Hämophilie (Bluterkrankheit) ist eine Erbkrankheit bei der die Blutgerinnung gestört ist. Das Blut aus Wunden gerinnt nicht oder nur langsam. Hämophilie tritt hauptsächlich bei Männern auf.
Formen
Es gibt sechs bekannte Formen der Hämophilie:
- Hämophilie A (X-Chromosomal-rezessiv erblicher Gerinnungsdefekt): Hiervon sind fast ausschließlich Männer betroffen, da diese nur ein X-Chromosom besitzen, während Frauen davon zwei besitzen. Hier kommt es zu einem Mangel an Faktor VIII (antihämophiles Globulin).
- Hämophilie B mit Mangel an Faktor IX (Christmas-Faktor) der sog. "Gerinnungskaskade" mit verschiedenen Verläufen von Geburt an (schwer, mittelschwer, leicht). Durch diesen Mangel kann die Blutgerinnung nur sehr langsam ablaufen - ebenfalls X-chromosomal-rezessive Vererbung -.
- Der sehr seltene autosomal-rezessiv erbliche Gerinnungsdefekt (z.B. Stuart-Prower-Faktor Mangel, Faktor X der Gerinnungskaskade) kann sich bei beiden Geschlechtern gleich stark ausprägen, da bei beiden Geschlechtern gleich viele Autosomen (nicht-geschlechtsgebundene Chromosomen) vorkommen.
- Parahämophilie (Hypoproakzelerinämie, Owren-Syndrom): autosomal-rezessiv erbliche Krankheit durch Mangel des Gerinnungsfaktors V (Proakzelerin).
- Angiohämophilie (Willebrand-Jürgens-Syndrom): Es ist die häufigste autosomal-dominant vererbte hämorrhagische Diathese, sie kommt durch einen Strukturdefekt des Faktors VIII unterschiedlicher Ausprägung.
- Hämophilie C (Rosenthal-Syndrom): Hier fehlt Faktor XI (PTA) der Gerinnungskaskade, so dass v.a. bei Kindern leicht Blutungen in Gelenken oder bei minimalen Verletzungen auftreten. Die üblichen Gerinnungstests (Quick u.a.) fallen hierbei oft irritierenderweise normal aus.
Verlauf
Blutungen können in jedem stark durchbluteten Gewebe auftreten. Die erste Blutung in einem Gelenk (auch als Initialblutung bezeichnet), wird häufig durch ein(en) Unfall/Trauma verursacht. Besonders betroffen sind die großen Gelenke. Durch die Gelenkinnenhaut (Synovia) werden Enzyme freigesetzt, die das im Gelenk befindliche Blut abbauen. Bei großvolumigen Ergüssen vergrößert sich die Synovia dafür und wird stärker mit Blutgefäßen durchzogen. Daraus folgt eine höhere Wahrscheinlichkeit nachfolgender Blutungen oder Entzündungen. Es wird ein Kreislauf von Entzündungen und Blutungen in Gang gesetzt; die kleinste Anstrengung kann Gelenkblutungen (meist Knie-, Ellenbogen-, Schulter- oder Hüftblutungen) zur Folge haben, was immer auch mit starken Schmerzen, manchmal über die ganze Dauer der Blutung, verbunden ist. Eine durch Unfall hervorgerufene Blutung kann nur durch schnellstmögliche Hilfe und Gabe von Gerinnungsfaktoren in Grenzen gehalten werden. Ist diese Hilfe nicht rechtzeitig möglich, kann das (auch bei weniger schweren Verletzungen) den Tod durch Verbluten bedeuten. Die Folgen der häufigen Blutungsereignisse sind bei älteren Jahrgängen (da wirksame prophylaktische Therapien erst seit etwa 30 Jahren verfügbar sind) Gelenkversteifungen z.T. schwerster Art, frühzeitige Arthrose - (die evtl. operative Eingriffe wie z.B. Knie-Arthroskopie, Synovektomie bis hin zur Endoprothese (Gelenkersatz) aber auch orthopädische Hilfsmittel (orthopädische Schuhe), Gehhilfen u.a.) erforderlich machen, - sowie Fehlbildungen der Muskulatur und des Knochenaufbaus, wobei die Mobilität der Gelenke durch ständige Physiotherapie auf einem gewissen Belastungsgrad gehalten, oder aber auch verbessert werden kann. Schnitt- und Riss- und weniger auch Schürfwunden können zu starkem Blutverlust, ja zum Ausbluten führen (je nach Größe der Verletzung), auch ohne äußere Einwirkung kann es zu subkutanen oder intramuskulären Hämatomen kommen. Die Gefahr innerer Blutungen ist ebenfalls höher als normal einzustufen - (z.B. Nierenblutungen mit starker Kolik (Verschluss der Harnwege durch Thromben)).
