Transsexualität
Transsexualität oder Transsexualismus liegt vor, wenn ein Mensch körperlich eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht angehört, sich subjektiv aber als Angehöriger des jeweils anderen Geschlechts empfindet. Menschen mit eindeutigem körperlichem Geschlecht, die sich gelegentlich als Angehörige des anderen Geschlechts verkleiden, deren gefühltes Geschlecht aber an sich mit ihrem körperlichem übereinstimmt, sind keine Transsexuellen, sondern Transvestiten. Menschen ohne eindeutiges körperliches Geschlecht sind ebenfalls keine Transsexuellen, sondern Intersexuelle. Menschen, die physisch weiblich sind, aber ein männliches Identitätsgeschlecht haben, werden als Frau-zu-Mann-Transsexuelle oder Transmänner bezeichnet; Menschen, die physisch männlich sind, aber ein weibliches Identitätsgeschlecht haben, bezeichnet man entsprechend als Mann-zu-Frau-Transsexuelle oder Transfrauen. Die in älterer medizinischer Literatur gebräuchlichen Wendungen transsexueller Mann bzw. transsexuelle Frau, die das körperliche anstelle des empfundenen Geschlechts in den Vordergrund stellen, werden von den meisten Betroffenen abgelehnt und gelten heute als veraltet.
Die Ursachen von Transsexualität sind unbekannt. Weder psychische Ursachen, noch körperliche Faktoren, noch ein Zusammenspiel beider annehmende Hypothesen konnten bislang befriedigend mit Daten untermauert werden. Seit dem 20. Jahrhundert existieren pharmazeutische und chirurgische Verfahren zur näherungsweisen Angleichung des äußeren körperlichen Erscheinungsbilds an das gefühlte Geschlecht; eine Therapie, die umgekehrt das gefühlte and das körperliche Geschlecht anpassen könnte, existiert hingegen noch nicht. Viele westliche Staaten erlauben Transsexuellen inzwischen auch, ihren Vornamen oder Personenstand zu ändern, um ihr „offizielles“ Geschlecht in Übereinstimmung mit ihrem gefühltem Geschlecht zu bringen. Transsexuelle mit absolvierter medizinischer oder verwaltungsrechtlicher Geschlechtsanpassung bezeichnen sich oft nicht mehr als Transsexuelle, sondern entweder als Mann mit transsexueller Vergangenheit bzw. Frau mit transsexueller Vergangenheit oder einfach als Mann bzw. Frau.
Begriffsgeschichte
Dass es Menschen gibt, die sich in der ihrem biologischen Geschlecht entsprechenden Geschlechterrolle nicht oder nicht immer wohlfühlen, war bereits in der Antike bekannt, lange Zeit wurde aber weder zwischen zwischen den verschiedenen Formen dieses Unwohlseins noch zwischen den verschiedenen Ausprägungen des damit einhergehenden Wunschs nach Wechsel der Geschlechterrolle unterschieden. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts – also zu der Zeit, in der erstmals Möglichkeiten zur Anpassung des Erscheinungsbilds an ein vom biologischen Geschlecht abweichendes Identitätsgeschlecht aufkamen – begannen sich die heute üblichen Bezeichnungen auszudifferenzieren.
Der deutsche Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld prägte 1910 die Bezeichnung „Transvestiten“ für Menschen, die sich gelegentlich oder regelmäßig als Angehörige des anderen Geschlechts verkleiden. Für Menschen, die sich nicht nur in der Kleidung, sondern auch körperlich dem jeweils anderen Geschlecht anzupassen versuchen, schuf er 1923 – in der letzten Ausgabe seines Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen – den Begriff des „seelischen Transsexualismus“. Hirschfeld identifizierte Transsexualismus dabei noch nicht als eine von Transvestitismus verschiedene Abweichung, sondern als eine besonders intensive Ausprägung derselben. Harry Benjamin, der Hirschfeld, dessen Publikationen und dessen Institut für Sexualwissenschaft kannte, griff den Begriff 1953 in seinem Artikel Transvestism and Transsexualism wieder auf und etablierte ihn 1966 mit seinem Buch The Transsexual Phenomenon in der Sexualmedizin. Zeitweilig wurde David O. Cauldwell, der das Wort in seinem schon 1949 erschienenen Artikel Psychopathia transexualis aufgegriffen hatte, fälschlich als Urheber dieses Begriffs angesehen. In den Arbeiten von Cauldwell und Benjamin wurde der Begriff des Transsexualismus bereits in seiner heutigen Bedeutung verwendet.
