Bewegungskontrolle

Begriff aus der Bewegungswissenschaft
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Bewegungskontrolle (englisch: motor control[1]) ist ein Begriff aus der Bewegungswissenschaft.

Bewegungskontrolle ist ein körperinterner Vorgang, bei dem Menschen und Tiere ihr Bewegungssystem so koordinieren, dass geplante und ungeplanten Bewegungen so ablaufen, dass deren beabsichtigtes Ziel erreicht wird. Keine körperliche Bewegung wird ohne eine Bewegungskontrolle ausgeführt. Sie garantiert dem Ausführenden die physiologische Sicherheit des Ablaufs und spielt eine wichtige Rolle bei der Ausführung und beim Lernen von Bewegungsabläufen, wobei sie dem Ausführenden in der Regel nicht bewusst ist. Sie kann insofern auch als eine Überwachung (Monitoring) der Bewegungsabläufe bezeichnet werden. Einbezogen werden Informationen sowohl aus der Umwelt als auch aus dem Körper und zielgerichtet verarbeitet. Dazu ist eine kooperative Interaktion zwischen dem zentralen Nervensystem (ZNS) und dem Muskelsystem notwendig.

Die Forschung arbeitet in diesem Bereich mit zahlreicher Disziplinen zusammen: von der Psychologie, Biomechanik, Mechanik, Physik, Ingenieurwissenschaften bis zu den Neurowissenschaften.

Begriffsgeschichte

In Deutschland wurde Bewegungskontrolle lange Zeit so verstanden, dass der Lehrende die Ausführung des Lernenden kontrolliert in dem Sinne, dass Fehler, nicht gewünschte Komponenten oder Qualitäten einer Bewegungsausführung genannt werden, die bei folgenden Ausführungen vermieden werden oder zusätzlich beachtet werden sollen. Das heißt, eine Kontrolle wurde als von außen gegeben verstanden.

Mit Bewegungskontrolle ist heute in der Bewegungswissenschaft die interne, vom Organismus selbst durchgeführte Kontrolle des Ablaufs gemeint. Sie entspricht dem in der Technik eingesetzten Verfahren der Regelung eines Prozesses. Der Begriff ist unmittelbar mit dem der Rückmeldung beziehungsweise Rückkoppelung eines (Teil-)Ergebnisses des Ablaufs verbunden, denn durch die Rückmeldung kann eine Differenz zwischen der erfolgten und der beabsichtigten Durchführung festgestellt werden, die es dann zu verringern gilt.

Der Kontrollprozess

Bei einer Regelung (Kontrollprozess) wird ein Ziel für einen Prozess vorgegeben (input). Auf der so genannten Regelstrecke soll durch vorgegebene oder konstruierte Abläufe dieses Ziel erarbeitet werden. Sind die Abläufe abgeschlossen, wird das Ergebnis (output) beurteilt (gemessen). Ist das Ziel erreicht, ist der Prozess abgeschlossen. Ist es nicht erreicht, kann durch Korrekturvorgaben und einer neuen Eingabe an die Regelstrecke (veränderte Abläufe) der Versuch erfolgen, das Ziel in erneuten Ablauf zu erreichen. Dieser Kreislauf kann so lange wiederholt werden, bis das Ziel erreicht ist. Je früher in ihrem Ablauf eine Abweichung des geplanten Ablaufs entdeckt wird, der von dem „korrekten“, dem zum Ziel führenden, abweicht, desto größer ist die Chance das Ziel sicher und in der geplanten Zeit zu erreichen. Für all diese Abläufe ist es wichtig, dass die notwendigen Informationen – über Ziel, aktuelle Zustände, Teilergebnisse – bereitgestellt und zur richtigen Zeit an den richtigen Orten zur Verfügung stehen. Insofern hat Bewegungskontrolle sehr viel mit Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung im menschlichen Organismus zu tun. Diese Aufgaben werden durch das Nervensystem erfüllt.

Bei der Bewegungsregelung im Menschen wird das Ziel vom Ausführenden selbst oder von einem Lehrer, Trainer oder Therapeuten bestimmt. Die Regelstrecke ist der Organismus (Körper). Die Abläufe sind die Ausführungen von motorischen (Teil)handlungen. Die Beurteilung, ob das Ziel erreicht ist oder nicht, erfolgt vom Ausführenden, Lehrer oder Trainer.

