Bildungsweg
Ob es individuelle Bildung gibt und ob man auf einem bestimmten Weg dorthin kommt, ist wissenschaftlich heftig umstritten. Auch die Wörterbücher halten unterschiedliche Deutungen bereit (Bildung: Entfaltung und Prägung der geistig-seelischen Anlagen des Menschen, Erziehung [1] oder Bildungsweg: Synonym zu Bildungsgang, dort: Verlauf der (geistigen) Ausbildung (DWDS)[2]). Aber: Die Bezeichnung wird in offiziellen Publikationen verwendet (z. B. Bundesagentur für Arbeit).
Mit der Bezeichnung Bildungsweg wird der Prozess (das Verfahren, "gebildet werden") bezeichnet, der dazu dient, einen bestimmten Status (den Zustand, "gebildet sein") zu erreichen, um sich dann lebenslang selbst organisiert und selbst bestimmt "weiter" zu bilden.
Bildung durch Bildungsweg
Weite Kreise in Deutschland verstehen unter Bildungsweg eine individuelle Laufbahn über den Erwerb von bestimmten Fähigkeiten und Fertigkeiten zu einer bestimmten Haltung (individueller Bildungsweg). Dieser Weg[3] formiere die geistigen Fähigkeiten des Menschen auf ein Ideal (Menschsein, Humanität[4]) hin (Wilhelm von Humboldt oder der neuhumanistische Bildungsbegriff der klassischen deutschen Philologie).
Der Bildungsweg (Nach dem Bildungsgang endlich unterscheiden sich akademische und seminaristische, Gymnasial- und Realschulbildung etc.[5]) zu diesem autonomen Status des „gebildet sein“ ist spätestens seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts regelmäßig staatlich reglementiert oder sogar nur nach dem Durchlaufen staatlicher (oder staatlich gebundener) Einrichtungen (und meist nach einer abschließenden Prüfung, 1834 Gymnasialabsolutorialprüfung, Reifeprüfung, u. Ä.) zu absolvieren (= los- oder freisprechen aus einem „besonderen Gewaltverhältnis“, dem Schülerverhältnis).
Die Bezeichnung „Bildungsgang“ ist heute nicht mehr ohne Weiteres frei interpretierbar bzw. bestimmbar, weil sie im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ein juristischer Fachausdruck des Schulrechts geworden ist.[6]; z. B. der Bildungsgang gymnasiale Oberstufe, der Bildungsgang berufliches Gymnasium und der Bildungsgang Abendgymnasium, Kolleg.
Die allgemeine Hochschulreife kann auch ohne (die vorgenannten) Bildungsgänge erworben werden (Nichtschülerabiturprüfung).
Verstandesbildung durch Pädagogik
Die Vorkämpfer dieser Auffassung räumen zwar ein, dass Erwachsene den Zustand gebildet zu sein auch durch ungewöhnliche individuelle Lebenswege erreichen können. Geprägt durch „naturalistische“ Vorstellungen wird aber weiter überwiegend vorausgesetzt, dass sich das Kleinkind in einer Tabula rasa-Situation befinde, also ein unbeschriebenes Blatt sei, so dass es sowohl der Herzensbildung (durch Mutter und Familie) wie der Verstandesbildung (durch Lehrer und Schulen) bedürfe, um fruchtbringend Tätigkeiten in und für Staat und Gesellschaft (19. Jahrhundert) erbringen zu können. Dazu sei eine organisierte und systematische Vorbereitung, eine Reifung bis zum Erwachsensein erforderlich (durch pädagogische Bemühungen).
