Zwangsheirat
Bei einer Zwangsheirat werden Braut oder Bräutigam durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt zur Heirat gezwungen. Die davon abzugrenzende arrangierte Heirat wird zwar von Verwandten initiiert oder von Ehevermittlern arrangiert, aber im Einverständnis der Ehepartner geschlossen. Die Kinderheirat kann ebenso als Form der Zwangsehe bezeichnet werden, da sie nicht durch Entscheidung mündiger Ehepartner zustande kommt.
Vielfätige Gründe motivieren die Zwangsheirat. Es können materielle Interessen im Vordergrund stehen, da häufig Brautgeld gezahlt wird. Darüber hinaus sollen häufig in westlichen Ländern aufgewachsene Söhne aus meist muslimischen Familien mit Migrationshintergrund durch die Heirat mit einer jungen Frau aus dem Herkunftsland diszipliniert und auf den eigenen Kulturkreis zurückverwiesen werden. Auch die Erlangung eines Aufenthaltrechtes im Zielland kann intendiert sein.
Abgrenzung
Die Abgrenzung der Zwangsheirat zur arrangierten Ehe ist fließend. Wo einer der Partner mit der Verheiratung nicht einverstanden ist und seine Zustimmung nicht gegeben hat bzw. sich genötigt fühlt, ist eine Zwangsheirat gegeben.
Bei der Definition und Bewertung des Phänomens Zwangsheirat offenbart sich das in der Ethnologie bekannte Dilemma: eine kulturrelativistische Sichtweise ist bemüht, fremde Kulturen aus ihrem eigenen Kontext heraus zu verstehen und lehnt eine universelle Ethik ab. Die gegenteilige Position, nämlich von einer universellen Ethik auszugehen, muss sich den Vorwurf des Ethnozentrismus gefallen lassen, d.h. die eigene, kulturell und historisch gebundene Sichtweise, zum allgemeingültigen Absolutum zu erheben. Es sei noch bemerkt, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von einer universell gültigen Ethik ausgeht.
Es gibt (kulturabhängig unterschiedlich definierte) Sachzwänge (z.B. Schwangerschaft) oder strukturelle Zwänge (Familienerwartungen, Traditionen, etc.), die eine selbstbestimmte Entscheidung erschweren oder gar unmöglich machen. Bis in die jüngste Gegenwart wurden Menschen gezwungen zu heiraten, sobald etwas "unterwegs" war. Die Vernunftehe, die oft aus ökonomischen Gründen arrangiert wird (z.B. um die Existenz eines Bauernhofs oder einer mittelständische Firma zu sichern) kann jedoch nicht per se als Zwangsheirat bezeichnet werden.
Die Beurteilung, ob eine Zwangsheirat vorliegt, kann in verschiedenen Kulturen verschieden sein. Was aus europäischer Sicht als repressiv angesehen wird, kann in anderen Traditionen noch als "notwendiges Übel" akzeptiert werden. Andererseits ist es auch problematisch, in kulturrelativistischer Manier die Verletzung von Menschenrechten, die mit der Zwangsheirat einhergehen können, unter Bezugnahme auf kulturelle Traditionen zu relativieren.
Was als Zwang empfunden wird unterliegt letztendlich der subjektiven Einschätzung der Beteiligten. So kann das, was Eltern von ihrer Warte aus als "sanften Druck" verstehen, von Tochter oder Sohn in psychischer Stresssituation durchaus als Zwangssituation oder Nötigung empfunden werden. Der Zwangscharakter der Verheiratung kann oft nicht von außen objektiv festgestellt werden, es sei denn, etwa ein Wali mudschbir ("nötigender Heiratsvormund") schließt die Ehe auch gegen den ausdrücklichen Protest der Braut.
Geeignete Beratungsangebote können aber von Zwangsheirat Betroffenen helfen auf ihre Situation aufmerksam zu machen und Hilfe zu suchen. Notwendig ist keine Politisierung des Problems, sondern es werden geeignete Vermittler (Mediatoren) gebraucht, die ggfs. in betroffenen Familien zwischen Eltern und Kinder vermitteln können.
In Fällen, wo eine Vermittlung scheitert, kann durch Anzeige wegen Nötigung gegen eine drohende Zwangsheirat vorgegangen werden.