Verlauf
Die überwiegend meisten Transsexuellen entwickeln bereits im Vorschulalter das Gefühl, „anders“ zu sein, können dieses in der Regel aber noch nicht konkret zuordnen. Die meisten Transsexuellen erkennen den Hintergrund ihres Unwohlseins mit der ihnen zugedachten Geschlechterrolle erst nach Einsetzen der Pubertät, manche auch erst im jungen Erwachsenenalter. Auch von seiner Umgebung wird die Transsexualität eines Kindes selten als solche erkannt, noch seltener ernst genommen. Die wenigen Eltern eines transsexuellen Kindes, die dieses als transsexuell erkennen und seine Transexualität nicht als „Phase“ abtun, versuchen im allgemeinen, diese zu bekämpfen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass weder herkömmliche erzieherische Maßnahmen noch professionelle Therapie das gefühlte Geschlecht an ein von ihm abweichendes körperliches Geschlecht anpassen können.
Unabhängig davon, ob es als transsexuell erkannt wird, versucht das Kind meist, den Erwartungen seiner Umgebung zu entsprechen und die seinem körperlichen Geschlecht entsprechende Geschlechterrolle zu leben. Da der diesbezügliche Druck auf körperlich männliche Transsexuelle im Allgemeinen größer als der auf körperlich weibliche ist, verläuft die typische weitere Entwicklung bei Transmännern und Transfrauen unterschiedlich:
- Transfrauen bemühen sich zunächst häufig darum, dem klassischen Bild eines Mannes möglichst weitgehend zu entsprechen. Es ist keineswegs selten, dass sie zunächst heiraten und eine Familie gründen, insbesondere dann, wenn sie ohnehin Frauen als Partnerinnen bevorzugen. Auch ist bei Transfrauen eine ausgesprochen „männliche“ Berufswahl keineswegs selten. Ihr Unbehagen in der männlichen Rolle äußert sich oft in einem Wechselspiel zwischen transvestitischen Phasen und Phasen der Überkompensation, in denen sie zum Beispiel alle Frauenkleider wegwerfen und versuchen, besonders männlich zu erscheinen.
- Transmänner heiraten etwas seltener und bekommen auch seltener Kinder. Bei der Berufswahl entscheiden sie sich fast immer entweder für „geschlechtsneutrale“ Berufe oder ebenfalls für „typisch männliche“ Berufe. Ihr Unbehagen in der weiblichen Geschlechtsrolle drückt sich vor allem dadurch aus, dass „männliche“ Verhaltensweisen in den Alltag integriert werden, was bei Frauen eher akzeptiert wird als bei Männern. Transmänner, die noch als Frauen leben, wirken daher oft „burschikos“ oder „emanzipiert“. Auch werden sie häufig für lesbisch gehalten, auch dann, wenn sie als Partner Männer bevorzugen.
Der vom Transsexuellen empfundene psychische Druck nimmt normalerweise während der Pubertät und ihm jungen Erwachsenenalter schrittweise zu; neben psychosomatischen Krankheiten und verschiedenen anderen psychischen Problemen sind vor allem Depressionen und Drogenmissbrauch die häufige Folge. Die meisten Transsexuellen sehen sich früher oder später gezwungen, ihre Umwelt über ihre Transsexualität zu unterrichten und ihre Geschlechterrolle „offiziell“ und permanent zu wechseln. Oft ist der entsprechende Entschluss Ergebnis einer besonderen Krisenphase.