Gymnasium als Vorstufe der Universität
Das „humanistische“ Gymnasium
Zwar könne die systematische Vorbereitung auf die Reife auch außerhalb von Schulen erworben werden (Privatunterricht, Privatlehrer), dies stelle aber eine Ressourcenverschwendung dar, denn zur Zeit der Entstehung des neuhumanistischen Ideals galt es zunächst den Ausgleich der physischen Verluste (= Verluste an „Gut und Blut“ in den napoleonischen Kriegen Anfang des 19. Jahrhunderts) durch geistige Leistungen auszugleichen. Dieses Ziel erfordere sowohl „gymnastischen Unterricht“ (d. h. Leibeserziehung), aber auch „ästhetischen Unterricht“ (d. h. Musik, Kunst) und „didaktischen Unterricht“ (d. h. Deutsch, Griechisch, Latein, Mathematik, Geschichte „mit ein wenig Naturgeschichte“). Dies könne nur durch Schulen (Gymnasien) als Vorstufe zu akademischer Bildung (dem krönenden Abschluss der Reifeentwicklung) erreicht werden. Der Zugang zu akademischer Bildung war aber in den Territorien des alten deutschen Reiches von der Universität abhängig – nicht vom Schulabschluss. Die Universität entschied seit ihrer Gründung im Mittelalter selbständig („autonom“) über den Zugang zu ihren Einrichtungen. Der Zugang war für die Söhne des (Beamten- und Militär-)Adels kein Problem, denn für die „Gebühren“, Unterkunft und Verpflegung kamen neben den Eltern der Landesherr (bzw. seine Stiftungen) unterstützend auf (eine Selbstergänzung der Akteure des staatlichen Herrschaftsapparats). In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts machten die Landesherren die Gewährung ihrer Leistungen (vor allem Freitische, Verpflegung) von einem Zeugnis der durchlaufenen Schule abhängig. Wer keine „Staatsleistungen“ in Anspruch nehmen wollte, konnte auf das Reifezeugnis verzichten. Deshalb konnten die nach-napoleonischen Staaten des Deutschen Bundes 1834 das Reifezeugnis zwar nicht zur Voraussetzung des Universitätszugangs machen, und auch nicht der Hochschulprüfungen, es war aber Voraussetzung für die Teilnahme an den Staatsprüfungen (Theologie–Pfarrer, Jura–Richter, Medizin–Ärzte, Philosophie–Lehrer). Daher bestand keine „vollständige Bindung des Hochschulzugangs an das Abitur“, wie vereinzelt behauptet wird.[7][8]
Im Grunde genommen sei das neuhumanistische Konzept Humboldts bereits mit dem Prüfungsreglement vom 4. Juni 1834 gescheitert gewesen.[9] In dem Reglement heiße es: Der Zweck dieser Prüfung ist, auszumitteln, ob der Abiturient den Grad der Schulbildung erlangt hat, welcher erforderlich ist, um sich mit Nutzen und Erfolg dem Studium eines besonderen wissenschaftlichen Faches widmen zu können.[10]
Die „realistischen“ Schulen
Bereits kurze Zeit nach der Vorlage der Schulpläne Wilhelm von Humboldts (Das Gymnasium als einzige weiterführende Schulform) traten die Vorstellungen einer bildungspolitischen Gegenbewegung in die Öffentlichkeit (... im Gegensatz zu der rein sprachlichen und logischen (formalen) Bildung der Gymnasien eine reale Bildung durch Bekanntschaft mit den Gegenständen und Vorgängen der Natur wie des wirklichen Lebens pflegen sollten) in der Gründung von Realschulen (1817)[11], meist als städtische Anstalten, in denen "das mathematisch-naturwissenschaftliche Element gegen das philologisch-historische der Gymnasien in den Vordergrund trat und zugleich die neueren Sprachen größere Berücksichtigung fanden. In dem diese Anstalten ihre Ziele allmählich erweiterten, standen die Realgymnasien in dem Maße ihrer wissenschaftlichen Leistungen schließlich nicht mehr gegen die Gymnasien zurück; nur die Richtung der Ausbildung blieb eine verschiedene. Außerdem waren aus der Umbildung der früheren Gewerbeschulen Oberrealschulen hervorgegangen, die unter völligem Ausschlusse der alten Sprachen höhere Ziele in den neueren Sprachen, in der Mathematik und in den Naturwissenschaften verfolgten".[12]
Die schulischen Wege zwischen den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurden die Abschlüsse der drei Vollanstalten (Gymnasium, Realgymnasium und Oberrealschule, mit neun Jahrgangsstufen) als gleichwertig anerkannt[13] (Nichtvollanstalten waren Progymnasium, Realprogymnasium und Realschulen, mit sechs Jahrgängen, mit deren Reifezeugnis (= „mittlere Reife“) der Zugang zum einjährigen freiwilligen Militärdienst und der Offizierslaufbahn möglich war). Mitte der 1920er Jahre kam die Deutsche Oberschule (Lehrplanschwerpunkte in Geschichte und Staatsbürgerkunde und Naturwissenschaften und Mathematik und eine Fremdsprache) und die Aufbauschule (besonders begabte Schüler von der Volksschule gradlinig zur Universität) hinzu.[14] Die ersten Abendschulen (Abendgymnasien) kamen auf und die Begabtenprüfung (für außerschulisch „Gebildete“) wurde 1924 eingeführt.