Rechtliche Aspekte
Die Praxis der Zwangsehe verstößt gegen Artikel 16 (2) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Für betroffene Frauen bedeutet die Zwangsverheiratung die ständige Furcht vor Vergewaltigung. Wenn Frauen sich weigern, die für sie bestimmte Heirat einzugehen, sind sie Repressionen durch Mitglieder der eigenen Familie ausgesetzt, die von Beschimpfungen und Drohungen über Prügel bis zum Ehrenmorden reichen. Auch in Deutschland und der Schweiz werden heute Frauen aus diesem Grund eingesperrt, misshandelt und sogar ermordet.
In Deutschland ist Zwangsverheiratung als Nötigung strafbar und kann so bekämpft werden. Obwohl seit langem von Frauenrechtlerinnen angeprangert, wurde das Problem unter Migranten in Deutschland erst Ende 2004 thematisiert, angestoßen durch Enthüllungen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.
Besonders häufig sind so genannte Ferienverheiratungen, die während Urlaubsreisen in die Heimatländer der jungen Migrantinnen erfolgen.
Nach einer Bundesrats-Gesetzesinitiative des baden-württembergischen Justizministers Goll (2006) soll Zwangsverheiratung künftig mit Freiheitsstrafen von 6 Monaten bis zu 10 Jahren belegt werden.
Frankreich verschob 2005 die Altersgrenze für eine Heirat bei Frauen auf 18 Jahre, um Minderjährige vor Zwangsehen zu schützen.
Der Europarat forderte im Oktober 2005 staatliches Vorgehen gegen Kinderehen und Zwangsheirat. Das Problem bestehe nach Auffassung der konservativen Berichterstatterin für den Europarat Rosmarie Zapfl-Helbling aus der Schweiz in erster Linie in Einwanderergemeinschaften.
In Südasien und der islamischen Welt wird sie heute noch praktiziert, wenngleich sie oft gesetzlich verboten ist. In Südasien ist sie heute im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten jedoch eine Ausnahmeerscheinung.
Kulturgeschichte der Zwangsheirat
Auf eine bestimmte religiöse Tradition lässt sich das Phänomen der Zwangsehe nicht zurückführen. Zwangsverheiratungen sind bis heute in islamischen und hinduistischen Gesellschaften verbreitet, aber auch in jesidischen, buddhistischen und christlichen Kulturen zu beklagen. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF betont, dass eine Menschenrechtsverletzung wie die Zwangsehe nur in einem patriarchalischen Umfeld möglich sei, in denen Mädchen und Frauen benachteiligt und diskriminiert werden. Die Religion übernimmt in diesen Gesellschaften oft eine bestehende Traditionen legitimierende Funktion ein.
Europa
In mittelalterlichen Europa war die sogenannte Muntehe, eine Form der Zwangsehe, unter Adligen nicht ungewöhnlich. In zahlreichen Komödien von Molière, so zum Beispiel in Tartuffe, kommt die Zwangsheirat zur Sprache. Ein Einakter des französischen Autors, der 1664 uraufgeführt wurde, heißt sogar ausdrücklich Le mariage forcé (Die Zwangsheirat). Die Liebesheirat, in der ökonomische und familiäre Gesichtspunkte nicht mehr die Hauptrolle spielten, wurde erst mit der Romantik im 19. Jahrhundert im Westen zur Regel.
Durch Zuwanderung aus Ländern, in denen Verheiratungen bis heute üblich sind, ist das Problem der Zwangsehe auch in den westeuropäischen Gesellschaften neu entbrannt. Als möglicher Grund für eine Zwangsverheiratung wird in diesem Zusammenhang auch die Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung genannt. Frauen im heiratsfähigen Alter würden mit einem Partner aus dem familiären Umkreis im Herkunftsland verheiratet, der durch diese Eheschließung dann legal einreisen könne.
Islam
Hauptartikel: Islamische Ehe
Bei der islamischen Eheschließung ist die Zustimmung beider Partner zwingend erforderlich.
- Eine Frau ohne Ehemann darf nicht verheiratet werden, bis sie zugestimmt hat, und eine Jungfrau darf nicht verheiratet werden, bis sie ihre Erlaubnis dazu gegeben hat. (Hadith: Ibn Majah, Abi Daud)
Der Prophet Mohammed ließ Ehen annullieren, wenn sich nachträglich herausstellte, dass sie unter Zwang geschlossen wurden.