Die beteiligten Forschungsdisziplinen

Neurophysiologie

Die Neurophysiologie beschäftigt sich mit der Anatomie und der Physiologie des zentralen und des peripheren Nervensystems. Das Zusammenwirken von Nerventätigkeit (Elektrizität) und Bewegung wurde bereits im 18. Jahrhundert von Luigi Galvani entdeckt. ([2]). Eine kontrollierte Erforschung dieser Phänomene fand damals noch nicht statt. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann man mit Experimenten über gezielte elektrische Reizung und Reflexantworten auf Reize einzelner Sinnesorgane[3]

Durch neue Erkenntnisse zum Beispiel über die Färbung von bestimmten Nervenfasern wurde es zu Beginn des 20. Jahrhunderts möglich, den Verlauf von Nerven zu verfolgen. Damit gelang es Charles Sherington, einzelne Nervenfasern zu Verfolgen und auf diese Weise die spinalen Reflexe und auch ihre Bedeutung für eine Regelung von Bewegungen auf spinaler Ebene zu erkennen und zu beschreiben.

Verhaltenswissenschaften

In den Verhaltenswissenschaften wird das Verhalten von Tieren erforscht, um von den Erkenntnissen bei Tieren auf das Verhalten von Menschen zu schließen. Sie wurden in Deutschland und den USA von unterschiedlichen Mutterdisziplinen aus und mit unterschiedlichen Methoden betrieben.

In Deutschland ist die Verhaltenswissenschaft ein Teilbereich der Tierphysiologie, die Wissenschaftler Biologen (Zoologen) oder Mediziner (Physiologen). Als Begründer gilt Konrad Lorenz (* 7. November 1903; † 27. Februar 1989). Dieser arbeitete vor allem mit dem Verfahren der Beobachtung von Tieren. Andere Forscher wie Erich von Holst (* 28. November 1908; † 26. Mai 1962) und Bernard Hassenstein (* 31. Mai 1922) untersuchten die Nervensysteme der Tiere, um zum Beispiel herauszufinden, wie diese ihre Bewegungen koordinieren.

Der Begriff der Bewegungskontrolle bei den Bewegungen der Tiere war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht gebräuchlich. Man sprach von Bewegungskoordination.

In den USA beschäftigten sich Psychologen mit den Verhaltenswissenschaften. Sie entwickelten die Methoden des Behaviorismus. Das bedeutet, es wurde nur das objektiv beobachtbare Verhalten zur Bildung von Theorien herangezogen. Man versuchte auf diese Weise, Lernprozesse zu verstehen und übertrug die Erkenntnisse auf das Verhalten und das Lernen von Menschen. Man interessierte sich nicht für die Physiologie, die sich innerhalb der Tiere abspielte und zum Zustandekommen der Bewegungen führte, lehnte dies sogar als unwissenschaftlich ab, weil zu wenig darüber bekannt war. Erst sehr viel später (siehe unten) als sich die Bewegungswissenschaft (Psycho Motor Behavior) als eigene Disziplin etablierte, wurde die Neurophysiologie in die Erklärung von Verhaltensweisen mit einbezogen.

Ingenieurwissenschaften

In den Ingenieurwissenschaften beschäftigte man sich – mit Ausnahme der Prothesenkonstruktion nach dem 1. Weltkrieg – zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mit der Bewegung des Menschen. Die Regelung von technischen Prozessen war bekannt, wurde aber erst in den 30-ger Jahren zu einem Routineverfahren.

Von getrennten Anfängen zur Zusammenarbeit

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten sich die genannten Disziplinen bezüglich der Bewegungskontrolle getrennt voneinander. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts kam es zu den ersten Zusammenarbeiten zwischen Forschern dieser Disziplinen.

Um diese Zeit entstand auch das Bewusstsein der Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Physiologen, als in der Technik die Regelungstechnik eine immer bedeutendere Rolle zu spielen begann und Ingenieure und Biologen feststellten, dass es sich in beiden Bereichen um vergleichbare Prozesse handelt.