Überfüllung und Nachwuchsprobleme Anfang der 1930er Jahre
Während und infolge des Ersten Weltkriegs hatte sich die Anzahl der Geburten erheblich vermindert; 1917/18 lag sie um die Hälfte unter dem Vorkriegsniveau. Die geburtenschwachen Jahrgänge führten zwischen 1934 und 1936 zu einer deutlichen Reduzierung von Abiturienten und Abiturientinnen (von über 40 000 auf knapp 26 000). Hinzu kam deren sinkende Studienneigung, die sich erklärt durch die Perspektivunsicherheit hinsichtlich der Verwertung eines akademischen Abschlusses, durch ökonomische Gründe, die eine Finanzierung des Studiums unmöglich machten sowie durch neue Karrierechancen in der wieder expandierenden Wirtschaft und – für männliche Abiturienten – vor allem in den technikorientierten Zweigen der Wehrmacht. Es zeigte sich, dass vorschnellen staatlichen Maßnahmen, die als Reaktion auf die „Überfüllungskrise“ durchgeführt worden waren, wieder rückgängig gemacht wurden: Im Februar 1933 hatten die Kultusminister der Länder eine Vereinbarung[15] getroffen, nach der Abiturienten mit „schlechten Noten“ von einem Studium abgeraten werden sollte. Wer gegen diesen Rat trotzdem studierte, wurde von einer Studienförderung ausgeschlossen. Auch das im April 1933 verabschiedete „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ vom 25. April 1933[16] verfolgte das Ziel, den Zugang zum Hochschulstudium am beruflichen Bedarf auszurichten und energisch zu drosseln. Im Dezember 1933 wurde ein allgemeiner Numerus clausus eingeführt: Von den über 40 000 Abiturientinnen und Abiturienten des Jahrgangs 1934 sollten nur 15 000 in einem Hochschulreifevermerk die Genehmigung zum Studium erhalten. Nach dem Übergang der hochschulpolitischen Kompetenzen vom Reichsinnenministerium an das im Mai 1934 neu gegründete Reichserziehungsministerium (REM) wurde diese Strategie in Frage gestellt unter Verweis auf die Gefahr künftigen Nachwuchsmangels in akademischen Berufen, der sich damals bereits abzuzeichnen begann. Schon ab Februar 1935 wurde deshalb wieder auf den Hochschulreifevermerk verzichtet (Selbst diejenigen Studenten, denen er 1934 nicht erteilt wurde, konnten nachträglich ein Studium aufnehmen, sofern sie als „politisch zuverlässig“ eingestuft wurden).
Erster Bildungsweg: Gymnasiale Oberstufe
Dieser Weg ist ein geregelter Weg, strukturiert und organisiert (Volksschule–Gymnasium–Hochschule): Es ist der Weg über die Schule für Kinder und Jugendliche; er ist fremdbestimmt, denn andere als die Schüler entscheiden über die Art (Lehrplan und Stoff, Stundentafel), die Dauer (G8 oder G9), den Ort (Schulbezirke, Schulstandorte) des Unterrichts, die Fächer und die Prüfungen.
