Sozialistisches Patientenkollektiv

Zusammenschluss von Psychiatrie-Patienten
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Das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK, seit 1973 auch als Patientenfront bekannt) war eine am 12. Februar 1970 in Heidelberg gegründete linksterroristische Gruppe, die eine Rekrutierungsorganisation für die Rote Armee Fraktion bildete.[1] Sie wurde von 52 Psychiatrie-Patienten unter Leitung von Wolfgang Huber, bis dahin Assistenzarzt an der Poliklinik der Universität Heidelberg, gegründet. Es verstand sich als Therapiegemeinschaft und wollte im Sinne der Antipsychiatrie „aus der Krankheit eine Waffe“ machen, die eine klassenlose Gesellschaft zum Ziel hatte.

Hintergrund und Entwicklung

Die grundlegende These des SPK ging davon aus, dass alle psychiatrischen Erkrankungen durch die Gesellschaft bedingt seien, die in der aktuellen Form als Kapitalismus jedoch selbst nicht gesund sei. Die klassische Psychiatrie versuche demnach, die Patienten wieder „tauglich für die krankmachende Gesellschaft“ zu machen. Im Gegensatz dazu forderte das sozialistische Patientenkollektiv, zuerst müsse die Gesundung der Gesellschaft bewirkt werden, bevor in dieser Gesellschaft selbst eine Gesundung möglich sei. Im Juni 1970 erklärte Huber: „Es darf keine therapeutische Tat geben, die nicht zuvor klar und eindeutig als revolutionäre Tat ausgewiesen worden ist“, und folgerte: „Im Sinne der Kranken kann es nur eine zweckmäßige bzw. kausale Bekämpfung ihrer Krankheit geben, nämlich die Abschaffung der krankmachenden privatwirtschaftlich-patriarchalischen Gesellschaft.“

Nach der Gründung im März 1970 wuchs das Kollektiv schnell, zwischenzeitlich auf angeblich 500 Patienten. Nachdem Huber bereits als Arzt entlassen worden war, zahlte die Universität nach heftigen Diskussionen die Räume der Gruppe und das Gehalt Hubers. Die öffentlichen und juristischen Auseinandersetzungen über den Status der Gruppe an der Universität Heidelberg und ihre Legitimität setzten sich aber fort. In der Auseinandersetzung um das weitere Fortbestehen des SPK wurden von der Universität Heidelberg eine Reihe von Gutachten eingeholt. Zu den Befürwortern des Patientenkollektivs zählten Horst Eberhard Richter aus Gießen, Peter Brückner aus Hannover und Dieter Spazier, der ehemalige Leiter der Universitätspoliklinik Heidelberg. Als Gegengutachter wurden Walter Ritter von Baeyer als früherer Klinikchef des Arztes Huber, Hans-Joachim Bochnik aus Frankfurt und Helmut Thomä aus Ulm, ein früherer Mitarbeiter von Alexander Mitscherlich an der Psychosomatischen Universitätsklinik in Heidelberg, bestellt.[2]

Die Spannung verschärfte sich, als im April 1971 ein Mitglied der Gruppe Suizid beging und das SPK im Juni 1971 in Verdacht geriet, Aktionen der Baader-Meinhof-Gruppe zu unterstützen. Strafverfolger durchsuchten die Räume und inhaftierten Mitglieder, worauf eine Erklärung erschien: „Wenn wir umzingelt sind, entweichen wir.“ Im Juli wurden gefälschte Papiere und Waffen gefunden; die Ermittler machten einekriminelle Vereinigung als inneren Kern aus. Im November 1972 kam es zu Prozessen gegen SPK-Mitglieder, Huber verlor seine Zulassung als Arzt. Er und seine Frau wurden wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Sprengstoffherstellung und Urkundenfälschung zu jeweils viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Einige Mitglieder des SPK wechselten in dieser Zeit zur RAF, darunter Klaus Jünschke, Margrit Schiller, Lutz Taufer, Bernhard Rössner, Hanna Krabbe und Siegfried Hausner, Elisabeth von Dyck, Ralf Baptist Friedrich, Sieglinde Hofmann und mutmaßlich Friederike Krabbe. Bei der Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm 1975 waren Taufer, Rössner, Hanna Krabbe und Hausner beteiligt, an der Anschlagserie vom Herbst 1977 von Dyck, Friedrich, Hofmann, ev. Friederike Krabbe.

