Das Prinzip Hoffnung

philosophisches Hauptwerk von Ernst Bloch
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Das Prinzip Hoffnung ist das Hauptwerk des deutschen Philopsophen Ernst Bloch (1885–1977). Geschrieben wurde es zwischen 1938 und 1947 im US-amerikanischen Exil. Ursprünglich sollte es noch "The dreams of a better life" heißen. Es erschien in den Jahren 1954 bis 1959 in der DDR. Seither ist der Begriff „Prinzip Hoffnung“ zu einem geflügelten Wort in den deutschen Feuilletons geworden.

Auschwitz: Eine Rose für die Hoffnung

Von Karl Marx beeinflusst, entwirft Bloch eine Philosophie der Utopie: Der hoffende Mensch befindet sich durch seine Zukunftsorientierung im Zustand des Noch-Nicht. Doch dort leuchtet bereits ein Vorschein des Künftigen auf.

Das Prinzip Hoffnung umfasst drei Bände. Der erste Band umfasst den Bericht mit dem Titel "Kleine Tagträume", die Grundlegung, die von Bloch mit "Das Antizipierende Bewusstsein" überschrieben wurde und den Übergang: "Wunschbilder im Spiegel". Der zweite Band analysiert die "Grundrisse einer besseren Welt" (Konstruktion), der dritte Band "Wunschbilder des erfüllten Augenblicks" (Identität). Die von Bloch sehr viel später verfasste Tübinger Einleitung in die Philosophie stellt er selber auch als Einleitung zum Prinzip Hoffnung dar.

Inhalt von "Das Prinzip Hoffnung"

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Strawberry Fields im Central Park, New York

"Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns? Viele fühlen sich nur als verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht.
Einmal zog einer aus, das Fürchten zu lernen. Das gelang in der eben vergangenen Zeit leichter und näher, diese Kunst ward entsetzlich beherrscht. Doch nun wird, die Urheber der Furcht abgerechnet, ein uns gemäßeres Gefühl fällig.
Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern." (Aus dem Vorwort)

1. Kleine Tagträume

Der erste Teil ist sehr literarisch geschrieben. Er ist kurz, umfasst gerade mal fünfundzwanzig Seiten und sehr leicht zu lesen. Geschildert wird das Wünschen, Sehnen, Hoffen von der Kindheit über die Jugend bis ins hohe Alter.

Es ist typisch für den literarischen Stil in den Werken Ernst Blochs, dass er den Leser und die Leserin zunächst in einfachen, kurzen Kapiteln als Individuum anspricht, um sie dann durch die komplexe Philosophiegeschichte zu führen. Wahrscheinlich ist es dem anderthalbtausend-seitigem Werk geschuldet, dass er nicht nur in jedem Kapitel, sondern im gesamten ersten Kapitel den Leser und die Leserin einstimmt.

2. Das Antizipierende Bewusstsein

Den zweiten Teil des Werkes hat Bloch auch die Grundlegung genannt. Hier findet sich am komprimiertesten seine Philosophie wieder.

Das Noch-Nicht-Bewusste

Bloch beginnt mit einer Auseinandersetzung der Psychologie seiner Zeit. Dem psychoanalytischen Unbewussten setzt er das Noch-Nicht-Bewusste entgegen, welches vor allem in Wachträumen - später bevorzugt er den Begriff Tagträume - erscheint:

"Die Wachträume ziehen, sofern sie echte Zukunft enthalten, allesamt in dieses Noch-Nicht-Bewusste, ins ungeworden-ungefüllte oder utopische Feld." (S. 218)

Bloch grenzt sich von Sigmund Freud ab, der nur die Nachtträume analysierte. Eine weitere, grundlegende Unterscheidung besteht in der Analyse des Grundtriebes. Während Freud hier die Libido ausmachte, sah Ernst Bloch den Hunger als Grundtrieb an.

Die Kategorie Möglichkeit

Hierauf folgen kategoriale Bestimmungen: die Kategorien Front, Novum und Ultimum werden eingeführt. Sodann wird bereits auf die aristotelische Materiekonzeption und der für Bloch daraus resultierenden Unterscheidung der Kategorie Möglichkeit eingegangen: die Unterscheidung zwischen dem Nach-Möglichkeit-Seiendem und dem In-Möglichkeit-Seiendem. Dieser Unterscheidung entspricht die Differenzierung der Gesellschaftsanalyse, die Ernst Bloch in seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus für notwendig erachtete: dem Kältestrom womit er die harte und klare marxistische Zustandsanalyse der ökonomischen und politischen Ressourcen- und Machtverteilung in der Gesellschaft bezeichnete und die das Nach-Möglichkeit-Seiende ermittele; und dem Wärmestrom, welcher die Erwartungen der Menschen ernst nimmt und so auf die Hoffnungsseite der objektiv-realen Möglichkeit, dem In-Möglichkeit-Seiendem abzielt. Die objektiv-reale Möglichkeit erscheine in der Kunst als Vorschein. Aber wie die beiden letzten Teile des Prinzip Hoffnung zeigen sollen, ist dieser Vorschein omnipräsent.

