provinzhauptstadt Rätiens, eingerichtet worden ist. Aus Augsburg sind zwei Funde aus konstantinischer Zeit bekannt geworden, die darauf hindeuten, dass der Dux und sein Stab dort ansässig waren. 1897 wurden in einer Kiesgrube bei Augsburg-Pfersee zwei spätrömische Kammhelme geborgen, die reich verziert und mit vergoldeten Silberblech überzogen waren. Der in seiner Zeitstellung und Machart vergleichbare Offiziershelm von Deurne wurde 1910 südlich dieser niederländischen Stadt gefunden. Aufgrund der eingeritzten Namenszeichen konnte sein Träger einer Gardekavallerieeinheit (Equites Stablesiani) zugeordnet werden.[4] Möglicherweise gehörte auch ein - ebenfalls bei Augsburg - auf einem Acker aufgefundener Treuering für Kaiser Konstantin mit der Aufschrift Fidem Constantino einem Gefolgsmann des Dux.[5] Bis 2003 wurden beispielsweise in der konstantinischen Residenzstadt Treveri/Trier drei Ringe mit derselben Aufschrift entdeckt,[6] was Hinweise auf Beziehungen seines Trägers zum Kaiserhaus geben könnte. Auch ein mit Niello verziertes Dosenortband einer spätantiken Schwertscheide aus Pfärrle dürfte einst einem hochrangigen Offizier gehört haben.[5] Bei Grabungen in Regensburg/Niedermünster, in der Nordostecke des im Jahr 179 errichteten ehemaligen römischen Legionslagers wurden 2008 repräsentative Gebäudereste aufgedeckt.[7] Es wurde spekuliert, dass es sich dabei um ein separiertes Binnen- oder Restkastell gehandelt haben könnte. Bemerkenswert macht den Befund vor allem der Umstand, dass in diesem Bereich auch die spätere agilofingische Pfalz lag.[8] Die Ausgräber glauben, dass die Befunde im Niedermünster ein stichhaltiges Indiz dafür sind, den Dux Raetiae mit seinem Stab bis zum Ende römischer Militärpräsenz in Rätien um 475 in Regensburg zu verorten.

Die rätische Provinzarmee in der Spätantike

Die raetische Grenze war in mehrere Militärbezirke aufgegliedert, an deren Spitze ein Offizier im Rang eines Präfekten einer im Rang höhergestellten Truppe, einer Legion, einer Ala (Reitertruppe) oder eines mit "milites" bezeichneten Verbandes stand. Ihm waren die von Tribunen befehligten Kohorten (Infanterie) unterstellt.

  • Der Abschnitt an der Donau wurde als "pars superior" bezeichnet und wieder in eine "ripa prima" (westlich von Kastell Eining) und eine - in der Notitia nicht eigens genannte - "ripa secunda" (ab Eining donauabwärts) unterteilt.
  • Die Illergrenze galt bis Vemania als "pars media".
  • Der Abschnitt vom Unterlauf der Argen und am Bodensee vermutlich als "pars inferior".

Die Notitia Dignitatum zeigt weiters die Verteilung der in Rätien stationierten Truppenverbände.[9] Auffallend ist das Verschwinden der meisten Hilfstruppenkontingente und ihr Ersatz durch am Ende des 3. Jahrhunderts neu aufgestellte Einheiten. Dazu gehörten zwei Eliteeinheiten Kavallerie, drei Alen und sieben Kohorten. Bis ins 5. Jahrhundert blieben nur jene Truppenteile bestehen, die auch schon im 3. Jahrhundert am Südufer der Donau und nicht direkt am rätischen Limes stationiert waren.

An altem Truppenbestand waren noch vorhanden:

Im Zuge der diokletianisch-konstantinischen Reformen war die Legio III Italica, bis dahin der schlagkräftigste Verband Rätiens, in sechs Teileinheiten aufgespalten worden. Eine von ihnen war anfangs noch an ihrem ursprünglichen Standort kaserniert, wurde dann aber an den, bis heute unbekannten Standort Vallatum versetzt.[8]

Alle anderen Einheiten waren offensichtlich Neuschöpfungen, wie man vor allem aus ihren Beinamen (Herculea, Valeria) schließt. Die ala I Raetorum Flavia wurde etwa nach dem Gentilnamen Konstantins I. benannt. Auch tauchten völlig neue Bezeichnungen auf, wie zum Beispiel die equites Stablesiani (Gardereiterei) und der numerus barcariorum. Ab der Zeit Konstantins I. ist auch eine verstärkte Anwerbung germanischer Söldner für das rätische Heer zu beobachten, dies ergab eine Auswertung der Gräberfelder von Günzburg und Neuburg.[10]

Die größten Einheiten standen in Submuntorio und Vallato (Kastell bei Regensburg) mit je einer Legionsvexillation der legio III Italica und einer Reiterabteilung. Auch diese beiden Festungen lagen südlich der Donau. Am Strom selbst waren noch Passau, Eining, Günzburg und mehrere heute nicht mehr genau lokalisierbare Kastelle bemannt. Im Osten stand noch eine Einheit der Limitanei am Innübergang bei Pons Aeni. Am Bodensee lag die Flottille des numerus barcariorum. Hauptquartier war das Kastell Brigantium oder wie in der Notitia genannt, Brecantia. Der bevorzugte Schiffstyp in der Spätantike war die navis lusoria.

