Harald Jockusch

deutscher Biologe
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Harald Jockusch (* 5. März 1939 in Frankfurt am Main) ist ein deutscher Biologe und Künstler mit dem Künstlernamen Hal Jos.

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Der Wissenschaftler Harald Jockusch und Künstler Hal Jos

Wissenschaftliche Laufbahn

Ausbildung und Werdegang als Biologe

Jockusch studierte Biologie und Chemie in Frankfurt am Main, Tübingen und München. Seine Dissertation am Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen, Abt. Georg Melchers schloss er mit dem Thema Temperatursensitive Mutanten des Tabakmosaikvirus ab. Als Student und Doktorand war Jockusch als freier Wissenschaftsjournalist tätig (Frankfurter Allgemeine Zeitung und DIE ZEIT). 1966 erfolgten das Rigorosum in Genetik, Mikrobiologie und Organischer Chemie und Promotion an der Universität Tübingen. Als Postdoc arbeitete er an der University of Wisconsin in Madison. 1971 wurde er im Fach Biologie an der Universität Tübingen habilitiert. 1974–1977 arbeitete Jockusch als Dozent am Biozentrum der Universität Basel, 1977–1981 als Professor (C3) für Neurobiologie an der Universität Heidelberg. 1981–2004 war er Professor (C4) für Entwicklungsbiologie und Molekulare Pathologie an der Universität Bielefeld. Dort war er 1988–1991 Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. 1993 bis 1996 war Jockusch Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs SFB 223 „Pathomechanismen zellulärer Wechselwirkungen“ (Universitäten Bielefeld und Münster), ebenso 1998 bis 2003 des SFB 549 „Prozessierung und Signalwirkung extrazellulärer Makromoleküle“ (Universität Bielefeld). Bis 2004 war Jockusch Mitglied des Graduiertenkollegs Strukturbildungsprozesse an der Universität Bielefeld. Er ist im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM). Harald Jockusch ist verheiratet mit der Zellbiologin Brigitte M. Jockusch.

Forschungsschwerpunkte

Der rote Faden des wissenschaftliche Werks von Harald Jockusch war Entwicklung und molekulare Pathologie: Vom Virus zum Säuger. Im Einzelnen bearbeitete er folgende Themen:

  • Wirts-Virus-Wechselwirkungen; Abwehrreaktionen der Wirtszelle
  • Genetische Kontrolle von Entwicklung und Pathologie des neuromuskulären Systems
  • Mausmodelle für menschliche Erbkrankheiten
  • Ionenkanäle, Zytoskelett und Zell-Matrix-Interaktionen im Muskel und im neuromuskulären System; Neurodegeneration
  • Proteinfehlfaltung und Pathogenese bei Tier- und Pflanzenzelle
  • Genkartierung und Vergleichende Genomik von Wirbeltieren
  • Topographie der Gewebebildung im Säugerembryo
  • Topologische und dynamische Modellierungen
  • Namen und Sprache

Wissenschaftliche Leistungen

RNA-Viren

Bei Untersuchungen über die Abwehrreaktion der Wirtspflanze Entdeckung temperatursensitiver Mutanten eines Pflanzenvirus, des Tabakmosaikvirus (TMV).[1][2][3]

Beziehungen von Stabilität der Faltung und Aminosäureaustauschen im Hüllprotein in Zusammenarbeit mit H.-G. Wittmann und Brigitte Wittmann-Liebold.[4]

Neuere Arbeiten: Temperatursensitive TMV-Hüllproteine als Modelle für fehlgefaltete „toxische“ Proteine in der Pflanzenzelle[5] und in transfizierten tierischen Zellen

In vitro Synthese aktiver Replicase des RNA-Phagen Qß.[6]

Entwicklungsbiologie und molekulare Pathologie

Maus- und Zellkulturmodelle für menschliche neuromuskuläre Krankheiten:

  • Eine Mausmutante, die sogenannte ADR-Maus, wurde als Modell für die menschliche Erbkrankheit Myotonie charakterisiert.[7] Bei dieser Krankheit erzeugt ein Defekt der Chloridionen-Leitfähigkeit der Muskelfasermembran Übererregbarkeit des Muskels, die zu anfallartiger Steifigkeit führt. Bei der ADR-Maus wurde das mutierte Gen identifiziert, das für den neu entdeckten muskulären Chloridionen-Kanal codiert (mit der Arbeitsgruppe T. J. Jentsch).[8] Diese Befunde am Mausmodell führten 1992 zur molekularen Aufklärung menschlichen Erbkrankheiten Myotonia congenita Becker und Myotonia congenita Thomsen als Mutationen an ein- und demselben Gen durch Arbeitsgruppen in Hamburg, Marburg und Ulm.[9]
  • Untersuchungen zur erblichen Neurodegeneration an der wobbler-Maus, die über Jahrzehnte als Modell für menschliche amyotrophe Lateralsklerose (ALS) untersucht wurde. Durch die Identifizierung des Krankheitsgens wobbler (wr) als Mutation im vesikulären Protein-Sortierungs-Gen Vps54, die im reinerbigen Zustand eine Degeneration der motorischen Nervenzellen bewirkt, wurde ein Zusammenhang mit dem retrograden Transport in der Zelle gezeigt (mit M. Meisler, Ann Arbor).[11]

Proteomik der des Spermiogenese-Defekts der wobbler-Maus.[13]

Morphogenese von Herz- und Skelettmuskel, sowie der Bauchspeicheldrüse (Pancreas) bei der Maus.[14][15]

Theoretische Modelle

Topologie des Körperbauplans.[16]

Modellierung zur Häufigkeitveränderung von Familiennamen bei rationaler Namenswahl mit Alexander Fuhrmann.[17]

Populärwissenschaftliche Werke

  • Harald Jockusch (1973): Die entzauberten Kristalle. Entwicklung, Methoden und Ergebnisse der Molekularbiologie. Econ Verlag, 1973. ISBN 3-430-15094-9, ISBN 978-3-430-15094-1
  • Harald Jockusch & Heinz-Günter Wittmann (1966): Entschlüsselung des genetischen Codes. Umschau in Wissenschaft und Technik 66, 49-55.
  • Harald Jockusch (2004): Durch Schaden wird man klug: Defekte Gene verraten Lebensgeheimnisse. in: Facetten einer Wissenschaft; Hg.: Achim Müller, Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger, Ekkehard Diemann. Wiley-VCH Verlag: 263-279

Künstlerische Laufbahn

Der spätere Künstler Hal Jos begann ab 1947 mit Karikaturen und Comics, ab 1950 mit Tier- und Naturstudien. 1952–1953 nahm er Privatunterricht im Zeichnen. In dieser Zeit entstanden viele Porträtstudien, Werbegraphik und Buchillustrationen. Ab 1956 verlagerte sich der Schwerpunkt auf surrealistische Bilder und figürliche Werke auf skulpturierten Holzplatten mit Erdfarben, Metallen, Geweben, Knochen und anderen Materialien. In den USA erschienen 1968–1970 Acrylgemälde zum Zeitgeschehen, danach Graphik, „Metallic Art“, Kleinbronzen und Collage-Techniken. Von 1971 bis 1974 war Jos Mitglied des Tübinger Künstlerbunds.

Ausstellungen (Auswahl)

  • 1974 Stiefelhof Tübingen (Graphik)
  • 2008 You are welcome – Mad City 1968–1970 im Carl-Schurz-Haus, Freiburg
  • 2008/09 Teilnahme an der regionale 9, Kunsthalle Basel
  • 2012 Retrospektive Hal Jos: Menschen & Zeiten. Von Skizzen zur Metallic-Kunst, Universität Bielefeld

Bücher

Unter dem Künstlernamen Hal Jos erschienen:

  • Verflogen ist das Inseljahr im Nu (Tübingen 1970)
  • Ei und Schädel sie zerbarsten (St Jean de Luz/Bielefeld 1989)
  • Der Student und seine Stadt (Tübingen/Bielefeld 1970/1994)
  • Bildbeiträge zu Wobus, A., Wobus, U., Parthier, B.: Bewahren und Verändern im Kontext biologischer und kultureller Evolution (Halle/Stuttgart 2004)