Das Sozialistische Patientenkollektiv löste sich 1971 auf und .[3]

PF/SPK

Unter dem Namen Patientenfront/Sozialistisches Patientenkollektiv(H) – PF/SPK(H) existiert in Mannheim eine Gruppe, die sich als identisch mit dem SPK bezeichnet. Vertreter dieses Gruppe distanzieren sich von der RAF.[4] Auch bestreitet man eine Verbindung mit der 68er-Bewegung, den damaligen Selbsthilfegruppen und Betroffenenverbänden sowie mit der Antipsychiatrie-Bewegung. Diese Behauptung widerspricht den Erkenntnissen der Untersuchungsbehörden.

Publikationen des SPK und Textsammlungen

Siehe auch

Veröffentlichungen

Buch

  • SPK – Aus der Krankheit eine Waffe machen. Eine Agitationsschrift des Sozialistischen Patientenkollektivs an der Universität Heidelberg. Mit einem Vorwort von Jean-Paul Sartre. Trikont Verlag: Trikont - Texte, München, 1972. ISBN 3-920385-47-0.

Patienten-INFOs Die gesammelten SPK Flugblätter, u.a., nachgedruckt in zwei zeitgenössischen Bänden:

  • Basisgruppe Medizin Gießen, Fachschaft Medizin Gießen (Hrsg.): Dokumentation zum Sozialistischen Patientenkollektiv Heidelberg, Teil 1, (Febr. bis Okt. 1970), 130 S. Selbstverlag, Gießen, 1971.
  • Basisgruppe Medizin Gießen, Fachschaft Medizin Gießen (Hrsg.): Dokumentation Teil 2, (Oktober 1970- August 1971), 318 S., Selbstverlag, Gießen, o. J., (1972).

Aufsätze

  • Sozialistisches Patientenkollektiv an der Universität Heidelberg (SPK): Zur Dialektik von Krankheit und Revolution,. In: Hans–Peter Genthe (Hrsg.): Marxismus, Psychoanalyse, Sexpol, Band 2, Aktuelle Diskussion, Fischer Tb 6072, Frankfurt am Main, 1972, S. 311–341. Laut Quellennachweis nach einem hektografierten Manuskript, Heidelberg, 1971.

Veröffentlichungen des IZRU

  • IZRU (d.i.: Informationszentrum Rote Volksuniversität für das ehemalige SPK): Zum Problem Widerstände, die sich der praktischen Kritik entgegenstellen, wenn die Widersprüche des Systems Krankheit/Kapitalismus/Knast durch die Patientenselbstorganisation entfaltet werden, Kursbuch, [Nr.] 28, Juli 1972, Das Elend mit der Psyche 1, Psychiatrie, S. 121–139.
  • Die rote Volksuniversität, Selbstverlag, Heidelberg, 1972, 1973. Bis mind. Nr. 14, 26. Nov. 1973.

Spätere Veröffentlichungen eines SPK

  • Sozialistisches Patientenkollektiv Heidelberg (Hg.): SPK Dokumentation, Bd. III, 222 S., Trikont, München, 1977. Vorwort von Dr. Huber.

Literatur

  • Sozialistischer Heidelberger Studentenbund (Hrsg.): Kleinkrieg gegen Patienten. Dokumentation zur Verfolgung des SPK Heidelberg, Heidelberg, [Juni] 1972. Dies war eine überarbeitete Auflage. [Hein, S. 61].
  • Jürgen Roth: Psychiatrie und Praxis des sozialistischen Patientenkollektivs, S. 107−120. In: Dossier: Patientenselbstorgnisation und Staatsapparat, Kursbuch 28, Juli 1972, S. 107–146.
  • Aus der Anklageschrift gegen das Sozialistische Patientenkollektiv, S. 140−146. In: Dossier: Patientenselbstorganisation etc., Kursbuch 28, Juli 1972, S. 107–146
  • Armin Pfahl-Traughber: Linksextremismus in Deutschland: Eine kritische Bestandsaufnahme. Wiesbaden 2014; Springer, ISBN 978-3-658-04506-7, S. 168-169
  • Stadtguerilla und bewaffneter Kampf in der BRD. Ergänzungsband zur Bibliographie, Edition ID-Archiv, Berlin 1993, S. 17] Es handelt sich um Werner Schork.
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Einzelnachweise

  1. Armin Pfahl-Traughber: Linksextremismus in Deutschland: Eine kritische Bestandsaufnahme. Wiesbaden 2014; Springer, ISBN 978-3-658-04506-7, S. 168
  2. Basisgruppe Medizin Gießen und Fachschaft Medizin Gießen (Hrsg.): Dokumentation zum Sozialistischen Patientenkollektiv Heidelberg. Gießen 1971
  3. Armin Pfahl-Traughber: Linksextremismus in Deutschland: Eine kritische Bestandsaufnahme. Wiesbaden 2014; Springer, ISBN 978-3-658-04506-7, S. 169
  4. SPK Stellungnahme, 2002