- Bei Trägerinnen des Gendefekts kann eine verstärkte Blutungsneigung auftreten, die sich in verstärkten Regelblutungen oder während der Entbindung zeigen kann.
Die frühere (bis vor etwa 30 Jahren) gebräuchliche Therapie bei Hämophilie Blutungen zu stoppen, bestand im Allgemeinen darin, direkte Blutspende, Blutkonserven oder Blutplasma bei stärkeren und akuten Blutungen zu verabreichen, Hämatome zu kühlen und blutende Wunden mit aus Rinderblut gewonnenem Fibrin zum gerinnen zu bringen, was relativ selten gelang.
Die heutige Therapie besteht im allgemeinen darin prophylaktisch den fehlenden oder defekten Faktor zu substituieren, wobei Blutungen weitestgehend ausgeschlossen werden können und der Patient ein relativ normales Leben führen kann, aber z.B. von Sportarten wie Athletik, Boxen, Wintersport und extremer körperlicher Belastung absehen muss. Die Therapie geschieht z.B. in den Fällen Hämophilie A, B oder Willebrandt-Syndrom durch Selbstbehandlung (intravenös) mit den fehlenden Faktoren. Diese Faktoren wurden aus menschlichem Blut gewonnen, wobei in der Vergangenheit u.a. auch viele Bluter mit HIV, Hepatitis C und B und anderen Viren infiziert wurden. Die Möglichkeit der Ansteckung ist heute jedoch so gut wie ausgeschlossen, da das Blut heute gründlich untersucht werden muss und neue zuverlässigere Methoden der Blutreinigung erforscht wurden. Zudem wird der Faktor VIII (Hämophilie A) heute auch gentechnisch hergestellt. (s.a. Gentechnik innerhalb dieses Absatzes)
Die Hauptkomplikation bei der Hämophilie A-Therapie liegt heute in der Bildung von neutralisierenden Antikörpern gegen den Faktor VIII (FVIII), den sogenannten inhibitorischen Antikörpern oder auch Hemmkörpern. Weltweite Studien zeigen, dass etwa 30% der behandelten Patienten oder Blutern inhibitorische Antikörper entwickeln. Es wird weiterhin diskutiert, ob die Inhibition allein durch die Blockierung der FVIII-Aktivität erfolgt oder ob es zu einer erhöhten Beseitigung (engl.: clearance) des FVIII durch die Erkennung der Antikörper kommt. Die Antikörper verringern die Wirkung des zugegebenen FVIII sehr stark, sodass die nötige Erhöhung des Faktorspiegels nicht erreicht wird und es in der Folge wieder zu Blutungen kommt. Bei dem gentechnisch hergestelltem Produkten bleibt bei der "kurzen" Verwendung noch immer eine grosse "Unbekannte"!
Trägerinnen für die Vererbung der Hämophilie A oder B sind Frauen. Beispiel: Eine Trägerin (Konduktorin) des fehlerhaften Gens für die Hämophilie bekommt Söhne, bei denen die Wahrscheinlichkeit 50% ist, Bluter zu sein (siehe auch Erbinformation). Bekommt diese Trägerin Töchter, können 50 % dieser das Gen auf die nächste Generation weitervererben ohne selbst von dieser Krankheit betroffen zu sein. Sobald diese Mädchen wieder männliche Nachkommen haben, ist es dann ebenso möglich, dass diese Bluter sind. Diese Wahrscheinlichkeit kann aber auch mehrere Generationen überspringen, sofern immer wieder Töchter als Trägerinnen vorhanden waren. Wenn Bluter Söhne bekommen, sind diese nicht davon betroffen und die Krankheit ist für die folgenden Generationen zu 99% ausgelöscht.