- Eine Frau namens Khansa bint Khidam kam einst zum Propheten und beklagte sich: „Mein Vater zwang mich meinen eigenen Cousin zu heiraten, um damit seinen Status (in den Augen der Leute) zu erhöhen.“ Der Prophet sagte ihr, dass sie frei ist, diese Ehe aufzulösen und wen auch immer sie wünscht zur Ehe auszuwählen. Sie antwortete: „Ich akzeptiere die Wahl meines Vaters. Meine Absicht war es, die Frauen wissen zu lassen, dass die Väter nicht das Recht haben, sich in die Eheschließung einzumischen.“ (Hadith: Ahmad, Nasa'i und Ibn Madscha)
Verschiedene kulturelle Einflüsse haben aber dazu geführt, dass sich diese Praxis nicht in allen islamischen Ländern durchgesetzt hat. So kommt es vor, dass Zwangsheirat gerechtfertigt wird und teilweise als islamisch dargestellt wird.
Hinduismus
Hauptartikel: Ehe im Hinduismus
Die 2000 Jahre alte Manusmriti ist der wichtigste hinduistische Text für soziale Regeln, wie das Kastensystem, Rituale und die Heiratsregeln. Bei dem oft mit "Gesetzbuch des Manu" wiedergegebenen Text handelt es sich jedoch nicht um ein Gesetzbuch, sondern um eine Beschreibung des gesellschaftlichen "Soll-Zustandes" aus brahmanischer Sicht.
Es werden acht Formen der Heirat beschrieben, von denen der Brahma-Ritus als die ideale Form beschrieben wird : "Die Gabe einer Tochter, geschmückt (mit kostbarem Kleidern) und sie ehrend (mit Schmuck), an einen gebildeten Mann, der den Veda studiert hat und gutes Benehmen hat, den der Vater selbst einlädt, wird der Brahma-Ritus genannt" (MS III.27).
Zwei Heiratsformen werden als nicht dem Dharma (kosmisches Gesetz) entsprechend bezeichnet. Dazu gehört der Rakshasa-Ritus (Rakshasa, Dämon): "Die gewaltsame Entführung eines Mädchens aus ihrem Zuhause, während sie schreit und weint, nachdem ihre Verwandten erschlagen und verwundet wurden und das Haus aufgebrochen wurde, wird der Rakshasa-Ritus genannt" (MS III.33). Abgelehnt wird außerdem der Pisaka-Ritus: "Wenn ein Mann durch List ein Mädchen, das schläft, berauscht oder geistesgestört ist, verführt, wird dies der sündenvolle Pisaka-Ritus genannt" (MS III.34).
Die Variante, dass eine Braut gegen den Willen der Eltern verheiratet wird, wird jedoch nicht erwähnt.
Siehe auch: Rolle der Frau im Hinduismus
Literatur
- Christine Schirrmacher:Frauen und die Scharia.
- Unicef Innocenti Research Centre (Hg.): Early Marriage. Child Spouses (Innocenti Digest, No.7, Unicef), Florence, 2001
- Volz, Rahel: Verliebt, verlobt, verheiratet, in: Menschenrechte für die Frau. Zeitschrift für Frauenrechte 4/2002, S.4-7
- Necla Kelek: Die fremde Braut
- Hanife Gashi: Mein Schmerz trägt Deinen Namen. Ein Ehrenmord in Deutschland Rowohlt Berlin Verlag, Reinbek 2005, ISBN 349802499X.
- Fatma B.: Hennamond
- Serap Çileli: Wir sind eure Töchter nicht eure Ehre
- World Vision (Hg.): "Hoffnung für Mädchen". Flyer zur Aufklärung über Frühverheiratung und Genitalverstümmelung, www.worldvision.de
- Hülya Ates & Fabian Fatih Goldbach: Verstoß = Liebe - Tagebuch einer türkisch-deutschen Liebesbeziehung / ISBN 3-8311-3603-3
Dokumentationen
- "Der Tag, als ich meiner Hochzeit entkam", Die Flucht einer versprochenen Braut, HR, Erstausstrahlung: 11. Juli 2005, 45 Min.
Weblinks
- Zwangsheirat.de. Ausführliche Informationen in Zusammenarbeit der Neuköllner Arbeitsgruppe „Migration und Menschenrechte“ vom Mädchenzentrum Szenenwechsel.
- Info zum Thema von der International Planned Parenthood Federation (PDF-Datei, auf Englisch)
- Website der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, die sich in einer Kampagne 2002/3 gegen Zwangsheirat eingesetzt hat