Dhimma (arabisch ذمة „Schutz“, „Vertrag“, „Garantie“ von dhamma (ذم), „tadeln“, „tadelnswert finden“) ist eine Institution des islamischen Rechts, die den juristischen Status nichtmuslimischer Untertanen in islamischen Ländern festlegt.
Als Dhimmi, ذمي bezeichnet man traditionellerweise im Islam Monotheisten, die mit eingeschänktem Rechtsstatus geduldet und staatlicherseits geschützt werden.
Definition
Im Koran sind folgende nicht-muslimische Religionsgemeinschaften genannt:die Juden (yahūd /banū Isrāʾīl = Die Kinder Israels), die Christen (naṣārā), die Zoroastrier (maǧūs), die Sabier (ṣābiʾa),d.h. die Mandäer und die Polytheisten (al-mušrikūn).Diejenigen, die heilige Bücher bereits in der vorislamischen Zeit besessen haben, d.h. die Thora (al-tawrāt) und das Evangelium (al-inǧīl - stets im Singular), sind die sog. ahl al-kitāb, die Schriftbesitzer."Die Kinder Israels" finden nur im Zusammenhang mit der biblischen Geschichte des Judentums Erwähnung, während der Begriff "Yahūd" im Koran für die Juden von Medina und Umgebung zur Zeit Mohammeds gebraucht wird. Der Koran nennt auch weitere Schriften:die Schriftrollen (ṣuḥuf) des Abraham und Moses (Ibrāhīm wa-Mūsā), bzw. die "ersten Schriftrollen" (al-ṣuḥuf al-ūlā), deren Definition aus dem Koran nicht hervor geht, und die Schriften des David (zabūr Dāwūd = die Psalmen).Diese überwiegend nur vage Vorstellungen Mohammeds über die Schriften von Religionsgemeinschaften, mit denen er wohl schon vor seinem Wirken als Prophet in Berührung kam,werden im allgemeinen als Ungläubige (kāfir, Pl.Kuffār)und als unter (islamischem) Schutz stehende Gemeinschaften ahl al-dhimma (أهل الذمة (ahl al-Ḏimma) genannt.
Der Jurist und Theologe Ibn Qayyim al-Ǧauziyya (gest.1350) zählt fünf nicht-muslimische Gemeinschaften auf: die Juden, die Christen, die Zoroastrier, die Sabier und die Polytheisten; es ist allerdings stets umstritten gewesen, ob die arabischen Polytheisten der vorislamischen Zeit oder nur andere ethnische polytheistische Gruppen vom Gesetz als dhimmis behandelt werden konnten. Diese islamische Betrachtungsweise der Außenwelt, hat im Koran ihren Ursprung und ist somit weiterhin gültig. In Sure 22, Vers 17 heißt es:
- Zwischen denjenigen, die glauben (d.h. den Muslimen), denjenigen, die dem Judentum angehören,den Sabiern, den Christen, den Zoroastriern und denjenigen, die (dem einen Gott andere Götten) beigesellen, wird Gott am Tage der Auferstehung entscheiden.Er ist über alles Zeuge.
(Übersetzung Rudi Paret )
Entsprechend läßt man auch Ibn ʿAbbās sprechen:
- Es gibt sechs Religionen: eine ist für den Barmherzigen (Gott)bestimmt, die fünf anderen für den Teufel.
Ebenfalls umstritten war die Behandlung arabischer Christen im Norden der Arabischen Halbinsel; spätesten im Rechtswerk von asch-Schafii (al-Šāfiʿī)wird die Tendenz deutlich, diese Religionsgemeinschaften nicht als "Buchbesitzer" und somit nicht als dhimmis zu behandeln; dort beruft man sich auf eine angeblich schon vom zweiten Kalifen Omar ibn al-Khattab (ʿUmar b. al-Ḫaṭṭāb)erlassene Rechtsnorm, in der es u.a. heißt:"die arabischen Christen gehören nicht zu den Schriftbesitzern (...); ich werde solange von ihnen nicht ablassen, bis sie den Islam annehmen (ḥattā yuslimū) - oder ich schlage ihnen die Köpfe ab!" Die Rechtslehre hat dennoch eine mildere Zwischenlösung gefunden; mit Hinweis auf Sure 9,29 verhängte man auch über die arabischen Christen die dschizya (ǧizya, nur nannte man sie sadaqa (ṣadaqa), ohne ihnen den Status von dhimmis zu verleihen.