In Einzelfällen ist die Hämophilie bei Frauen möglich. Wenn der Vater Bluter und die Mutter Überträgerin ist, wird in 50% der Fälle das fehlerhafte X-Chromosom auch durch die Mutter übertragen und sich die Hämophilie somit manifestieren.
Bei Hämophilie A und B wurde das defekte Gen vor kurzem entschlüsselt und es besteht in Zukunft evtl. die Möglichkeit dieses zu reparieren und wieder funktionstüchtig zu machen, wobei die Gabe der fehlenden Faktoren in Zukunft entfallen würde und die Betroffenen ein ganz normales Leben mit normaler Gerinnung führen können.
Die Gentechnik (ein Teilgebiet der Biotechnologie) brachte in Bezug auf die Herstellung von Faktor-VIII-Präparaten bahnbrechende Fortschritte. Die Faktor-VIII-Präparate wurden bis vor einigen Jahren aus dem Blutplasma von - vermeintlich - Gesunden, also Nichtblutern, gewonnen. Durch die Verunreinigungen des Blutplasma mit - bis dato - unbekannten Viren (HIV und Hepatitis C) kam es in den achtziger Jahren zu dramatischen Infektionen von Hämophilen. Zwischenzeitlich kann man davon ausgehen, dass bekannte Viren aus plasmatischen Präparaten herausgefiltert werden. Zweifellos besteht zwangsläufig ein Restrisiko hinsichtlich neuer, unbekannter Viren. Das Beispiel Vogelgrippe zeigt, dass immer wieder neue Viren auftreten.
Seit einigen Jahren gibt es jetzt aber Faktor-VIII-Präparate, die auf biotechnologischer Basis hergestellt werden. Und selbst hier gibt es noch Unterschiede, ob dies ausschließlich - also ohne Zusatz von menschlichem oder tierischem Proteinplasma - erfolgt, oder aber im Herstellungsprozess noch Plasma (als Nährlösung) verwendet wird. Die böse Erfahrung der achtziger Jahre lässt den Bluter sich ein möglichst reines, sicheres Präparat - also plasma- und albuminfrei hergestellt - wünschen.
Es ist mittlerweile möglich, den Blutgerinnungsfaktor VIII gentechnisch herzustellen. Er wird maschinell in Zellen aus den Eierstöcken von Hamstern synthetisiert, isoliert und gereinigt. Das daraus entstandene Präparat wird Hämophilen (Bluterkranken) gespritzt, um Blutungen zu stoppen.
Geschichte
Die wahrscheinlich früheste Erwähnung der Krankheit findet sich im 5. Jahrhundert im Talmud, der von der rituellen Beschneidung derjenigen Knaben befreit, deren zwei Brüder bei der Beschneidung gestorben seien. Im Mittelalter litten viele Adlige und Mitglieder der Königsfamilien an Hämophilie, weshalb sie auch den Namen "Krankheit der Könige" erhielt. Bekannte Beispiele dafür sind die britische Königs- und die russische Zarenfamilie. Ausgangspunkt war hier die Trägerin der Krankheit Queen Victoria von England.
Literatur
Louis Hovy, Karin Kurnik, Mario von Depka: Hämophilie und Orthopädie . Ein interaktives Lehrbuch. Thieme, Stuttgart/New York, 2004, ISBN 3-13-132981-5. (CD-ROM; ab Pentium III, Windows 98, Audiofunktionalität)
Koch Egmont R., Irene Meichsner: BÖSES BLUT. Die Geschichte eines Medizin-Skandals. Hamburg: Hoffmann und Campe, (1990) ²1993. ISBN 3-455-10312-X.
Weblinks
- Weltförderation für Hämophilie
- Österreichische Hämophilie Gesellschaft
- Schweizer Hämophiliegesellschaft
- Deutsche Hämophiliegesellschaft
- Interessengemeinschaft Hämophiler
- Bluter-Info (Liste der Hämophilie-Ambulanzen in Deutschland)
- Hämophilie - Patienteninfo von NetDoktor.at
- Bluterkrankheit bei Haemophilie.org
- Bluterkrankheit bei Onmeda.de