Diese Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren, Biologen, Physiologen und Psychologen wird auch in den damals entstandenen integrativen Disziplinen wie der Kybernetik, Synergetik schließlich den Neuronalen Netzen deutlich.

In den USA trugen zu dieser Entwicklung in hohem Maß die Untersuchungen an Piloten für ihren Einsatz im 2. Weltkrieg bei[4]. In Deutschland sei hier stellvertretend der Professor für Elektrotechnik Karl Küpfmüller genannt[5], der die Physiologen unterstützte, die technischen Elemente zu verstehen.

Einen großen Anteil an der Entwicklung der Bewegungskontrolle hat der Verhaltenswissenschaftler Erich von Holst (Physiologe). Im Gegensatz zu Konrad Lorenz, der mit Beobachtungen und zum Teil behavioristischen Methoden arbeitete, konzentrierte sich von Holst auf die (physiologischen) Abläufe im Nervensystem bei den Bewegungen der Tiere, um die Funktionen des Zentralnervensystem dabei zu untersuchen. Er promovierte zum Beispiel über die Funktionen des Zentralnervensystems beim Regenwurm[6]. Zukunftsweisend waren seine Untersuchungen zum Reafferenzprinzip. Er bediente sich nicht der Sprache der Ingenieure, obwohl es sich deutlich um Regelungsprozesse handelte, die er beschrieb. Das ist auch ein Grund dafür, dass die Bedeutung dieser Arbeit für die Bewegungskontrolle erst in den 80-ger Jahren erkannt wurde. Ein anderer Grund ist, dass seine Arbeiten nicht oder nur unvollständig ins Englische übersetzt wurden und daher dort, wo man sich intensiver um das Verständnis der Bewegungskontrolle bemühte, lange nicht bekannt waren.

Die Abläufe der Bewegungskontrolle wurden vor allen Dingen in den USA untersucht und beschrieben. Ihr Studium begann aber auch dort, bedingt durch die lange Zeit der Vorherrschaft der behavioristischen Lern- und Verhaltensforschung in der Psychologie, erst nach 1960 in der Motorikforschung eine Rolle zu spielen. In Deutschland ist das Bewusstsein der Bedeutung der Bewegungskontrolle noch immer gering und führt gelegentlich zu Missverständnissen.

Auch in den USA bestand zunächst scheinbar lediglich ein allgemeines Interesse daran, zu wissen, wie Bewegung „funktioniert“ - allgemeine Bewegung und Sport spielen in den USA traditionell eine große Rolle. Behavioristisch geprägt sind die Arbeiten von Richard A. Schmidt [7]. Er entwickelte die Schema-Theorie, durch die der notwendige Speicherbedarf im Hirn geringer ist als bei der Programmtheorie bei der für jede gelernte ein einzelnes Programm gespeichert werden muss. Der Speicher bedarf ist deswegen geringer,weil sozusagen für eine Bewegungsfamilie ein Ausführungsschema vorliegt, dass in der aktuellen Situation nicht nur an die notwendige Größe und Ausführungsgeschwindigkeit angepasst werden kann, sondern auch an die Ausführung mit verschiedenen Gliedmaßen. So kann man ein Wort, wenn man es schreiben kann, auch mit der nicht bevorzugten Hand, mit dem Fuß oder mit einem Griffel im Mund schreiben. (generalisiertes Schema).

Es wurde dann auch immer mehr versucht, die Experimente so aufzubauen, dass man daraus Rückschlüsse dahingehend ziehen konnte, wie die Bewegungen möglicherweise im Organismus – zunächst im Muskel]]system dann aber auch im Nervensystem, da dies die Muskelarbeit auslöst und bestimmt – zustandekommen. Die Neurophysiologie begann, eine Rolle in der Bewegungsforschung zu spielen.

Mit dem Einzug der Informationsverarbeitung in das psychologische Denken durch Lindsay und Norman [8] und der entsprechenden Erweiterung auf den Sport durch Ronald Marteniuk [9], spielten dann auch Überlegungen darüber, wie die Informationen im Organismus bei Bewegungen übermittelt werden, eine immer größere Rolle. Dabei tauchte auch zum ersten Mal eine interne Rückmeldung auf, die eine Voraussetzung für die Kontrolle einer Bewegung ist. Neu an diesen Ansätzen ist auch, dass man nicht wie im Behaviorismus von der Bewegung als von einer Reaktion auf ein Signal hin ausgeht, sondern dass eine Bewegung willentlich von einer handelnden Person ausgelöst und auf ein Ziel gerichtet ausgeführt werden kann.