Bloch zerlegt die Kategorie Möglichkeit im Folgenden in vier Schlichten:

  • das formal Mögliche - das, was nicht der Logik widerspricht (formal zulässig)
  • das sachlich-objektiv Mögliche - das, was nach Maßgabe der Erkenntnistheorie möglich ist (objektiv vermutbar)
  • das sachhaft-objektgemäß Mögliche - das, was gegenstandstheoretisch möglich ist (objektgemäß offen)
  • das objektiv-real Mögliche - das, was in der Materie Latenz und Tendenz hat (der Prozessmaterie entsprechend)

Damit das sachhaft-objektgemäß Mögliche sich verwirklicht, ist es wichtig, dass die partiellen Bedingungen des aktiven Vermögens einerseits und der passiven Möglichkeit andererseits ineinandergreifen. Verkürzt ausgedrückt: um lesen zu können, muss man lesen können (Vermögen) und einen Text haben (passive Möglichkeit), erst dann besteht die (sachhaft-objektgemäße) Möglichkeit zu lesen. Das objektiv-real Mögliche setzt Bloch mit der Materie gleich. Allerdings ist die Materie bei ihm keine Klotzmaterie, sondern selbstschöpferisch.

Zum Theorie-Praxis-Verhältnis

Dies führt zu seiner Auseinandersetzung mit den marxschen Feuerbach-Thesen. Hier entwickelt Ernst Bloch das marxistische Theorie-Praxis-Verhältnis weiter:

"Die dialektisch-historische Tendenzwissenschaft Marxismus ist derart die vermittelte Zukunftswissenschaft der Wirklichkeit plus der objektiv-realen Möglichkeit in ihr; all das zum Zweck der Handlung." (S. 331)

Das Dunkel des gelebten Augenblicks

Anschließend führt er seine Überlegung zum Dunkel des gelebten Augenblicks, dem Staunen und der Differenzierung zwischen dem Nicht und dem Noch-Nicht aus.

3. Wunschbilder im Spiegel

 
Schloss Versailles, Orangerie ...das Interesse des abendländischen Absolutismus am orientalischen Despotismus ließ hier zugleich in die arabische Phantasie greifen.

In diesem letzten Kapitel des ersten Bandes geht Bloch auf die Wunschbilder ein, die uns in der Unterhaltung erscheinen.

Es handelt vor allem auch von den gebrochenen Wunschbildern, die sich nicht entfalten können, die uns verführbar machen. Bloch spricht hier über das Licht der Reklame, die bunten Magazine. Er schreibt über die Südsee in Jahrmarkt und Zirkus und über Märchen. Das "Es war einmal" bezieht sich nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft, das Magische, so Ernst Bloch, intendiere das Schlaraffenland als Utopie. Weiter geht es mit dem Reiz der Reise und Wunschbilder im Tanz. Angemerkt sei hier, dass er, drastischer noch als Adorno, den amerikanischen Jazz-Tanz verurteilte: Der Mensch soll besudelt werden und das Gehirn entleert. Diesem setzte er den bodenständigen und - seinerzeit - nicht vermarketeten Volkstanz entgegen. Allerdings lobte Bloch als Philosoph des aufrechten Ganges am Volkstanz genau das, was den heutigen Jazz Dance mitausmacht: die Körperlinie und die Bewegung aus dem Becken.

Im Unterkapitel zur Schaubühne bezieht sich Bloch positiv auf Bertolt Brecht. Hier bepricht er die Freude an der Befreiung, den Trotz und die Hoffnung als wirkenden Anteil Zukunft im Theater.

 
Das Schlaraffenland Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren

Es folgt eine Untersuchung über verspottete (Luftschloss) und gehasste Wunschbilder wie Das Wörtchen Wenn oder die Komödien von Aristophanes (Wolkenkuckucksheim) gegen das Frauenstimmrecht und sozialistische Utopien. Allerdings gebe es auch voreilende Träume, die an Neues glauben und doch darüber lachen. Hier führt Bloch insbesondere H. G. Wells an.

