Deutsche Frage
Mit dem Begriff der "deutschen Frage" wurde in der Regel die staatliche Einheit der Deutschen behandelt.
Dabei muß jedoch unterschieden werden:
- Die "deutsche Frage" nach dem Zusammenbruch des Reiches (1806-1813)
- Die "deutsche Frage" während der Befreiungskriege (1813-1815)
- Die "deutsche Frage" zur Zeit des Deutschen Bundes (1815-1867)
- Die "deutsche Frage" zur Zeit des Norddeutschen Bundes (1867-1871)
- Die "deutsche Frage" nach Ende des Ersten Weltkrieges (1918-1933)
- Die "deutsche Frage" während des Nationalsozialismus (1933-1945)
- Die "deutsche Frage" nach Ende des Zweiten Weltkrieges (1945-1970)
- Die "deutsche Frage" zur Zeit der Wende (1989-1990)
Im folgenden sollen diese Zeitabschnitte nur kurz umrissen werden.
Die "deutsche Frage" nach dem Zusammenbruch des Reiches (1806-1813)
Im Mittelalter war die Mehrheit der Deutschen im Heiligen Römischen Reich vereinigt. Die Deutschen bildeten in diesem Staat eine Kulturnation und waren als das eigentliche staatstragende Volk anzusehen.
Ab 1804 wurden mit der Gründung des deutschen Rheinbundes und der Schaffung eines eigenständigen Kaisertum Österreich dessen Ende eingeleitet.
Mit der Niederlegung der deutschen Kaiserkrone begann ab 1806 die "deutschen Frage" im eigentlichen Sinne.
Die "deutsche Frage" während der Befreiungskriege (1813-1815)
Mit dem Beginn der Befreiungskriege gegen Frankreich, stellte das damalige Preußen als erster deutscher Staat die "deutsche Frage". Deren Königshaus, die Hohenzollern, forderten nun die Wiedererrichtung des Deutschen Reiches.
Dieser Hauptforderung schlossen sich bis 1815 alle Deutschen an, während sie von den übrigen Herrscherhäusern Deutschlands abgelehnt wurde.
(Das einfache Volk wollte nun zur deutschen Staatsnation zusammenwachsen, was aber zur Einschränkung der Fürstenmacht geführt hätte - dementsprechend standen die deutschen Fürsten dieser Forderung mehr als ablehnend gegenüber.)
Die "deutsche Frage" zur Zeit des Deutschen Bundes (1815-1866)
1815 kam es zur Gründung eines Deutschen Bundes, mit dem die "deutsche Frage" nach außen hin abgeschlossen wurde. Doch beim einfachen Volk bestand sie weiter, diese forderten ein einheitliches Deutsches Reich und keinen losen Bund der deutschen Fürstenhäuser.
1848/49 kam es zu Revolutionen im Deutschen Bund. Und die "deutsche Frage" stand nun wieder auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Nach der Wahl einer deutschen Nationalversammlung als gesamtdeutsches Parlament sollte der Deutsche Bund nun in ein Deutsches Reich umgewandelt werden.
1866 kam es in der Frage um die Vorherrschaft in Deutschland zwischen Österreich und Preußen zum "Großen Krieg", den Preußen für sich entscheiden konnt.
Die "deutsche Frage" zur Zeit des Norddeutschen Bundes (1867-1871)
Mit der Beendigung des Deutschen Bruderkrieges wurde 1866/67 der Deutsche Bund aufgelöst. Die Mehrheit der Deutschen waren nun im preußischdominierten Norddeutschen Bund vereinigt.
Mit der Beendigung der Deutsch-Französischen Krieges kam es 1871 in Frankreich zur Gründung des Deutschen Reiches. Da traten die süddeutschen Staaten dem Norddeutschen Bund bei und dieser wurde nun in "Deutsches Reich" umbenannt.
Die Deutschen lebten nun in mehrere Staaten verteilt: Neben dem Deutschen Reich lebten die Deutschen auch in Luxemburg und Liechtenstein, der Schweiz und in Österreich.
(Die einstigen deutschen Reichsgebiete Niederlande und Belgien sowie die Schweiz wurden nur von den politischen Wirrköpfen des Alldeutschen Verbandes eingefordert - eine kleine, aber doch zeitweise einflußreiche Minderheit im Reich und in Österreich!)
Die "deutsche Frage" galt nach der Einigung der Deutschen im Deutschen Reich als "ad acta" - als erledigt.