Die 80-ger Jahre des 20. Jahrhunderts lassen sich als die Jahre bezeichnen, in denen die Motor Control Theory sich als eine eigenständige Bewegungstheorie etablierte, die vorher benutzte Bezeichnungen und Auffassungen ordnete und zusammenfasste. Die Forscher der oben beteiligten Disziplinen traten in einen direkten Austauch miteinander. Es fanden internationale Kongresse statt, in denen die Theorien diskutiert und zukünftige Richtungen erarbeitet wurden. Seit der Zeit wird auch der Begriff der Motor Control einheitlicher für diesen Forschungsbereich verwendet, der andere häufig unklare (wie Bewegungsregulation) oder vieldeutige Begriffe (wie Bewegungskoordination) eine eindeutige Bedeutung zuwies.

Eine der neuen Richtungen der Bewegungstheorie – mit eigenen Ansätzenzur Bewegungskontrolle war z.B. die so genannte ökologischen Theorie (oder action theory), die von: James Gibson [10]. und Edward Reed [11] vertreten wurde, und die zum Teil auf Überlegungen und Veröffentlichungen von Nicolas Bernstein (siehe unten) zurückgingen. Diese Theorie besagt, dass nicht das Lebewesen, also auch der Mensch eine Bewegungen initiiert und durchführt, sondern dass die Umgebung, in der es sich befindet, Herausforderungen (affordances) enthält, die ihn anregen bzw zwingen, bestimmte Aktionen auszuführen,dass also die Umgebung unsere Bewegungen bestimmt.

Es gab verschiedene internationale Kongresse, auf denen diese Ansätze und Überlegungen diskutiert wurden. Einer dieser Kongresse – oder workshop – fand 1986 in Münster/ Wesfalen statt. Er hatte den Untertitel The Motor-Action Controversy.[12] Hier berichteten hauptsächlich die alten Bewegungsforscher, die noch in der Zeit des Behaviorismus ausgebildet waren, und sich vorsichtig mit informationstheoretischen und rückgekoppelten Ansätzen sowie mit der neuen Action Theory auseinandersetzten (zum Beispiel Richard A. Schmidt).

Mehr naturwissenschaftlich ausgerichtet (Neurophysiologie sowie Modellansätze aus der Regelungstechnik) war der 1985 in Varna/Bulgarien abgehaltene Kongress, der bereits Motor Control als seinen Namen hatte. [13]

Bedeutend für die weitere Entwicklung in den englischsprachigen Ländern war außer der genannten action theory die etwa gleichzeitig stattfindende Diskussion über die Arbeiten zur Bewegungsforschung des russischen Physiologen Nicolas Bernstein (1896 - ). Sie gingen zurück auf dessen Buch: The Coordination and Regulation of Movements, das 1967 in England erschienen war [14]. Da sich alle amerikanischen Bewegungswissenschaftler nach dieser Zeit – bis heute – auf dieses Buch berufen, es aber irgendwann vergriffen war und nicht wieder aufgelegt wurde, wurden seine Arbeiten von ausgewählten Bewegungsforschern besprochen und kommentiert und in einem neuen Band Human Motor Actions, Bernstein reassessed von H.T.A. Whiting zusammengefasst und herausgegeben [15].

Bernstein war im Gegensatz zu den amerikanischen Bewegungsforschern wie fast alle russischen Bewegungsforscher von seiner Ausbildung her Physiologe und Mathematiker/Ingenieur. Er wollte sein Verständnis für die Funktion des Gehirns durch das Studium der Bewegung fördern (He wanted to further his understanding of the brain through the study of movement [16]). Er verfasste mehr als 140 Publikationen, von denen ein Teil ins Deutsche oder Englische übersetzt wurde. Seine bis heute wichtigsten Beiträge zur Bewegungskontrolle sind seine Aussagen über die Redundanz der durch die Anatomie des Körpers gegebenen Bewegungsmöglichkeiten, die einerseits eine hohe Variabilität der möglichen Bewegungen zulässt, die aber andererseits den Organismus zwingen, die hohe Zahl der Freiheitsgrade einer Bewegung so zu reduzieren und zu kontrollieren, dass eine koordinierte Bewegung möglich wird.