Der erste Band endet mit dem Happy-End (durchschaut und trotzdem verteidigt).

4. Grundrisse einer besseren Welt

Im vierten Teil des Prinzip Hoffnung analysiert Bloch die ärztlichen, Sozial-, technischen, architektonischen und geographischen Utopien sowie die Utopien der Malerei, der Oper und der Dichtung.

Ärtztliche Utopien

 
Morus'Utopia“. Holzstich von Ambrosius Holbein (1518)

Sozialutopien

Die Durchforstung der Sozialutopien nimmt den größten Teil der Grundrisse einer besseren Welt ein. Dieses Kapitel endet mit einem Plädoyer für die marxistische konkrete Antizipation.

Technische Utopien

Dieses Kapitel ist sehr wichtig, weil Bloch hier sein Konzept der Allianztechnik darstellt.

Zunächst geht Bloch auf die in der Geschichte überlieferten technischen Utopien ein. Hier bespricht er den utopischen Gehalt von technisch-magischen Erfindungen in Aladins Märchen, die Alchymie und Francis Bacons Nova Atlantis als utopisches Laboratorium.

In dem zweiten Unterkapitel wird die spätbürgerliche Drosselung der Technik besprochen. Diese werde hervorgerufen durch die Verwandlung aller Tauschgüter in Waren, durch das Ware-Denken, die Verdinglichung, dadurch, dass die Welt nur noch quantitativ wahrgenommen werde. Mit diesem quantitaven Naturverständnis könne die bürgerliche Wissenschaft und daher eben auch Technik nur begrenzt weiterentwickelt werden. Denn die Natur könne in dieser Form nur überlistet oder ausgebeutet werden. Nicht aber würde wahrgenommen, dass die Natur, wie Averroes sagt, schöpferische Materie sei. Erst das gesellschaftlich mit sich selbst vermittelte Subjekt, das sich mit dem Problem des Natursubjekts wachsend vermittelt (S. 787), könne verhindern, dass die bürgerliche Verdinglichung fortgesetzt werde. Hiermit ist gemeint, dass die Menschen sich selber als wertschöpfend und die Natur als schöpferisch begreifen und sich gemeinsam als Allianz wahrnehmen. Beide zusammen legen die konkrete Utopie der Technik nahe, wie sie der konkreten Utopie der Gesellschaft sich anschließt und mit ihr verbunden ist. (S. 787 f.)

Architektonische Utopien

Geographische Utopien

Utopien der Malerei, der Oper und der Dichtung

5. Wunschbilder des erfüllten Augenblicks

Moral

Musik

Todesbilder

Religion

Natur

Heimat

Ernst Blochs Abschlusssätze im Prinzip Hoffnung bilden ein fulminantes Furioso (Eberhard Braun) zum Thema Heimat:

Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat. (S. 1628)

Wirkungsgeschichte

Kritik

Der Philosoph Theodor W. Adorno drückte in einem Brief an den Verleger Peter Suhrkamp 1958 seine Kritik folgendermaßen aus:

Anstelle der wirklichen Anstrengung und Arbeit des Begriffs, die ein alter Hegelianer wie Bloch doch weiß Gott schwer zu nehmen hätte, ist das Buch wie ein reißendes Gewässer, in dem alles mögliche Zeug, vor allem Konservenbüchsen, herumschwimmt, überreich an einem teilweise übrigens etwas apokryphen Stoff, aber arm einfach an geistigem Gehalt.

Zu den Kritikern gehörte der konservative Soziologe Helmut Schelsky, der gegen das Prinzip Hoffnung ein eigenes Buch ("Die Hoffnung Blochs: Kritik der marxististischen Existenzphilosophie eines Jugendbewegten") herausgab.

Hans Jonas hat mit seinem Werk "Das Prinzip Verantwortung" eine explizite Kritik an Ernst Blochs Prinzip Hoffnung geübt.

Siehe auch

Literatur

  • Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. 3 Bde. (Werkausgabe, 5); Suhrkamp, 1696 Seiten Neuauflage 2001; ISBN 3518281542
  • Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie. ISBN 351813308X
  • Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt/M., 1979. Neuauflage als Suhrkamp Taschenbuch, 1984, ISBN 3-518-39992-6
  • Helmut Schelsky: Die Hoffnung Blochs: Kritik der marxististischen Existenzphilosophie eines Jugendbewegten
  • Eberhard Braun: "und worin noch niemand war: Heimat." Zum finale furioso von Blochs "Prinzip Hoffnung". in: Bloch-Almanach 8, Hg. Karlheinz Weigand, Ludwigshafen 1988 S. 137-142.
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