Die Einheiten des rätischen Dux laut der Notitia Dignitatum

Insgesamt werden 21 Tribunen und Präfekten zusammen mit ihren Einheiten sowie ein umfangreicher Verwaltungsstab (Officium) zur Verfügung (sub dispositione) des Dux angeführt:

  • Equites stablesiani seniores, Augustanis.
  • Equites stablesiani iuniores, Ponte Aoni, nunc Febians.
  • Equites stablesiani iuniores, Submuntorio.
  • Praefectus legionis tertiae Italicae partis superioris, Castra Regina, nunc Vallato.
  • Praefectus legionis tertiae Italicae partis superioris deputatae ripae primae, Submuntorio.
  • Praefectus legionis tertiae Italicae pro parte media praetendentis a Vimania Cassiliacum usque, Cambidano.
  • Praefectus militum Ursariensium, Guntiae.
  • Praefectus legionis tertiae Italicae transvectioni specierum deputatae, Foetibus.
  • Praefectus legionis tertiae Italicae transvectioni specierum deputatae, Teriolis.
  • Praefectus alae primae Flaviae Raetorum, Quintanis.
  • Tribunus cohortis novae Batavorum, Batavis.
  • Tribunus cohortis tertiae Brittonum, Abusina.
  • Praefectus alae secundae Valeriae singularis, Vallatio.
  • Tribunus cohortis sextae Valeriaae Raetorum, Venaxamodorum.
  • Tribunus cohortis primae Herculeae Raetorum, Parroduno.
  • Tribunus cohortis quintae Valeriae Frygum, Pinianis.
  • Tribunus cohortis tertiae Herculeae Pannoniorum, Caelio.
  • Tribunus gentis per Raetias deputatae, Teriolis.
  • Praefectus numeri barbaricariorum, Confluentibus siue Brecantia.
  • Praefectus alae secundae Valeriae Sequanorum, Vimania.
  • Tribunus cohortis Herculeae Pannoniorum, Arbore.

Die veraltete Truppenliste dieses Dux scheint vollkommen unbearbeitet in die letzte Fassung der Notitia Dignitatum eingeflossen zu sein, da einige der Limitanei-Einheiten schon längst in anderen Kastellen lagen.

  • Hier besonders zu nennen sind die fünf Vexillatonen der Legion tertia Italica, die dieselben Einheiten wie die Tertiani Italica in der Armee des Comes Illyrici zu sein scheinen (auch in der Notitia Dignitatum zu finden als legionis comitatenses unter dem Oberbefehl des Magister Peditum), und die
  • Raeti (in der Notitia Dignitatum erwähnt als auxilia palatina ebenfalls unter den Einheiten des Magister Peditum). Sie sind wahrscheinlich eine der o. a. Kohorten, die Raetorum in ihrer Einheitsbezeichnung führten oder vielleicht auch eine Verschmelzung mehrerer Einheiten.
  • Der Praefectus militum Ursariensium kommandierte wahrscheinlich dieselbe Einheit, die in der Liste des gallischen Teils der Armee des Magister Equitum als Ursarienses aufscheinen.
  • Der Namenszusatz Herculea beim Tribunus cohortis Herculeae Pannoniorum, Arbore lässt vermuten, dass diese Einheit unter den Tetrarchen aufgestellt wurde. Sie war wohl ursprünglich Teil der Armee von Diokletians Mitregent Maximian, dessen Beiname Herculius (von Herkules) war.

Ostgotenreich

Trotz Auflösung des weströmischen Kaisertums 476 bestand das Amt des rätischen Dux weiter. Nachdem der Ostgotenkönig Theoderich 493 die Macht in Italien an sich gerissen hatte, war Rätien zunächst nur eine - mehr oder weniger sich selbst überlassene - Pufferzone für Italien. Das offenbar größtenteils aus der rätoromanischen Bevölkerung rekrutierte Provinzaufgebot hatte wohl nur noch wenig Gemeinsamkeiten mit der Organisationsstruktur der Limitanei der Spätantike.[11]. Der Dux fungierte als sein - weitgehend eigenverantwortlicher - Kommandeur und wurde, wie auch ein Großteil der spätrömischen Provinzordnung, in die ostgotische Militärverwaltung übernommen.[12] Die ostgotischen Duces waren als Militärstatthalter auch für die Gerichtsbarkeit zuständig, hier besonders über den gotischen Teil der Bevölkerung. Sie hatten jedoch, anders als bei ihren westgotischen Verwandten, nur ein zeitlich begrenztes Kommando inne. Der Amtssitz wurde nach Aufgabe des Voralpengebietes in die Metropole der Raetia I, Curia/Chur (Theodoricopolis?) verlegt. Theoderich setzte einen Mann mit Namen Servatius als neuen Befehlshaber für das rätische Provinzaufgebot ein. Servatius hatte wohl auch zivile Befugnisse, da in den Quellen zu dieser Zeit kein neben ihm amtierender Praeses nachzuweisen ist. Sein Kommandobereich umfasste die Raetia I und die alpinen Regionen der Raetia II. Das Amt des rätischen Dux erlosch vermutlich mit Ende der Ostgotenherrschaft, wurde aber später, nach Abtretung Rätiens an das Frankenreich wiederbelebt.