Der Wechsel der Geschlechterrolle kann, muss aber nicht, zu großen sozialen Problemen führen. Partnerschaften zerbrechen sehr häufig, aber nicht immer. Kinder verkraften den Rollenwechsel eines Elternteils meistens wesentlich besser als erwartet; Ausnahmen sind insbesondere Kinder in der Pubertät und Kinder, die von außen stark gegen den entsprechenden Elternteil beeinflusst werden. Auch der Verlust des Arbeitsplatzes, der früher als so sicher galt, dass gleich zur eigenen Kündigung geraten wurde, ist wesentlich seltener geworden – unter anderem deshalb, weil der Europäische Gerichtshofs die Maßregelung eines Menschen wegen eines beabsichtigten Geschlechtsrollenwechsels mittlerweile zur verbotenen Diskriminierung erklärt hat. Ungeachtet dessen begeben selbst diejenigen Transsexuellen, die das bisher nicht getan haben, sich aus Anlass ihres Geschlechterrollenwechsels in psychologische oder psychotherapeutische Betreuung. Es gibt zwar durchaus Transsexuelle, die diese an sich nicht benötigen würden, ohne den Nachweis professioneller Begleitung ist es aber nahezu unmöglich, die für die Inanspruchnahme medizinischer und juristischer Begleitmaßnahmen erforderlichen Gutachten zu erhalten.
In den letzten Jahren steigt die Zahl der Eltern transsexueller Kinder, die deren Transsexualität als solche erkennen; ebenso steigt die Zahl der Eltern, die mit Akzeptanz statt Ablehnung reagieren. In diesen Fällen werden oft medizinische Maßnahmen gesetzt, die den Eintritt der Pubertät hintanhalten. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass sich Geschlechtsmerkmale entwickeln, die später mit großem Aufwand und oft fragwürdigem Erfolg wieder rückgängig gemacht werden müssten oder gar nicht mehr rückgängig zu machen wären. Schließlich steigt auch die Zahl der Transsexuellen, die sich bereits während oder schon kurz nach der Pubertät zum Wechsel der Geschlechterrolle entschließen.
Medizinische Maßnahmen
Transmänner wie Transfrauen können sich einer Hormonbehandlung unterziehen, die eine Art zweite Pubertät einleitet und damit zur Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale des gewünschten Geschlechts führt. Transmänner etwa können durch eine Testosterontherapie Stimmbruch und Bartwuchs sowie ein Ende ihrer Regelblutungen erzielen, darüber hinaus gleicht eine derartige Behandlung die Fettverteilung im Gesicht und am Körper an die von biologischen Männern an. Vollständig rückgängig machen lassen sich die Auswirkungen der ersten, natürlichen Pubertät auf diese Weise allerdings weder bei Transmännern noch bei Transfrauen; eine Umwandlung der primären Geschlechtsumwandlung ist überhaupt ausgeschlossen.
Anstelle von oder zusätzlich zu Hormonbehandlungen sind auch geschlechtsangleichende Operationen möglich. Obwohl geschlechtsangleichende Operationen umgangssprachlich oft als „Geschlechtsumwandlungen“ bezeichnet werden, können auch sie nur das äußere Erscheinungsbild des Patienten ändern und ihm insbesondere nicht ermöglichen, sich als Angehöriger seines gefühlten Geschlechtes fortzupflanzen:
- Der Penis und das Skrotum von Transfrauen können entfernt beziehungsweise in eine Vagina umgeformt werden. Eine Gebärmutter oder Eierstöcke können jedoch nicht gebildet werden; während eine Transfrau mit künstlicher Vagina ohne Weiteres Geschlechtsverkehr ausüben kann, bleiben Menstruation und Schwangerschaft also weiterhin ausgeschlossen. Zusätzlich zur Bildung einer Vagina unterziehen sich Transfrauen oft einer Brustvergrößerung; viele lassen sich auch dauerhaft epilieren.