Die Kritik ist vielfältig (Schule bestehe aus: „Belehren“, „Bewerten“ und „Bestimmen“, so „Glückslehrer“ Ernst Fritz-Schubert; die Schüler seien „Objekt einer Maßnahme“ in der „Erbsensortieranlage“ Schule, Begabung werde mit „guten Noten“ verwechselt, so Neurobiologe Gerald Hüther[17] oder „schools kill creativity“, so Kunstprofessor Sir Ken Robinson[18]); die oft verheerende Auswirkung von Noten im Schulunterricht vergleicht Kinderarzt Remo Largo mit einer Treibjagd, in der die Schüler die zu jagenden Hasen seien, die von den Hunden (den Noten) vor die Gewehre getrieben werden, mit der die Jäger (die Lehrer) Einzelne verschonen oder erlegen können[19][20]. Die Befürworter dagegen halten den ersten Bildungsweg für den „gerade(n) Weg von der Schule zur Hochschule“ oder für die „Regelschule“, von der Grundschule über das Gymnasium (oder die Gesamtschule zur Hochschule; aber auch über das berufliche Gymnasium oder früher auch Fachgymnasien).[21]
Zweiter Bildungsweg: Schulen für Erwachsene
Erwachsenschulen mit allgemeiner Hochschulreife
Dieser zweite Weg ist ebenfalls ein geregelter Weg, strukturiert und organisiert (Berufliche Qualifikation–Abendgymnasium/Kolleg–Hochschule, die „Rennstrecke für Spätentwickler“): Es ist der Weg über die Schule für Erwachsene (SfE); er ist ebenfalls fremdbestimmt, denn andere als die erwachsenen Schüler entscheiden über die relevanten Fragen. Das Lehren und Lernen ist – seit dem Bildungsnotstand der frühen 1960er Jahre – so organisiert wie in den Schulen für Jugendliche; die Prüfungen sind nicht anders als diejenigen in den euphemistisch „Regelschulen“ genannten Einrichtungen; es sind die Prüfungen, die zu den Abschlüssen der Sekundarschulen führen. Zu den Erwachsenenschulen gehören – nach den Beschlüssen der KMK[22] – insbesondere die Abendgymnasien (auch Abendrealschulen) und Institute zur Erlangung der Hochschulreife, auch Kollegs genannt.
Früher zählten einzelne Autoren auch die Bildungsbemühungen mit Hilfe von Funkkolleg und Telekolleg mit den entsprechenden Begleitseminaren durch die Volkshochschulen zum zweiten der drei („kanonisierten“) Bildungswege. Den pädagogischen und soziologischen Wissenschaften fällt die Definition schwer („nicht immer ganz trennscharf“[23]). "Eine von allen Seiten akzeptierte Definition" (Renke Suhren) lag anscheinend auch 1980 noch nicht vor.[24][25] Hat man vor der „Entdeckung“ des Dritten Bildungswegs noch Alles und Jedes, was nicht zum Ersten Bildungsweg gehörte, in den Zweiten hinein interpretiert („nachträgliche Absolvierung eines Bildungsangebots“) usw.[26], so werden heute überwiegend nur noch Erwachsenenschulen darunter verstanden.
Erwachsenenschulen mit fachgebundener Hochschulreife
Am ehesten kann man zu diesem Bildungsweg noch den Übergang von bestimmten höheren Fachschulen zur fachgebundenen Hochschulreife (früher mitunter „Fakultätsreife“ genannt) zählen. 1964 schrieb der ZEIT-Hochschulführer: Er kam für die Absolventen bestimmter Frauenfachschulen, Wirtschaftsoberschulen, Höheren Landbauschulen und insbesondere Ingenieurschulen in Frage. Allgemein wurde verlangt, dass der Bewerber sein Fach mit mindestens gutem Gesamtprädikat studiert hatte sowie die erfolgreiche Teilnahme an allgemeinbildenden Fächern nachweisen und ein positives Gutachten des Prüfungsausschusses vorlegen konnte. Nach einem KMK-Beschluss vom 5. Juli 1962, der allgemeine Richtlinien für den Übergang von Ingenieurschulen zu Technischen Hochschulen aufstellt, können besonders empfohlene Absolventen von Ingenieurschulen nach einer Prüfung (Klausur und Kolloquium) auch die volle Hochschulreife erwerben. In einem ZEIT-Artikel wird sogar die Meinung vertreten, die 53 000 Ingenieurschüler könnten gut die fehlenden jungen Menschen mit akademischer Ausbildung des Bildungsnotstandes ersetzen.[27] Der Übergang von Fachschulabsolventen zur Hochschule, der seit 1937 möglich ist, vor allem der von Ingenieurschulabsolventen, stellt zur Zeit noch eine der wichtigsten Formen des Zweiten Bildungsweges dar.[28]
Kritik an den Erwachsenenschulen: Keine Bildung und auch kein Weg!