Die "deutsche Frage" nach Ende des Ersten Weltkrieges (1918-1933)
Nach dem Zusammenbruch der Monarchien stellte sich in Europa ernaut die "deutsche Frage". Dabei zeigte es sich, diese stets im Volke überlebt hatte: Die Deutschen in Österreich schlossen sich zur Republik Deutschösterreich zusammen und forderten den Beitritt ihrer Gebiete zum Deutschen Reich.
Mit der Vereinigung dieser beider deutscher Staaten wäre in der Tat die "deutsche Frage" endgültig (und demokratisch) gelöst gewesen - aber mit der Vereinigung von fast 73 Millionen Deutschen in einen Staat wären die Deutschen zum mächtigsten Volk in Europa aufgestiegen - und zum Sieger des Weltkrieges! (Die Deutschen sahen sich 1918 als nur als moralische und nicht als militärische Verlierer. Von einer Vereinigung mit den deutschen Volksgruppen in der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg sprach zu dieser Zeit keiner mehr.)
Doch wurde die Vereinigung von den Siegermächten verboten und die "deutsche Frage" blieb weiterhin offen.
1932 wurde vom Deutschen Reich und Österreich versucht, die "deutsche Frage" über eine Wirtschaftsunion zu lösen - auch diese wurde von der Völkerbundseite untersagt.
Die "deutsche Frage" während des Nationalsozialismus (1933-1945)
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde die "deutsche Frage" nun in einem ausgesprochenen aggressiven Ton nach außen vertreten: Bereits das "Parteiprogramm der NSDAP" - Adolf Hitlers berühmte 15-Punkte-Rede von 1920 - begann schon mit den Worten: "1. Wir fordern den Zusammenschluß aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Groß-Deutschland."
Am 13. März 1938 marschierten reichsdeutsche Truppen ins benachbarte Österreich ein, doch von einem Anschluß - und damit der Lösung der "deutschen Frage"! - konnte noch nicht die Rede sein. Immerhin endeten Hitlers Radioansprache bezüglich des Einmarsches mit den Worten: "Es lebe das nationalsozialistische Deutsche Reich - es lebe das nationalsozialistische Deutschösterreich!"
Doch die Deutschösterreicher und die Reichsdeutschen forderten nun die Lösung der "deutschen Frage" und die Vereinigung beider Staaten. Mit der Eingliederung des Sudetenlandes schien 1938 die "deutsche Frage" wohl als gelöst, da nun das geschlossene deutsche Siedlungsgebiet in Europa (Deutsches Reich, Österreich und Sudetenland) vereint und von Hitler bereits 1922 auf Deutschsüdtirol verzichtet worden war.
Doch kam der Appetit beim Essen: bereits 1939 wurde Danzig, der Polnische Korridor und das Memelland dem Reiche einverleibt und 1940 wurden das überwiegend deutschbesiedelte Elsaß-Lothringen und Eupen-Malmedy dem Deutschen Reich angeschlossen. Im Jahre 1943 erreichte die "deutsche Frage" ihre "Maximal-Lösung", als Südtirol einer deutschen Zivilverwaltung unterstellt wurde: Mit Ausnahme Nordschleswigs, der Schweiz und Liechtenstein war das gesamte deutsche Sprachgebiet im Großdeutschen Reich Adolf Hitlers vereinigt - es umfaßte nun rund 650.000 km²!
Die "deutsche Frage" nach Ende des Zweiten Weltkrieges (1945-1970)
Mit der Niederwerfung des Deutschen Reiches stellte sich die "deutsche Frage" neu. Nachdem sich bereits am 27. April 1945 Österreich für unabhängig erklärt hatte, umfaßte der Begriff der "deutschen Frage" nur noch die Gebietsteile des Altreiches. Von den damaligen Siegermächten wurde willkürlich der 31. Dezember 1937 für den Gebietsstand des Deutschen Reiches angenommen. So verlor Deutschland aufgrund des zweiten Weltkriegs nicht nur völkerrechtswidrig angeeignete Gebietsteile.
Die "deutsche Frage" beschränkte sich nur noch auf die Besatzungszonen des Deutschen Reiches: West-Deutschland, Mittel-Deutschland und Ost-Deutschland.
Bereits Ende 1945 wurde Ost-Deutschland einseitig von der Sowjetunion Polen übereignet und bis 1950 wurde von dort die deutsche Bevölkerung grausam vertrieben. Damit war für die ostdeutschen Gebietsteile die "deutsche Frage" geklärt.
Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der damaligen DDR wurde die "deutsche Frage" im eigentlichen Sinne nur noch auf diese Staaten angewendet, obschon gelegentlich auf westdeutscher Seite auch Gebiete östlich der DDR einbezogen wurden.
Mit dem Grundlagenvertragzwischen der Bundesrepublik und der DDR in den 1970er Jahren wurde die "deutsche Frage" zwischen beiden Staaten aufgegeben. Die Teilung wurde faktisch als nicht zu ändern angesehen. Das Grundgesetz behielt den Anspruch auf Wiedervereinigung allerdings bei.
Die "deutsche Frage" zu Zeit der Wende (1988-1990)
Der Beginn des Zusammenbruches der UdSSR (1988), die Öffnung Osteuropas und der sich abzeichnende Untergang der SED-Herrschaft in der DDR überraschte alle westdeutschen Experten und Politiker. Pläne für einen solchen Fall, die noch in den 1950er und 1960er Jahren existiert hatten, waren nicht vorhanden.
In der westdeutschen Öffentlichkeit wurden Forderungen nach einer Einigung der beiden deutschen Staaten oft als reaktionär angesehen. Die SPD war kurz davor, auch offiziell die Eigenständigkeit der DDR als Staat anzuerkennen; die CDU/CSU forderte zwar offiziell noch eine deutsche Wiedervereinigung, faktisch war aber in den Führungsgremien die deutsche Teilung als Realität akzeptiert.
Bei den Politikern persönlich war die Haltung verschieden. Während ältere und/oder in Mittel- und Ostdeutschland Aufgewachsene wie Willy Brandt oder Hans-Dietrich Genscher eine deutsche Einigung für erstrebensswert aber realpolitisch undurchführbar hielten, war die Vision für jüngere (z. B. Oskar Lafontaine) ein Relikt der Vergangenheit.
Weitgehend unklar war die Haltung der Alliierten und insbesondere der Sowjetunion, ohne deren Zustimmung die deutsche Einheit nicht denkbar war.
Innerhalb der DDR war die Meinung zur deutschen Frage zunächst unklar. Die regierende SED war strikt dagegen, viele bedeutsame Bürgerrechtler unterschrieben noch am 28. November 1989 die Erklärung Für unser Land, in dem sie eine eigenständige Entwicklung der DDR unabhängig von der Bundesrepublik fordern. Erst ab dem 11. Dezember 1989, als erstmals die Rufe "Wir sind EIN Volk" auf den Montagsdemonstrationen erklingen, scheint eine Hinwendung zur deutschen Einheit klarer. Durch die Volkskammerwahl 1990, die die als Partei der Einheit wahrgenommene CDU zum klaren Wahlsieger macht, stimmt die Bevölkerung mit großer Mehrheit für eine rasche Wiedervereinigung.
Die bundesdeutschen Politiker reagierten überrascht. Helmut Kohl stellte am 28. November 1989 weitgehend ohne Rücksprache bei Koalitionspartnern oder Verbündeten seinen Zehn-Punkte-Plan vor, der selbst die Begriffe "Vertragsgemeinschaft" und "Konföderation" benutzt, diese aber nicht weiter konkretisiert. Während der Plan ausdrücklich nicht von einer staatlichen Einheit spricht, wird er von der SED-Nomenklatura, Teilen der SPD und den Grünen so aufgenommen und als "Großdeutsch" kritisiert.
Nach der eher positiven Reaktion der Alliierten und Michail Gorbatschows Zustimmung zu einer deutschen Wiedervereinigung am 11. Februar 1990 tendieren CDU/CSU und FDP immer stärker dazu, die deutsche Einheit zu fordern. Spätestens nach der Volkskammerwahl vom 18. März galt die Vereinigung von alter Bundesrepublik und DDR als sicher; die sich nun stellende Frage war nicht mehr ob, sondern wann ein neuer deutscher Staat entstehen würde.
Es begannen Beitrittsverhandlungen und mit dem Beitritt der DDR gilt die "deutsche Frage" in dem Sinne der deutschen Staatsgrenzen als weitgehend erledigt. Der sogenannte 2+4 Vertrag, in dem u. a. die Oder-Neiße-Linie anerkannt wird, gilt im Allgemeinen als Friedensvertrag. Dabei berief sich dieser Vertrag bezüglich der "deutschen Ostgrenzen" auf das Görlitzer Abkommen" von 1950.
Der Artikel 23 des Grundgesetzes (sogenannter "Beitrittsartikel") wurde darauf hin ersatzlos gestrichen.