- Analog können einem Transmann Gebärmutter und Eierstöcke entfernt sowie ein für den Geschlechtsverkehr geeigneter künstlicher Penis geformt werden, er kann sich allerdings keine Hoden bilden lassen und damit auch keine Zeugungsfähigkeit erlangen. Die überwiegend meisten Transmänner verzichten auf künstliche Penisse, da deren Aussehen, Funktionstüchtigkeit und Größe derzeit noch nicht an die natürlicher Penisse heranreichen. Ungeachtet dessen lassen sie oft Gebärmutter und Eierstöcken entfernen, da die langjährige Verabreichung männlicher Hormone zu Krebs an diesen Organen führen kann. Darüber hinaus unterziehen viele Transmänner sich auch einer Brustentfernung.
Juristische Maßnahmen
Einige europäische Staaten, unter anderem Deutschland, Österreich, Belgien, Luxemburg und die Schweiz, erlauben Transsexuellen, den Vornamen oder die in den Zivilstandsregistern eingetragene Geschlechtsangabe an ihr gefühltes Geschlecht anzupassen. Die entsprechenden Verfahren wurden dabei meist nicht vom Gesetzgeber, sondern von der Rechtsprechung etabliert und erfordern in der Regel die Zustimmung eines Gerichts. Im Unterschied zu den anderen drei angeführten Staaten verfügen Deutschland und Österreich über spezielle einschlägige Gesetze beziehungsweise Erlässe:
- In Deutschland legt das so genannte Transsexuellengesetz eine Reihe von Voraussetzungen fest, bei deren Vorliegen Transsexuelle eine Anpassung ihres Personenstands beziehungsweise ihres Vornamens zusteht. Eine Änderung des Personenstands setzt unter anderem voraus, dass der Antragsteller unverheiratet sowie fortpflanzungsunfähig ist und sein Erscheinungsbild durch operativen Eingriffe an sein neues Geschlecht angepasst hat. Eine Vornamensänderung setzt keine körperverändernden Maßnamen voraus.
- In Österreich legt der so genannte „Transsexuellenerlass“ des Bundesministeriums für Inneres eine Reihe von Voraussetzungen fest, bei deren Vorliegen die Personenstandsbehörde eine Änderung der im Geburtenbuch eingetragenen Geschlechtszuordnung auf dem Verwaltungsweg vorzunehmen hat. Der Erlass basiert auf § 16 des österreichischen Personenstandsgesetzes, der festschreibt, dass die Personenstandsbehörde „eine Beurkundung zu ändern“ hat, „wenn sie nach der Eintragung unrichtig geworden ist“. Eine Änderung des Vornamens ist hingegen nur entsprechend der im Namensänderungsgesetz festgehaltenen allgemeinen Vorschriften zur Namensänderung möglich. Laut § 3 (1) dieses Gesetzes muss zumindest der erste Vorname „dem Geschlecht des Antragsstellers“ entsprechen, wobei weder biologische noch psychologische Kriterien eine Rolle spielen, sondern ausschließlich der Eintrag im Geburtenbuch maßgeblich ist. Transsexuelle, die die Geschlechtszuordnung im Geburtenbuch nicht ändern lassen können oder wollen, können damit auch keinen ersten Vornamen wählen, der für ihr gefühltes Geschlecht charakteristisch wäre, sondern lediglich einen geschlechtsneutralen Vornamens eintragen lassen. Diese Behörden legen diese Bestimmung relativ tolerant aus; neben mehreren hundert anderen Vornamen werden zum Beispiel „Carmen“, „Eve“, „Gaby“, „Simone“ oder das in Italien als männlich geltende „Andrea“ als geschlechtsneutral akzeptiert.
Die meisten außereuropäischen Staaten kennen derzeit keine vergleichbaren Vorschriften.