Einige Autoren kritisieren bereits die Bezeichnung "Bildungsweg" für das Durchlaufen der Lehrgänge in den Schulen für Erwachsene. Die Anzahl der Absolventen sei so gering, dass die Bezeichnung euphemistisch sei. In der Diskussion über die Umgestaltung der Prüfungen für den Zweiten (und auch den Dritten) Bildungsweg sind für 1972 folgende Zahlen ermittelt worden: 48 Abendgymnasien und 43 Kollegs hätten 3 240 Abiturienten "produziert" (das waren 1,7 % der Gesamtzahl der Abiturienten).[29] Es handele sich eher um ein Nadelöhr als um einen Bildungsweg, denn die zahlenmäßige Bedeutung des Zweiten Bildungswegs stehe im umgekehrten Verhältnis zu dem Wirrwarr an Trägern, Prüfungsmöglichkeiten und Ausbildungsgängen in diesem Bereich und zu dem Ansturm und dem Interesse an diesem Weg.[30]
Dritter Bildungsweg: „zweckfreie“ Bildung, individuelle Vorbereitung
Der Dritte Bildungsweg kann ebenfalls ein geregelter Weg sein, dann stammt die Regelung allerdings nicht von einer fremden Stelle, sondern von dem um Bildung bemühten Individuum selbst (selbstbestimmtes Lernen). Dieses strukturiert und organisiert den Weg in seiner ihm eigenen Weise, nach seinen Maßstäben, eigenem Zeitplan und in eigener Direktion (Verantwortung). Der nach Bildung Strebende soll kein Objekt mehr sein, sondern Subjekt („Privatgelehrter“). Die einzigen Einschränkungen dieser Privatautonomie sind die Vorgaben der Prüfungsordnungen (von 1924 bis 1984 über die Begabtenprüfung für den Zugang zu Hochschulen allgemein; für einzelne Hochschularten auch fachgebunden z. B. die Immaturenprüfungen oder Z-Prüfung (= Zulassungs-Prüfung) in einigen Ländern, besonders in Niedersachsen; für die Zeit nach 1984 stand nicht mehr die Begabungsfeststellung im Vordergrund sondern die Berufsqualifikation bzw. die Aufstiegsförderung von beruflich Qualifizierten durch eine Hochschulzugangsprüfung).
Nach dem Wirtschaftswunder — der Bildungsnotstand
Ralf Dahrendorf ging (1959) in seiner Schrift über den Zweiten Bildungsweg noch von vier Bildungswegen aus[31], dritter Bildungsweg sollte die beruflich Weiterqualifikation und vierter Bildungsweg eine Bildung jenseits von Zwecken sein. Die in den frühen 1960er Jahren im Umfeld der Volkshochschulen geführte Diskussion akzeptierte Dahrendorfs dritten als Auftrag der VHS, sah aber Schwierigkeiten mit der „zweckfreien“ Bildung, akzeptierte schließlich doch auch diesen Weg.
Paul Mikat (CDU), Kultusminister von Nordrhein-Westfalen von 1962 bis 1966 hat im Rahmen der politischen Diskussion über die „Bildungskatastrophe“ (Georg Picht) die Schaffung eines Dritten Bildungswegs vorgeschlagen und die Volkshochschulen aufgefordert, sich um diesen neuen Weg des Aufstiegs zu kümmern (Jahreshauptversammlung der nordrhein-westfälischen Volkshochschulen 1965). Das ging zunächst sehr zögerlich.[32] Die Grundstudienprogramme der Volkshochschulen Kassel und München sollten Grundlage eines „volkshochschuleigenen Bildungsweges“ werden.[33] Es folgten die Volkshochschulen Duisburg, Hanau, Lauterbach, Nürnberg und Wiesbaden. Bezweifelt wurde allerdings die Vereinbarkeit der Vorbereitung auf die Begabtenprüfung mit den Aufgaben der Volkshochschulen.[34] Trotzdem gab es ab 1968 zahlreiche Angebote zur Vorbereitung: Privatschulen, Schule für Erwachsenenbildung in Berlin, Funk-Kolleg des Hessischen Rundfunks, später Quadriga-Funkkolleg mit einigen süddeutschen öffentlich-rechtlichen Sendern (und Begleitzirkel zahlreicher Volkshochschulen bzw. anderer Träger der Erwachsenenbildung), Telekolleg usw. Da der Dritte Bildungsweg keine schulische oder vergleichbare strukturierte Vorbereitung kannte, war die Begabtenprüfung die einzige Möglichkeit des Nachweises der Studienqualifikation.