Dhimmi können eigentlich nur Juden und Christen sein, da nur sie als Monotheisten zur so genannten Ahl al-Kitab (أهل الكتاب, „Familie des Buches“) gehören. Sie werden nicht wie ein Polytheist, ein so genannter Kafir (كافر, vor die Wahl gestellt, zum Islam überzutreten oder getötet zu werden. Außerdem muss ein Dhimmi alle Regeln, die sich nicht nur auf Muslime beziehen, befolgen. So ist die christliche Mission nach der Schari'a unter Todesstrafe verboten. Mittlerweile ist der Begriff allerdings politisiert: Laut Mark R. Cohen entwickelte sich der Traum von einem interreligiösen Utopia im 19. Jahrhundert zum historischen Postulat, das genausowenig der Realität entspricht, wie der „Gegenmythos der islamischen Judenverfolgung“ (ebenfalls Mark R. Cohen), als dessen prominenteste Vertreterin heute Bat Ye'or gilt. Im Millet-System des osmanischen Reiches wurden die Gemeinschaften nach ihrer Religionszugehörigkeit unterschieden. Der älteste Millet war der armenische, ermeni millet, die „treue Gemeinde“. Traditionsgemäß waren in den verschiedenen Gemeinschaften auch verschiedene Berufsgruppen besonders häufig zu finden: bei den Juden und Armeniern die Finanziers, Rechtsanwälte und Mediziner, bei den Armeniern die Handwerker, besonders die Goldschmiede und bei den Griechen die Dolmetscher.
Rechtsstellung
Ein Dhimmi darf keine Waffen mit sich tragen, steht dafür aber unter dem Schutz des Staates und muss dafür eine geringe Kopfsteuer zahlen. Außerdem gilt sein Zeugnis vor Gericht weniger als das eines Muslims. Selbst Dhimmi dürfen die Stadt Mekka nicht betreten und in Saudi-Arabien weder einen Gottesdienst abhalten noch Zeichen ihres Glaubens, z.B. Kreuze zeigen. Ein männlicher Dhimmi darf keine Muslimin heiraten, ein Muslim jedoch eine Dhimmi-Frau.
Historische Entwicklung
Als eins der grundlegenden Dokumente der Dhimma gilt der in verschiedenen Versionen überlieferte so genannte „Vertrag des Omar“, ein dem zweiten Kalifen Umar ibn al-Chattab zugeschriebener Vertrag. Dieser, entstanden bei der Übergabe Jerusalems, hielt die Rechte und Pflichten der Muslime und Angehörigen der anderen Schriftreligionen fest.
Im Laufe der Geschichte wurden auch aus pragmatischen Gründen Angehörige anderer Religionen als Dhimmi akzeptiert. So konnte man nach der Eroberung Nordindiens unmöglich alle Hindus vor die Wahl stellen, zum Islam überzutreten oder getötet zu werden. Die letzten Buddhisten Nordindiens wurden allerdings, nachdem man ihre Klöster zerstört, die buddhistischen Mönche ermordet und sie so führungslos gemacht hatte, doch islamisiert. Später versuchten einzelne Mogul-Kaiser, die Schari'a in Indien wieder durchzusetzen, was sie aber letztendlich die Macht gekostet hat.
Siehe auch
Literatur
- Bat Ye'or: Der Niedergang des orientalischen Christentums unter dem Islam. 7.-20. Jahrhundert. Gräfeling 2002, ISBN 3-935197-19-5
- Karl Binswanger: Untersuchungen zum Status der Nichtmuslime im Osmanischen Reich des 16. Jahrhunderts. Diss. phil. München 1977, ISBN 3-87828-108-0
- Mark. R. Cohen: Unter Kreuz und Halbmond. Die Juden im Mittelalter. München 2005, ISBN 3-406-52904-6
- Yohanan Friedmann: Classification of Unbelievers in Sunnī Muslim Law and Tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam, 22 (1998), 163-195