Kontroversen
Suggestivkraft des Begriffs
Viele Betroffene lehnen das Wort „Transsexualität“ ab, da der Wortbestandteil „Sexualität“ ihrer Ansicht nach nahelegt, Transssexualität wäre kein Identitätsproblem, sondern ähnlich wie zum Beispiel Homosexualität lediglich eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz. Transsexualität ist diesen Kritikern zufolge eher eine körperliche Missbildung als eine Spielart von Sexualität im eigentlichen Sinn: Transsexuelle sind für sie nicht Menschen mit außergewöhnlichen sexuellen Vorlieben, sondern Menschen, die sozusagen mit den falschen Geschlechtsorganen geboren wurden. Statt als „Mann-zu-Frau-Transsexuelle“ bzw. „Frau-zu-Mann-Transsexuelle“ möchten diese Kritiker lieber einfach als „Transfrauen“ bzw. „Transmänner“ bezeichnet werden; das als Ersatz für „Transsexualität“ selbst am häufigsten genannte Wort ist „Transidentität“. Im deutschen Sprachraum allgemein verbreitet sind diese Begriffsalternativen seit Mitte der 1990er; die Begriffskritik selbst kam allerdings bereits in den 1980ern auf.
Viele Transsexuelle empfinden es als Diskriminierung, sprachlich oder sonstwie in die Nähe von Homosexuellen gerückt zu werden. Sie weisen in diesem Zusammenhang oft auf die Tatsache hin, dass Transsexualität und Homosexualität voneinander vollkommen unabhängige Abweichungen sind, zwischen denen erwiesenermaßen weder positive noch negative Korrelation besteht: Die meisten, aber bei weitem nicht alle, Transmänner bevorzugen Frauen als Sexual- und Lebenspartner; der Anteil an Homosexuellen ist unter Transmännern genau so groß wie unter „normalen“ Männern auch. Analog gilt für Transfrauen, dass sie sich üblicherweise Männer, mitunter aber auch Frauen als Sexual- und Lebenspartner wünschen, und zwar ebenfalls mit der jeweils gleichen Wahrscheinlichkeit wie „normale“ Frauen.
Einstufung von Transsexuellen als Transgender
Innerhalb der Gender Studies und vor allem der Queer Theory ist die Ansicht verbreitet, dass es nicht zwei klar unterscheidbare Geschlechter, sondern ein Kontinuum oder Spektrum von Geschlechtlichkeiten gebe. Anhänger dieser Denkrichtung legen also nicht nur Wert auf eine Unterscheidung zwischen Sex und Gender, also zwischen den biologischen und den sozialen Aspekten der Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen, sondern lehnen schon die Vorstellung ab, dass Menschen sich überhaupt zu bestimmten Geschlechtszugehörigkeiten zu bekennen hätten. Als Bezeichnung für Menschen, die sich keinem der herkömmlichen beiden Geschlechter zuordnen lassen wollen oder deren Lebensstil eine solche Zuordnung nicht gerecht werden könnte, haben diese Bewegungen in den 1970ern die Bezeichnung „Transgender“ etabliert.
Die meisten Anhänger dieser Denkrichtung sehen unter anderem Transsexuelle als Transgender. Einige von ihnen sprechen statt von Transsexuellen überhaupt nur noch von Transgendern – ihrer Meinung nach stellt erstere Bezeichnung ein Bekenntnis zu genau dem „binären Geschlechtsbild“ oder „binären Geschlechtssystem“ dar, das sie als heteronormativ oder heterosexistisch sehen und zu dessen Überwindung sie zweitere Bezeichnung schließlich geprägt haben. Viele Transsexuelle lehnen es allerdings ab, als Transgender bezeichnet zu werden, um sich von den Nichttranssexuellen zu distanzieren, die diese Bezeichnung für sich in Anspruch nehmen – dazu gehören etwa Menschen, die sich als asexuell, androgyn oder „genderqueer“ betrachten, oder Zoophile, BDSMer und Fetischisten, die die herkömmliche Unterteilung der Menschheit in Männer und Frauen deshalb ablehnen, weil sie keine Rücksicht auf ihre jeweilige Paraphilie nimmt. Diese Transsexuellen befürchten, die Assoziation mit Nichttranssexuellen Transgendern würde ihrem gesellschaftlichen Ansehen schaden oder sehen in ihrer Einstufung als Transgender eine ideologisch oder sonstwie eigennützige Vereinnahmung.