Bekannte nicht-staatlich gelenkte Wege zur Vorbereitung auf einen Hochschulzugang
Wegen bekannter nicht staatlich gelenkter Wege zur Vorbereitung auf einen Hochschulzugang siehe
Literatur
- Karl Wagner Abendschule, Fremdenabitur und Begabtenprüfung in: Ralf Dahrendorf und Heinz-Dietrich Ortlieb (Hrsg.) Der Zweite Bildungsweg im sozialen und kulturellen Leben der Gegenwart Heidelberg (Quelle & Meyer) 1959, 208–222
- Karin Storch Der Zweite Bildungsweg – Chance oder Illusion Frankfurt am Main (Fischer Taschenbuch-Verlag) 1974, ISBN 3436017094
- Klaus R. Schroeter Studium ohne Abitur – Studienverlauf und Studienerfolg von Studierenden ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung Kiel (Christian-Albrechts-Universität) 1998
- Walburga Katharina Freitag Zweiter und Dritter Bildungsweg in die Hochschule Arbeitspapier 253, Düsseldorf (Hans-Böckler-Stiftung) April 2012 (ausführlicher Überblick über laufende oder künftige Forschungsvorhaben), URL: http://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_253.pdf
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ URL: http://www.dwds.de/?qu=Bildung
- ↑ URL: http://www.dwds.de/?qu=Bildungsgang
- ↑ Ch. (= Christian) Palmer: Stichwort Bildung im Pädagogischen Wörterbuch Nr. 9 in: Allgemeine Schulzeitung vom 9. Februar 1854 (Nr. 17), Darmstadt (Leske) Spalte 143 Stichwort Bildung, ebenfalls
- ↑ Meyers Konversations-Lexikon, 1888, Seite 8.785, Stichwort Humanität Stichwort Humanität
- ↑ Meyers Konversations-Lexikon, 1888, S. 2.947, Stichwort Bildung Stichwort Bildung
- ↑ Z. B. § 42 der hessischen OAVO (Oberstufen- und Abiturverordnung) vom 20. Juli 2009, Amtsblatt des Kultusministeriums 2009, 408, hessische OAVO 2009
- ↑ so Andrä Wolter Von der Elitenbildung zur Bildungsexpansion: 200 Jahre Abitur (1788–1988) Oldenburg (BIS-Verlag) 1989, S. 4
- ↑ Hans-Peter Blossfeld u. a. Gemeinsames Kernabitur – Zur Sicherung von nationalen Bildungsstandards und fairem Hochschulzugang – Gutachten Münster (Waxmann) 2011, S. 31
- ↑ Hans-Georg Herrlitz Hochschulreife – Ein problemgeschichtlicher Rückblick ins 18. Jahrhundert in: Recht der Jugend und des Bildungswesens (RdJB) Berlin (BWV–Berliner Wissenschafts-Verlag) 1989, S. 374
- ↑ Ludwig von Rönne Das Unterrichts-Wesen des Preußischen Staates, Zweiter Band, Veit & Comp. Berlin: 1855, S. 259
- ↑ Hans Waldeyer Zur Entstehung der Realschulen in Preußen im 18. Jahrhundert bis zu den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts in: Klaus L. Hartmann, Friedhelm Nyssen, Hans Waldeyer (Hrsg.) Schule und Staat im 18. und 19. Jahrhundert – Zur Sozialgeschichte der Schule in Deutschland Frankfurt am Main (edition Suhrkamp) 1979
- ↑ Robert Graf Hue de Grais Handbuch der Verfassung und Verwaltung in Preußen und dem Deutschen Reiche, 21. Aufl., Berlin (Julius Springer) 1912, § 303 (Die höheren Schulen), S. 483
- ↑ Anerkennung der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der höheren Lehranstalten, Erlass vom 26. November 1900, Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung [in Preußen] (ZBlU), 1900 (Verlag von Wilhelm Hertz) S. 854 Gleichwertigkeitserlass
- ↑ Hans Richert Richtlinien für einen Lehrplan der deutschen Oberschule und der Aufbauschulen, 3. verbesserte Aufl., Berlin (Weidmannsche Buchhandlung) 1925