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Jockusch, H. (1964). In vivo- und in vitro-Verhalten temperatursensitiver Mutanten des Tabakmosaikvirus. Z Vererbungsl. 1964 Dec 30;95:379-82. PMID 14315529
  2. Jockusch, H. (1966). Temperatursensitive Mutanten des Tabakmosaikvirus. I. In vivo-Verhalten. Z Vererbungsl. 98, 320-343
  3. Jockusch, H. (1966). Temperatursensitive Mutanten des Tabakmosaikvirus. II. In vitro-Verhalten. Z Vererbungsl. 98, 344-362
  4. Jockusch H. Stability and genetic variation of a structural protein. In: Naturwissenschaften. 1968; 55:514-518. PMID 5727497
  5. Jockusch H, Wiegand C. Misfolded plant virus proteins: elicitors and targets of ubiquitylation. In: FEBS Lett. 2003; 545:229-232. PMID 12804781
  6. Happe M, Jockusch H. Cell-free protein synthesis resulting in active phage Qbeta replicase. In: Nat New Biol. 1973; 245: 141-143. PMID 4582894
  7. Mehrke G, Brinkmeier H, Jockusch H. The myotonic mouse mutant ADR: electrophysiology of the muscle fiber. In: Muscle Nerve. 1988; 11:440-446. PMID 2453798
  8. Steinmeyer K, Klocke R, Ortland C, Gronemeier M, Jockusch H, Gründer S, Jentsch TJ. Inactivation of muscle chloride channel by transposon insertion in myotonic mice. In: Nature. 1991; 354: 304-308. PMID 1659665
  9. Koch MC, Steinmeyer K, Lorenz C, Ricker K, Wolf F, Otto M, Zoll B, Lehmann-Horn F, Grzeschik KH, Jentsch TJ. The skeletal muscle chloride channel in dominant and recessive human myotonia. In: Science. 1992; 257: 797-800. PMID 1379744
  10. Wieneke S, Stehle R, Li Z, Jockusch H. Generation of tension by skinned fibers and intact skeletal muscles from desmin-deficient mice. In: Biochem Biophys Res Commun. 2000; 278:419-425.PMID 11097852
  11. Schmitt-John T, Drepper C, Mussmann A, Hahn P, Kuhlmann M, Thiel C, Hafner M, Lengeling A, Heimann P, Jones JM, Meisler MH, Jockusch H. Mutation of Vps54 causes motor neuron disease and defective spermiogenesis in the wobbler mouse. In: Nat Genet. 2005; 37: 1213-1215. PMID 16244655
  12. Bartsch JW, Wildeboer D, Koller G, Naus S, Rittger A, Moss ML, Minai Y, Jockusch H. Tumor necrosis factor-alpha (TNF-alpha) regulates shedding of TNF-alpha receptor 1 by the metalloprotease-disintegrin ADAM8: evidence for a protease-regulated feedback loop in neuroprotection. In: J Neurosci. 2010; 30: 12210-12218. doi: 10.1523/JNEUROSCI.1520-10.2010.PMID 20826683
  13. Jockusch H, Holland A, Staunton L, Schmitt-John T, Heimann P, Dowling P, Ohlendieck K. Pathoproteomics of testicular tissue deficient in the GARP component VPS54: The wobbler mouse model of globozoospermia. In: Proteomics. 2013 doi: 10.1002/pmic.201300189. PMID 24115398
  14. Eberhard D, Jockusch H. Patterns of myocardial histogenesis as revealed by mouse chimeras. In: Dev Biol. 2005; 278: 336-346. PMID 15680354
  15. Eberhard D, Jockusch H. Clonal and territorial development of the pancreas as revealed by eGFP-labelled mouse chimeras. In: Cell Tissue Res. 2010; 342: 31-38. doi: 10.1007/s00441-010-1028-y. PMID 20803297
  16. Jockusch H, Dress A. From sphere to torus: a topological view of the metazoan body plan. Bull Math Biol. 2003 Jan;65(1):57-65.PMID 12597116
  17. Jockusch H, Fuhrmann A (2010). „Selten gewinnt“ – Rare wins. Changes in the frequencies of family names as a consequence of rational choice. Beiträge zur Namenforschung 45(2): 127–142)