Einstufung von Transsexualität als Krankheit
Ob und inwieweit Transsexualität eine Krankheit ist, ist umstritten. Die Diskussion ähnelt der Diskussion darüber, ob und inwieweit Behinderungen als Krankheiten anzusehen sind. Befürworter der Klassifikation von Transsexualität als Krankheit argumentieren, dass die Gesellschaft einem „Kranken“ üblicherweise weniger Ablehnung entgegenbringt als einem „Perversen“ oder „Verrückten“, und dass es einem Transsexuellen auch selbst leichter falle, sich zu akzeptieren, wenn er sich als „krank“ und nicht als „pervers“ oder „verrückt“ identifizieren kann. Gegner dieser Klassifikation bestreiten dies nicht nur, sondern sind im Gegenteil der Ansicht, dass die steigende Akzeptanz etwa von Homosexualität unter anderem gerade darauf zurückzuführen sei, dass diese heute nicht mehr als Krankheit gilt. Sie weisen auch darauf hin, dass etwa Schizophrene und Alkoholiker breiter und vor allem bleibender Geringschätzung ausgesetzt sind, obwohl Schizophrenie und Alkoholismus heute allgemein als Krankheiten anerkannt werden.
Befürworter der Klassifikation von Transsexualität als Krankheit argumentieren auch, dass diese Einstufung es erleichtern würde, medizinische Behandlungen bzw. die Übernahme ihrer Kosten durch Krankenkassen durchzusetzen. Gegner halten diese Erleichterung für unbedeutend. Das deutsche Bundessozialgericht zum Beispiel hat entschieden, dass einerseits zwar nicht jeder „vom Leitbild des gesunden Menschen abweichende Körper- oder Geisteszustand“ bereits eine Krankheit ist, dass andererseits aber auch eine nicht als Krankheit anzusehende Abweichung zu einem Leidensdruck führen kann, der eine Pflicht zur Kostenübernahme durch die Krankenversicherungen begründet. Das Gericht sieht dabei insbesondere Transsexualität als eine Abweichung, die zwar keine Krankheit ist, aber einem dem einer Krankheit entsprechenden Leidensdruck mit sich bringt.
Siehe auch
Literatur
- Harry Benjamin: Transvestism and Transsexualism. In: International Journal of Sexology. Volume 7, 1953, S. 12–14
- Harry Benjamin (Hrsg.): The Transsexual Phenomenon. Warner Books, New York 1967, ISBN 0-446-82426-7
- Harry Benjamin: Transvestism and Transsexualism in the Male and Female. In: The Journal of Sex Research. Volume 3, 1967, S. 107–127, ISSN 0022-4499
- Nadia Brönimann, Daniel J. Schüz: Die weiße Feder. 2. Auflage. Lübbe, Bergisch Gladbach 2003, ISBN 3-404-61525-5
- Judith Butler: Körper von Gewicht. Die Diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt, 1995, ISBN 3-518-11737-8
- David O. Cauldwell: Psychopathia transexualis. In: International Journal of Sexology. Volume 16, 1949, S. 274–280
- Richard Green, John Money (Hrsg.): Transsexualism and Sex Reassignment. John Hopkins Press, Baltimore 1969, ISBN 0-801-81038-8
- Joanne Meyerowitz: How Sex Changed: A History of Transsexuality in the United States. Harvard University Press, Cambridge Massachusetts 2004, ISBN 0-674-01379-4
Weblinks
Für „reine“ bzw. „echte“ Transsexualität:
Siehe evtl. Weblinks über Transsexualität auch als formalen Teil des Transgender-Spektrums.