- ↑ Vereinbarung der Länder wegen Regelung des Zugangs der Abiturienten zu den Hochschulen, Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, 75. Jahrgang, Berlin (Weidmannsche Buchhandlung) 1933, 78 KMK-Vereinbarung Hochschulzugang 1933
- ↑ Reichsgesetzblatt, RGBl. I 1933, 225 Überfüllungsgesetz 1933
- ↑ Spiegel online Schulspiegel vom 21. August 2012
- ↑ TED-Vortrag: TED-Vortrag
Mikael Krogerus Mit Paukern und Trompeten in: Bulletin No. 4/2013 (der Credit Suisse AG) „Schule“, S. 62 f. online - ↑ „Doppelkopf“-Gespräch im Hessischen Rundfunk (hr2-kultur), Sendung am 13. Juni 2014 Doppelkopf
- ↑ Remo Largo: Lernen geht anders. Bildung und Erziehung vom Kind her denken. Körber-Stiftung, Hamburg 2010; Piper, München: 2012, ISBN 978-3-492-27411-1
- ↑ Dana Frohwieser/Mike Kühne/Karl Lenz/Andrä Wolter Die etwas andere Bildungselite: eine empirische Untersuchung zur gewerkschaftlichen Studienförderung Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn: 2009, S. 97, ISBN 978-3-7815-1696-0
- ↑ Abendgymnasien: Beschluss vom 3./8. Oktober 1970;
Kollegs: Beschluss vom 7./8. Juli 1965;
Berufsaufbauschulen: Beschluss vom 18. März 1970 - ↑ Dana Frohwieser/Mike Kühne/Karl Lenz/Andrä Wolter Die etwas andere Bildungselite: eine empirische Untersuchung zur gewerkschaftlichen Studienförderung Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2009, ISBN 9783781516960, S. 97
- ↑ Renke Suhren Fachlexikon der sozialen Arbeit, 1980 Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V., Stichwort „Zweiter Bildungsweg“ S. 840 f.
- ↑ Renke Suhren Bildung im zweiten Bildungsweg? in: Bildung und Erziehung, 1963, S. 194–197
- ↑ so insbesondere das Mitte der 1970er Jahre populäre Taschenbuch von Karin Storch Der Zweite Bildungsweg — Chance oder Illusion? Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3436017094
- ↑ Heinz Kieselack Man nutze, was man hat – Die Ingenieurschulen und der Bildungsnotstand DIE ZEIT Nr. 21 vom 21. Mai 1965, Digitalisat
- ↑ Hochschulführer Die Zeit-Bücher, Hamburg (Nannen-Verlag) 1964, IV. Akademisches Wörterbuch, Stichwort „Zweiter Bildungsweg“, S. 443
- ↑ Karin Storch Der Zweite Bildungsweg, Chance oder Illusion? Frankfurt am Main (Fischer-Taschenbuch) 1974, S. 79, ISBN 3436017094
- ↑ Barbara Degen Nadelöhr Zweiter Bildungsweg in: Demokratische Erziehung, 1975 (Heft 4) S. 80 ff.
- ↑ Die vier Bildungswege der modernen Gesellschaft in Ralf Dahrendorf und Heinz-Dietrich Ortlieb (Hrsg.) Der Zweite Bildungsweg im sozialen und kulturellen Leben der Gegenwart Quelle & Meyer, Heidelberg 1959, S. 37–67
- ↑ Über die Anlaufschwierigkeiten berichtet Joachim H. Knoll Der Horizont des Dritten Bildungsweges in Erwachsenenbildung am Wendepunkt – Der Bochumer Plan als Beitrag zum Dritten Bildungsweg, Heidelberg (Quelle & Meyer) 1967, S. 7 [9–11]
- ↑ Horst Siebert Dritter Bildungsweg – Eine kritische Bestandsaufnahme in Erwachsenenbildung am Wendepunkt – Der Bochumer Plan als Beitrag zum Dritten Bildungsweg, (Quelle & Meyer, Heidelberg 1967, S. 41 f.)
- ↑ Horst Siebert Dritter Bildungsweg – Eine kritische Bestandsaufnahme in Erwachsenenbildung am Wendepunkt – Der Bochumer Plan als Beitrag zum Dritten Bildungsweg, Heidelberg (Quelle & Meyer) 1967, S. 41 [49]