Seine Ausdrucksweise war entsprechend seiner Ausbildung stark mathematisch geprägt, so dass in der Folge auch Ingenieure in den USA und England sich für die Kontrolle der menschlichen Bewegung interessierten,und versuchten, ihre Ansichten und Erkenntnisse durch spezielle [[Experimente}} zu zeigen und zu vertiefen. Allmählich verlagerte sich der Schwerpunkt der Forschung, neben der Neurophysiologie, in der man vor allem versuchte, die für die Kontrolle notwendigen schnellen Informationspfade im Organismus zu finden, in den Forschungsbereich der Ingenieure. Diese versuchen, die Erkenntnisse durch mathematische Modelle darzustellen.

Die Erforschung der Bewegungskontrolle nimmt zu, weil ihre Bedeutung eine immer größere Rolle spielt, zum Beispiel für die Konstruktion und Steuerung künstlicher Gliedmaßen (Rehabilitation), vor allem aber für die Konstruktion lernfähiger Roboter.

Theorien über die Bewegungskontrolle

Die Psychologen (vor allen Dingen in den USA), die sich zu Beginn des 20. Jahrhundert nicht mit neurophysiologischen Fragestellungen beschäftigten, gingen bei der Bewegungskontrolle hauptsächlich von einer so genannten open loop control (offene Kontrollschleife) aus. Bei dieser Vorstellung wird ein Bewegungsablauf geplant, die notwendigen Befehle zu ihrer Ausführung von einem Zentrum (dem Primären Motorischen Kortex, MI) ausgegeben und die Bewegung ausgeführt. Klassisch erfolgt bei dem gesamten Ablauf keinerlei Kontrolle – open loop. Allerdings besteht immer die Möglichkeit, nach der Ausführung diese zu beurteilen – und entsprechend des Erfolgs beziehungsweise Nichterfolgs des Ablaufs Korrekturen für eine folgende Ausführung vorzuschlagen beziehungsweise zu planen – vom Ausführenden selber oder von einem Außenstehenden. Im eigentlichen Sinn wird dadurch dann die Kontrollschleife geschlossen.

Man glaubte lange Zeit, dass diese Art der Kontrolle, vor allem bei schnellen (zum Beispiel so genannten ballistischen Bewegungen) die einzig mögliche ist, weil man davon ausging, dass die gesamte Ausführung zu schnell erfolgt, als dass sie durch interne Kontrollmechanismen beeinflusst werden könnte.[17]

Der open loop control steht die closed loop control (geschlossene Kontrollschleife) gegenüber.[18]. Man könnte, wie bereits erwähnt, auch eine Korrektur nach der Bewegungsausführung als ein Schließen der Kontrollschleife bei Bewegungen ansehen. Jedoch wird die closed loop control verstanden als die interne Kontrolle des Organismus, die sich während einer Bewegungsausführung abspielt. Um zu verstehen, wie es zu einer solchen Kontrolle kommen kann, ist es notwendig, dass man in den Organismus hineinsieht und die physiologischen Strukturen, die dies leisten können, sucht und beschreibt. Es zeigt sich, dass das Wissen über die Bewegungskontrolle abhängig ist von Kenntnissen über das zentrale und periphere Nervensystem. Dabei ist die Suche nach den Wegen der Signale, die die Laufzeit und damit die Schnelligkeit einer Rückkoppelung und Korrektur eines Bewegungsablaufs bestimmen, ein wichtiger Forschungsgegenstand.