Anmerkungen

  1. Karlheinz Dietz: Regensburg zur Römerzeit. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1979, ISBN 3791705997, S. 130.
  2. Michael Mackensen: Die Provinz Raetien in der Spätantike. In: Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Zabern, Mainz 2000, S. 214.
  3. Occ. XXXIV.
  4. Marcus Junkelmann: Die Reiter Roms. Teil III: Zubehör, Reitweise, Bewaffnung. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1992, ISBN 3-8053-1288-1, S. 161 (Bild S. 160).
  5. a b Hans-Jörg Kellner: Augsburg, Provinzhauptstadt Raetiens. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt: Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung. Band 2, Verlag Walter de Gruyter. Berlin 1976, ISBN 3110071975, S. 707.
  6. Lothar Schwinden: Kaisertreue II. Ein dritter Fingerring aus Trier mit Inschrift fidem Constantino. In: Funde und Ausgrabungen im Bezirk Trier, Heft 35, 2003. S. 50–57.
  7. Michaela Konrad: Die Ausgrabungen unter dem Niedermünster zu Regensburg. 2.: Bauten und Funde der römischen Zeit. (Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte, 57.) Beck, München 2005, ISBN 3-406-10757-5.
  8. a b Thomas Fischer, Erika Riedmeier Fischer: Der römische Limes in Bayern. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2008. ISBN 978-3-7917-2120-0. S. 45.
  9. Occ. XXXV.
  10. Keller 1979.
  11. Herwig Wolfram. Goten, S.392, 316;497 f
  12. Arnold Hugh Martin Jones, The Later Roman Empire 284–602, 1964, S. 660.

Siehe auch

Literatur

  • Richard Heuberger: Rätien im Altertum und Frühmittelalter. Band 1. (Schlernschriften 20.) Wagner, Innsbruck 1932. Neudruck Scientia-Verlag, Aalen 1971.
  • Richard Heuberger: Das ostgotische Rätien. In: Klio. Band 30, 1937, S. 77–109.
  • Hans-Jörg Kellner: Augsburg, Provinzhauptstadt Raetiens. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Band II, 5, 2. de Gruyter, Berlin 1976, ISBN 3-11-007197-5, S. 707.
  • Gideon Maier: Amtsträger und Herrscher in der Romania Gothica: Vergleichende Untersuchungen zu den Institutionen der ostgermanischen Völkerwanderungsreiche. Steiner, Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08505-X, S. 235–237.
  • Ludwig Wamser, Christof Flügel, Bernward Ziegaus (Hrsg.): Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Zivilisatorisches Erbe einer europäischen Militärmacht. Katalog-Handbuch zur Landesausstellung des Freistaates Bayern Rosenheim 2000. Zabern, Mainz 2000, ISBN 3-8053-2615-7. Darin:
    • Michael Mackensen: Die Provinz Raetien in der Spätantike. S. 213–218.
    • Thomas Schmidts: Germanen im spätrömischen Heer. S. 219–225.
  • Herwig Wolfram: Salzburg, Bayern, Österreich: Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit. Oldenbourg, München 1995, ISBN 3-486-64833-0,
  • Land Oberösterreich (Hrsg.): Severin zwischen Römerzeit und Völkerwanderung, Katalog zur Landesausstellung im Stadtmuseum Enns, Linz 1982, Darin:
  • Norbert Hasler, Jörg Heiligmann, Markus Höneisen, Urs Leuzinger, Helmut Swozilek (Hrsg.): Im Schutze mächtiger Mauern, Spätrömische Kastelle im Bodenseeraum, Katalog zur Ausstellung im Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg, 30. April 2005 bis 1.November 2005, Verlag Frauenfeld, ISBN 3-9522941-1-X, Darin:
    • Timo Hembach: Zeit des Umbruches – der Bodenseeraum auf dem Weg von der Spätantike ins frühe Mittelalter, S. 54–58,
  • Andreas Kraus (Hrsg.): Handbuch der Bayrischen Geschichte. Band 3, Teilband 2. Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. 3. Auflage. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-39452-3, S. 91–95.