Das Hauptproblem der Bewegungskontrolle

Als Hauptproblem der Bewegungskontrolle wird deswegen – zum Teil noch immer – ihr Zeitbedarf angesehen. Die Abläufe der Kontrolle benötigen nämlich eine bestimmte Zeitspanne, um wirksam werden zu können. Die Rückkoppelungsschleifen müssen, wie man meinte, nämlich tatsächlich durchlaufen werden und dabei verstreicht eine gewisse Zeit, die, wie man glaubt(e), nicht ausreicht – vor allem bei schnellen Bewegungen nicht – um in den Ablauf eingreifen zu können. Die vor 1980 bekannten Informationswege im Organismus gaben die dazu notwendigen schnellen Informationsflüsse nicht her.

Dieses Zeitproblem spielt bis heute eine große Rolle bei der Diskussion über Möglichkeiten und Formen der Bewegungskontrolle. Es wird zum Beispiel auch heute noch als Begründung dafür verwendet, dass am Beginn des Lernens einer neuen Bewegung die Ausführung langsam erfolgen soll, weil dann die Kontrollschleifen erst aufgebaut werden müssen, damit sie später schnell und reibungslos erfolgen können.[19]

Um dieses Zeitproblem zu lösen, werden im Organismus die Strukturen im Zentralen und Peripheren Nervensystem gesucht, die eine Informationsübertragung gewährleisten, die schnell genug ist, eine online Kontrolle zu gewährleisten, weil das den Beobachtungen und Notwendigkeiten entspricht.

Das Zentralnervensystem lässt eine hierarchische Struktur erkennen, die unterschiedliche Ebenen besitzt, auf denen man die Bewegungskontrolle untersuchen und beschreiben kann.

Struktur des Kontrollsystems

 
Zentren der Bewegungskontrolle im menschlichen Organismus

Für diese Betrachtungsweise ist es zweckmäßig, eine hierarchische Struktur des Motorischen Systems anzunehmen. Diese besteht aus der höchsten Ebene, der neuralen Kontrolle im GehirnKortex – und seinen subkortikalen Zentren sowie dem Kleinhirn, dem Hirnstamm mit seinen motorischen Zentren, die zum Beispiel das Gleichgewicht und elementare Abläufe der Fortbewegung (gehen) beeinflussen. Schließlich ist als unterste Kontrollinstanz das Rückenmark mit seinen Motoneuronen und Interneuronen, die Informationen aus den höheren Zentralen sowie aus den Muskeln, den Sehnen, den Gelenken und der Haut integrieren und für die Umsetzung in das bewegungsauslösende mechanische System der Muskeln sorgen.

Großhirn und Kleinhirn

Das Großhirn ist das zentrale Verarbeitungsorgan für Informationen im Körper. Es werden dort nicht nur alle Aktionen geplant und vorbereitet. Das Großhirn hat vielmehr auch die Aufgabe, zusammen mit dem Kleinhirn, diese Aktionen in ihrer Ausführung zu überwachen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, ist das Hirn in verschiedene Regionen (Areale) unterteilt, die jeweils unterschiedliche Aufgaben haben. Diese Regionen sind vielfach untereinander und mit den Verarbeitungszentren in Hirnstamm und dem Rückenmark vernetzt. Hieraus ergibt sich zunächst eine sichtbare Unterteilung der Hirnstrukturen in eine weiße (Leitungsbahnen) und eine graue (Nervenzellen) Substanz. Während aber im Rückenmark die graue Substanz innen liegt und die weiße Substanz sie einhüllt, ist es im Gehirn so, dass die Leitungsbahnen innen liegen und von der grauen Substanz – dem Kortex – eingehüllt werden. Sowohl der die außen liegende Hülle des Großhirns (Kortex) als auch die darunter liegenden (subkortikalen) Neuronennetze haben in unterschiedlichen Bereichen unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen.

Hirnstamm

Weitere Schaltstellen von Kontrollkreisen im motorischen System befinden sich im Hirnstamm. Diese Mechanismen wurden erst später entdeckt. Sie sind sehr viel komplexer als die der spinalen Kontrolle. Es kommen im Hirnstamm sehr viele Informationsstränge des Organismus vor allem von den Sinnesorganen vom Großhirn und vom Kleinhirn zusammen, so dass dies ein geeigneter Ort für die Koordinationen von Verarbeitungsprozessen ist.

Es befinden sich im Hirnstamm die ersten Verarbeitungsstationen der Signale von den Augen und Ohren, von Geschmack und Geruch, die dort bereits mit den absteigenden Bewegungskommandos aus den Bereichen des Groß- und Kleinhirns zusammen gebracht werden.

Die aus dem Zusammentreffen der verschiedenen Quellen stammenden und daraus resultierenden Zwischenergebnisse können einerseits (aufwärts) zu den weiteren Verarbeitungsstationen im Großhirn geleitet werden, andererseits können sie auch auf die vom Großhirn kommenden Signale und damit die auf die Bewegung beeinflussenden Kommandos (abwärts) einwirken.

Von speziellen Neuronennetzwerken im Hirnstamm können auch bereits komplexe Muster von Bewegungsabläufen (zentrale Mustergeneratoren – central pattern generator (CPG)) – wie zum Beispiel die der Fortbewegung initiiert werden.

Rückenmark

Am längsten bekannt und auch am sorgfältigsten untersucht und beschrieben sind die Kontrollschleifen der spinalen Reflexe. Sie wurden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem Physiologen Charles Sherrington beschrieben.[20] Diese Reflexe lassen sich auch als Kontrollschleifen beschreiben, die auf der Rückenmarksebene stattfinden. Sie sind schnell genug, um während eines Bewegungsablaufs wirksam zu werden. Ihre Schleifen verlaufen von den Motoneuronen im Rückenmark zu den ihnen zugeordneten Muskeln. In den betreffenden Muskeln beziehungsweise Sehnen befinden sich Messfühler (die Muskelspindeln und Golgi Sehnenrezeptoren), die den Erfolg der Innervation an dieselben Motoneurone melden, die die Innervationen auslösten. Die Muskelspindeln, die innerhalb des Muskels liegen messen die Länge und die Geschwindigkeit der Längenänderung der Muskelfasern, die Golgi Sehnenrezeptoren, die in den Sehnen liegen, messen die Spannung der Muskeln. Die Messergebnisse dieser Sensoren werden zu verschiedenen Neuronen in dem Rückenmarksegment zurück gemeldet, aus dem die Innervation der Muskelfasern kam. Insofern lässt sich von einem Regel- oder Kontrollkreis sprechen. Die Komplexität die auf dem Zusammenwirken dieses Kontrollkreise mit den höheren Zentren erfolgt, wurde im Laufe der Zeit immer intensiver erforscht. Er wird mit seinen Auswirkungen weiter unten ausführlich beschrieben.

Aus Erfahrungen bei Läsionen verschiedener Hirnstrukturen waren bereits lange Zeit das Kleinhirn (Koordinationsstörungen) und die Basalganglien (Parkinsonerkrankung) als Modulatoren der Bewegung bekannt. Deswegen sind die Funktionsweisen dieser Bereiche bereits früh gründlich untersucht worden. Man nahm jedoch an, dass andere Hirnareale nicht wesentlich an der Bewegungskontrolle beteiligt sind. Diese Ansicht hat sich inzwischen deutlich geändert. Darauf wird im Einzelnen noch eingegangen werden.

Literatur

  • Howard N. Zelaznik (Hrsg.): Advances in Motor Learning and Control. Human Kinetics Publishers, Champaign, Ill. 1996, ISBN 0-87322-947-9.
  • Erich von Holst: Zur Verhaltensphysiologie bei Tieren und Menschen. gesammelte Abhandlungen Band I und II. Piper & Co Verlag, München 1969.
  • Karl Küpfmüller: Grundlagen der Informationstheorie und Kybernetik. In: O. H. Gauer, K. Kramer, R. Jung: Physiologie des Menschen. Band 10, Urban & Schwarzenberg, München 1974, S. 209–248.
  • Lior Shmuelof, John W. Krakauer, Pietro Mazzoni: How is a motor skill learned? Change and invariance at the levels of task success and trajectory control. In: Journal of Neurophysiology. 108 (2012) S. 578–594.
  • Richard A. Schmidt: Motor control and Learning. Human Kinetics Publishers, Champaign, Illinois 1982, ISBN 0-931250-21-8.
  • Charles C. Sherington: Flexion-reflex of the limb, crossed extension-reflex, and reflex stepping and standing. In: Journal of Physiology. 40 (1910), S. 28–121.
  • J. A. Adams: A closed loop theory of motor learning. In: Journal of Motor Behavior. 3 (1971), S. 111–150.
  • Norbert Wiener. Mensch und Menschmaschine. Kybernetik und Gesellschaft. Alfred Metzner Verlag, Frankfurt am Main 1952.
  • Mark Latash. Progress in Motor Control, Volume I. Movement Kinetics Publishers. Champaign, Illinois 1996.
  • Erich von Holst. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems beim Regenwurm. Dissertation 1932. Abgedruckt in: International Journal of Zoological Sciences. 51 (1932) S. 547–588.
  • Peter H.Lindsay/ Donald A. Norman. Human Information Processing. Academic Press. New York 2. Auflage 1977
  • Ronald G. Marteniuk. Information Processing in Motor Skills. Holt Rinehart & Winston. New York 1976.

Einzelnachweise

  1. Mark Latash. Progress in Motor Control I. Movement Kinetics Publishers. Champaign, Illinois 1996. Einleitung
  2. Luigi Galvani "De viribus electricitatis in motu musculari". Verlag Deutsch, Frankfurt/M. 1996, ISBN 3-8171-3052-X
  3. Richard Jung. Einführung in die Bewegungsphysiologie.in: J.Haase, H.-D. Henatsch, R. Jung, P. Strata, U. Thoden Sensomotorik in: Gauer, Kramer, Jung. Physiologie des Menschen, Band 14. Urban und Schwarzenberg. München 1976. S. 2
  4. siehe zum Beispiel: Edwin A. Fleischmann; Walter Hempel. Factorial Analysis of Complex Psychomotor Performance and Related Skills. In: The Journal of Applied Psychology 40 (1956) S. 96–104
  5. Karl Küpfmüller . Grundlagen der Informationstheorie und Kybernetik. In: O.H. Gauer, K. Kramer, R.Jung. Physiologie des Menschen Band 10. S209-248. Urban & Schwarzenbeck Taschenbücher, Müchen 1974
  6. Erich von Holst. Untersuchungen über die Funktionen des Zentralnervensystems beim Regenwurm. Dissertation 1932. Abgedruckt in: International Journal of Zoological Sciences. 51 (1932) S. 547–588n
  7. Richard A. Schmidt: Motor control and Learning. Human Kinetics Publishers, Champaign, Illinois 1982
  8. Lindsay/Norman
  9. Ron Marteniuk..
  10. zum Beispiel: Wahrnehmung und Umwelt, München. Urban und Schwarzenberg 1982
  11. Reed Edward S. an Outline of the Theory of Action Systems. In: Journal of Motor Behavior 14, 1982. S.98-134
  12. Meijer OG, Roth K.(Herausgeber). Complex Motor Behavior, The Motor-Action Controversy North Holland Publishers. Amsterdam.
  13. Gantchev GN, Dimitrov B, Gatev P..(Herausgeber). Motor Control, proceedings of the fifth International Symposium on Motor Control 1985 in Varna, Bulgarien. Plenum Press. New York. 1987
  14. Nicolas Bernstein.The Coordination and Regulation of Movements Pergamon Press Oxford 1967
  15. H.T.A. Whiting (Herausgeber) Human Motor Actions, Bernstein reassessed North Holland. 2. Auflage 1986
  16. Rob Bongaard, Onno G Meijer; Bernstein`s Theory of Movement Behavior: Historical Development and Contemporary Relevance. In: Journal of Motor Behavior. 2000. S. 59
  17. siehe: Richard A. Schmidt: Motor control and Learning. Human Kinetics Publishers, Champaign, Illinois 1982, S. 190f.
  18. J. A. Adams: A closed loop theory of motor learning in: Journal of Motor Behavior 3 (1971). S. 111–150
  19. zum Beispiel: Lior Shmuelof, John W. Krakauer, Pietro Mazzoni: How is a motor skill learned? Change and invariance at the levels of task success and trajectory control. In: Journal of Neurophysiology. 108 (2012), S. 578–594.
  20. C. S. Sherrington: Flexion-reflex of the limb, crossed extension-reflex, and reflex stepping and standing. In: Journal of Physiology. 40 (1910), S. 28–121.